Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Broterwerb«

Eine Fahrt in den Norden, eine in den Süden, Erlebnisse auf der Strecke und ein neues Seminarangebot

5. 09. 2023  •  10 Kommentare

Broterwerb | Ich mag meine Arbeit sehr. Manchmal mag ich sie sehr sehr. Zum Beispiel in der vergangenen Woche, als ich zu Gast in Schleswig-Holstein war. Ich hielt einen Vortrag, begleitete die 35 Teilnehmer:innen durch den weiteren Tag, am Abend Gespräche. Alles vor der tollen Kulisse des Bistensees. Der Vortrag war maßgeschneidert auf den Kunden. Ich habe ein Briefing bekommen, und danach mit zwei Feedbackrunden einen Vortrag erarbeitet, der genau auf die Situation des Kunden passt. Das hat alles prima hingehauen, inhaltlich hat es den Nerv getroffen. Das hat mich sehr gefreut.

Blick über die Sonnenterrasse mit Schirmen auf einen See im Morgennebel

Premiere: Zum ersten Mal war ich mit Kund:innen schwimmen. Das Wasser war wunderbar weich und ausreichend warm. Wir schwammen eine gute Strecke, umrundeten eine Insel und schwammen wieder zurück.

Die Anreise nach Alt-Duvenstedt hat etwas Pioniergeist erfordert. Mit dem Zug fuhr ich erst von Haltern nach Münster, dann von Münster nach Hamburg und von Hamburg nach Rendsburg. Soweit alles easy. In Rendsburg musste ich dann den Überlandbus nehmen: erst die Nummer 700 nach Holzbunge-Nord und dort umsteigen in die Nummer 727 zurück Richtung Rendsburg; der Bus fuhr einen anderen Bogen zurück, als der andere hin gefahren war und setzte mich am Seehotel ab.

Der Anschluss in Holzbunge-Nord:

Fahrplan in Holzbunge-Nord: Zwei Busse am Tag

Es brauchte ein bisschen Gottvertrauen.Gemeinsam mit mir warteten zwei Handwerker an der Bushaltestelle, während die Grillen zirpten und der Wind durch die Gräser strich.

Als wir in den Bus stiegen, begrüßten die Handwerker alle Insassen – es waren zwei – mit Namen, darunter der Busfahrer. Als sie vier Haltestellen später ausstiegen, sagten sie Tschüss. So läuft das hier also.

Koffer am Straßenrand unter dem Haltestellenschild.

Auf dem Rückweg nahm ich ein Taxi nach Rendsburg: Zu der Zeit, wo ich fahren wollte, fuhr kein Bus. Der Taxifahrer freute sich über die Fahrt. Wir unterhielten uns über Fußball, über Regen und Sonnenschein („Da hatten Sie aber Glück mit dem Wetter!“). Er wusste sehr viel über Regen in Schleswig-Holstein, Regen mit Wind, Regen ohne Wind und Regen, der von allen Seiten kommt. „Wenn es schüttet, dann schüttet es!“


Schweine | Während ich in Schleswig-Holstein war, haben die Schweine eine neue Villa bekommen. Der alte Stall war marode; wir hatten ihn zum Schweine-Einzug gebraucht gekauft; seinerzeit wollten wir keine großen Investitionen tätigen. Die Immobilie erwies sich jedoch rasch als sanierungsbedürftig. Besonders die Bodenplatten waren angegriffen und bekamen nach und nach Löcher. Wir entschlossen uns zu Abriss und Neubau.

Die neue Kapitalanlage ist eine freistehende Stadtvilla. Ihre Installation erforderte Umbaumaßnahmen auf dem Gelände. Landschaftsgärtnerin K2 hat die Parklandschaft erweitert und verschiedenes Grün arrangiert.

Die Schweine finden es am besten unter der Villa.

Drei Meerschweine unter dem Stall. Eines streckt seine Schnauze raus.

Streckensperrung | Die Bahn baut. Zwei Wochen lang fuhr kein Zug durch unser Dorf. Deshalb blieb auch zwei Wochen lang die Schranke, die das Dorf teilt, oben.

Alle im Dorf waren ein bisschen orientierungslos. Normalerweise schließt die Schranke alle naselang – für den Regionalverkehr, für Güterverkehr, für Fernzüge und für durchfahrende Einzelloks. Mitunter fahren drei, vier, manchmal fünf Züge durch, bevor die Schranke wieder öffnet. Dabei gehen bis zu zwanzig Minuten ins Land – zwanzig Minuten, in denen man über das Leben nachdenken kann. In der Zeit versammeln sich Leute an der Schranke: Dorfmenschen, Reisende, Verirrte, Menschen im Auto und noch mehr zu Fuß und auf dem Fahrrad. Man kommt ins Plaudern, klagt sich gegenseitig sein Schrankenschicksal, tauscht sich über die Temperatur des Freibadwassers aus.

Weil alle Leute, wenn sie ins Dorf wollen, bei ihren Wegen eine geschlossene Schranke einplanen und zehn Minuten früher losgehen, kamen alle Leute zwei Wochen lang zehn Minuten zu früh zu ihren Verabredungen. Gleichzeitig traf man sich nicht mehr, hatte keine Gelegenheit zu erfahren, wie warm es im Freibad ist. Ich denke, es wäre gut gewesen, wenn wir die Schranke einfach alle zwanzig Minuten für einen Moment heruntergelassen hätten. Zwei Rentner hätten eine Draisine von links nach rechts hebeln können, dekoriert mit einem Pappmaché-ICE. Das hätte uns allen gut getan, es hätte uns Halt gegeben.


Nochmal Schwein | Nachdem ich im Norden war, fuhr ich in den Süden. Ich begleitete Vattern zu einem Auftrag nach Schriesheim, nahe Heidelberg. Vattern hütet dort für eine Woche das Meerschwein der Turnschwester, einer Freundin von mir.

Nachdem er sich hier in Haltern erfolgreich als Schweinesitter von Frühstück, Mittagessen und Abendessen verdingt hat, während der Reiseleiter, die Kinder und ich in die Niederlande radelten, ist er nun dabei, aus der Sache einen deutschlandweiten Service zu entwickeln: „Schweineversorgung und Housesitting durch seriösen älteren Herrn“.

Zielobjekt in Schriesheim ist Schwein Lucien. Er ist seit Kurzem Witwer und benötigt nicht nur Gurken, sondern auch Trauerbegleitung.

Lucien, das Witwerschwein, mit einer Gurke

Die beiden Herren werden sich eine schöne Woche an der Badischen Bergstraße machen, im sonnigen Weinanbaugebiet. Allein der Ort Schriesheim besitzt ausreichend Weinschenken, dass jeder Abend einen Termin hat.

Um Ortskenntnis zu erlangen, machen wir am Wochenende noch einen Ausflug nach Heidelberg, die Stadt und die Wege kennenlernen. Es war wunderbares Wetter, Schlossbeleuchtung, am Neckar spielte Live-Musik.

Auf meinem Rückweg nach Haltern blieb ich für eine Weile in Wanne-Eickel stecken. Auf der Strecke zwischen Wanne-Eickel und Recklinghausen gibt es nämlich eine Weiche, die mindestens so marode ist, wie unser Schweinestall es war. Fast täglich gibt es Weichenstörungen. Die Bahn hält immer schon einen Trupp orangener Männer bereits, die WD40 draufsprühen und die Weiche dann per Hand umlegen.

Ein launiger Zugbegleiter hielt die Stimmung hoch.

Zugbegleiter: Wie Sie sicherlich bemerkt haben, stehen wir immer noch in Wanne-Eickel. Vor uns ist eine defekte Weiche. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Zugbegleiter: Wie die Leitstelle mir gerade mitteilt, stehen drei Züge vor der Weiche. Die müssen nun alle erstmal zurück auf ein anderes Gleis rangieren. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Zubegleiter: Neues von der Leitstelle. Die Weiche wird repariert. So lange warten wir hier. Sie können gerne aussteigen. Ich lasse die Türen offen.

