Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Wie ich nach Lingen fuhr und mich dort selbst verteidigte. Außerdem: Zone of Interest und armenisches Kochen.

13. 3. 2024 9 Kommentare Aus der Kategorie »Expeditionen«

Lingen | Am vergangenen Wochenende fuhr ich nach Lingen an der Ems. Sie dürfen mit Fug und Recht fragen, warum ich das tat, das ist nun wirklich nicht naheliegend. Wäre ich nicht dorthin entführt worden, wäre ich in meinem Leben niemals nach Lingen gekommen.

Der Hintergrund ist, dass ich Teil einer Reisegruppe war, die nicht wusste, wohin es ging, und auch nicht wusste, was am Zielort geschehen würde. Dieser Umstand ist kein Bug, sondern ein Feature. Die Reisegruppe ist der Dortmunder Agora Club Tangent (ACT), in dem ich Mitglied bin; der ACT ist das Seniorenheim des Ladies‘ Circle, in dem ich dereinst ebenfalls Mitglied war, aber mit meinem meinem 45. Lebensjahr turnusmäßig ausschied. Einmal im Jahr organisiert ein Mitglied des ACT einen Wochenendtrip. Die Mitreisenden erfahren nicht, wohin es geht; das Fahrtziel muss lediglich in zwei, drei Stunden zu erreichen sein. So landete ich in Lingen.

Der Vorteil, mit einem Club mittelalter Damen zu verreisen, liegt darin, dass alle fast alles schon erlebt haben: Eheschließungen, Scheidungen, Neuverliebungen, kleine Kinder, pubertierende Kinder, aus dem Haushalt ausziehende Kinder, körperliche und seelische Gebrechen, von Orthopädie bis Gynäkologie, Gerontologie (natürlich), selbst Astrologie. Jedes Lebensthema ist anschlussfähig in der Gruppe. Wunderbar.

Ein Programmpunkt war Krav Maga, Selbstverteidigung. Eine Freundin des Clubs führt in Lingen ein Fitnessstudio, bietet Personal Training und eben auch Selbstverteidigung. Wir bekamen einen zweistündigen Crash-Kurs. Das Motto von Krav Maga: Head and Nuts, Kopf und Nüsse – wenn’s hart auf hart kommt, geht’s immer gegen diese Körperteile, bei den Herren wie bei den Damen. Das war sehr lehrreich; ich stellte mich trotz meines friedfertigen Wesens als talentiert heraus. Dreißig Jahre in einer aggressiven Kontaktsportart und eine Karriere im Abwehrmittelblock scheinen für diese Sportart hilfreich zu sein.

Wir lernten auch etwas über die Stadt. Zwei Kivelinge, örtliche Junggesellen, führten uns durch Lingen. Wir erfuhren etwas übers Kievelingsdasein, über die Sektionen, in denen die unverheirateten Bürgersöhne sich organisieren, und über ihre Aktivitäten; aus den Ausführungen erinnere ich, dass viel getrunken wird, allerdings keine Limonade. Außerdem findet alle drei Jahre das Kivelingsfest in Lingen statt, ein Volkfest, bei dem ebenfalls viel getrunken wird. Dem ist zuträglich, dass Lingen eine Bier-Kultur pflegt. In der Alten Posthalterei, einem Kneipenrestaurant, wird allerlei angeboten; wir kosteten und besuchten zudem Heidis Litfass, in dem auch getrunken wird. Alles in allem verfestigte sich der Eindruck, dass die Menschen in Lingen viel Durst haben.


Heimgymnastik | Wir haben hier ein Rudergerät, das ich bisweilen benutze, und neuerdings auch ein Wahu-Board. Ein Weihnachtsgeschenk für die Kinder, das sich als gutes Traininhgsgerät auch für uns Erwachsene erweist. Der Reiseleiter und ich machen Kniebeugen auf dem wackeligen Ding und können danach zwei Tage nicht laufen. Anscheinend haben wir es nötig.


Gesehen | Zone of Interest. Verstörender Film. Unfassbar guter Film. Eine beachtliche Schauspielleistung; besonders Christian Friedel hat mich beeindruckend – noch mehr als Sandra Hüller als seine Gattin. Friedel gelingt es, Rudolf Höss, dem Ökonom der Massenvernichtung, dem Prozessingenieur der Vergasung und Verbrennung, menschliche Momente abzuringen und gleichzeitig eine Grausamkeit zu zeigen, die in keinen Moment körperlich ist. Es lässt einen erschüttert zurück. Der Sound ist beklemmend und hat den Oscar verdient. Der Film wurde mit versteckten Kameras gedreht, die Schauspieler:innen bewegten sich frei im Haus und spielten einfach, wohnten, aßen, lebten. Große Filmkunst. Unerträglich.


Schlauer werden | Ich habe ein bisschen Luft in meinem Kalender. Das ist gut. Ich nutze sie fürs Lesen. Dank meiner Fortbildung an der Fernuni habe ich wieder Blut geleckt, mich mit Wissenschaft und Fachbüchern zu beschäftigen. Ich habe mir Motivation und Handeln reingezogen, den Klassiker von Jutta und Heinz Heckhausen (Hrsg.); seit meinem Studium gibt es doch einige neue Erkenntnisse. Werde mich nun Arbeits- und Organisationspsychologie und der Psychologie der Entscheidung widmen, um auch hier wieder näher an aktuelle Forschung zu kommen.


