Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Bonderup – Uggerby | Ich erwachte mit einem seltsamen Gefühl. Lichtschein drang durchs Fenster, draußen Vogelgezwitscher und … nichts. Kein Rauschen, kein Prasseln oder Brausen – nicht einmal ein Tröpfeln. Auch kein Fieseln, kein stummes Nieseln. Sondern: Sonnenschein.

Eine Wiese mit zwei Bäumen. Eine Rose rankt an einem hölzernen Tor empor. Rechts ein Stall aus Backsteinen. Sonne, blauer Himmel.

Küche und Badezimmer rochen leicht nach nassem Hund. Überall trockneten Wäsche, Schuhe und Helme. Gleichzeitig roch es nach Kaffee und frischen Brötchen: Der Reiseleiter war schon tätig geworden.

Als wir das Haus verließen, war es, als seien die Heuschrecken über unseren Gastgeber hereingefallen. Denn wir hatten sein Angebot angenommen, gut gefrühstückt und uns Brote für die Fahrt geschmiert, schließlich gab es weit und breit – in Fahrradentfernung gemessen – keinen Supermarkt.

Die nachfolgende Fahrt nach Aalborg ging so schnell, dass wir es alle kaum glauben konnten. In zwei Stunden und vierzig Minuten glitten wir bei Sonnenschein und Rückenwind durch Korn- und Kartoffelfelder, ohne Hügel, nur geradeaus, 47 Kilometer. Es war eine Wonne.

Für dieselbe Distanz hatten wir tags zuvor das Doppelte an Zeit gebraucht, und jetzt war alles ganz leicht.

Die Klappbrücken von Aalborg begrüßten uns mit offenen Armen. Wir segelten in die Stadt hinein, frei von Regenhosen und Kükenponcho und beflügelt davon, nach Tagen der Landpartie eine große Stadt zu sehen. Wir saßen am Limfjord und schauten uns die Menschen an. Wir schoben die Räder durch die Stadt, durchwanderten Altstadtgassen und eine Drogeriekette.

Dann fuhren wir zum Bahnhof. Die Etappe wäre sonst zu lang geworden: 90 Kilometer hätten wir als Erwachsene vielleicht noch gemacht, mit den Kindern nicht. Wir versorgen uns mit Matilde-Milchshakes und Faxe Kondi und ließen uns nach Hirtshals fahren. Mit uns im Zug waren eine Menge Leute, die von Hirtshals aus nach Norwegen übersetzen; die Fähre nach Kristiansand fährt nur zweieinhalb Stunden, die Fahrt nach Bergen dauert sechzehneinhalb Stunden. Wir unterhielten uns mit einem jungen Mann, der sich zu uns in den Vierersitz gesellte; er und sein Bruder, der eine noch Schüler, der andere schon etwas älter, starteten an diesem Tag eine dreiwöchige Radreise durch Norwegen – mit Zelt und Campingkocher, seine erste Radreise überhaupt.

Von Hirtshals aus radelten wir nach Uggerby raus zu unserer Unterkunft. Unterwegs plünderten wir noch einen Supermarkt. Die Brote vom Morgen waren längst weggefuttert, und in Aalborg hatten wir nichts gegessen.

Nach dem Abendessen spazierten der Reiseleiter und ich noch durchs Dorf. Die Kinder chillten vor ihren Geräten.

Ferrtislev-Bonderup – Hirtshals über Aalborg
Radkilometer: 59
Höhenmeter: 123
Radfahrzeit: 3 Stunden 30
plus eine Stunde Zugfahrt von Aalborg nach Hirtshals


Uggerby – Skagen | Die letzte Etappe, das große Finale! Wir beluden ein letztes Mal die Räder.

Mein Taschen-in-Taschen-System hat sich herausragend bewährt. Ich musste zu keinem Zeitpunkt etwas suchen und war auch in den Unterkünften hervorragend sortiert. Auch für den großen Regen erwiesen sich die Kompressionstaschen als praktikabel. Meine Packtaschen, eine grünen Fahrradtaschen, sind gut dicht, vor allem mit zusätzlichem Überzug; Schwachstelle war das Spritzwasser von unten. Dadurch, dass die Kompressionstaschen jedoch aufrecht in den Fahrradtaschen stehen, war das kein Problem; alles blieb trocken. Der Reiseleiter hingegen steckte mehrmals bis zur Brust in seinen Packtaschen und kramte nach Badehose, Werkzeug und Schwimmbrille, unter Flüchen flogen Dinge auf die Erde.

Schon beim ersten Zieleinlauf fand ich, dass sich die Nordspitze Jütlands hervorragend als Schlusspunkt einer Reise eignet. Plötzlich wandelt sich die Landschaft, öffnet sich, Bäume und Wiesen werden zu Dünen, und es sind nur noch wenige Kilometer bis nach Skagen. Seinerzeit kamen wir von Süden, von der Ostseeseite. Diesmal kamen wir von Westen, der Nordseeseite. Der eindeutige Vorteil: Wir hatten auf der ganzen Strecke Rückenwind.

Wir erreichten die Kirche von Råbjerg; eine gute Gelegenheit, das erste Mal anzuhalten.

Ein Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, danach nochmal angebaut und umgebaut, mit einem hölzernen Schiff unter der Decke. Vor der Tür wie überall der Friedhof mit Grabsteinen bis zurück ins 18. Jahrhundert: Familienväter, Mütter, Seefahrer, Soldaten, Gereiste, Ausgezeichnete, Verdiente und ganz Gewöhnliche.

Nach der Kirche folgt Råbjerg Mile, Dänemarks größte Wanderdüne. Jedes Jahr bewegt sie sich fünfzehn Meter Richtung Kattegat. In 130 Jahren wird sie im Meer verschwunden sein.

Wir erklommen die vierzig Meter hohen Sandberge, was leichter erzählt ist, als es getan war. Die Düne ist steil; wir taten einen Schritt und rutschten einen halben wieder hinunter. Ein hervorragendes Herz-Kreislauf-Training, eine gute mentale Übung.

Oben stürmte es geradezu absurd. Der Wind riss an den Haaren, trieb den Sand gegen Beine, Arme und ins Gesicht. Es prickelte und prasselte, es knirschte und knisterte. Böen tragen in jeder Minute Millimeter für Millimeter ab und wehen die Körner unbeirrbar gen Osten. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Wir blieben eine ganze Weile auf der Düne und genossen die Weite. Die Kinder übten Weitsprung und bauten Häuser, die direkt wieder verweht wurden.

Dann waren es noch zwölf Kilometer, die letzten zwölf Kilometer der Reise. Sonnenschein, Rückenwind, der Geruch von Salz und Meer.

In Skagen gab es das ebenso obligatorische wie notwendige Begrüßungssofteis.

Insgesamt sind wir 410 Kilometer durch Dänemark gefahren. Die letzte Etappe war mit 42 Kilometern die kürzeste. Die längste hatte 72 Kilometer. Die zeitlich längste war begleitet von Dauerregen und Gegenwind.

In den darauffolgenden drei Tagen blieben wir in Skagen. Wir fuhren sogar Fahrrad. Davon erzähle ich später noch – ebenso wie von den Damen und Herren mit, Zitat unserer Gastgeberin in Mitteljütland, Porsche, Polohemd und Pullover über der Schultern. Denn ausgerechnet während wir dort waren, war Hellerup-Woche.

Panoramabild: rechts Meer, links ein Weg, auf dem ein Mann geht. In der Ferne gelbe Häuser.

Uggerby – Skagen
Entfernung: 42 Kilometer
Höhenmeter: 48
Reine Fahrzeit: 2 Stunden 21


Gehört | Daniela Krien: Der Brand. Eine Geschichte, bei der im Außen wenig passiert, wohl aber im Innen. Rahel und Peter sind seit 30 Jahren verheiratet, hatten Höhen und Tiefen in ihrer Ehe. Was sich währenddessen verabschiedet hat, ist die gegenseitige Liebe. In einem Sommerurlaub begegnen sie sich wieder. Ein Buch, das Geschmackssache ist; ich mochte die Geschichte gern, ihre langsame Entwicklung und ihre ostdeutsche Perspektive.

Nykøbing Mors – Bonderup | Der Reiseleiter weckte mich zuversichtlich: Der dänische Wetterdienst habe seine gestrige Prognose korrigiert. Es werde nur ganz leicht regnen und erst ab 15 Uhr. Außerdem habe er die Etappe um zehn Kilometer gekürzt: Wir müssten nicht siebzig, sondern nur sechzig Kilometer fahren. Er strahlte.

Tatsache war jedoch, dass es regnete, als wir aus der Tür traten. Es regnete mit einem leisen Rauschen, ein Regen, der frei war von der Energie eines kurzen Schauers. Mit kraftvoller Ausdauer umarmte er das Land, während ein freundlicher Wind die Tropfen verwirbelte, so dass sie uns nass und liebevoll zudeckten.

Wir beluden die Räder, wickelten uns in Regenkleidung, Kükenponcho und Mülltüten und machten uns auf den Weg. Der Wirbelwind sorgte dafür, dass wir von allen Seiten gleichmäßig nass wurden. Es war, als führen wir Fahrrad und nähmen gleichzeitig ein Bad – ein Erlebnis, das man selten hat. Deshalb würdigten wir es mit zärtlichen Flüchen.

Nach etwa 25 Kilometern erreichten wir einen Ort. Der Ort hatte einen Spielplatz, und auf dem Spielplatz stand eine überdachte Picknickhütte. Wir aßen Zimtschnecken. Derweil veränderte sich der Regen. Er ließ seine Bindfädigkeit hinter sich; stattdessen prasselte er dick und dicht auf das Dach und auf den Reiseleiter, der einen Platten flickte. Denn den hatten wir auch.

Um die Insel Mors zu verlassen, nahmen wir die Fähre über den Feggesund. Am Fähranleger blies der Wind. Auf dem Wind hielten übermütige Schwalben die Stellung. Sie schwebten auf der wilden Luft wie ein Kolibri, nur ohne Flügelschlag, bevor es sie ein ums andere Mal fortriss aufs Meer. Sie kamen wieder, legten sich erneut auf den unsichtbaren Strom, stießen hinab bis kurz über den Asphalt, stiegen wieder auf, wurden wieder fortgerissen.

