Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

In Hamburg hat ein Herz aufgehört zu schlagen, einfach so. Es ist unbegreiflich. Das Herz einer Frau, die klug und scharfsinnig war, mitfühlend, lustig und fröhlich. Einer der lebendigsten, mitreißendsten und offenherzigsten Menschen, denen ich bislang begegnet bin.

Ich traf sie zum ersten ersten Mal auf der re:publica. Sie kam mit offenen Armen auf mich zu. „Die liebe Nessy“! rief sie. Wir freuten uns, uns zu sehen, obwohl wir uns vorher noch nie in persönlich begegnet waren. Ich empfand sie wie eine wärmende Sonne.

Ihr Blick auf das Leben und ihre reflektierten Argumente haben mir neue Perspektiven gegeben. Ihr Mut hat mich beeindruckt. Ihr Sicht auf Weiblichkeit hat mich inspiriert. Vor allem aber war sie mir ein Vorbild an Kraft und Lebensfreude.

Ihr größter Verdienst: Sie hat mir das Schwimmen beigebracht. Ihretwegen schwimme ich, wie ich schwimme, ihretwegen kraule ich, und ihretwegen trage ich den Badeanzug, den ich trage. Das Schwimmen, wie sie es mir gezeigt hat, hat mich durch Krisen getragen. Zuletzt erzählte sie von ihrer Erfahrung mit Immersion Swimming. Ich folgte ihren Erläuterungen, schaute mir Youtube-Videos an, und und teile ihre Begeisterung. Zuletzt vermittelte ich den Kontakt zwischen ihr und einem Freund, der Triathlon betreibt und ihretwegen nun nach Stuttgart fährt, um dort Schwimmtraining zu nehmen. 

Es überrascht mich, wie viele Tränen ich für jemanden vergießen kann, dem ich nur ein paarmal begegnet bin. Aber es ist auch folgerichtig – so viel, wie sie mir geschenkt hat.

Du warst eine Inspiration. Danke für alles, @journelle. Danke, Elena. 

Regen | Es hat geregnet, einen Tag und eine Nacht ergiebiger Dauerregen. Das war prima. Wann hatten wir das wohl zuletzt? Es muss Monate her sein. Für Mitte dieser Woche ist noch einmal Regen angekündigt. Ich werde in meiner Wohnung sitzen, hinaus schauen und verzückt sein.

Der Garten hat auf einen Schlag Herbst. Morgens beschlagen die Fenster des Gewächshauses. Die Gurkenpflanze ist bald durch mit ihrer Tätigkeit. Auf dem Rasen sammeln sich gelbe Blätter. Nur der Hibiskus lebt nach dem Regen noch einmal auf.

Hibiskusblüten, dahinter verblühende Hortensien

Geselligkeit | Das Wochenende stand im Zeichen der Geselligkeit (als ich das Wort erstmalig schrieb, tippte ich „Eseligkeit“). Am Freitag, am Samstag und am Sonntag traf ich Menschen. Wir redeten, aßen, lachten und tranken. Ich wurde bekocht und bekam Sellerieschaumsuppe mit Parmesan, Linsen-Bananenbällchen in Paprika-Erdnusssauce und dreierlei selbst gemachtes Eis: Blaubeer-, Walnuss- und Orangen-Schokoladeneis. Köstlich!

Außerdem entdeckte der Reiseleiter ein neu eröffnetes Café in seinem Städtchen. Ich aß Kürbissuppe und verabschiedete mich damit offiziell vom Sommer. In Münster tranken wir einen köstlichen Warte-Kaffee.


Mobillität | Zu einem der Geselligkeitsanlässe fuhr ich mit dem Auto nach Münster. Gäbe es noch ein 9-Euro-Ticket, hätte ich den Zug gewählt. Gibt es aber nicht, deshalb kostet die Fahrt 15 Euro pro Strecke. Das ergibt hin und zurück für zwei Personen 60 Euro. Das bin ich nicht bereit zu zahlen – zumal die Fahrzeit mit dem ÖPNV doppelt so lang ist wie mit dem Auto.