Armenisch kochen | Diese Woche brachte ich mein armenisches Kochbuch zur Anwendung, das schon seit Weihnachten in meinem Haushalt wohnt, für das ich aber bislang keine Muße hatte.

Montag: Adjarakan Khachapuri (Teigschiffchen mit Käse und Ei). Ich ergänzte Frühlingszwiebel zum Rezept.

Teigschiffchen mit Käse und Ei

Dienstag: Vospov Aghtsan (Linsensalat) und Jingalov Hats (Brot mit Kräutern)

Vospov Aghtsan (Linsensalat) und Jingalov Hats (Brot mit Kräutern)

Beides lecker. Der Reiseleiter gab zu Protokoll, dass die Mahlzeiten sicherlich auch kaukasische Minenarbeiter sättigen.


Gesehen | 37 Grad: Burnout auf dem Bauernhof – Landwirte kämpfen gegen ihre Depression


Schweine | Um nochmal auf den Beginn zurückzukommen, die Reise nach Lingen: Ein anschlussfähiges Lebensthema war auch das Thema „Meerschweine“, das irgendwer irgendwann aufmachte, und in dem ich dann erzählte, dass Abendessen, das Dramaschwein, quasi vergoldet sei, nachdem wir es mit einer Glatze beim Tierarzt vorstellen mussten und es ein Mittel gegen Hautpilz bekam; eine Unternehmung, die uns ein Vielfaches kostete, als wir für das Schwein bezahlt hatten – eine Notschlachtung wäre finanziell angemessener gewesen. Daraufhin erzählte meine Mitreisende die Geschichte des Familienzwergkaninchens, das ebenfalls ein kleines Leiden hatte und dem Tierarzt vorgestellt wurde. Sie bat den Veterinär, dass er bei den Behandlungsoptionen bitte berücksichtige, dass dieses Tier, nun ja, eben ein Zwergkaninchen und kein Lipizanerhengst sei. Kaum hatte sie dies ausgesprochen, brach ihr Sohn neben ihr in Tränen aus; er heulte, dass der Rotz das Kinn hinabfloss; unter Schluchzen sprach der Bub wütende Worten über Ethik und Moral. Daraufhin wurde das Zwergkaninchen stationär aufgenommen, erhielt ein Einzelzimmer und kam kurzerhand in die monetäre Reichweite eines Lipizaners.

Die Schweine kommen in den Genuss von Obstbaumzweigen: Im Dortmunder Garten schnitt ich Bäume. Die Zweige nahm ich mit nach Haltern. Der Reiseleiter baute den Schweinen daraus einen Tunnel. Sie erinnerten sich daraufhin daran, dass sie Nagetiere sind, und knabbern nun mit großer Hingabe die Apfel- und Kirschbaumzweige ab.

Kommentare

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  1. kaltmamsell sagt:

    Bevor Frühstück, Mittagessen und Abendbrot jemals in einen unvorteilhaften Vergleich mit Lipizzanerhengsten geraten, bitte ich darum, hier eine Tiermedizin-Kasse einzurichten: Ich bin ganz sicher, dass eine Gegenfinanzierung möglich ist.
    Mag ja ein schlechtes Licht auf meine instagram-Zusammensetzung werfen, aber #DailyMeerschwein ist mit Abstand das Beste daran.

  2. Patricia sagt:

    Da kann ich Frau Kaltmamsell nur zustimmen!!

    1. Vanessa sagt:

      Wenn die Schweine von dieser Zuneigung wüssten!

  3. AlCiD sagt:

    Ertappe mich immer wieder beim fehlerhaften Lesen von ACT – Angora Club Tangent.
    Liegt wohl am Alter, an meinem wohlgemerkt.

    Schön, dass die Schweine wieder den Abschluss krönen.

    1. Vanessa sagt:

      Angora, ja, das wird auch wichtig mit dem Alter. So ein gutes Angora-Unterhemd ist für die Nieren.

  4. Annika sagt:

    Unsereiner in der Hauptstadt mag sich ein Leben ohne die drei Schweine gar nicht mehr vorstellen. Dass die mir mal so ans Herz wachsen werden… damit konnte niemand rechnen.

    Ich wäre auch gerne in so einem ACT Club. Ich war mal im Hiddensee Club, über 10 Jahre, aber dann gab‘s Verwerfungen und jetzt werden Reiseziele bebrütet, die letztlich verworfen werden. Da ist dein Club von anderem Schrot und Korn!

    1. Vanessa sagt:

      Ich verweise auf den ACT 5 in Berlin, Verlinkung von Facebook, das die ACT-Seite anscheinend grad down ist.

  5. Trulla sagt:

    Wir haben armenische Freunde und nur selten habe ich im privaten Kreis eine so vielseitige Kochkunst kennengelernt und so schmackhhaft gegessen wie bei diesen. Neben der besonderen Gastfreundschaft.

    Seit dem Film „Elser“ ist Christian Friedel bei mir gespeichert unter sehenswert.

    Gilt das eigentlich auch als Pleonasmus, wenn ich meine, dass Ihre Haustiere „Schwein“ gehabt haben mit ihrer Adoptivfamilie?

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