Nach der Fähre führte unser Weg nach Osten, dem Ostwind entgegen. Der Reiseleiter fuhr voran, die Kinder im Windschatten, ich hinterdrein. Wir trampelten mit würdevollem Trotz, während wir kaum geradeaus gucken konnten: Es regnete uns waagerecht in die Augen.

Die Kinder hatten sich schon mit Beginn der Fahrt in ihr Schicksal ergeben. Schweigsam und unerschütterlich trieben sie ihre Räder durch Sturm und Wind, ohne Beschwerde, ohne Gejammer. Das hier musste schlichtweg erledigt werden.

Hinter Amtoft dann plötzlich: nichts. Kein Prasseln der Regens mehr auf die Kapuzen, keine Windböen.

Wir hielten an einer Picknickbank und packten aus, was wir hatten. Doch kaum saßen wir, begann der Regen von Neuem. Erst tröpfelte er leicht, dann wurde er wild und ausgelassen. Wir suchten Schutz hinter einer Hütte, und ich entdeckte, dass mein Küken-Poncho weit genug war, um zwei durchweichte Elfjährige unter die Fittiche zu nehmen.

Als der Regen wieder sanft und bindfädig wurde, fuhren wir weiter, die Elfjährigen neu verpackt. Denn jetzt kam der kniffligste Teil der Reise: die Fahrt über einen viel befahrenen, etwa sechs Kilometer langen Damm im Vejlerne Naturreservat – der Preis dafür, dass wir zehn Kilometer abkürzen konnten. Eigentlich wäre unser Weg in einem großen Schwung über Nebenstraßen durch das Reservat gegangen.

„Du fährst am besten hinten“, meinte der Reiseleiter, „dich sieht man am besten.“ So radelte ich als großes, gelbes Warnküken am Ende des Trecks – links von der weißen Begrenzungslinie, damit die Autos mehr Abstand hielten, die Kinder rechts, im Windschatten des Reiseleiters. Ich war nicht nur Warnküken, sondern auch eine radelnde Pilone und hätte nicht wenigen Wagen den Seitenspiegel einklappen können, so eng überholten sie mich.

Nach dem Damm machten wir noch einmal Pause und teilten die letzten Zimtschnecken auf.

Bushaltestelle an der Straße. Zu sehen sind herausschauende Beine, davor Fahrräder. Es regnet.

„Es wird besser“, sagte der Reiseleiter, während wir kauten und deutete auf helle Linien am Horizont. Er behielt recht: Als wir weiterfuhren, klarte es auf und tröpfelte bald nur noch.

Dafür ging es jetzt absurd bergauf. In Norddänemark! Das muss man sich einmal vorstellen. Wir ächzten die Hügel hinauf, die Kinder schoben oder wurden geschoben. Dann endlich, auf einer Hügelkuppe das Schild: Bonderup zwei Kilometer.

Fahrrad vor genanntem Schild

In Bonderup wartete als Entschädigung eine Unterkunft voller Pralinen auf uns – und ein Gastgeber, der alles tat, um unseren Tag versöhnlich enden zu lassen. „Ich habe euch den Kühlschrank voller Essen gepackt“, sagte er und zog an der Tür, die sich schmatzend öffnete und einen halben Supermarkt offenbarte. „Hier“, er deutete auf die Waschmaschine, „könnt ihr waschen und dort“, er deutete in die übrigen Räume, „habe ich euch die Betten bezogen. Die Süßigkeiten auf den Tischen könnt ihr nehmen und das“, er hielt eine kleine Rolle hoch, „sind Tüten. Morgen früh könnt ihr euch Brote schmieren und sie mitnehmen.“ Wir wahrten die Contenance, bis er sich verabschiedet hatte, dann brachen wir in Jubel aus.

Route und Daten zur Etappe - siehe Info unter dem Bild

Nykøbing Mors – Fjerritslev-Bonderup
Entfernung: 61 Kilometer
Höhenmeter: 240
Reine Fahrzeit: 4 Stunden 42
Dauerregen und lebhafter Gegenwind

Herning – Humlum | Der Reiseleiter wacht immer früh auf. Er richtet dann erst sich und anschließend den Tag her. Die Tagherrichtung beinhaltet das Herstellen eines Frühstücks, ein wunderbarer Service. Ich liege noch im Bett, rieche Kaffee und Brötchen und denke mir: Noch ein bisschen, dann stehe ich auf.

An diesem Tag wurde der Reiseleiter Kunde seines sonst eigenen Services: Wir hatten Bed & Breakfast gebucht und lagen beide noch im Bett, als ein betörender Frühstücksduft zu uns in Obergeschoss zog. Alsdann brachte Maria auch schon frische Brötchen, Müsli, Joghurt, Milch und …. //*dramaturgische Pause … Waffeln die Treppe hinauf. Wir waren verzückt.

Wir schlugen uns die Bäuche voll. Was nicht mehr reinpasste, durften wir mitnehmen. Welch Geschenk!

Während wir frühstückten, holte der Hausherr im Garten den dänischen Wimpel vom Fahnenmast und hisste die große Nationalflagge. In der Nachbarschaft, erklärte er später, hätten an diesem Wochenende einige Menschen Geburtstag. Da sei es Tradition, die Flagge zur Gratulation zu hissen.

„Übrigens“, sagte Maria, „wenn ihr bis nach Skagen hoch wollt, solltet ihr euch auf etwas gefasst machen.“ In dieser Zeit des Jahres seien eine Menge neureiche Kopenhagener dort – Porsche, Polo-Shirt, Pullover über den Schultern, dazu Aperol Spritz. Wir nahmen das zunächst so zur Kenntnis. Ich werde in einem späteren Beitrag darauf zurückkommen.

Der Tag sollte uns an den Limfjord führen. Wir radelten durch Felder, über Landstraßen und Wirtschaftswege, bis wir Holstebro erreichten. Über das Radfahren durch Dänemark lässt sich wenig erzählen, weil schlichtweg wenig passiert. Stellen Sie sich eine wellige Landschaft aus Korn- und Kartoffelfeldern vor, ab und zu ein Waldsaum, nach einigen Kilometern fahren Sie an ein paar Bauernhöfe vorbei, ab und an kommt eine Kirche. Schwalben kreuzen den Himmel. Raubvögel schweben über den Feldern. Sie hören Ihre Reifen auf dem Asphalt, das Surren der Kette und ein leises Knacken, wenn Sie einen Gang hoch- oder runterschalten. Sie befinden sich in einem Zustand unfokussierter Konzentration; Sie sehen eine einzelne Mohnblume inmitten eines Kornfeldes, ein winziger Frosch hüpft vor Ihnen über den Asphalt. Auf dem Briefkasten eines Bauernhauses sind sieben Figuren abgebildet: Mutter, Vater und fünf Kinder. In der Ferne dunkle Wolken.

Landstraße mit breitem Radstreifen neben einem Feld

In Holstebro begann es zu regnen. Für derartige Ereignisse hatten wir Regenkleidung eingepackt: Kinder und Reiseleiter besitzen Regenjacken und -hosen, ich einen Radponcho. Der Poncho ist gelb, ich sehe in ihm aus wie ein riesiges Küken. Er hat Schlaufen für den Leib, damit er nicht hochweht, und Schlaufen für die Arme, damit er sich wie ein Zelt vom Kopf zum Lenkrad spannt und die Beine trocken hält.

Als es in Holstebro zu regnen begann, just als wir aus der Stadt hinausfuhren und an einem McDonald’s vorbeikamen, waren es bis zu unserem Etappenziel in Humlum noch 24 Kilometer. Auf 24 Kilometern Strecke kann es auf unterschiedliche Arten regnen. Am Anfang regnete es leicht von oben. Dann regnete es fest von oben. Dann regnete es heftig von vorne. Irgendwann regnete es von unten nach oben. Unerfreulicherweise windete es auch; zudem ging es bergauf. Die Hälfte der Strecke schob ich KindDrei gegen den Wind die Hügel hinauf. Irgendwann, wir warfen schon fast am Ziel, hielt sie mir ihre Hand hin und sagte: Schau mal, meine Hand sieht aus wie nach der Badewanne.

Es gibt ein Foto von uns, wie wir auf dem Campingplatz im Humlum ankommen, an unserer gemieteten Hütte. Man nennt diese Art des Wohnens wohl Glamping. Auf dem Foto ist allerdings wenig Glam zu sehen. Wir stehen gut durchgeweicht vor der Hütte, während das Wasser von uns hinab tropft, und gucken bedröppelt.

Der Reiseleiter fuhr noch einmal heldenhaft los, kaufte Abendessen und Aufbackbrötchen. Die Kinder duschten. Ich suchte die Waschmaschine, und wusch alles, was nass geworden war, einmal durch.

Der Tag endete mit Leinen voller Wäsche in einer sehr kleinen Hütte, Nudeln mit Soße und gutem Schlaf.

Herning – Humlum
Entfernung: 60 Kilometer
Höhenmeter: 242
Reine Fahrzeit: 3 Stunden 38


Ein Tag in Humlum | Die Hütte war klein, aber solange sich niemand bewegte, war sie gemütlich. Eigentlich hatten wir keine Wäscheleinen dabei – aber drei Turnbeutel, aus denen der Reiseleiter die Kordeln zog und zu einer Leine spannte.

Als wir am nächsten Tag erwachten, regnete es immer noch. Der Reiseleiter präparierte sich und den Tag, Frühstücksduft zog durch die Hütte. Wir setzten uns zwischen die Leinen und die Wäsche, frühstückten und beschlossen, danach noch einmal ins Bett zu gehen. Die Kinder bekamen das iPad, der Reiseleiter las ein Buch. Mir fielen nach zehn Seiten die Augen zu, und ich nickte noch einmal ein. Als ich erwachte, regnete es immer noch und es roch nach feuchtem Hund. Der Reiseleiter hatte begonnen, unsere Schuhe im Backofen zu trocknen.

Später am Tag klarte es für eine Stunde auf, und wir machten uns auf den Weg zum Limfjord – einmal das Wasser sehen und den Kopf lüften. Während ich anschließend zum Supermarkt fuhr, um fürs Abendessen einzukaufen, gingen der Reiseleiter und die Kinder noch einmal los, baden. Wenn kein Badewetter ist, muss man sich welches vorstellen, dann wird es auch warm.