Zugbegleiter: .. //*vernehmliches Seufzen … Es fährt noch immer nichts. Ich sage Ihnen das nur, damit Sie nicht denken, ich hätte Sie vergessen. Wir haben heute die Arschkarte.

Vater zu Kind: Das eben war ein böses Wort. Das haben wir nicht gehört.

Zugbegleiter: Soooo …. ich höre, dass die Weiche repariert ist. Allerdings darf jetzt erst der Fernverkehr fahren. Wir sind kein Fernverkehr. Wie gesagt, Arschkarte.

Vater zu Kind: Das Wort hören wir nicht.

Zugbegleiter: Meine Damen und Herren, gleich sind wir dran. Es fährt nur noch der Intercity, den Sie nebenan uns auf Gleis fünf sehen. Warum darf der zuerst fahren? Weil er weiß ist! Wir hingegen sind rot. Bei Rot muss man warten. Gucken Sie also auf den Intercity auf Gleis fünf. Wenn der losfährt, steigen Sie ein.

Zugbegleiter: Neue Information von der Leitstelle! Sie brauchen nicht mehr auf den weißen Zug gucken. Er wird umgeleitet und fährt nicht über die Weiche. Machen Sie es wie meine Frau: Gucken Sie einfach nur auf mich.

Dann durften wir losfahren.

Zugebegleiter: Wie Sie sehen, fahren wir wieder. Wir erreichen dann … also … in Kürze will ich nicht sagen … aber wir erreichen als nächstes Recklinghausen.

//*Gelächter, vereinzelter Applaus


Landleben | Auflockerndes Bild vom Schützenfest im Dorf.

Ein Paar aus Strohballen

Beigespachtelt | Ich habe mein Seminarangebot überarbeitet. Im laufenden Jahr sind ein paar Seminare hinzugekommen, andere haben sich verändert.

Neu hinzugekommen:

Überarbeitet und neu aufgesetzt habe ich mein Angebot zum Thema „Moderieren“. Es gibt nun ein Seminar für Einsteiger und eins für Menschen, die bereits Moderationserfahrung haben. Alle Angebote kann man natürlich auch nach gusto kombinieren; das mache ich mit Kunden regelmäßig. Mitunter erweitern und verändern wir die Inhalte auch. So entstehen dann neue Seminare.


Übergepinselt | Auch aktualisiert: Meine Termine. In diesem Jahr bilde ich mich viel weiter.


Neu aufgelegt | Meine Kollegin Andrea Schmitt und ich bieten im November noch einmal einen Impuls zum Thema „Selbstführung und Zeitmanagement“ an: zwei Stunden am späten Nachmittag für weniger Multitasking und mehr Klarheit.


Corona | Vier Einschläge bei mir bekannten Menschen – zwar nicht in physischer Nähe, aber immerhin. Anekdoten dieser Art waren in den vergangenen drei Jahren immer ein Indiz, dass die Gesamtinzidenz wieder steigt. Vor allem, nachdem lange nichts war. Alle Kranken sind übrigens richtig krank. Ich ahne Böses für den Winter.


Und sonst | Kartoffelernte:

Kleine Kartoffeln im Waschbecken

Nachbarschaftsfest und Christopher Street Day im kleinen Städtchen, Brutalismus und humanistische Bildung, Tomatensoße und das Gefühl von Sicherheit

22. 08. 2023  •  12 Kommentare

Nachbarschaft | Ich habe die Nachbarschaft kennengelernt: Es gab ein Nachbarschaftsfest. Seit meinem Umzug im Januar bin ich zwar Teil einer WhatsApp-Gruppe und auch schon einzelnen Leuten begegnet, aber es gab bislang keine Möglichkeit, sich ausführlicher bekannt zu machen.

Auf dem Fest lösten sich einige Rätsel auf, zum Beispiel das des Fahrradschuppens. Der Fahrradschuppen ist an eines der Eckhäuser angebaut, und jedesmal, wenn ich an ihm vorbeikomme, tritt eine andere Person heraus; ein Fahrradschuppen wie in der Truman Show, der Startpunkt aller Komparsen. Jetzt ist klar: Die Leute wohnen dort wirklich alle, und die Verhältnisse sind dergestalt, dass ich dem Reiseleiter, der nicht auf dem Fest war und dem ich alles nachträglich erklären musste, sowohl einen Etagenplan als auch einen Stammbaum skizzierte.

Ergebnis des Festes ist, dass ich Mitglied einer Nachbarschafts-Tippspielgruppe bin, in der ich nach dem ersten Spieltag Platz vier von zehn belege. Die ersten drei Plätze bekommen am Saisonende die uneingeschränkte Anerkennung der Gruppe und einen Pokal, der entweder sichtbar in eine Vitrine oder, noch besser, illuminiert in straßenseitige Fenster zu stellen ist. Dass die Gruppe im Wesentlichen aus ehemaligen Fußballerinnen besteht, darunter Bundesliga und Regionalliga, sowie kundigen Rentnern, macht die Sache knifflig. Ich strebe an, nicht Letzte zu werden.


Tomatensituation | Nachdem wir über mehrere Wochen täglich Gurken ernten konnten und sie sowohl uns als auch den Meerschweinen aus den Ohren rauskamen, haben wir jetzt Tomaten ohne Ende. Erstaunlicherweise haben sie kaum Braunfäule, obwohl sie im Freien stehen und es reichlich geregnet hat.

Ich habe also noch einmal Tomatensoße gekocht, große Mengen für schlechte Zeiten, habe sie eingemacht und eingefroren.

Tomatensoße herzustellen befriedigt mich sehr. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Wer eimerweise Tomatensoße besitzt, ist für das Leben mit all seinen Widrigkeiten gerüstet.


Broterwerb | Ich war bei Kunden an verschiedenen Orten in NRW und habe Seminare gegeben und Workshops geleitet.

Bei Workshops ist mein oberstes Ziel, dass es konkrete Ergebnisse gibt, also: Problem –> Lösung + Aufgabenverteilung. Oder: undurchsichtige Gemengelage –> mehr Durchblick + nächste Schritte. „Schön, dass wir darüber geredet haben“ ist etwas für die Feierabendlimo; in der Arbeitszeit sollte es ein Ergebnis geben.

Workshops sind manchmal einfach, weil Problem und Lösung auf der Hand liegen und sich nur alle mal strukturiert dazu austauschen müssen, um ein gemeinsames Bild zu haben und zu klären, wer jetzt was macht. Bisweilen sind sie aber auch ziemlich intensiv und anstrengend für alle Seiten, weil es viele Baustellen gibt, viele Abhängigkeiten zwischen den Baustellen, unterschiedliche Interessen; weil nicht klar ist, wo welche Verantwortung liegt (einschließlich der eigenen) und nicht zuletzt, weil es eine Historie gibt, die zu Frust und Enttäuschung geführt hat.

In der vergangenen Woche hatte ich einen ziemlich intensiven Workshop. Aber wir sind voran gekommen, und es gibt konkrete nächste Schritte. Das ist gut. Danach war ich allerdings ziemlich platt.


Nebensätze | Nach einem Tag Seminar und zwei Tagen Workshop bin ich zu einer Tagung gefahren: der Zukunftstagung der Organisationsberatung Praxisfeld in Remscheid. Mitgestalter des Tages war Prof. Rudolf Wimmer vom Wittener Institut für Familienunternehmen. Er beschäftigt sich mit Führung und Dynamik in Familienunternehmen. Wenn es wissenschaftliche Redebeiträge gibt, ist es für mich immer ein Zeichen, dass die Veranstaltung über anekdotische Evidenz hinausgeht und sich lohnen könnte. Also meldete ich mich an.

Redner auf der Zukunftstagung verschwommen im Hintergrund. Im Vordergrund ein Notizheft.