Kein Auto zu besitzen, ist zweifelsohne preiswerter als eins zu unterhalten. Wenn man aber ein Auto hat und auch haben möchte, weil zahlreiche Strecken nur mit einem absurden Zeit- und Energie-Aufwand anders zu bewältigen wären, dann sind diese regionalen Einzelfahrten leider sehr teuer.

Das Fahren eines Verbrennerautos ergibt hingegen immer weniger Sinn. Mein Auto, die Olga, ist gerade wieder zur jährlichen Inspektion. Sie braucht für unsere Reise in den Süden außerdem neue Sommerreifen, und unerfreulicherweise ist ein Getriebeölwechsel fällig. Ich verlor kurz das Bewusstsein, als der Mechaniker den Preis aufrief.


Elizabeth | Der Tod der Queen hat mich mit Ehrfurcht erfüllt. Egal, wie man zu dem Amt steht: Sie war eine bemerkenswerte Frau. Dazu gelesen:

Man weiß einfach nicht, ob es möglich ist, geheime Gelüste zu hegen, wenn man 96 Jahre lang, „such a life“ führt. Wenn man wirklich jeden einzelnen Tag, dieses eine Ding ist „Queen Elizabeth II.“, davon wirklich niemals Pause hat, weil man selbst zu Hause im Schlafanzug noch umgeben ist von Menschen, die einen mit „Your Majesty“ ansprechen. Weil man nicht mal fünf Minuten zum Kiosk um die Ecke gehen kann, um sich ein Päckchen Kippen zu kaufen, ohne dafür mit dem eigenen Abbild zu bezahlen. Weil man keinen geheimen Brief schreiben kann, ohne dafür ein Bildnis des eigenen Gesichts abzulecken und es in einen Kasten zu werfen, auf dem der eigene Name steht.

Die Rührende [SZ, €]

Gelesen | Anke Gröner nimmt Abschied

Gelesen | Deutschland Abhängigkeit von russischem Gas ist leidlich bekannt. Neu war mir, dass wir neben Gas auch Uran aus Russland bekommen, genauer vom russischen Staatskonzern Rosatom. Der ist einer der größten Lieferant in der EU für den Brennstoff von Atomkraftwerken. 

Obwohl das russische Regime gerade mit harten Sanktionen belegt ist und sich Rosatom-Leute auch im von Putins Truppen mit Waffengewalt besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja befinden, beliefert der Atomkonzern weiterhin Europa und speziell das Lingener Werk Advanced Nuclear Fuels (ANF). Dort werden Brennelemente aufbereitet, also der Kern jedes Atomkraftwerkes. Lingen wiederum beliefert Werke rund um den Globus, auch die 56 französischen AKW. […] Tatsächlich würde die französische und europäische Atomstromproduktion zusammenbrechen, wenn die AKW nicht stetig von Rosatom beliefert würden: […]

Kein Gas, dafür Uran

Und sonst | Erster Pflaumenkuchen des Jahres 2022. Nur gut mit Quark-Öl-Teig.

Pflaumenkuchen auf dem Blech

Grübelei | Heute Nacht erwachte ich mit Bauchschmerzen, und vielleicht war es psychosomatisch. Mein Hirn befand nämlich, es sei an der Zeit, über Gaspreise und meine Haushaltskasse nachzudenken, über die Gemengelage in unserer Eigentümergemeinschaft, über eine Rezession und ihr möglicher Einfluss auf meine Auftragslage. Dann konnte ich erstmal nicht schlafen.

Nachts ist immer alles schlimmer als tagsüber, viel schlimmer, das weiß man ja. Das liegt an Hormonen. Zwischen drei und vier Uhr ist es am schlimmsten, dann ist die Melatoninkonzentration am höchsten, und wir sind am besorgtesten. Als ich wachlag, war es 3:30 Uhr. Der Gedanke, dass mein Grübeln nur Hirnchemie ist und keine realen, unlös- oder aussitzbaren Probleme darstellt, ließ mich wieder einschlafen.

