Zehn Bemerknisse zu einer Reise mit dem Zug nach Barcelona – ein Gastbeitrag des Reiseleiters
Es folgt: Ein Gastbeitrag des Reiseleiters. Mit jedem seiner drei Kinder unternimmt er einzeln eine Reise. Dieses Jahr war K3 (11) dran. Sie fuhren mit dem Zug vom Münsterland nach Barcelona. Sein Abenteuer in zehn Bemerknissen:
1 – Weltenrettung | Nennen Sie mich naiv, aber ich glaube daran, dass mein Verhalten einen Einfluss hat – auf die Umwelt, das Klima und auf die späteren Entscheidungen meiner Kinder. Der Auftrag lautete also: Erreiche das Reiseziel möglichst nachhaltig.
Tatsächlich ist es recht einfach, mit der Bahn von Köln nach Barcelona zu kommen – wenn man davon absieht, dass man zwölf Stunden auf der Schiene ist und einen Bahnhofswechsel in Paris absolvieren muss. Und: Wenn man die Kosten ausblendet. Die sind nämlich für die Fahrt mit Eurostar und TGV fast vierstellig für zwei Personen und damit locker doppelt so hoch wie für die Alternative mit dem Flieger. Das muss man wirklich wollen!
Nachdem ich den Preis kannte und auch wieder Luft bekam, redete ich mir ein, dass es doch auch ein tolles Erlebnis sein könnte, mit Tempo 300 durch Frankreich zu düsen; dass nur auf diese Weise dem Kind die Entfernungen wirklich gewahr werden können; und dass so eine Zugreise ja auch einen gewissen geografischen Bildungseffekt haben kann.
Fazit nach der Rückkehr: Ich würde es jederzeit wieder so machen. Alles klappte ohne Verspätungen, und die Fahrt war tatsächlich ein Erlebnis.
Den TGV kannte ich bisher nur aus meinem Französisch-Schulbuch aus den 90ern und hatte ihn mir aus dieser Erinnerung heraus etwas luxuriöser vorgestellt. Das Bordbistro hatte enormes Potenzial nach oben und auch sonst war der Komfort eher mittelmäßig. Dennoch waren die Züge auf beiden Fahrten fast komplett ausgebucht – es gab also genug andere Verrückte, die meine Idee teilten (Inlandsflüge sind in Frankreich übrigens weitestgehend verboten, Grüße gehen raus an die deutsche Politik). Sicherlich eine Verbesserung gegenüber den 90ern ist das WLAN im Zug und damit einhergehend die Möglichkeit, das Kind seine Serien bingewatchen zu lassen, wenn die Landschaft gerade nicht so spannend ist.
2 – Tourie-Trubel | Ja, wir waren Teil des Problems, das ist mir klar. Aber dass die Stadt schon Ende März dermaßen überlaufen sein könnte, hätte ich nicht gedacht. Französische Mittelschulen auf Klassenfahrt, Massen von asiatischen Touristen und deutsche Jugendfussballmannschaften auf Turnierreise bevölkerten die Altstadt und die Touristen-Hotspots. Man kann nachvollziehen, dass die Katalanen trotz der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus inzwischen versuchen gegenzusteuern.
3 – Wetter-Pech | Nachdem Vanessa und ich dieses Jahr schon den schlimmsten Schneesturm seit 30 Jahren erlebt haben, verfolgte mich das Wetter-Pech auch nach Barcelona. Katalonien ächzt unter einer schweren Dürre; seit Wochen zeigte die Wetter-App für die Region zwanzig Grad und Sonne an. Dennoch nahm uns Barcelona mit zwölf Grad und Regen in Empfang – wir hätten auch nach Hamburg fahren können!
Die Barceloner und Barcelonerinnen (ich habe tatsächlich nachgeschlagen, wie sie heißen) freuten sich aber bestimmt über den Regen. Somit machten auch wir das Beste daraus: Aquarium, Einkaufszentrum, Maritim-Museum – und tatsächlich kam am letzen Tag noch die Sonne heraus.
4 – Rutscherampen | #Serviceblog im Selbstversuch: Die angeschrägten Rampen zwischen Gehweg und Straße, für die die Katalanen Naturstein verwenden, können bei Regen unerwartet glatt sein. Wir waren auf dem Weg in die Altstadt und ich schlenderte lässig den Passeig de Gracia entlang, als ich die Grätsche machte und mich auf dem Trottoir wiederfand. Für den Rest der Reise absolvierte ich die Rampen in Tippelschritten.
5 – Teurer Kirchenbesuch | Natürlich wollte das Kind die Sagrada Familia sehen. Auf Anraten Bekannter buchte ich die Eintrittskarten in Voraus: 75 Euro für zwei Personen, stornierbar, mit Audioguide aufenglisch. Wo soll ich anfangen … Sicherheitskontrolle wie am Flughafen, der Audioguidelief nicht, und um uns herum 5.000 andere Touristen – uff!
Der Bau an sich ist beeindruckend. Der ganze Bums soll 2033 fertiggestellt sein. Der zentrale Turm wird dann der höchste Kirchturm der Welt sein. Ich wünsche mir, dass meine 75 Euro in einem Zierelement verbaut werden.
6 – Ruhepol Sarríà | Barcelona ist nicht nur sehr überlaufen, der Verkehr an den Hauptachsen ist trotz aufkeimenden Radverkehrs und sehr gut ausgebautem ÖPNV höllisch. Abseits der Hotspots gibt es allerdings wirklich nette und ruhige Stadtviertel, die immer noch sehr gut angebunden sind.