Sowohl in Weiterbildungen als auch auf Konferenzen sind es immer die Nebensätze, die mir im Gedächtnis bleiben. Hier ein paar davon:

Macht ist nur Kommunikation, ist nur eine Ankündigung: Man nimmt an, es könnte etwas passieren.

Das nehme ich auch in meinen Seminaren zum Thema „Selbstführung“ wahr – und in Einzelberatung mit Kunden: die Tendenz, sich selbst zu blockieren, weil wir jemand Anderen/etwas Anderes als machtvoll empfinden. Beim näheren Hinschauen stellt sich dann heraus: Vieles ist durch unsere Wahrnehmung geprägt; sicher auch durch unsere Erfahrungen. Die Erfahrungen beruhen jedoch oft auf gut gepflegten Handlungsmustern. Was also, wenn wir etwas anders machen? Das, von dem wir denken, was passieren wird, ist keine Bestimmung.

Führung beschäftigt sich mit Positionen, die nicht entscheidbar sind. Wären sie es, könnte man die Lösung einfach ausrechnen.

Ich habe den Satz mitgenommen, bin aber unschlüssig. Management ist Entscheiden, aber Führung ist so viel mehr. Warum ich den Satz trotzdem notiert habe: Es geht tatsächlich viel um Positionen. Allein, indem ich als Vorbild agiere, welches Beispiel ich gebe, macht deutlich, dass es auch eine andere Seite gibt.

In familiär geprägten, patriarchalischen Organisationen ist alles informell.

Der Satz ist ein wenig aus dem Zusammenhang genommen. Er fiel in dem Kontext, dass es in Unternehmen Dinge gibt, die formell geregelt sind (Gehaltsstrukturen, Arbeitsorte und Arbeitszeiten, …) – sie sorgen für Transparenz, Gerechtigkeit, Sicherheit. Andere sind nicht formell geregelt; mit ihnen hat die Führungskraft Spielraum für ihren individuellen Führungsstil. Rudolf Wimmers Perspektive ist: Auch wenn es in kleinen Familienunternehmen formale Regeln gibt, hängt letztlich alles vom Ermessen einer oder weniger Personen ab, die jederzeit entgegen der Formalie handeln und Vorteile gewähren können und dies auch tun. Folglich sei in patriarchalen Unternehmen alles informell.


Brutalistisch | Gestern war ich zu Gast an der Ruhr-Uni, ein toller Ort für den Freundeskreis Beton.

Ich habe ja dereinst in Düsseldorf studiert, einer Universität, die ebenfalls wenig erbaulich ist, architektonisch.

Inhaltlich hing die Erbaulichkeit sehr von den handelnen Personen ab. Ich erinnere mich an Dr. R, bei dem ich sogar Seminare belegte, die ich gar nicht brauchte, weil er so unterhaltsam war. Dr. R hatte seine akademische Karriere in den 1970er und 1980er Jahren begonnen und ist in dieser Zeit offenbar allen wesentlichen Personen der deutschen Gesellschafts- und Kulturgeschichte begegnet. Seine Seminare hangelten sich von Anekdote zu Anekdötchen, von Joseph Beuys zu Rio Reiser, von Willy Brandt zu Walter Scheel, ein Medley der Zeitgeschichte, mal mit R als Protagonist, mal mit ihm als Beobachter. Zwischendurch schweiften wir zu Dantes Göttlicher Komödie ab, die der Veranstaltung ihren Titel gab; dabei gelang es R jedesmal auf wundersame Weise, einen weiten Bogen von Dante zu Fassbinder zu schlagen – oder zu Ulrike Meinhof, je nach Tagesverfassung. Einmal schrieb ich auch eine Arbeit bei ihm, über biblische Lichtsymbolik in der Divina Commedia; dabei lernte ich die Bibel als zeitgeschichtliches Werk schätzen, und R wanderte in seinen anschließenden Ausführungen von Gott zu Breschnew.


CSD | Im kleinen Haltern fand der erste Christopher Street Day der Stadtgeschichte statt. Die Münsterländer Bevölkerung versammelte sich auf dem Marktplatz, betrachtete das Geschehen und lauschte den Darbietungen. „Was sind das für große Frauen auf Stelzen?“, fragten die Kinder. – „Das sind Männer in Stöckelschuhen. Wenn die sich so bunt anziehen, nennt man sie Drag Queen.“ – „Warum machen die das?“ – „Weil es ihnen gefällt.“ Freundliche Kenntnisnahme; wenn es so einfach ist, ist es auch direkt wieder uninteressant.

Eine Parade gab es nicht, aber Musik, Stände, Klebe-Tattoos und Lollis. Was will man mehr.


Marmeladensituation | Ich habe den Marmeladenvorrat stabilisiert: Vatta hat auf dem Dortmunder Hauptfriedhof Brombeeren gepflückt und sie im Eimer nach Haltern gefahren. Wir werden gut über den Winter kommen.


Geguckt | Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann von Regina Schilling. Die Regisseurin leuchtet die Historie von „Aktenzeichen XY“ aus und arbeitet heraus, wie die Sendung gesellschaftliche Wahrnehmung formte, besonders in Hinblick auf Beruf und Familie und das Verhalten von Frauen und Homosexuellen.

Gelesen | Frau Novemberregen ist zufrieden mit der Störungsbehebung ihres Internetanbieters. Das ist doch auch mal schön. Diese kleinen Glanzlichter des Alltags mag ich sehr gern. Hier im Dorf macht es zum Beispiel Freude, in den Supermarkt zu gehen. Sowohl im roten als auch im gelb-blauen Supermarkt sind die Mitarbeiter:innen sehr freundlich – herzlich, plauderig, aber nicht zu viel. Das haben sie gut raus. Auch an der kleinen Poststation ist es immer gut: Man kommt schnell dran, und alle sind nett. Die E-Rezept-Sache bei meiner neuen Hausärztin klappt auch super: Ich schrieb eine Chatnachricht über die App, bekam eine nette Antwort und keine drei Stunden später hatte ich das E-Rezept dort. Fantastisch.

Gehört | You are f*cked – Deutschlands erste Cyberkatastrophe, ein Podcast des MDR. Die Hör-Serie arbeitet einen Hackerangriff auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld auf und zeigt, die verwundbar Kommunen in Deutschland sind. Von Juli 2021 bis zum Januar 2022 war der Landkreis quasi handlungsunfähig: Straßenverkehrsamt, Ausländerbehörde, Auszahlung von Sozialhilfe – alles war beeinträchtigt. Der Angriff macht auch deutlich, wie nachteilig ein Föderalismus ist, in dem jede Kommune selbst für ihre IT-Sicherheit verantwortlich ist.


Schwein des Tages | Die Schweine haben jetzt einen Weidentunnel, und es scheint keinen schöneren Ort zu geben.

Schlafendes Meerschwein im Weidentunnel

Wir gedenken an dieser Stelle dem Schriesheimer Schwein Meghan, das nach kurzer, schwerer Krankheit in hohem Alter verstarb. Lucien und Meghan haben wesentlichen Anteil daran, dass in meinem Garten Meerschweine leben.

Der Kürbis steckt fest – und Schwimmbadgedanken, die mit einem Seminarthema verwandt sind

28. 07. 2022  •  6 Kommentare

Häusliches | Ich habe in den vergangenen Wochen Marmelade – Erdbeere und Johannisbeere – und Apfelmus eingekocht. Einige Gläser sind schon wieder leer, also koche ich bald neue Marmelade ein – Vatta wird Brombeeren pflücken – und bekomme weitere Klaräpfel.

Im Garten hat sich ein Kürbis in den Zaun gequetscht.

Kürbis zwischen Zaunlatten

Er steckt fest und kommt nicht mehr heraus, auch nicht mit Gewalt. Ich werde ihn aussägen müssen – oder an Ort und Stelle zerteilen. Oder er bleibt dort einfach und wohnt jetzt da.

Im Gewächshaus wuchern die Gurken; jeden Tag könnte ich eine Gurke essen, würde ich nicht welche verschenken.