Die Podcastfolge über Geheimsache Doping – Dieter Baumann und die Zahnpasta tat ihr Übriges dazu.


Nicht alle dürfen mitmachen | Frau Herzbruch findet gute Worte, wie in diesem Zusammenhang die Situation ist:

Es ist vollkommen egal, ob man arm oder reich oder in der Mitte ist, wenn die Milch vorher 89 Cent gekostet hat und jetzt 2 Euro, dann ist das doof, und wenn es mit allen Produkten im Einkaufswagen so aussieht, dann ist das ganz besonders doof. Für alle. Nicht nur für arme Menschen. Und deshalb wäre es natürlich schön, wenn alle von dieser Scheiße entlastet werden könnten. Ich möchte spoilern: Draußen ist Krieg, ein Irrer stellt das Gas ab, wir können nicht alle entlasten von der Scheiße. Und nein, es ist nicht die Verantwortung der Bundesregierung, das Problem zu lösen, dass plötzlich 80 Mio Deutsche ganz teure Milch kaufen müssen. Das ist leider einfach Pech. Die Verantwortung der Bundesregierung ist es, das Problem zu lösen, dass Menschen, die vorher schon nur knapp über die Runden gekommen sind, nicht ins Nichts fallen. Das hat aber mit Entlastung nichts zu tun, das ist Rettung. Hieße das Paket Rettungspaket statt Entlastungspaket, dann müssten nicht ALLE Leute in Deutschland das Gefühl haben, dass sie da auch mitmachen wollen, viele Leute müssen nämlich einfach nicht gerettet werden. Rettungspaket ist aber als Wort leider auch irgendwie durch, wir hatten Lufthansa, wir hatten Griechenland, ein Rettungspaket kann man den Deutschen auch nicht mehr guten Gewissens verkaufen.

06.09.2022 – Wuchtig

Ja, so ist es wohl. Und: Ich bin ein optimistischer Mensch. Wir werden in diesem Winter, wahrscheinlich sogar deutlich länger, zurückstecken müssen. Aber wir werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Krise bringt mit sich, dass sie Entwicklung und Innovation vorantreibt. Ich bin guter Dinge, dass wir in Sachen Erneuerbarer Energien, in Sachen Überkonsum und auf gesellschaftlicher Ebene einen großen Schritt gehen werden, wenn wir das, was jetzt kommt, gemeinsam durchgestanden haben.


Urlaub | Dass mein nächtliches Herz übertreibt, zeigt auch die Tatsache, dass ich alsbald verreisen werde; das ist per se eine privilegierte Sache. Die Planung ist komplett, alles ist gebucht. Auf dem Hinweg nächtige ich mehrere Tage in einer Blockhütte am Comer See, nahe Bergamo. In Bergamo war es vor vier Jahren schon sehr schön. Auf dem Rückweg aus den Abruzzen werde ich in Bologna Halt machen. Das erlaubt kulturelle und kulinarische Ausflüge und einen Rückweg ins Ruhrgebiet in nur zwei Etappen, via Freiburg.


Marode | Der Reiseleiter fährt regelmäßig mit der Bahn zur Arbeit. Gestern hatte er auf dem Hinweg eineinhalb Stunden Verspätung – eine Verdoppelung der Fahrzeit auf drei Stunden. Auf dem Rückweg hatte er nochmal eine Stunde Verspätung, allerdings nur auf den ersten 40 Kilometern, denn von dort holte ich ihn mit dem Auto ab.

Er fährt zweimal in der Woche ins Büro, und jedesmal ist es so. Das glauben Leute oft nicht; sie denken, man übertreibe: „Aber doch nicht jedesmal!“ Doch, doch, jedesmal. Das System ist einfach völlig marode. Wenn nur eine von hundert Zugtüren nicht perfekt schließt, wenn nur eine von hunderten Weichen kurz nicht arbeitet, wenn nur einziger Zugführer spontan krank wird, fällt zwischen Köln und Münster alles zusammen wie ein Kartenhaus, und Menschen haben einen Arbeitsweg von fünf Stunden.