Panorama-Aufnahme: links Meer, rechts Sand mit Steinen und ein grüner Hügel

Am Abend dann EM-Finale. Wir saßen zwischen weiterhin herabhängenden Hosen und Pullovern, mampften Chips, tranken Limo und feuerten die Spanier (Reiseleiter) und die Engländer an (die Kinder). Mir war es wurscht. Nachdem Schlusspfiff krochen wir in unsere Betten und hörten dem Regen zu, der wieder eingesetzt hatte.


Humlum – Nykøbing Mors | Ein neuer Tag, ein neuer Einsatz für den Kükenponcho. Wir fuhren los, und es regnete. Erst regnete es nur leicht von oben. Dann fuhren wir auf eine Brücke, der Wind peitschte uns die Tropfen ins Gesicht, es regnete wild in die Augen. Ein Moment, in dem man gewöhnlich schlechte Laune bekommt, aber ich hatte keine Gelegenheit, schlechte Laune zu haben, denn ich musste gegen den Wind anfahren – und überhaupt war die Situation ziemlich absurd. Ich meine: Wer fährt bitteschön bei solch einem Wetter Fahrrad?

Als ich am Tag zuvor einkaufen war, hatte ich Mülltüten gekauft, um sie mir um die Schuhe zu wickeln. Man gewinnt keinen Schönheitswettbewerb. Aber ich wollte auch nicht wieder Flossen bekommen und meine Schuhe im Backofen trocknen müssen.

Mülltüten um die Füße

So fuhr ich im wehenden Küken-Poncho, mit flatternden Mülltüten um den Füßen, über den Limfjord in Richtung Uglev.

Als wir die Fähre zur Insel Mors erreichten, nickte der Fährmann uns zu und sagte: „Shitty veijr til cykling“, scheiß Wetter fürs Fahrradfahren. Wie wahr. Und dennoch: Auf der Fähre konnte ich mir die Mülltüten von den Füßen ziehen. Es klarte auf.

Zehn Kilometer vor dem Ziel machten wir noch einmal Halt. Wir saßen auf dem Kies eines Parkplatzes – mit Zimtschnecken, Salzcrackern und Brötchen. Ein Hund kam vorbei, ein schwarzer, wohlgenährter Schnauzer. Er setzte sich zu uns und betrachtete unsere Brötchen. Wir kraulten ihn, er starrte weiter auf die Brötchen. Als wir auf unsere Räder stiegen und wegfuhren, stand er am Rande des Parkplatzes, sah uns nach und trottete dann davon.

Am Abend erreichten wir das Danhostel in Nykøbing Mors.

Die Kinder liefen sofort zum Fjord, der Reiseleiter und ich kochten.

Das war die längste Etappe unserer Reise: 72 Kilometer. Ich werde oft gefragt, wie alt die Kinder sind und wie sie das mitmachen. Die Kinder sind 11, 11 und 14 Jahre alt. Vor zwei Jahren sind wir mit ihnen knapp 50 Kilometer am Tag gefahren. Im vergangenen Jahr fuhren wir mit ihnen vom Münsterland in die Niederlande mit Etappen von 60 bis 65 Kilometern. Damals sagten sie, sie wollten das mal länger machen. Nun sind sie wieder in Jahr älter, die 72 Kilometer haben sie gut geschafft. Wir machen auf unseren Wegen zwei bis drei längere Trink- und Essenspausen, je nach Anstrengung und Umständen. Schön ist natürlich, wenn sich dort ein Spielplatz, ein See oder etwas anderes befindet, das Freude macht. Auf Flachetappen fahren sie bis zu 30 Kilometer durch.

In einer der Packtaschen befindet sich zur Hälfte Essen. Auf einer Etappe essen wir zu Fünft 20 Brötchen, außerdem eine erkleckliche Anzahl Zimtschnecken und Cracker.

Humlum – Nykøbing Mors
Entfernung: 72 Kilometer
Höhenmeter: 403
Reine Fahrzeit: 4 Stunden 53


Cliffhanger | Am Abend saßen der Reiseleiter und ich zusammen und starrten auf verschiedene Wetter-Apps. Die App des dänischen Wetterdienstes war recht zuversichtlich, sagte Regen am Morgen und Regen ab 14 Uhr voraus, dazwischen trocken. Wetter Online zeigte minütlich etwas anderes. Herr Kachelmann sagte Regen voraus – aber keine Regenfelder wie am heutigen Tag, sondern eine tiefblaue Regendecke. Etappenlänge: 71 Kilometer – und keine Möglichkeit, mit einem Zug abzukürzen.

Legoland | Er war natürlich nicht zu vermeiden: der Besuch im Legoland. 2.145 Dänische Kronen kostet dieses schlanke Vergnügen für fünf Personen. Das sind in Euro und in Worten zweihundertsiebenachtzigeinhalb Stück Geld.

Entsprechend schmierten wir uns am Morgen einen Haufen Brote, packten Äpfel, Müsliriegel und Wasserflaschen ein, denn Pommes waren nicht mehr drin. Beziehungsweise: Falls sie noch drin waren, waren wir nicht mehr gewillt, sie zu bezahlen.

Mein Vergnügen bestand im Wesentlichen darin, auf die Brote aufzupassen. Mir wird schon in einem Linienbus schlecht, bei Karussells wird mir speiübel.Und selbst wenn das nicht so wäre, hätte ich keine Lust, 45 Minuten anzustehen, um einmal im Kreis zu fahren.

Einmalig unternahm ich den Versuch und stellte mich bei einem Fahrgeschäft an, einer Art „Wilden Maus“. Dieser Ritt, so dachte ich, könnte einigermaßen verträglich sein, und man muss ja auch mal etwas wagen. Beim Einsteigen stellte sich jedoch heraus, dass meine Beine zu lang für das Wägelchen waren und ich mich nicht hinsetzen konnte. Da ich die Beine nicht raushängen lassen durften, musste ich wieder aussteigen. Ich ging dann auf die Brote aufpassen.

Das klingt alles ein bisschen unbefriedigend. Das war es jedoch keineswegs. Ich hatte einen wundervollen Tag. Die Kinder rannten von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft, fuhren Achterbahn oder ließen sich von einem Roboterarm über Kopf werfen. Der Reiseleiter musste mit; das Meiste vertrug er auch ganz gut. Nur nach der Robotergeschichte war er etwas grün im Gesicht.

Und ich: las. Ich las fast ein ganzes Buch, saß da, schaute in die Gegend, beobachtete andere Menschen, aß Brote, Äpfel und Müsliriegel, ich baute Dinge aus Lego, musste mit niemandem reden und entspannte mich acht Stunden lang aufs Allerbeste.

Eine Sache tat ich allerdings: Ich fuhr Wasserbob. Ich hege eine Liebe zu Wasserbobs. Sie sind ausreichend aufregend, aber nicht so, dass mir übel wird. Beim Wasserbob im Legoland geht es am Ende steil bergab. Das war großartig und hat mir sehr gut gefallen.

Zum Schluss ein Bemerknis: Obwohl das Publikum fast ausschließlich aus Familien mit Kindern bestand, gab es keinerlei Trotzanfälle, Wutausbrüche oder elterlichen Seltsamkeiten. Eine Welt des Friedens und der guten Laune. Verrückt.


Billund – Herning | Der zweite Fahrtag in Dänemark: Nach dem Besuch im Legoland sattelten wir die Räder und fuhren von Billund nach Herning, 66 Kilometer nach Norden. Während der erste Fahrradtag eher schleppend begann, waren wir diesmal von Beginn an im Tritt: Für die ersten 27 Kilometer bis nach Brande brauchten wir nicht einmal eineinhalb Stunden.

Brande hat etwa 7.500 Einwohner und ist die Heimat des Mode-Unternehmens Bestseller. Zu Bestseller gehören die Marken Jack & Jones, Only, Vero Moda, Mamalicious, Selected und weitere – die genannten, sind die, die mir bekannt waren. Bis ich in Brande vor der Bibliothek saß, wusste ich nicht, dass es alles Marken aus einem Hause sind – und zudem noch dänische.

Die Dänen haben eine wunderbare Eigenschaft: Sie erschaffen Infrastruktur für Menschen. Sie bauen helle, offene Bibliotheken und Begegnungsräume drinnen und draußen, sie bauen Spielplätze, stellen Picknickbänke in die Gegend, haben öffentliche Toiletten und sorgen dafür, dass man sich willkommen fühlt. Man sieht den Orten an: Es ist den Dänen etwas wert, dass alle sich wohl und in ihren Bedürfnissen gesehen fühlen.

Von Brande aus fuhren wir in das Braunkohlerevier nach Søby. Ab den 1940er Jahren bis etwa 1970 wurde hier Braunkohle gewonnen – zunächst mit der Hand. Später war der Abbau mit Maschinen erlaubt. Wer mit harter Arbeit gutes Geld verdienen wollte, war hier richtig; die Möglichkeit zog viele Menschen an. Dank des Braunkohleabbaus in Søby kam Dänemark ohne Brennstoffmangel durch den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach.

Wiese mit weißen und gelben Blüten, darin verrostete Gerätschaften vom Braunkohleabbau

Das Braunkohlemuseum erzählt die Geschichte der Menschen, die von der Braunkohle leben. Sie wohnten in Hütten und Baracken; einer der Arbeiter wohnte jahrelang in einem Kleiderschrank, den er sich mitgebracht hatte. Viele Menschen bauten sich kleine Häuser und wohnten dort mit ihren Familien. Ein Kaufmann eröffnete, eine Schule wurde gegründet, ein Schlachter kam ins Dorf. Frode Petersen, der junge Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto, lebte bis ins Jahr 2002 in seiner Hütte. Der alte Herr neben ihm, auf der Ornamenttapete, ist Otto Rasmussen, der Milchmann und Möbelpacker des Ortes.

Vom Braunkohlemuseum aus fuhren wir weiter.

Die Landschaft zwischen Billund und Herning besteht im Wesentlichen aus Kartoffelfeldern. Die weißen Blüten reichen bis auf die Hügelkuppen, an den Waldrand, den Horizont, je nachdem, was grad da ist. Wir fuhren an Bauernhöfen vorbei. Manchmal reihten sich zwei oder drei aneinander.