Broterwerb | Ich bin wieder viel im Kontext IT unterwegs, parallel Keynote-Vorbereitungen und Administratives. Die Einkommens- und Umsatzsteuersteuererklärung stehen an. Kein allzu beliebtes Thema, auch wenn es unkritisch ist: Ich habe alles im Buchhaltungsprogramm. Dennoch.


Gelesen | Das Wasser war in jenen Zeiten wärmer: Herr Buddenbohm schreibt über die Phasen des Schwimmengehens mit Kindern. Oder ohne, später.

Ich bin ja direkt in Phase zwei eingestiegen, wobei mir Rutschen ausgesprochene Freude bereiten. Allerdings nur normale Rutschen; es sollte schon zügig gehen, und die Rutsche soll Kurven und Huckel haben, aber es darf keine warnschildwürdige Expressrutsche sein, bei der ich senkrecht in ein Loch falle oder Geschwindigkeiten annehme, die mir das Atmen verleiden. Ich hatte schließlich schonmal Bandscheibe.

Im Kontext Schwimmen und Rutschen sehe ich, dass hauptsächlich Väter mit ihren Kindern rutschen, Mütter weniger. Das Verhältnis Frauen zu Männer liegt optimistisch bei 1:4, auf vier rutschende Männer kommt eine rutschende Frau. Auch spielen Frauen weniger Wasserball oder werfen Kinder in die Luft und ins Wasser. Das verstehe ich einerseits, gerade wenn frau daheim die Care-Arbeit übernimmt; da ist sie froh, einfach nur auf der Decke zu liegen, während der Mann die Kinder müde tobt. Andererseits frage ich mich, welches Frauenbild wir Mädchen und Jungen vermitteln. Ich möchte den Kindern zeigen, dass auch Frauen wild sind und rutschen, schnell kraulen, stark sind und andere in die Luft werfen, beim Wasserball gewinnen und Arschbomben machen, ungeachtet von Körper und Erwartungen an Weiblichkeit.


Werbeblock | Die nachfolgende Werbung ist leicht verwandt mit dem Schwimmthema. Es geht darum, wer man als Frau ist und wie man handelt, allerdings im Arbeitskontext.

Frauen denken oft – nach meiner Erfahrung zumindest öfter als Männer -, es sei gut, immer kollegial zu agieren und möglichst alle Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen. Den Satz: „Ich habe gerne Harmonie um mich herum“, höre ich mehr von Frauen als von Männern.

Manchmal ist es jedoch besser, klare Ansagen zu machen – auch für die Harmonie. Denn Klarheit vermeidet Missverständnisse, ebenso wie Konsequenz und eine Haltung, für die man einsteht. Spätestens, wenn es um Macht und Status geht, gerät kollegiale Kommunikation sowieso an Grenzen.

Das Seminar „Frauen in Führung“ ist eine Seminar für Frauen mit Verantwortung – für Aufgaben, Projekte oder für Personal – und für Frauen mit Interesse an Führungsfragen. Wir sprechen darüber, wann welche Strategien erfolgsversprechend sind. Wir setzen uns auch mit Statuskommunikation auseinander, und es gibt einfache Handreichungen, mit Dominanzverhalten umzugehen. Wer dabei ist, erhält einen Werkzeugkoffer mit Möglichkeiten, in unterschiedlichen Führungssituationen passend zu agieren, und bekommt die Sicherheit, in herausfordernden Situationen souverän zu bleiben. Außerdem: Wann und wie führe ich von oben oder von der Seite? Wie gehe ich damit um, selbst nicht geführt zu werden?

Zwei Tage im Raum Frankfurt/Main am 20. und 21. September 2022.


Gelesen | Marco Balzano: Damals am Meer, aus dem Italienischen von Maja Pflug. Sohn, Vater und Großvater machen sich auf den Weg nach Apulien, um die Wohnung am Meer zu verkaufen. Alle tragen sie Erinnerungen an diese Wohnung mit sich: Zwei sind dort aufgewachsen, der dritte hat alle Ferien dort verbracht. Nun ist sie verfallen. Eigentlich möchte keiner der Drei die Wohnung verkaufen, doch gibt es keinen Grund, sie zu behalten.

Von Marco Balzano habe ich schon Ich bleibe hier gelesen, ein Buch, das mich nicht recht mitgenommen hat. Auch diesmal ging es mir so: Gute Ausgangslage für eine gute Geschichte, aber die Charaktere blieben mir fern, und es fehlte an Esprit.

Außeneinsatz in Chemnitz

15. 07. 2022  •  14 Kommentare

Außeneinsatz | Diese Woche war ich auf Außeneinsatz in Sachsen. Ich packte meine Siebensachen. Katja Waldhauer fuhr vor dem Haus vor. Wir luden alles ein und brausten nach Chemnitz, um dort bei einem Kunden gemeinsam Seminarworkshops zu Kommunikation, Deeskalation und Moderation zu geben.

Kleidung, Koffer, gelber Rucksack

Mit uns unterwegs: Ulf. Ulf ist zwölf Wochen alt und gehört zu Katja. Er ist ein Bernerdoodle, eine Mischung aus Berner Sennenhund und Großpudel, und stammt aus einer Blindenhundzucht. Deshalb ist er ein besonnenes Kerlchen, verträglich, gleichmütig und, soweit man das zu diesem Zeitpunkt sagen kann, einigermaßen schlau.

schwarz-weißer Hund mit Locken

Sorry, sehr schlau natürlich (Katja liest mit). Katja hatte mich vorab gefragt, ob sie Ulf mit nach Chemnitz nehmen könne. Ich fragte die Kundin, und die Kundin war nicht nur aufgeschlossen, sondern freute sich.

Bemerknisse auf dem Weg:

  • Viele Ladestationen auf den Autohöfen. Als wir irgendwo zwischen Kassel und Leipzig hielten, gab es dort 21 (!) Ladestationen: 15 von Tesla, 6 von einem anderen Anbieter. Beide Säulentypen waren zu zwei Dritteln belegt. Mit Ausnahme eines Wagens allesamt Autos aus Dänemark, Norwegen oder Schweden.
  • Viele Windräder in Sachsen-Anhalt. Das macht mich fröhlich.
Autobahn, viele Windräder
  • Auf dem Autohof hätten Prozessoptimierer ihre Freude gehabt: Es gab drei Theken. Getränke waren von links aus einer Kühlung zu holen, aber in der Mitte zu bezahlen. An der linken Theke gab’s Baguettebrötchen im Menü, andere Menüs allerdings nur ganz rechts. Süßwaren durften ausschließlich in der Mitte bezahlt werden; das Süßwarenrondell stand aber rechts. Die Hälfte der Menschen stand unverschuldet an der falschen Theke an, die andere Hälfte nur aus Zufall richtig. Der Sanifair-Automat nahm nur selektiv Münzen an, Kartenzahlung funktionierte nicht. Es gab Tumulte friedfertiger Skandinavier.
  • Während der Verkehr im Nordrhein-Westfalen und Niedersachen dicht war, dünnte er sich durch Sachsen-Anhalt und Sachsen aus. Auf dem Rückweg fiel es noch deutlicher auf: Die A72 und A 38 waren nur getupft mit Fahrzeugen, auf der A7 und der A44 waren Autos und Lkws eine einzige Perlenkette.

In Chemnitz waren wir an der Technischen Universität zu Gast, an der Professur für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement und der Professur für Fabrikplanung und Intralogistik – und in einem wunderschönen Gebäude, dem Projekthaus Meteor.

Die hintere Wand ist ein Industrierolltor: Fährt man es hoch, hat man das Gefühl, im Freien zu sitzen. Ein toller Ort für Seminare und Workshops. Ulf lag während der Veranstaltungen unterm Tisch und pennte.