Wir kamen in Sarríà unter, einem Quartier nördlich der Innenstadt am Fuß der Berge, die Barcelona umgeben. Kleine Sträßchen mit Cafés und Läden, an jeder Ecke nette Parks und Spielplätze – sollte ich einmal nach Barcelona ziehen, käme der Stadtteil auf jeden Fall in die engere Auswahl. Es sind auch in Barcelona die kleinen Dinge, die auffallen: An fast jeder Straßenkreuzung stehen Bänke oder fest montierte Stühle zum Ausruhen. Gerade für ältere Menschen eine tolle Sache – oder wenn man mit zwei schweren Rücksäcken bepackt auf dem Weg zur U-Bahn kurz verschnaufen möchte.
7 – Supermarkt-Overkill | Ich arbeite bei einem großen Lebensmittelhändler. Als Geograph modelliere ich Filialnetze. Bei jeder Reise schaue ich mir deshalb aus beruflichem Interesse Supermärkte vor Ort an, um mir einen Überblick über den Lebensmitteleinzelhandel zu machen.
[Anm. d. Red.: Die Tatsache, dass Supermärkte stets eine große Rolle bei unseren Reisen spielen, wirkt sich sehr positiv auf die Gebäckvorräte aus.]
Fazit für Barcelona: sehr breites Angebot mit starker Diversifizierung und geringem Institutionalisierungsgrad. An jede Ecke rein laufkundenorientierte kleine Nahversorger, inhabergeführte Obst- und Gemüsemärkte, Feinkostläden und ein paar schöne Markthallen. Eine feine Sache!
8 – Galeerenleben | Das Maritim-Museum von Barcelona ist in einer ehemaligen städtischen Werft untergebracht. In früheren Jahrhunderten wurden dort Galeeren gebaut. Mit denen haben die Spanier um die Herrschaft über das Mittelmeer gekämpft.
Das Leben auf einer Galeere, lernten wir, gestaltete sich wenig erquicklich. Die Mannschaft bestand aus Sklaven und Häftlingen, aber auch aus normalen Soldaten. In größeren Galeeren saßen fünf Mann an einem Riemen und ruderten. Der innen Sitzende musste bei jedem Schlag aufstehen und sich wieder hinsetzen. Der außen sitzende Mann musste am wenigsten tun – das waren dann die älteren und verbrauchten Männer. Wurde ein Galeere versenkt, gingen die Sklaven einfach mit unter.
Kaum ein Galeerensklave überlebte mehr als zwei Jahre auf so einem Schiff. Besonders pikant: Sklaven und Häftlinge waren angekettet und durften ihren Platz während der gesamten Fahrt nicht verlassen. Sie verrichteten alles, wirklich alles an ihrem Platz. Gischt und Wellen spülten die Fäkalien fort – im Idealfall. Ein Anpirschen an den Feind war nicht möglich: Die Galeeren stanken so bestialisch, dass man sie über Meilen riechen konnte.
Ich werde in Zukunft weniger über die Arbeit schimpfen.
9 – Tibidabo | Am letzten Tag der Reise gönnten wir uns noch etwas Spaß und besuchten den Tibidabo. Das ist ein fünfhundert Meter hoher Berg am Rande von Barcelona. Hinauf geht es mit einer Standseilbahn. Die Aussicht oben ist atemberaubend.
Neben der Aussicht gab es auf dem Berg eine fürchterlich hässliche Basilika und einen netten, kleinen Freizeitpark. Die Achterbahn stürzte direkt in den Abgrund. Die Schiffschaukel griff das Thema Seefahrt wieder auf (allerdings ohne, dass wir angekettet wurden). Tip für Ihren Besuch (#serviceblog): Früh dort sein, dann sind die Schlangen noch kurz. Die Eintrittskarten, die man am Automaten erwirbt, berechtigen nicht zur Nutzung der Attraktivitäten. Man muss sich an einer weiteren Kasse oben auf dem Berg erst ein Armband geben lassen (dieses Wissen hätte uns eine halbe Stunde Wartezeit am roten Flugzeug erspart).
10 – Familienglück im TGV | Die Rückfahrt war besonders interessant. Schon am Bahnsteig fiel eine katalanische Großfamilie auf, die unter großer Aufregung und viel Palaver eine absurd hohe Anzahl an Gepäckstücken in den Zug hievte. Die zwei Erwachsenen und sechs Kinder kamen direkt vor uns zum Sitzen. Das war ein Spaß! Eltern und Kinder – Alter: geschätzte zwei bis sechzehn Jahre alt – unterhielten den Wagen bis weit hinter die französische Grenze. Es wurde gelacht, geschrien, getrunken (viel) und gegessen (enorm viel). Ich habe selbst drei Kinder und Verständnis, wenn es lauter wird – aber so laut! Das war eindrücklich.
Irgendwo zwischen Perpignan und Narbonne fiel die Familie in den Schlaf. Die Kleinen kuschelten sich an die Großen, die Füße des Vaters, nackt, lagen auf dem Tisch neben den Essensresten. Der Waggon hielt den Atem an. Und ich dachte mir: Das hättest du im Flugzeug so nicht erlebt. Alles richtig gemacht.
Vielen Dank für Ihr Interesse!