Ein Kartoffelfeld

Am späten Nachmittag erreichten wir das Haus von Maria und Henry. Ihre vier Kinder sind aus dem Haus, seit Jahren schon ist im Obergeschoss kein Leben mehr. Deshalb quartieren sie dort nun Gäste ein – Gäste, die die Welt zu ihnen nach Hause bringen. Im ersten Jahr nach der Pandemie, als man wieder reisen durfte, so erzählten sie uns am Abend, hätten sie alle Hände voll zu tun gehabt. In diesem Jahr seien wir die ersten Gäste. Allerdings, sagte Maria, reise sie auch oft zu ihren Kindern und ihren Enkeln. Dann schließe sie den Kalender; möglicherweise liege es daran.

Wir bestellten uns Pizza und Fritten und schliefen danach wunderbar.

Billund – Herning.
Entfernung: 68 Kilometer
Höhenmeter: 237
Reine Fahrzeit: 3 Stunden 37

Haltern – Fredericia | Wir starten um kurz nach Sieben vor der Haustür: zwei Erwachsene, drei Kinder, fünf Fahrräder, zehn Packtaschen. Der Plan: vier Züge, drei Umstiege. Ziel: Fredericia in Süddänemark. Wir sind gleichzeitig schläfrig und ausgelassen, wie wir uns und die Fahrräder um kurz vor Sieben vor dem Haus aufreihen. Dann geht es los.

Wir blinzeln die Müdigkeit aus den Augen, fahren zum Vor-Ort-Bahnhof und steigen in den Regionalzug nach Münster. Im Fahrradabteil sitzt ein Mann, Kopfhörer, das T-Shirt zu kurz für den Bauch. Er singt:

Verlieb‘ dich nie, nie, nie, niemals nie
In das Mädchen hinter der Theke
Verlieb dich nie, nie, nie, niemals nie
In das Mädchen hinter der Bar
Egal wie schön sie auch ist
Egal wie durstig du bist
Es ist ihr Job, dass sie dich mag

In Münster Frühstück in der Bahnhofshalle. Es gibt Kaffee, Kakao und Croissants. Bahnhofshallen sind heute nicht mehr fürs Sitzen und Warten gemacht, fürs gemütliche Reisen, fürs Verweilen und Betrachten der Menschen. Sie sind dafür gemacht, sie zu durcheilen, mit Rucksäcken und Rollkoffern, hastig, mit einem Pappbecher in der Hand.

Wir steigen in den ICE nach Hamburg. Wer die Fahrradabteile in den Fernzügen designt hat, gehört mit Zu- und Ausstieg nicht unter 50 Haltestellen bestraft. Wir hieven uns, die Taschen, die Räder in den Zug. Es ist eng.

Fahrräder im Fahrradabteil des ICE

Ein Paar mit E-Bikes kommt hinterdrein. Wir schieben die Kinder schon auf die Sitzplätze durch, reichen die Taschen an und helfen den nach uns Kommenden. Es braucht zwei Erwachsene von kräftiger Statur, um die E-Bikes in die Aufhängung zu heben. Dann sitzen wir, spielen UNO und essen Knoppers. Ein Hauch von 1992 durchweht die Reise.

Ausstieg in Hamburg: Kinder raus, Taschen raus, ich raus, Fahrräder raus, Reiseleiter raus. Ein Rad verhakt sich in der Aufhängung, alles verkeilt sich. Es ist ein wildes, verschwitztes Gefummele, so ruppig und unter Druck wie einst beim ersten Geschlechtsverkehr. 

Der RE von Hamburg nach Flensburg: ein Saunabetrieb. Hätten wir Birkenzweige, wir würden uns damit abpeitschen. Auf dem Bahnsteig in Flensburg holen wir tief Luft. 22 Grad, eine Brise weht. Das Glück ist klein und gleichzeitig groß. 

Wir haben hier zwei Stunden Aufenthalt. Auf den Rädern fahren wir in die Stadt, finden Pommes und Eis.

Hafen mit Segelbooten, ein Steg

Wir sehen Boote, Möwen und Wasser. Dann sitzen wir im Intercity nach Fredericia. Die Fahrradabteile sind bekannt kommod, die Sessel polsterig. Ich werde augenblicklich müde, ein Schlummer ergreift mich. Wunderbar.

In Fredericia wohnen wir nur wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt.

Fünf bepackte Fahrräder vor dem Eingang zu einem Danhostel

Ein Zimmer im Danhostel, der dänischen Jugendherberge. Wieder das Gefühl von 1992, als wir uns zu Fünft das Zimmer beziehen. Wir, zehn Taschen, vier Betten, eine Matratze und ein Tisch – das Zimmer ist voll. Am Ende sind wir alle zu müde, um es unbequem zu finden.

Wir fahren noch kurz zum Strand, stecken einmal die Füße ins Wasser.

Im Hintergrund Strand und Wasser, im Vordergrund ein rot-weiß-gestreifter Turm und blühendes Salbei

Zur zweiten Halbzeit sind wir wieder im Danhostel: EM-Halbfinale, Spanien gegen Frankreich. Das Bild auf dem kleinen Fernseher stockt und ruckelt, das nimmt den Dribblings deutlich den Charme. Dann ist das Spiel vorbei, der Tag ist vorbei, und es braucht keine Gute-Nacht-Geschichte mehr, um einzuschlafen.


Fredericia – Billund | Der erste Radfahrtag führt uns nach Billund: 60 Kilometer durch Südjütland. Wir frühstücken und bepacken die Räder.

Das Gelände ist wellig; wir bemerken es schon nach wenigen Kilometern. Die Fahrt führt auf Hügel hinauf und in Täler hinab – nicht wirklich hoch und auch nicht wirklich tief, aber so, dass es ein stetiges Auf und Ab ist.

Ein Mann, drei Kinder von hinten, während sie durch Felder Fahrrad fahren

Nach acht Kilometern ist bereits ein Dynamo abgefallen, ein Kind musste sich nochmal umziehen, an einem Rad schleift das Schutzblech, wir mussten das erste Mal schieben, haben ungefähr fünfzehn Nacktschnecken überfahren, und der erste Reiseteilnehmer hat schon wieder Hunger. Nach fünfzehn Kilometern halten wir für die erste Rast.

Nach Zufuhr von Zimtschnecken geht es zügiger voran. Dann beginnt es zu regnen. Wir verpacken uns in unsere Regenkleidung: Der Reiseleiter und die Kinder haben Regenjacken und -hosen. Ich habe einen Radponcho, der sich groß und gelb über mich und meine Beine bis zum Lenker spannt: Ich bin ein Riesenküken. Wir sind einen Kilometer gefahren, als aus der Reisegruppe ein „Können wir anhalten, ich muss zum Klo!“ tönt. Wir fahren die nächste Kirche an. An Kirchen sind in Dänemark immer Toiletten.

Wir fahren eine Weile. Es hört zu regnen auf, wir fahren auf, wir fahren ab. Am Grab des Egtved-Mädchens machen wir eine Pause. Vom Grabhügel können wir in die Landschaft schauen. Es hat aufgeklart.

Blauer Himmel mit Schäfchenwolken, darunter Graslandschaft mit kleinen Baumgruppen

Das letzte Stück nach Billund geht über eine Landstraße. Mehr als zwölf Kilometer zieht sie sich schnurgerade durch Felder und Wälder und will kein Ende nehmen. Die Kinder verlangen nach Ankern im immer Gleichen: Jeden Kilometer sage ich an, wie weit es noch ist. So geht es gut, so kommen wir an, erreichen Billund und unser Ferienhaus.

Am Abend, auf dem Weg zum Supermarkt, besteigen wir noch das Lego-Haus. Auf verschiedenen Terrassen hat es Spielgeräte, Schaukeln und Klettermöglichkeiten.

Ein Kind läuft die terassenförmigen Stufen des Lego-Hauses hinauf

Auf dem Sofa, beim EM-Halbfinale Englands gegen die Niederlande, schlafen wir alle ein.


Gelesen | Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still. Ein Roman vor der Kulisse der Deutschen Wende 1989: Silvia hat gerade ein Kind bekommen. Der Vater will nichts davon wissen. Mit einem klapprigen Polo fährt sie von Berlin nach Ildingen zu ihrer Mutter, mit der sie seit mehr als einem Jahrzehnt keinen Kontakt hat. Eine Reise in die Vergangenheit – und von dort aus in eine neue Gegenwart. Denn während sie in Ildingen ist, verändert sich nicht nur Deutschland, sondern auch Silvia. Ich habe die Geschichte gerne gelesen: eine Familiengeschichte, die in sich schlüssig und nicht verkitscht ist. In großen Teilen habe ich sie im Legoland gelesen. Dazu mehr beim nächsten Mal.

Reise-Vorfreude | Sommerferien. Die Zeit der Magie beginnt – endlos, grenzenlos, ohne Verpflichtungen.

Wir reisen nach Dänemark: zwei Erwachsene, drei Kinder, fünf Fahrräder, dreizehn Nächte, sieben Etappen, mehr als 520 Kilometer von Fredericia im Süden nach Skagen im Norden. Alles, was wir brauchen, haben wir auf den Rädern. Am Dienstag geht es los.

Heute Probe-packen. Mein Gepäck:

Ich nehme mit: eine kurze und eine lange Jeans, zwei Radhosen, drei kurze Shirts, zwei lange, Unterwäsche und Socken. Eine Jacke kommt noch dazu. Wenn das Wetter gut ist, fahre ich in Birkenstocks. Für andere Fälle habe ich Turnschuhe dabei.

Damit in den Packtaschen nicht alles durcheinander fliegt und damit ich nicht jedes Teil einzeln ausräumen muss, wenn ich etwas suche – das hat mich bei meiner letzten Radreise genervt -, habe ich diesmal Kompressionstaschen. Sie quetschen die Kleidung zusammen und, das Wichtigste: Ich habe das Zeugs sortiert.

Ich nutze die Taschen auch auf Geschäftsreisen und finde sie praktisch. Der Reiseleiter hingegen nennt mich monkig. Pah! Während er nächste Woche noch fluchend nach seiner Badehose kramt, werde ich schon im See schwimmen.

Unsere Route durch Dänemark:

  • von Fredericia nach Billund (60 Kilometer)
  • von Billund nach Herning (60 Kilometer)
  • von Herning nach Humlum (70 Kilometer)
  • von Humlum nach Nyköbing Mors (71 Kilometer)
  • von Nyköbing Mors nach Slettestrand (70 Kilometer)
  • von Slettestrand nach Uggerby (57 Kilometer; Teilstrecke mit dem Zug, die reale Entfernung ist größer)
  • von Uggerby nach Skagen (47 Kilometer)

Wir übernachten in Danhostels und in Airbnbs. Wenn Sie mögen, folgen Sie mir auf Instagram.