An zwei Abenden flanierten wir durch Chemnitz. Zu Chemnitz erhielt ich vorab folgende Briefings:

  • „Chemnitz? Uuuh. Sehr industriell.“
  • „Kannst ja, ähm, hinterher mal sagen, wie du es fandest.“
  • „Chemnitz, ja … sehr, uhm, sozialistisch, ne … aber es gibt auch ganz nette Ecken.“

Meine Erwartungen waren also kaum zu unterbieten. Und was soll ich sagen? Hübsch ist es! Erstaunlich hügelig, grün, und es gibt schöne Altbauviertel. Die Menschen, die mir begegneten, waren freundlich und herzlich.

Ich lernte, dass Chemnitz-Kaßberg eines der größten zusammenhängenden Jugendstil- und Gründerzeitviertel Europas ist.

Irgendwann, als wir im Auto saßen, sagte Katja: „Boah, die Straßen hier!“
„Was ist mit den Straßen?“, fragte ich.
„Merkst du nicht, wie kaputt die sind?“

Nee, hatte ich nicht bemerkt. Fühlte sich alles an wie zu Hause in Dortmund. Vielleicht ist meine Sympathie für Chemnitz auch darin begründet, dass es wie das Ruhrgebiet ist: hier und da hübsch hässlich, aber im Herzen schön.


Am Rande | Ich habe ein neues Lieblingsskleidungsstück, eine Stoffhose. Bevor ich nach Chemnitz fuhr, fand ich sie in einem Laden im Kiez und erwarb sie zu einem nicht unerheblichen Preis. In Chemnitz feierte sie dann ihren Einstand, und ich bin entzückt. Ich besitze nun eine weite, geschäftstaugliche Stoffhose für heiße Sommertage, Tragekomfort zehn von zehn Punkte, alles Geld wert.


Garten | Kaum guckt man vier Tage nicht hin, hat man vier Zucchini mehr.

Zucchinipflanze mit drei Zucchin

Drucker | Danke für die Tipps zu meinem Drucker. Leider fruchten sie nicht.


Ausflug ins Mittelalter | Bevor ich nach Chemnitz fuhr, reiste ich mit dem Fahrrad ins Mittelalter. Mich begleiteten: der Reiseleiter und vier Kinder. Wir sahen Modenschauen und beobachteten Ritterkämpfe, aßen Fladen, flanierten durch Marktstände und suchten historische Kartoffelstäbchen in Tomatensud.

Auffallend war, dass die Ritter allesamt wie Informatiker aussahen und auch so kämpften.


Gelesen | Unheimlich nah von Johann Scheerer. Ein Coming-of-Age-Roman; Scheerer erzählt von sich als vorpubertärem Johann und schließlich pubertierenden Johann, der unter Bewachung dutzender Sicherheitsleute erwachsen wurde. Denn Johanns Vater ist Philipp Reemtsma; nach Reemtsmas Entührung stand die ganze Familie unter Schutz von Bodyguards. Für einen Jugendlichen, der sich loslösen möchte, ist das natürlich ein Albtraum: Knutschen mit der ersten Freundin, Proben mit der Band und Fummeln im Kino – alles unter Aufsicht von persönlichen Begleitern, die nicht von der Seite weichen. Das ist dann allerdings auch schon mehr oder weniger die ganze Handlung.


Und sonst | Spagat:

Hummel im Spagat zwischen zwei Lavendelblüten

Mission Gelassenheit

24. 06. 2021  •  7 Kommentare

Seminartag | Heute war ich in Sachen Gelassenheit und Souveränität unterwegs. Ich habe mit Volontärinnen und Volontären aus Zeitschriftenverlagen über Stress, Selbstbehauptung und Umgang mit Konflikten gesprochen.

Zettel in einer Ablage: "Handout: Stressmanagement, Selbstbehauptung und Umgang mit Konflikten", dazu das aufgestellte Namensschild "Dr. Vanessa Giese"

Im ersten Teil ging es um Stressoren, Stressreaktionen und Stressverstärker. Es ging um Haltung, um Abgrenzung, um Situationen, die ich kontrollieren kann, auf die ich Einfluss haben – und was ich mit den Dingen mache, die nicht in meiner Hand liegen. Wir sprachen über Arbeitsanweisungen, Vorgesetzte, Ressourcenknappheit, Priorisierung, eigene Ansprüche und die Schwierigkeiten mit unbekannten Aufgaben.

Im zweiten Teil ging es um Zeit und um Selbstführung. Ich habe zehn Arten vorgestellt, Nein zu sagen. Außerdem gab es Lebensweisheiten zum Entscheiden, Rechtfertigen, zum Sachlich- und zum Emotionalsein.

Der dritte Teil drehte sich um Konflikte, welche es gibt und wie ich ihnen mutig begegne.

Der Veranstalter, die Weiterbildungsakademie Pro Content hatte vorab angeboten, eine Umfrage unter den Teilnehmenden zu machen, welche Fragestellungen besonders drücken. Ich habe Fragen formuliert und hilfreiche Antworten bekommen, mit denen ich das Seminar geplant habe. Außerdem habe ich ein Lean Café eingebaut, ein strukturiertes Meetingformat für unstrukturierte Themen. Damit haben wir individuelle Fragen besprochen, die für alle von Interesse waren.

Das ganze Seminar kam ohne Folien und Beamer aus, alles analog, im Gespräch. Das war sehr schön. Das Feedback war gut. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer plädierten dafür, das Seminar auch für den nächsten Jahrgang im Programm zu behalten. Das freut mich.

Ich überlege, es auch als eigene Veranstaltung in mein eigenes Seminarprogramm aufzunehmen, so dass Sie es bei mir direkt buchen können. Vielleicht remote und modular – an zwei Vormittagen, die man auch einzeln buchen kann.


Hachz! | In der Feedbackrunde sagte die Organisatorin, sie habe mich als Referentin für das Thema ausgewählt, weil ich „eine der strukturiertesten Referentinnen“ sei, die sie kenne. Immer komme alles pünktlich, ich würde klar kommunizieren und das mache die Zusammenarbeit absolut angenehm. Das ging runter wie Öl!

Ich freute mich wie Bolle. Fachlich gute Arbeit machen, ist das Eine. Gleichzeitig erlebe ich, dass das Andere genauso wichtig ist: Sagen, was man tut. Tun, was man sagt. Zügig antworten, flexibel auf Anforderungen reagieren, verbindlich sein. Ich finde auch, dass das selbstverständlich ist. Mit einem Dienstleister, der nicht zuverlässig ist, mag man schließlich nicht zusammenarbeiten.


Gelesen | Midnight Trains: Das Comeback der Luxus-Schlafwagen | Warme Arktis, mehr Hitzewellen, aber auch mehr Kälteeinbrüche: Wenn der Jetstream einrastet

Digitale Woche, Digitalschlips und Vorfreude

6. 11. 2019  •  1 Kommentar

Digitale Woche | Gestern Abend hielt ich einen Vortrag. Ich war Teil der #diwodo, der Digitalen Woche Dortmund.

Die Dortmunder Wirtschaftsförderung gibt dabei den Rahmen vor, legt den Zeitraum fest, spricht mögliche Veranstalter:innen an, führt alle Veranstaltungen zu einem Programm zusammen, stellt Räumlichkeiten zur Verfügung und macht ein bisschen Feuerwerk drumherum, unter anderem mit einer Auftakt– und einer Abschlussveranstaltung.

Ich hielt einen Vortrag, in dem ich sagte, dass Digitalisierung mehr ist als Technik und was sie dem Menschen abfordert, welche Rolle Unternehmenskultur spielt und wie man Silos in Unternehmen aufbrechen kann.

Aufgeklappter Laptop mit Folien in der Referentenansicht, dahinter ein Raum mit Regal und Stühlen

Es kamen mehr Leute als erwartet: 18 hatten sich angemeldet, ein paar hatten wieder abgesagt, und am Ende waren wir rund 25. Das war super und hat mich sehr gefreut!