House-Sitting | Während wir in Dänemark sind, wird Vattern die Stellung bei den Schweinen halten und sich zwei bunte Wochen machen. Er hat auch seine Schwester eingeladen. Mein Cousin wollte auch vorbeischauen. Ich habe ausreichend Butter für alle eingekauft.


Vorferien-Umtriebigkeit | Ich werde fünf Wochen Urlaub machen: keine Termine und nur das tun, worauf ich Lust habe. Ich freue mich sehr auf die Zeit.

Die vergangenen zwei Wochen vor dem Urlaub waren nochmal knackig. Zwar war der Kalender gar nicht so sehr verplant. Aber es kamen noch etliche Anfragen für das zweite Halbjahr rein; die Interessent:innen wollten sie noch vor den Sommerferien besprechen und über einen Auftrag entscheiden. Also hatte ich viele Gesprächstermine, schrieb Angebote und verfasste Konzepte, um den Entscheidungsprozess zu unterstützen. Ich bin nun für das zweite Halbjahr fast ausgebucht.

Das ist ziemlich verrückt. Denn um Ostern herum gab es eine lange Phase, in der nichts passierte. Das zweite Halbjahr lag brach vor mir: Grillen zirpten, Heuballen wehten durch die Monaten. Über Wochen kam nicht eine einzige Anfrage. Auch nach sieben Jahren Selbstständigkeit macht mich der Gedanke, in drei Monaten kaum noch Einkommen zu haben, immer noch nervös, auch wenn ich weiß, dass sich das schon regeln wird. Tat es dann ja auch.

Und schon habe ich wieder Luxusprobleme und muss gucken, dass ich genug Vor- und Nachbereitungszeit habe und auch mal einen Erholungstag einbaue. Ich bin dankbar und freue mich auf ein sehr interessantes zweites Halbjahr mit Beratung und Teamentwicklung, Führungskräftetraining, Begleitung in einer Unternehmenstransformation, Coaching und Wissensvermittlung zu Change Management, Umgang mit Widerstand und Agilität.


Gießkannen-Update | Herr Stanišić hat ein neues Buch veröffentlicht: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne.

Sonnenblumen, daneben das Buch von Sasa Stanisic.

Treue Leserinnen und Leser erinnern sich: Eine Rechercheurin des Autors hatte mich im vergangenen Jahr kontaktiert, um Informationen zum Gießkannen-Code zu erhalten. Ich hatte telefonierte daraufhin mit zwei Sauerländer Seniorinnen, meiner Tante und einer Bekannten meines Vaters, um verbriefte Aussagen zu Ausgussrichtungen zu erhalten. Die Damen sind Spezialistinnen in Friedhofsangelegenheiten und mit dem Ort auch als Partnerbörse wohlvertraut.

Die Rechercheurin versprach mir seinerzeit ein Exemplar des Buches. Ich habe nun sogar drei erhalten. Eins behalte ich, zwei habe ich weiter ins Sauerland geschickt. Meine Seniorinnen riefen dankend an und sind hocherfreut, an einem wichtigen literarischen Werk mitgewirkt zu haben.


Und sonst | Drei Dinge:

Das Freibad verkauft nun warme Socken an der Kasse. Nichtsdestotrotz: 2024 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Wettermessungen.

Ich buk einen Zucchini-Kuchen. Die Kinder waren entsetzt, aßen ihn aber trotzdem.

    Schokokuchen in einer Napfkuchenform. Die Zucchini sieht man nicht.

    Die Kinder ernteten eine Seepferdchen-Gurke.

    Gurke, die geformt ist wie ein Seepferchen, mit einem Blatt auf dem Rücken. Sieht wie eine Flosse aus.

    Gelesen | Carmen Korn: Töchter einer neuen Zeit, aus dem Bücherschrank im Dorf. Die Geschichte von vier Frauen, ihren Männern, Partnerinnen und ihren Kollegen. Ein buntes Bild aus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Die Geschichte hat keine besondere Tiefe, geht eher in die Breite und kommt an vielem vorbei. Gerne gelesen nach der Arbeit, in der Mittagspause und während langatmiger EM-Spiele.


    Schweine | Man vergnügt sich.

    Entwicklung | Ich werde meine eigene Großmutter: Es ist Juni, und ich habe das erste Weihnachtsgeschenk gekauft. Ich hoffe, dass ich im Dezember nicht vergessen habe, wo ich es versteckt habe.


    Freibad | Endlich Freibadwetter. Ich schwamm in dieser Woche dreimal, jeweils am Abend nach der Arbeit, und verließ zur Schließzeit um 21 Uhr das Bad. Es war wunderbar. Ich genoss es sehr und bin dankbar, dass das Freibad so lange geöffnet hat.


    Entspannung | Meine Zahnärztin hat mir Physiotherapie für den Kiefer verschrieben: zu viel Spannung, zu viel Knacken, es sei Handlungsbedarf. Ich machte einen Termin in einer Physiotherapie-Praxis, und es dauerte einige Wochen, bis ich an der Reihe war.

    Die Physiotherapeutin fragte mich, wie lange ich die Beschwerden schon habe, und ich antwortete: „Ungefähr dreißig Jahre“. Sie wirkte sofort konsterniert. Als sie mit mir fertig war, gab sie mir die Aufgabe, mir mehrmals täglich einen Korken hochkant zwischen die Zähne zu klemmen und den Kiefer zu dehnen.

    Ich ging nach Hause, entkorkte eine Flasche Lambrusco und trank sie. Das trug bereits sehr zur Entspannung meines Kiefers bei. Dann nahm ich den Korken und klemmte ihn mir zwischen die Zähne, Tag für Tag. Anfangs ging das nur eine Minute, mittlerweile schaffe ich sechs. Die Therapeutin ist voll des Lobes und riet mir heute, den Korken auch mal gegen einen frischen auszutauschen; so ein Trainingsgerät nutze sich schließlich ab. Das werde ich direkt angehen und mich wieder ein stückweit entspannter fühlen.


    Kölle | Ich war in Köln – mit bester Aussicht auf den Dom. Der WDR hat zum Treffen seiner Trainerinnen und Trainer geladen – jener Menschen, die Journalist:innen und Redaktionen trainieren. Das war spannend, denn es kamen unterschiedliche Professionen zusammen: Moderatorinnen, Investigativrechercheure, Sprechtrainer:innen, Leute, die sich mit KI auskennen oder damit, wie man sich vor der Kamera bewegt. Manch eine Stimme erkannte ich, manches Gesicht auch. Es machte viel Freude, im Dachgeschoss des Funkhauses zu sein und ins Gespräch zu kommen.

    Ich bin in zwei Missionen beim WDR: Zum einen bin ich Teil der Volontärsausbildung und mache jedes Jahr drei Tage Agilitätstraining mit dem jeweiligen Jahrgang. Dabei geht es darum, den Nachwuchsjournalist:innen ein Einblick in Scrum, Kranban und Design Thinking zu geben und gemeinsam zu reflektieren, wie die Methoden den journalistischen Arbeitsalltag bereichern können. Außerdem unterstütze ich eine Teamentwicklung bei zwei Radiosendern und bringe Menschen zusammen, die bislang nicht viel miteinander gearbeitet haben. Wir finden gemeinsam heraus, an welchen Stellen das wertvoll sein, Entlastung und neue Möglichkeiten bieten könnte.

    In der Veranstaltung erzählte ich davon, wie ich Veränderungen angehe, wie ich sie moderiere und neue Arbeitsweisen etabliere. Zwei Graphic Recorder:innen hielten alle Sessions auf einer großen Tapete fest. Mein Part ist der in Orange.

    Credits an Lisa Taniyama und Stephan Lomp vom Studio Rabotti.


    Gelesen | Frau Kaltmamsell erzählt von der Generalversammlung des Kartoffelkombinats, von dem sie und ihr Gatte Gemüse beziehen. Das Kartoffelkombinat ist eine genossenschaftliche organisierte Landwirtschaft.

    In Deutschland gibt es 260.000 landwirtschaftliche Betriebe, in 7.000 davon und auf nur 2 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird Gemüse angebaut. Während Deutschland 2/3 seines Gemüsebedarfs durch Importe deckt, liegt die Versorgungsquote bei Fleisch bei 127 Prozent.

    Und selbst wenn mehr landwirtschaftliche Fläche in Deutschland für den Gemüseanbau genutzt werden soll: Es gibt fast niemanden mit der nötigen Fachkenntnis. Pro Jahr machen nur 15 neue Gemüseanbaumeister*innen ihren Abschluss. Deutschlandweit.

    Vorspeisenplatte

    Gelesen | Elizabeth Strout: Am Meer, aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. Das Buch habe ich in der Hamburger Stadtbücherei begonnen und mochte es sehr. Die Autorin erzählt die Geschichte von Lucy Barton, die während des Lockdowns New York verlässt und Zuflucht in Main sucht. Sie begleitet ihren Ex-Mann William. Strout erzählt in ruhigem Ton die Gefühlslage während der Pandemie, außerdem Lucya Verhältnis zu den Töchtern, zu den Nachbarn und auch, wie sich die Beziehung zu William verändert. Das Buch ist das vierte einer Reihe, man kann es aber unabhängig lesen.

    Gelesen | Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe. Ich habe dann gleich das nächste Strout-Buch gelesen, Teil zwei der Lucy-Barton-Bücher. Man kann das sehr gut tun, ohne die chronologische Reihenfolge einzuhalten. Strout erzählt diesmal von Lucys Aufwachsen in Mississippi, von der Beziehung zur Mutter und zu den Geschwistern. Es ist ein gut komponiertes Mäandern durch Gegenwart und Vergangenheit. Der Stil ist sachlich, das tut der Sache gut. Ebenfalls gerne gelesen.

    Gelesen | Jessy Wellmer: Die neue Entfremdung, Untertitel: Warum Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften und was wir dagegen tun können. Den zweiten Teil, was wir dagegen tun können, habe ich wohl überlesen – jedenfalls habe ich keine Lösung entdecken können. Aber der erste Teil war ganz erhellend; einige Zahlen, Gedankengänge und Herleitungen waren mir nicht bekannt beziehungsweise nicht sehr bewusst.