Ich hatte vom Backparadies um die Ecke ein paar Butterbrezen und Brötchen bestellt. Zu trinken gab’s auch, und es war rundherum eine gute Veranstaltung.

Ich finde, dass nicht immer Hunderte von Leuten da sein müssen, damit eine Veranstaltung ein Erfolg ist (auch ein geschäftlicher), und halte es mit dem Open-Space-Motto: Jeder, der kommt, ist der Richtige. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nie vorher wissen kann, woher der nächste Impuls, Ratschlag oder Auftrag kommt. Alles drei kann von einem der fünf Leuten kommen, die da sind – oder von einem von 100. Meistens passiert aber Ersteres.

Leider blieb Herr Fischer im Fußballstau stecken.

Danach ging ich noch mit einem paar Leuten zum Digitalschlips im Zum Schlips. Der Schlips hat ein einfaches Konzept: eine Kneipe, zwei Tage geöffnet, drei Getränke. Es gibt Stößchen, Wacholder Tonic und Wasser.

Mit den Schalthebeln im Keller kann man allerdings nur Stößchen oder Wacholder bestellen.

Zwei Hebel, einer leuchtet. Beschriftung: "Meter Stößchen" und "Meter Wacholder Tonic".

Wir kegelten.

Verwischtes Bild eines dynamisch kegelnden Mannes.

Als ich die Chance hatte, mich an die Spitze zu setzen, war leider die Kegelzeit zu Ende.

Kegeltafel mit Ergebnissen. Kai führt mit 48 Punkten, Vanessa hat 46 - hätte aber noch kegeln dürfen.

Ein schöner Abend mit tollen Menschen, sehr spontan. Das sind Geschäftstermine nach meinem Geschmack. Gerne wieder.

Zwei Stößchen Bier auf einem grünen Tisch, Beschriftung "'diwodo".

Wer noch Lust auf digitalen Input hat: Das Programm geht noch bis Freitagabend und hält noch zahlreiche Veranstaltungen bereit.


Vorfreude | Ich habe alle Teile meines Urlaubs gebucht. Das wird super. Ich bin dann mal weg. Bald. Dauert noch etwas. Aber dann.


Tüdü | Sonst nix passiert.

Ein renoviertes Kännchenblog, ein Apfelkuchenrezept, eine Dachterrasse und Gedanken zur Finanzierung von Journalismus

6. 09. 2019  •  5 Kommentare

Renovazia | Herr Fischer und ich haben das Kännchenblog neu angestrichen und ein bisschen beigespachtelt. Die letzte Renovierung fand 2013 statt. Sechs Jahre sind im Internet eine lange Zeit – da brauchte es einen Refresh.

Die Farbigkeit ist nun näher an meiner Jobwebsite. Ich erzähle hier viel Berufliches – was mich beschäftigt, was ich tue und denke. Deshalb ist die Verknüpfung nun optisch enger.

Gleichwohl gibt’s hier auch weiterhin völlig Irrelevantes, sogar in der Hauptsache. Also alles wie immer, nur anders bunt.


Genussmittel | Als Untermauerung der Irrelevanz sehen Sie nachfolgend einen Apfelkuchen mit Vanillepudding.

Apfelkuchen mit Vanillepudding

Den buk ich letztens aus Vattas Apfelernte. Es ist ein ausgesprochen köstlicher Kuchen mit Mürbeteig, viel Pudding und ein paar Äpfeln. Man verknete dazu:

125 Gramm Butter
80 Gramm Zucker
1-2 Eigelb
150 Gramm Mehl

Den Teig in eine Springform drücken. Den Ofen auf 180 Grad vorheizen und den Teig zehn Minuten vorbacken.

Dann zwei Packungen Puddingpulver ohne Kochen gemäß Packungsanweisung anrühren. Dazu braucht man einen Liter Milch. Den Pudding danach auf den vorgebackenen Teig geben. Bei mir bleibt dabei immer ein Schälchen Pudding für den Eigenbedarf übrig.

Äpfel schälen, in Viertel schneiden und auf dem Rücken einritzen. Mit etwas Zitronensaft beträufeln, damit sie nicht braun werden, und auf den Kuchen legen. Etwas braunen Zucker drüberstreuen. Wer will, kann ein paar Butterflocken dazugeben.

Dann nochmal 40 Minuten bei 180 Grad weiterbacken.


Dinge erklären und Leute unterhalten | Ich habe einen Beitrag über meine Expedition nach Berlin geschrieben.

Vanessa auf der Bühne, im Vordergrund Köpfe von Menschen.
(Foto: Berlin Partner/photothek.de)

Ich erzähle darin die Inhalte meiner Keynote nach: Warum Spiele uns so anfixen, wie ich Teams entwickle, welche Fragen ich dabei stelle und welche zwei Modelle mir helfen, über Rollen und Persönlichkeiten nachzudenken.

Als Entschädigung für die fehlende Tonspur, die fehlenden Gifs und fehlenden Anekdoten aus meinem Arbeitsalltag gibt es hübsche Bilder von einer Dachterrasse in Berlin-Mitte. Solche zum Beispiel:

Leinwand mit einer Grafik im Spiele-Style. Text: "Berliner Unternehmenswalk 2019", "Level up". Es ist dunkel, Lichter brennen.
(Foto: Berlin Partner/photothek.de)

Geld für Journalismus | Franziska Bluhm schreibt in ihrem Newsletter darüber, dass Menschen kaum Geld für Journalismus ausgeben wollen, höchstens fünf Euro im Monat.

Ich bezweifle das. Denn ich gebe niemals Geld nur für Journalismus, also für eine funktionale Arbeitsbeschreibung aus. Sondern ich gebe Geld für einen Nutzen aus, der eines meiner Bedürfnisse stillt.

Beispiel: Ich kaufe Apple-Produkte, weil ich damit eine IT-Infrastruktur habe, die zuverlässig funktioniert, die mich möglichst wenig ärgert und in der die Devices nahtlos zusammenwirken. Ich gebe Geld dafür aus, dass die Geräte eine gute Usability haben, schnell hochfahren, robust sind und ich beim Kunden, bei Präsentationen und in Seminaren keine peinlichen IT-Momente erlebe. Ich gebe also kein Geld für das schlichte „Was“ aus (Laptop, Smartphone), sondern für das „Warum“: Weil die Produkte mir Freiheit ermöglichen und meine zeitlichen und emotionalen Ressourcen schonen.

Ebenso gebe ich kein Geld für Journalismus aus. Ich habe ein Digitalabo der Zeit, der New York Times und spende an Correctiv. Ich gebe Geld dafür aus, Dinge zu verstehen. Ich kaufe mir den Nutzen, Orientierung zu bekommen und mich wiederzufinden in einer komplexen Welt. Ich bezahle dafür, intelligent unterhalten zu werden. Ich spende für die Kontrolle von Politik und Wirtschaft, für Demokratie und Meinungsfreiheit. Und: Ich zahle den genannten Organisationen Geld, weil ich diesen Nutzen einfach und komfortabel von ihnen bekomme – weil mir Texte in einer App vorgelesen werden oder weil zwei Menschen mir Informationen in einem Podcast vermitteln, launig und im Dialog. Dafür gebe ich Geld aus. Nicht für die funktionale Dienstleistung „Journalismus“.

Bedauerlichweise haben viele ehemalige Verlagshäuser immer noch nicht verstanden, dass nicht bloße Informationen ihr Produkt sind, sondern dass sie ein eigenes Produkt kreieren müssen; dasss sie Nutzen schaffen und ein Bedürfnis befriedigen müssen; dass sie sich positionieren müssen – mit einer Haltung, in einem Segment, für eine Gruppe.

Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag von Thomas Knüwer.


Hoch die Hände | Nach zwei Tagen und Nächten in Berlin, zwei Nächten und einem Tag in Wuppertal, 1200 Kilometern auf Schiene und Straße, zu wenig Schlaf und einem Kännchenblogrelaunch freue ich mich auf einen ereignislosen Samstag und einen schönen Sonntag in Dortmund.

Eine Keynote in Berlin und ein Stützeis in Dortmund

4. 09. 2019  •  2 Kommentare

Broterwerb | Der gestrige Morgen startete mit der Generalprobe für den Abend. Ich erzählte Wotan Wilke Möhring meine Keynote zu Spielprinzipien und Teamführung.

Laptop auf dem Bett, im Hintergrund an der Wand Wotan Wilke Moehring

Er gab nur sehr subtil Feedback, wirkte aber auch nicht unzufrieden.

Zum Mittagessen traf ich mich mit Holger Frohloff. Holger ist Experte für Softwarequalität und genauso wie ich als Freiberufler unterwegs. Wir kennen uns schon länger von Twitter, und das war nun eine gute Gelegenheit, sich mal zu treffen.

Holger unterstützt in der Webentwicklung, on the job, und macht Code besser. Es geht um Funktionalität und Sicherheitslücken, aber auch darum, wie das Team zusammenarbeitet. Er stellt die Beziehung zwischen Softwarearchitektur und Organisation her. Spannende Sache; wir hatten ein sehr kurzweiliges Mahl.

Am späten Nachmittag ging ich zur Veranstaltungslocation. Wir checkten die Technik und trafen letzte Absprachen.

Dekorierte Dachterrasse, darüber blauer Himmel mit ein paar Wiolken, eine Leinwand

Von der Veranstaltung, dem Berliner Unternehmenstalk, und der Keynote selbst gibt es bald noch einen Beitrag auf meiner beruflichen Website.

Der Abend war ziemlich super, nicht nur wegen der tollen Location, sondern wegen der ganzen Atmosphäre. Ich mag die Berliner einfach. Es war alles sehr familiär und freundlich.

***

Heimreise | Heute reiste ich heim. Es war eindeutig ein Ringelshirttag: Die Sonne schien, und ich hatte gute Laune.

Im Spiegel

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und war äußerst entspannt. Ich arbeitete und führte ein sehr nettes Gespräch mit einem Mitreisenden, der ebenfalls auf einer Veranstaltung in Berlin gewesen war.

In Dortmund nutzte ich die Zeit, kaufte auf dem Heimweg noch Kontaktlinsenreiniger in der Hood, ging zum See und aß ein Spaghettieis.

Phoenixsee

Im Anschluss wollte ich mit dem Bus nach Hause fahren. Doch es gab keinen Bus. Die Baustelle, an der der Bus bislang mittels Ersatzhaltestellen vorbeifuhr, wurde verlegt. Es gab keine Ersatzhaltestellen, keine Buslinie und keine Hoffnung, und so zerrte ich meinen Koffer und meinen Rucksack drei Kilometer nach Hause.

Dabei ist mir aufgefallen, dass Zufußgehen in meiner Stadt nicht wirklich vorgesehen ist, schon gar nicht, dass man dabei etwas zieht oder schiebt. Die Bürgersteige sind marode. Überall gibt es Baustellen, die optimal für den Autoverkehr abgesichert sind, aber als Fußgängerin ist es ein Spießrutenlauf, noch dazu mit Koffer. Ich hatte gar nicht mal so gute Laune danach.

Zu Hause packte ich meine Sachen um, schlief eine Stunde und fuhr zum anderen Kunden die A1 runter, mit dem ich morgen im Workshop bin.

Dienstag, 5. März, und der Tag zuvor

5. 03. 2019  •  Keine Kommentare

Früher Vogel | Am gestrigen Rosenmontag bin ich um 06:25 Uhr erwacht. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit bin ich sofort aufgestanden, habe mir einen Kaffee und meine Buchhaltung gemacht. Vor dem Frühstück! Denn zum Frühstück kam meine Freundin und Kollegin, der ich einen speziellen Auftrag gegeben hatte.

*

Käthe Paulus | Bei dem Auftrag ging’s um Käthe Paulus, der Protagonistin meines Romans. Bei meinen Recherchen bin ich immer wieder auf Quellen gestoßen, in der Paulus-Zitate auftauchten, aber ich habe die Primärquelle nicht gefunden. Außerdem war ich mir sicher, dass es noch weiteres Material geben musste. Ich habe derzeit allerdings wenig Luft, groß angelegte Suchen zu betreiben.

Also habe ich meine Kollegin darauf angesetzt: Sie ist Journalistin und Recherche-Spezialistin. Ich bin eine große Freundin davon, Aufgaben abzugeben, die andere besser können, und so habe ich Stefanie beauftragt, die Spur von Käthe Paulus aufzunehmen.

Sie wühlte sich durch Archive, führte Telefonate und wurde fündig. In der vergangenen Woche ist sie für mich in die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg nach Frankfurt a.M. gefahren. Die Bibliothek verwaltet den Nachlass von Käthe Paulus. Nur ein kleiner Teil ist bislang digitalisiert, weshalb ein Vor-Ort-Besuch notwendig war.

Gestern hat sie mir den Schatz übergeben: Fotos, Postkarten und autobiographische Schriften, Geschäftskorrespondenz und Ehrungen. Großartig. Es gibt Kalkulationen, wie viel Material Käthe Paulus für einen Fallschirm gebraucht und was er gekostet hat. Es gibt Fotos durch den Boden des Ballonkorbs hinab auf die Erde. Es gibt den Originalvertrag mit dem Preußischen Kriegsministerium über die Lieferung der Fallschirme. Und es gibt Aufsätze, in denen Käthe Paulus vom Beginn ihrer Ballonaufstiege und von Zwischenfällen und Unfällen erzählt. Sie hat offenbar mehrere Anläufe unternommen, denn manche Seitenzahlen gibt es mehrmals und die Schilderungen wiederholen sich. Aber es sind zweifelsohne die Originalquellen.

In dem Zusammenhang – für alle, die Bedarf haben: Der virtuelle Katalog des Karlsruher Instituts für Technolgie ist eine Meta-Suchmaschine über mehrere hundert Millionen Bücher, Zeitschriften und andere Medien in Bibliotheks- und Buchhandelskatalogen weltweit. Er durchsucht alles von der Australischen Nationalbibliothek über den Israelischen Verbundkatalog, das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher und die Russische Staatsbiblitohek bis hin zu Amazon und das Internet Archive. Viel Spaß beim Stöbern!

Ich werde nun den fertigen ersten Teil des Buches noch einmal auf Authentizität überprüfen und schauen, wo ich Änderungen vornehmen sollte und auch möchte. In der Fiktion darf ich ja vom real gelebten Leben abweichen. Ich möchte jedoch gerne nah an der originalen Käthe sein. Ausdenken muss ich mir ohnehin genug: Nebenhandlungen, Nebenfiguren und zeitliche Lücken, über die es keine Nachweise gibt.

*

Hausbüro-Gekrusche | Der Tag ging weiter mit Home Office. Es ist nicht erwähnenswert, aber ich erzähle es trotzdem, denn Selbstständigkeit ist ja nicht Sternenstaub, und ich muss dadurch und Sie nun auch. Es ging also weiter mit Belege digitalisieren, einen neuen Belegeordner für 2019 eröffnen, Ordnerrücken ausdrucken, Unterlagen und Korrespondenz abheften und digital wie analog sortieren, das Geld für meine Betriebs- und Vermögenshaftpflicht überweisen, Rechnungen schreiben und Abbuchungen kontrollieren.

Bisweilen mache ich das ganz gerne. Es fordert mich nicht sehr, ich kann Dinge abarbeiten, ohne groß denken zu müssen, und habe danach alles ordentlich. Also wie Gartenarbeit, nur inhouse.

*

Organisationsentwicklung | Heute habe ich den Tag damit zugebracht, einen Workshop vorzubereiten, den ich am Donnerstag und Freitag leite. Er ist Teil eines größeren Engagements bei einem Kunden.

In dem Workshop geht es darum, Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenzubringen, damit sie gemeinsam Probleme des Unternehmens lösen.