    Jessy Wellmer geht unter anderem auf Erwartungen ein, die für Ostdeutsche mit der Wende verbunden war. So sagt sie, dass den meisten Menschen die Größe des bevorstehenden Umbruchs nicht bewusst war; vielmehr sei man davon ausgegangen, dass die Strukturen und Anschauungen der DDR bestehen blieben, nur ohne Stasi, in Freiheit und mit den Vorzügen des Westens. Dass sich aber von den Produkten in den Regalen über die Wirtschaft bis zur Verwaltungsstruktur, der gesellschaftlichen Idee und zahlreichen Alltagshandlungen alles ändern würde, sei monströs gewesen. Ich denke, dass wir im Westen das kaum nachvollziehen können. Mir hat das nochmal die Augen geöffnet.

    Jessy Wellmer geht auf zahlreiche weitere Aspekte der Wende und vor allem der Nachwendezeit bis zum heutigen Tag ein, unter anderem auf die Repräsentation von Ostdeutschen in Führungspositionen und auf das Verhältnis zu Russland. Sie führt Zahlen an, legt dar, wie sich die Zahlen aus der Historie erklären und zeigt auch, dass Manches nichts mit Ost-West zu tun hat, sondern beispielsweise mit Stadt-Land-Unterschieden oder einer männlich-dynastisch geprägten Elitebildung, die gesamtdeutsch vorhanden ist (und nur im Osten nochmal stärker durchschlägt).

    Das Sachbuch ist aus der Ich-Perspektive erzählt. Das scheint mir ein Trend zu sein; auch in anderen journalistischen Formaten begegnet mir das mittlerweile oft. Ich bin keine Freundin davon. Nichtsdestotrotz ein gutes Buch. Habe einiges mitgenommen.


    Apropos DDR | Der DDR, das erzähle ich kurz, verdanke ich meine Liebe zu Hollywood-Schaukeln.

    Wir hatten entfernte Verwandtschaft in Thüringen: Großtanten und -onkel, die nach der Kriegsflucht aus Ostpreußen in Thüringen geblieben sind. Meine Großmutter hat es weiter nach Westfalen verschlagen. Es waren das Schicksal und die Wirrnisse der Nachkriegsjahre, die manche diesseits und andere jenseits der Mauer ihr Leben leben ließen. In den 1980er Jahren schickten wir uns Päckchen: Wir aus dem Westen verpackten Haribo und Jakobs Krönung; wir fuhren in den Karstadt und ich suchte Spielzeug für meine Großcousins aus. Im Gegenzug erreichten mich über die Jahre eine Puppe, eine Strickliesel, ein Puzzle, ein Buch und ein Bademantel aus Thüringen.

    Zweimal fuhren wir in die DDR, ich muss sechs und acht Jahre alt gewesen sein. Je näher wir der Grenze kamen, desto größer wurde die Spannung. Ich solle mich ruhig verhalten, sagten meine Eltern, man wolle nicht auffallen und die Rückbank aufschrauben müssen. Hinter der Grenze war die Welt dann sonderbar anders: Es roch anders, die Autos waren andere, die Geräusche waren anders und auch die Schokocreme schmeckte anders. Wie seltsam! Obwohl wir doch immer noch in Deutschland waren. In den Städten sah ich weniger Reklame, und ich entdeckte keine Einfamiliensiedlungen, wie ich sie aus dem Westen kannte.

    Die Verwandtschaft lebte in einem Altbau in der Großstadt; das Gebäude war im Zustand der Nachkriegsjahre. Die Toilette auf der Halb-Etage war für eine Sechsjährige ein großes Abenteuer. Allein der Hebel, mit dem ich die Klappe öffnete, um meinen Hinterlassenschaften adieu zu sagen – großartig! Ich verbrachte viel Zeit dort.

    Die Großtante machte ein leckeres Gebäck, das ich seither nie wieder gegessen habe: auf einem Blech ausgestrichener Teig, der leicht vanillig schmeckte, beim Backen Blasen warf und mit Puderzucker serviert wurde. Thüringer Leser:innen können hier sicher weiterhelfen.

    Aber zur Hollywoodschaukel. Die Verwandtschaft hatte einen Schrebergarten, den wir besuchten. Ich lernte das Wort „Datsche“. Neben der Datsche stand eine Hollywoodschaukel und wow, was für ein toller Ort dieser Garten war! Die Büsche hingen voller Beeren, es gab süße Limonade und eben diese Schaukel, auf der ich lag und unter deren buntem Dach ich mich ausruhte. Jede Hollywoodschaukel verbinde ich seither mit Sommer, Limonade und Gemütlichkeit.


    Garten | Vorm Haus eskaliert die Hortensie, hinterm Haus eskalieren die Zucchini.

    Es wird ein reichhaltiges Jahr. Schon vor einigen Wochen konnte ich Gurken ernten; in der vergangenen Regenzeit machten sie dann Pause, aber nun legen sie wieder los.

    Mit Zucchini hatte ich in den vergangenen Jahren kein Glück. Fragen Sie nicht, wie das kommen kann – bei Zucchini! Dieses Jahr mache ich nichts anders, und sie produzieren wie verrückt. Es gibt Pasta mit Zucchini, Pizza mit Zucchini, Zucchinikuchen, geschmorte Zucchini. Der Spinat und der Salat sind schon durch; beides säe ich noch einmal neu ein. Da geht noch was.

    Zu Besuch: ein Hirschkäfer.

    Hirschkäfer auf dem Sonnenschirm

    Schweine | Es ist warm. Man ruht und wartet auf kühle Tage.

    Zwei Schweine zerfließen wie ein Camembert im Stroh.

    Wir gedenken außerdem Lucien. Das Heidelberger Charakterschwein ist im Kreise seiner Gefährtinnen entschlafen. Er wurde acht Jahre alt und war zuletzt ein Greisenschwein. Lucien – dank seiner Optik und seiner energetischen Art benannt nach Lucien Farve, dem einstigen Trainer des BVB – liebte Schlaf, Essen und Erbsenflocken. Er war ein Seelenschwein. Wir werden uns immer mit Wärme im Herzen an ihn erinnern.

    Ausflug nach Hamburg | In meinem letzten Beitrag setzte ich einen Cliffhanger, und es ist nun an der Zeit, von meinem Ausflug nach Hamburg zu erzählen. Anlass der Reise: Herr Stör hatte sich vorgenommen, dreieinhalb Kilometer in der Alster zu schwimmen, danach 180 Kilometer Fahrrad zu fahren, direkt im Anschluss einen Marathon zu laufen und Ironman von Hamburg zu werden. Seine erste Langdistanz. Wenn man seine gesamte Triathlon-Historie einbezieht, kann man sagen, dass er dafür sieben Jahre trainiert hat; in den vergangenen zwölf Monaten besonders eifrig.

    Wer seinen Körper 226 Kilometer in kleinen und großen Kreisen – unangenehm vielen Kreisen – durch eine Stadt bewegt, braucht Freunde, die am Rand stehen und ihn anfeuern. Also fuhren der Reiseleiter und ich nach Hamburg, um Herrn Stör beizustehen, gemeinsam mit seiner Liebsten.

    Die ganze Sache begann unangenehm früh, nämlich morgens um sechs, als die Profi-Damen starteten. Kurze Zeit später ließ sich auch Herr Stör zu Wasser – gemeinsam mit seinem Freund Olli, der ihn im Training begleitet hatte.

    Binnenalster, Aufstieg des Triathlon. Fahnen wehen, eine Rampe ist aufgebaut. Schwimmerinnen und Schwimmer sind im Wasser.

    Wir beobachteten den Start per Tracking-App aus der U-Bahn und waren rechtzeitig am Platze, als unser Athlet nach eineinhalb Stunden aus der Alster stieg, leicht vertüdelt, so schien es. Obwohl wir grölten und winkten, bemerkte er uns nicht. Hinterher erfuhren wir, dass es ein beschwerlicher Schwumm war, bei dem er sich sogar kurz an einem DLRG-Boot festklammern musste, um eine kleine Panik wegzuatmen, hervorgerufen durch Freiwasser und Gedrubbel.

    Wir gingen zur Wechselzone, aber als wir dort anlangten, saß Herr Stör schon auf dem Rad und fort war.

    An dieser Stelle möchte ich einschieben, dass ein Ironman auch für die Begleitmannschaft eine langwierige Angelegenheit ist. Nicht nur, dass wir früh aufgestanden sind, um Herrn Stör nach dem Schwimmen zu empfangen – die anschließende Radausfahrt dauerte 6 Stunden und 45 Minuten. Es ist eine ernsthafte Aufgabe, diese Zeit einerseits gut zu vertrödeln, andererseits aber auch Kräfte zu sparen. Wir haben schließlich alle noch einen Marathon vor uns.

    Es war also ungefähr 9 Uhr, als Herr Stör uns in Richtung Geesthacht davonfuhr. Wir gingen erstmal frühstücken. Ein gutes Verpflegungsregime ist ein maßgeblicher Teil der Renntaktik, deshalb aßen wir reichlich, darunter auch Blaubeerpfannkuchen. Anschließend gingen wir zum Jupiter am Hamburger Hauptbahnhof, „das einzige Kaufhaus, das dich reicher macht“. In einem ehemaligen Karstadt-Kaufhaus stellen Künster und Künstlerinnen ihre Werke aus, es gibt Theater, Workshops und ein Café. Eine recht spannende Angelegenheit; einige Kunstwerke gefielen mir ausnehmend gut, andere passten zum Thema des Tages.

    Die Graffitis gehören zur Ausstellung Female Frames, die den weiblichen Blick auf Graffiti zeigt. Die Künsterlinnen stammen aus Portugal, Litauen, Indien, Kolumbien und Deutschland.

    Vom Dach des Jupiter aus hatten wir eine gute Aussicht auf die Rennstrecke vor der Stadtbibliothek. Wir gingen hinunter und standen tatsächlich parat, klatschten und riefen, als unser Athlet an uns vorbeifuhr. Doch wieder sah er uns nicht.

    Der Athlet auf dem Triathlonrad

    Wie wir dort standen, entdeckten wir, dass die Stadtbibliothek geöffnet hatte. Wunderbar! Wir gingen hinein, und ich las die ersten 50 Seiten von Elizabeth Strouts „Am Meer“ – ein Buch, das ich mir anschließend in der Bahnhofsbuchhandlung kaufte. Ich möchte nicht ausschließen, dass wir auch kurz in den wirklich gemütlichen Sesseln einnickten. Als wir uns wieder aufrafften, waren wir jedenfalls etwas hüftsteif und musste erstmal wieder zurück ins Rennen finden.

    Ungefähr bei der 90-Kilometer-Marke, so erzählte Herr Stör später – wir mussten zwischen Jupiter und Bibliothek gewesen sein -, habe er an einem Penalty-Zelt angehalten und den Helfern dort gesagt, dass es jetzt genug sei und er aufhören wolle; ihm täte alles weh, das könne so nicht weitergehen. Die Helfer hätten mitfühlend genickt und geantwortet, dass das schon nachvollziehbar sei, dass das aber alles in allem kein Grund sei aufzugeben. Er solle bitte einfach weiterfahren; er könne ja an jedem weiteren Zelt wieder anhalten und es sich neu überlegen, aber hier bei ihnen – nein, das sei unangebracht. Also fuhr er weiter, noch einmal 90 Kilometer, bis er wieder in der Wechselzone war und offiziell absteigen durfte.

    Dort warteten wir auf ihn – wir hatten gerade einen Sandwich verdrückt, um neue Kräfte zu finden -, und schauten ihm beim Umziehen zu. Er fragte uns, wie er jetzt noch einen Marathon laufen solle. Das wussten wir auch nicht; diese ganze Veranstaltung war uns ohnehin ein Rätsel, also sagten wir: „Ach, das schaffst du schon!“ Dann gingen wir an die Lombardsbrücke, die Binnen- und Außenalster trennt. Dort kamen die Athleten in jeder Runde viermal vorbei – vier Gelegenheiten anzufeuern.

    Wie sich herausstellte, war das auch dringend nötig, denn nach den ersten drei Marathonkilometern lief Herr Stör nicht mehr, er ging nur noch spazieren. Was los sei, fragten wir. Er könne nicht mehr laufen, antwortete er, es ginge einfach nicht mehr, überhaupt sei das alles eine Schnapsidee gewesen, er wolle aufgeben, das habe alles keinen Zweck mehr, er schaffe das sowieso nicht. Er wirkte etwas weinerlich – ein Zustand, zu dem er allen Grund hatte, der aber zu diesem Zeitpunkt unangemessen war, schließlich hatte er schon mehr als 188 Kilometer und damit mehr als achtzig Prozent der Strecke zurückgelegt. An den restlichen 38 Kilometer durfte es jetzt nun wirklich nicht scheitern. Wir sprachen ihm wohlmeinende Worte zu. Als er um die nächste Kurve verschwand, holten wir unseren Taschenrechner heraus und kamen – auch für uns überraschend – zu dem Ergebnis, dass er, wenn er mit sechs Kilometern pro Stunden weiterspazieren würde, noch vor der Cut-Off-Zeit von 15 Stunden 30 ins Ziel käme. Es gab also keinen Grund zur Eile, es war noch alles drin! Als er wieder vorbei kam, teilten wir ihm diese Erkenntnis mit. Er wirkte nicht überzeugt, aber immerhin etwas gelöster.

    Das nachfolgende Bilddokument zeigt den Athleten und seinen Kumpel Olli beim Spazierengehen an der Alster.

    Herr Stör und sein Kumpel Olli gehen spazieren.

    Nun kommt der Punkt, an dem die Erzählung deutliche Längen hat, aber nun ja, das liegt in der Natur der Dinge.

    Wir hielten die Stellung an der Lombardsbrücke. Jedesmal, wenn Herr Stör an uns vorbeikam, fragte er: „Wie viel Uhr ist es? Wie viel??“ Wir sagten es und gleich dazu, dass er absolut on track sei; er solle einfach weitergehen, immer weiter. Möglicherweise rechnete er während des Spazierengehens nach und kam zum gleichen Ergebnis; oder er konnte nicht mehr rechnen und glaubte uns einfach – jedenfalls ging er und ging und ging. Eine Runde. Noch eine Runde.

    Die Menge der Läufer wurde kleiner und kleiner, auch die Zuschauer dünnten sich aus. Wir kannten irgendwann jeden, der noch auf der Strecke war: Nigel und Michael, dann der Österreicher im Kostüm und die Britin im gelben Oberteil. Wir feuerten sie alle an. Jemand rollte Flatterband zusammen. Die Sonne senkte sich über die Strecke hinab. Verpflegungsstände wurden abgebaut. Die Laternen gingen an. Der Mond ging auf. Es begann, nach Nacht zu riechen. Unser Athlet spazierte.

    Es war gegen 22 Uhr 10, als Herr Stör das letzte Mal an uns vorbeimarschierte. „Weitermachen, einfach weitermachen!“, riefen wir. „Zweineinhalb Kilometer noch!“ Er wirkte jetzt ganz frohgemut, sein Gang war fast wippend.

    Wir machten uns in Richtung Rathaus auf, während Herr Stör noch eine Schleife lief. Vor dem Rathaus der Zieleinlauf: Musik, Lichtkegel, klatschende Menschen. Die Rathausuhr zeigte zwanzig vor elf, als unser Athlet die Glocke bimmelte und die letzten Metern über die Linie lief – ja, tatsächlich: lief.

    Kurz nach ihm zündeten Menschen Wunderkerzen an und sangen: „In Hamburg sagt man Tschü-hüs …!“ Der Ironman Hamburg 20024 war vorbei. Herr Stör raschelte rhythmisch mit der ihm umgehängten Aludecke.

    Athletinnen und Athleten vor dem Hamburger Rathaus mit Wunderkerzen

    Am nächsten Tag erfuhren wir: Herr Stör ist Letzer geworden. Der Allerletzte: Platz 2.330 von 2.330 Menschen, die rechtzeitig ins Ziel gekommen sind. 15 Stunden und 27 Minuten, drei Minuten vor der Cut-Off-Zeit. Er ist ein Ironman.


    Die andere Perspektive: Herr Stör berichtet vom Ereignis.

    Baumwollspinnerei | Ich beginne meine Erzählung in Leipzig. In der vergangenen Woche war ich in der Baumwollspinnerei beim Agile Barcamp zu Gast – zwei Tage Fachkonferenz mit Organisationsentwicklern und Transformationscoaches. Ich habe es sehr genossen,, auch wenn ich bei diesem Besuch weniger mitgenommen habe als bei den letzten.

    Das letzte Mal war ich vor der Pandemie in Leipzig zu Gast, also vor fünf Jahren (krass, so lange ist das schon her?!). Seither hat sich viel getan – nicht nur in der Welt, auch bei mir und dem was ich tue. Es scheint, also habe ich mich entwickelt und viel gelernt. Denn etliche der Fragen, die Teilnehmer:innen hatten, habe ich nicht mehr, zum Beispiel zur Art und Weise, wie man sich als jemand, der etwas verändert, im Unternehmen behauptet, oder in Hinblick darauf, wie standardisierte Berichtslinien mit agiler (also sich schnell anpassender und sich stets verbessernder) Arbeitsweise zusammenpassen. Zudem wiederholen sich doch viele Diskussionen, zum Beispiel zur Benamung von Rollen für Menschen, die agiles Arbeiten in Unternehmen etablieren, oder zum Umgang mit einem Management, das selbst nicht tut, was es von den Mitarbeiter:innen erwartet und Agilität propagiert, aber selbst nicht teilnimmt.

    Dennoch war es prima, dabeigewesen zu sein. Ich habe mitdiskutiert, mir Erfahrungsberichte aus Unternehmen angehört und Feinschliff an dem betreiben können, was ich tue und wie ich es tue. Manchmal sind es ja nur Kleinigkeiten, die entscheidende Unterschiede machen. Danke an dieser Stelle Kai von Teamdecoder, der mir ein paar Denkanstöße gegeben hat – und Anja Wittenberger, die mich mit ihrer Session zur Problemlösung in Unternehmen in meiner Arbeitsweise bestätigt hat.

    Ich selbst habe auch eine Session gehalten zu generischen Prinzipien der Veränderung. Die Prinzippien der Veränderung sind Leitgedanken, die im systemischen Coaching und der Psychotherapie Anwendung finden, um Menschen zu unterstützen, neue Wege zu gehen. Ich nutze sie als Rahmenwerk für Transformation in Teams und auch in größeren Organisationseinheiten. Sollte ich mal wieder dazu kommen, meinen Newsletter zu schreiben und Ihnen mehr davon zu erzählen: Das Thema steht oben auf meiner Liste.

    Noch ein paar Eindrücke aus der Baumwollspinnerei, einer Fabrikstadt aus zwanzig Einzelgebäuden, in denen jetzt Künstler:innen ihre Ateliers und Firmen ihren Sitz haben und in denen immer wieder Veranstaltungen stattfinden.


    Unterkunft | Ich habe in Plagwitz gewohnt, dem Stadtteil, in dem die Baumwollspinnerei steht. Weil ich vier Tage in Leipzig war, habe ich mir ein Airbnb genommen. Das ist angenehmer als ein Hotelzimmer, ich kann mir selbst etwas zu essen kochen und hatte in diesem Fall sogar eine Waschmaschine. Die Waschmaschine war super, denn ich bin von Leipzig direkt weiter nach Hamburg gefahren. So konnte ich Gepäck sparen und Verschmutztes einfach durchwaschen.

    Die Unterkunft war unglaublich hübsch: eine Altbauwohnung nahe des Plagwitzer Gewerbeparks. In solchen Wohnungen fühle ich mich gleichermaßen gut wie schlecht: Einerseits habe ich eine tolle Zeit und genieße die eigenen vier Wände mit voll ausgestatter Küche – vor allem, weil ich viele Nächte in kleinen Hotelzimmern verbringe, die oft nicht einmal einen Kühlschrank haben -, andererseits fehlt die Wohnung auf dem Leipziger Wohnungsmarkt.


    Stadt | Ich hatte mich so verplant, dass ich auch Zeit hatte, Plagwitz und die Leipziger Innenstadt zu genießen. Ich mag Leipzig sehr. Die Stadt ist bunt und vielfältig, die Menschen sind freundlich, die Architektur macht Freude, überall spürt man Geschichte, und es gibt viele sympathische Cafés und kleine Läden. Schon wenn ich am Bahnhof aus dem Zug steige, fühle ich mich willkommen.

    Plagwitz:

    An allen drei Abenden traf ich mich zum Essen, jeweils mit tollen Frauen. Ich hatte gute Gespräche und genoß gutes Essen: An einem Abend aß ich Marokkanisch, am anderen Georgisch und am dritten Vietnamesisch.