Ich habe das mal schematisch aufgemalt:

Zur Erklärung hole ich ein bisschen aus: Jenseits der Linie, also des normalen Organigramms, brauchen traditionelle Unternehmen Möglichkeiten, dass Menschen horizontal durch die Organisation hindurch arbeiten können.

Das Organigramm sieht funktionale Trennung vor: Gleiche arbeiten mit Gleichen gemeinsam in Abteilungen. Es gibt feste Prozesse. Die Organisation liebt langfristige Pläne. Die Entscheidungen stauen sich in Flaschenhälsen. Wenige haben Macht über Viele und Vieles.

Das führt dazu, dass es viel Bürokratie gibt. Entscheidungen dauern lange; manchmal gibt es auch keine – oder sie werden auf hoher Flughöhe im Management getroffen. Im Tagesgeschäft haben die Menschen dann Fragen oder ärgern sich. Feste Prozesse sind gut, solange nicht Ungewöhnliches dazwischenkommt. Viele Situationen, Kundenanforderungen und Marktbedürfnisse verlangen aber gerade in der Dienstleistungs- und Wissensarbeit Abweichungen von der Norm; in manchen Bereichen erfordert fast jede Kundenanfrage eine Entscheidung, die nicht ganz genau den festgelegten Prozess trifft. Dann stockt es, weil der Einzelne keine Entscheidung treffen darf, kann oder möchte.

Meist findet sich in hierarchischen Unternehmen ein ausgeprägtes informelles Netzwerk. Der kleine Dienstweg regelt Dinge an der Bürokratie vorbei. In der Kaffeeküche werden Ideen ausgebrütet. Oft gelangen die Ideen sogar zu einer gewissen Reife; weil aber die Strukturen der Organisation Grenzen setzen, sind die Ideen entweder eindimensional, also nur aus der Perspektive einer Abteilung gedacht, oder sie stoßen an hierarchische Decken.

Ich etabliere deshalb ein Managementinstrument, das gemeinsam mit der Linie funktioniert. Es bricht die Organisation auf, ohne Gewalt an ihr anzuwenden, bringt unterschiedliche Menschen zusammen, ermöglicht die Integration von Perspektiven und macht sich die gemeinsame Intelligenz zunutze, die es informell schon gibt, die aber aufgrund der Strukturen nicht zur Entfaltung kommt. Es fördert gemeinsame Lösungen, fordert aber auch Haltung und konsequentes, gemeinsames Handeln.

Am Ende sollen alle an der Organisation arbeiten.

Dazu habe ich heute viel vorbereitet, denn die Menschen müsse erstmal mit der Idee vertraut werden. Ich habe mir überlegt, wie ich den Gedanken in die Gruppe bringe und habe Charts gemalt.

*

Gelesen | Trampelpfade (eng. desire paths, wie schön!) bestimmen das Stadtbild – weil Planer am Bedarf vorbeiplanen und weil die Menschen sich ihre Autonomie erhalten wollen. Deshalb gibt es Architekten, die keine Wege pflastern, bevor die Weisheit der vielen Füße nicht die besten Wege gezeichnet hat.

Von Selbstbestimmtheit, Fremdbestimmtheit und dem Optimismus, dass es schon hinhauen wird

15. 03. 2017  •  25 Kommentare

Seit dem 1. Februar bin ich offiziell selbstständig, und aktuell kann ich mir keine bessere Entscheidung vorstellen.

„Ich bewundere dich, dass du deine Komfortzone verlassen hast“, sagte neulich eine Freundin zu mir. Die Wahrheit ist: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich sie verlassen, sondern dass ich sie betreten habe. Denn ich arbeite zwar mehr als vorher. Es verteilt sich allerdings anders und fühlt sich deshalb entspannter an. Entspannt im Sinne von: arbeitsreich, aber erfüllend und deshalb gut für meine selische Gesundheit. Letztere hat mich in den vergangenen Jahren zunehmend verlassen – nicht ernsthaft und bedrohlich, aber ich habe das Arbeitsleben zunehmend als belastend empfunden, war viel erkältet und hatte einige Stressymptome.

Wir haben jetzt Mitte März, und im Angestelltenverhältnis war ich zu diesem Zeitpunkt immer schon das erste Mal durch. Meist hatte ich im November/Dezember den letzten Urlaub, also vier Monate zuvor. Ich fühlte mich müde, wurde dünnhäutig, sehnte die freien Ostertage oder den ersten Kurzurlaub herbei. Das ist jetzt nicht so, im Gegenteil, ich fühle mich sehr frisch, obwohl ich mich schon seit Anfang November um Businessplan und Krankenkasse, Finanzamt und Autokauf, um Geschäftstausstattung, -anbahnung und Auftragsvorbereitung (und allerlei mehr) bemüht habe – also sehr gut ausgelastet war.

Aber ich arbeite nun nur noch für mich und für den Kunden. Ich empfinde meine Arbeit deshalb bei jedem Handgriff als sinnvoll, selbst bei Aufgaben, die mir keinen Spaß machen. Die gibt’s ja auch als Selbstständige, sogar gar nicht so wenige, aber am Ende weiß ich, wofür ich welchen Job erledige, und profitiere unmittelbar vom Ergebnis meines Tuns.

Zweiter Punkt ist: Ich kann mir meine Arbeit selbst einteilen. Auch in Wochen, in denen ich viel auf dem Tisch habe, die Möglichkeiten zum Einteilen also begrenzt sind, schaffe ich mir Freiräume: mal eine halbe Stunde länger frühstücken, mal mittags ein Nickerchen – beides nur 30 Minuten, aber es ist einfach unglaublich befreiend, es tun zu können. Mal morgens joggen gehen, mal zwischendurch in den Garten zum Durchschnaufen und Sonne tanken. Die kleinen Dinge halt. Habe ich abends Termine, gehe ich morgens ins Fittnessstudio. Anderntags arbeite ich bis Mitternacht, weil’s gerade fluppt, und stehe am nächsten Tag erst um 9 Uhr auf. Natürlich bin ich auch jetzt fremdbestimmt. Ich habe die Dinge aber insgesamt viel mehr selbst in der Hand.

Es ist ja auch so, dass Homeoffice unglaublich effizient ist, zumindest wenn man keine Kinder im Haushalt hat. Ich bin ein Mensch, der keine äußeren Antriebe braucht, um zu arbeiten; ich stehe werktags um 7.30 Uhr auf, weiß, was ich tun möchte, und beginne den Tag. Der Arbeitsweg fällt weg, das ist massig viel Zeit. Ich kann nebenbei Wäsche waschen, wenn ich Zerstreuung brauche, und zwischendurch einkaufen gehen, wenn ich bei einer Sache nicht weiterkomme. Im Angestelltenverhältnis bin ich seinerzeit einfach ineffizient geworden, habe Kolleg*innen zugequatscht oder stumpf gewartet, dass der Feierabend kommt. Heute erledige ich stattdessen Haushaltskram, der früher obendrauf kam und der mich in meiner Freizeit zusätzlich stresste.

Home Office bringt auch mit sich: Es kommt niemand rein und stört mich. Die vielen kleinen Schwätzchen entfallen, und überhaupt ist die ganze Kommunikation sehr zweckgesteuert. Letzteres, na klar, ist nicht nur ein Vorteil: Zwischenmenschliche Wärme und Austausch fehlen natürlich. Dafür werde ich aber demnächst ab und an in ein Coworking Space gehen. Außerdem bin ich abends jetzt viel unterwegs – nicht nur, weil viele Networking-Termine stattfinden, sondern auch, weil ich dazu im Gegenatz zu früher die Energie habe.

Noch ist das Geld deutlich weniger als als Angestellte. Aber auf Dauer wird das schon alles hinhauen; ich bin guter Dinge. Es liegt jetzt alles in meiner Verantwortung. Das ist die schlechte Nachricht, aber vor allem auch: die gute.



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