    Bilder aus der Innenstadt:

    Eine Sache fiel mir besonders auf – etwas, das gar nicht da war: A*D-Plakate. Während hier in Haltern die Stadt vollhängt und die Plakate der anderen Parteien beschmiert und abgerissen werden, war in Leipzig das ganze demokratische Spektrum zu finden (die FDP ist nicht auf dem Foto unten, war aber auch präsent).

    Straße mit Altbauten, eine Laterne ist von oben bis unten voller Wahlplakate von der Linken, der SPD, der CDU, den Grünen und nochmal der Linken

    Ich befragte Leipziger:innen dazu. Sie meinten, dass die A*D in den meisten Stadtteilen gar nicht auf fdie Idee käme zu plakatieren. Tatsächlich scheint mir der Gedanken von A*D-Plakaten im alternativen Plagwitz absurd.


    Gespielt | Die Financial Times hat die Klimarettung gamifiziert: The Climate Game.

    Gelesen | Schwammstadt Kopenhagen – Architektur als Hochwasserschutz. Hierzulande spart man.

    Gelesen | Corona-Immunität: Warum stecken sich manche Menschen nicht an? Interessant für mich als Betroffene.

    Gelesen | Lymphe – die unbekannte Flüssigkeit im Körper. Ich habe endlich gelernt, wofür die Milz gut ist – und dass wir alle einen Thymus hatten, ein Organ, das im Laufe des Lebens schrumpft, weshalb das Immunsystem mit dem Alter schlechter wird. Auf Deutsch heißt der Thymus auch „Bries“. Auf Speisekarten steht manchmal „Kalbsbries“.


    Schweine | Ein Bilddokument aus dem Archiv:

    Von Leipzig aus fuhr ich weiter nach Hamburg. Dort erlebte ich Spektakuläres. Was genau, erfahren Sie in der nächsten Maus alsbald.

    Lernen | Ich war wieder an der Fernuni in Hagen. Das fünfte Modul der Coaching-Ausbildung stand an: die Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit als Coach. Es wurde uns geraten zu übernachten, das Wochenende sei intensiv.

    Ich buchte ein Zimmer in der Bildungsherberge der Studierendenschaft, ein erfreulich schlichter Ort, ganz ohne Ironie: ein Bett, ein Tisch, ein Linoleumboden und ein frisch renoviertes Bad, kein Fernseher, aber WLAN, mit Blick auf eine Blumenwiese. Ganz wundervoll, mehr braucht es nicht.

    (Im Bild nicht die Bildungsherberge, sondern die Villa Bechem, der Veranstaltungsort, auch mit Blumenwiese. Ganz interessant dazu: die Bechem-Historie.)

    Am Ende der drei Tage stand die Erkenntnis, dass ich offenbar alle Fragestellungen in der Vergangenheit bereits mehrmals durchdacht hatte – ein Geschenk meiner Biografie, in der ich mich irgendwann dafür entschieden habe, glücklich zu sein, und ganz viel auch ein Geschenk meiner Selbstständigkeit, die neben Beschäftigung mit Kunden auch viel Beschäftigung mit mir selbst enthält – mit dem, was ich gut kann, was ich möchte, wie ich Arbeit für mich gestalte und was ich der Welt anbiete.

    Ich habe weitere Methoden kennengelernt, Menschen zu unterstützen. Unter anderem habe ich endlich mehrere Wege entdeckt, Coachees im Umgang mit ihrem Perfektionismus zu unterstützen; Methoden, die ich auch in mein Seminar „Selbstführung und Zeitmanagement“ einbauen werde, das ich in der kommenden Woche wieder inhouse bei einem Kunden halten werde. Sehr wertvoll.

    Fünf von sieben Modulen haben ich nun absolviert. Es stehen noch an: Gesundheitscoaching und Businesscoaching. Ich bin weiterhin sehr begeistert von dieser fundierten Ausbildung.


    Bahnfahrt | An dem Wochenende in Hagen kamen wir in Gesprächen immer wieder darauf zurück, dass Bahnfahren einen wesentlichen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt: Die aktive Entscheidung, zufrieden zu sein, das Hineinfallenlassen in Situationen, die Offenheit für Entwicklungen – all das kann man hervorragend beim Bahnfahren trainieren.

    Wenige Tage zuvor befand ich mich beispielsweise auf einer eindrücklichen Regionalfahrt von Köln nach Haltern am See, ein Trainingslager für Menschenliebe. Die erste Etappe führte mich von Köln nach Essen, ein geselliges Ereignis für alle Sinne. Ein Mitreisender lüftete seine Füße. Neben ihm sortierte ein Pflandsammler seine Taschen um und goß dabei vergorene Flüssigkeiten von einem Gefäß in andere. Aus ächzenden Lautsprechern knarzte die Spotify-Playlist „Deutschrap“; eine junge Frau besprach ihr jüngstes Beziehungsende, ebenfalls über Lautsprecher, mit ihrer Freundin – die akute Phase schien bereits überwunden. Nach dem Umstieg in Essen spielte eine Gruppe junger Frauen Tabu. „Im Winter! Wenn es kalt wird! Um den Hals!“ – „SCHAL!!“ Die Geräuschentwicklung war beachtlich. Ein Herr in einem Tweetsacko führte einen schlanken, seidig gebürsteten Hund mit sich. Der Mann klappte einen Napf aus und füllte Wasser hinein. Der Hund trank und schlabberte in der Enge die Hosenbeine der Mitreisenden voll.

    Menschenliebe, sagte einst Konfuzius, sei das Wesen der Sittlichkeit. Sittlichkeit, so der Thesaurus, beinhalte Anstand, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit. Ich erduldete also alles anständig und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, und freute mich aufrichtig, als ich daheim war.


    Freibad | Schon drei Freibadbesuche dieses Jahr. Die schönste Zeit des Jahres, der beste Ort des Sommers. Schon beim Betreten bin ich schlagartig entspannt. Kein Ort ist weiter entfernt von der Arbeit als die Wiese des Freibads, als der Beckenrand mit seinen aufgeheizten Betonplatten, als die Bahnen, auf denen nichts zählt außer atmen und schwimmen.

    Freibadbecken mit abgetrennten Bahnen unter bewölktem Himmel. Keine Schwimmer:innen.

    Obwohl ich im Winter oft im Hallenbad war, habe ich mich auf ersten Freibadkilometerneher ertrinkend gefühlt. Am Sonntag habe ich vor dem Schwimmen einen grundschülergroßen Flamingo aufgepustet. Das war dem Atemrhythmus offenbar zuträglich. Danach schwamm ich butterweiche 2000 Meter.


    Reich oder ruiniert | Vor einigen Wochen gab es ein Notar-Ereignis. Das Ereignis zieht einige Arbeit nach sich. Die Arbeit führt dazu, dass ich weniger als sonst zum Bloggen kommen.

    Im Zusammenhang mit der Notarangelegenheit möchte ich den aufmunternden Werbeslogan der Kanzlei teilen.

    Werbestift der Kanzlei mit dem Aufdruck: Ihre Unterschrift kann Sie reich machen. Oder ruinieren.

    Da hat man doch direkt Lust, Entscheidungen zu treffen.


    Ausflug nach Leipzig | Auch dieses Jahr bin ich nicht auf der re:publica. Es ist das zweite Mal, das ich mit gutem Gewissen fernbleibe. Denn jedesmal, wenn ich dort war, hörte ich auf der Veranstaltung zwar viele Worte, aber es gab nichts, was mich überrascht hat. Außerdem fühlte sich die re:publica jedesmal wie Jugenddisko 1992 an: Die Räume schwanger vor Erwartungen, die Diskokugel in vollem Betrieb, die Gäste aufgekratzt, der Aufwand für die Teilnahme immens, die Bilanz am Ende verkatert.

    Ich fahre stattdessen nach Leipzig zum Agile Barcamp, einer offenen Fachtagung für Menschen, die Zusammenarbeit in Organisationen verbessern und Veränderungen vorantreiben. AgiLeipzig war bislang jedesmal ein erkenntnisreicher Austausch: Man spricht über das, was gelingt, und auch über das, was nicht gelungen ist – wahrhaftig und alltagstauglich mit 150 anderen Menschen vom Fach. Ich freue mich sehr auf die Veranstaltung und auch darauf, nach längerer Zeit mal wieder in Leipzig zu sein.


    Gelesen | Größenwahn von Lee Child, übersetzt von Marie Rahn – der erste Roman aus der Jack-Reacher-Reihe. Jack Reacher ist ein ehemaliger Militärpolizist, der auf Herausforderungen des Lebens ausgesprochen unterkomplex reagiert. Gerade aus dem Militärdienst entlassen, reist er heimatlos durch die Staaten. In einer Kleinstadt in Georgia landet er plötzlich im Gefängnis, weil man ihn eines Mordes verdächtigt. Er kommt frei und begibt sich gemeinsamen mit den Polizist:innen des Ortes auf Verbrechersuche. Dabei geht es robust zu, und natürlich vögelt Jack Reacher die einzige Frau auf der Wache. Wer nicht das Diskursniveau eines Philologentreffs erwartet, sondern lediglich drei unausgelastete Gehirnzellen hat, die er einer Verwendung zuführen möchte, der fühlt sich bei dem Buch gut und spannend unterhalten. Es muss ja nicht immer Dürrenmatt sein, nicht wahr.

    Gelesen | Dolly Alderton: Good Material. Andy ist Mitte 30, ein erfolgloser Stand-up-Comedian und ein Mann, der von seiner Freundin verlassen wurde. Wenn er nur wüsste, warum! Er bemitleidet sich arg, rafft sich dann aber auf und geht auf die Suche nach Gründen. Ein leichter Roman, aber nicht flach, mit einem liebevollen Blick auf Liebe und Partnerschaft und das Leben Mitte Dreißig. Hat mir gefallen.


    Und sonst | Es ist noch nicht alles verloren.

    Heruntergekommenes Gebäude mit der Aufschrift: Es ist noch nicht alles verloren", daneben das Bild einer Brille

    Zu guter Letzt | Die Schweine. Sie sind sehr glücklich mit dem anbrechenden Sommer. Gleichzeitig machen wir uns alle kein Bild davon, wie anstrengend es ist und wie hungrig es macht, ein Influencer-Schwein zu sein.



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