Gelesen | Herr Buddenbohm schreibt sie jetzt nur noch in einem Wort, die Hartarbeitendemitte.

Ein hassenswertes und empörendes Wort, finde ich, weil es impliziert, dass diejenigen unterhalb der Mitte weniger hart arbeiten, aber egal. Seit es trendet, klicke ich die Daten und Buchstaben in Word und Excel und Powerpoint jedenfalls beflissener und härter an, gewissermaßen mit Schmackes, das muss laut klicken, fast klackern, sonst zählt es nicht, sonst hat es keine Kraft gekostet und man ist abends nicht erschöpft. Härte muss sich aber bemerkbar machen, es ist sonst womöglich gar keine. Es muss alles Kraft kosten, was man macht, man muss schwitzen und stöhnen dabei, wir arbeiten hart, nicht smart. Auf einer mechanischen Schreibmaschine könnte ich das viel besser ausleben. Als ich etwa achtzehn Jahre alt war, da hatte ich eine uralte eiserne Schreibmaschine, die so monströs schwer war, da war man schon erschöpft, wenn man sie nur von einem Raum in einen anderen getragen hat. Solche Schreibgeräte braucht die Hartarbeitendemitte heute, nicht diese schnittigen Notebooks, die man mit einem Finger vom Tisch fegen kann. 

Harte Arbeit an wuchtigen Maschinen

Und sonst | Den ganzen Morgen regnet es schon. Wunderbarer, ergiebiger Landregen.

Um 11 Uhr plötzlich lauter Sirenenalarm. Erste Handlung: Googeln, ob Probealarm ist – anstatt aus dem Fenster zu gucken, ob irgendwas brennt oder eine Notlage vorhanden ist. Vielleicht sollte ich dieses Verhalten überdenken. (Es ist Warntag.)

Freibad | Zwischen Frühstück und einem Tantenbesuch eilte ich am Sonntag ins Freibad, die letzten Öffnungstage ausnutzen.

Das Schwimmerbecken ist gesäumt von Bänken. Auf den Bänken saßen, aufgereiht wie Stare auf der Hochspannungsleitung, Senioren. In Grüppchen plauschten sie, einander zugeneigt; die Damen, sowohl drall als auch hager, in blumigen Badeanzügen, die Haut gegerbt und übersät mit Alterflecken; die Herren, kugelig oder faltig, die Badehose klein, die Beinvenen groß. Die wenigstens sind hier, um ins Becken zu gehen, vielleicht kurz anfeuchten. Sie sitzen dort, um zu sitzen, um zu schauen; um zu reden – aber nur, wenn es wirklich etwas zu sagen gibt.

Neben dem Becken ist ein Häuschen. „Warmwasserduschen“ steht in orange-brauner Schrift über den beiden Türen, eine für Damen, eine für Herren. Eine Minute kostet zehn Cent, mit drei Minuten kommt man gut aus. Unter der Dusche schrubbt sich eine alte Frau; wo sie Badenazug trug, ist die Haut weiß. In den vergangenen vier Monaten sei sie jeden Tag hergekommen, immer zur selben Zeit. Jetzt müsse sie sich wieder eine andere Beschäftigung suchen – und auch wieder zu Hause duschen. Ihre Dusche habe sie seit Mai nicht mehr benutzt.

Auch ich werde wehmütig. Acht Monate ohne Freibad stehen bevor.

Freibad

Danke | Herzlichen Dank an die Leserin SF für die großzügige Zuwendung in die Kaffeekasse! Sie wird in Form von Eisbechern auch an den Reiseleiter und die Kinder gehen, im Urlaub, in original Gelato-Ambiente.

Die Urlaubsvorbereitungen laufen. Alsbald werde ich für drei Wochen nach Italien reisen. Über den Comer See fahre ich bis in die Abruzzen, anschließend über die Toskana wieder zurück nach Deutschland. Auf meinem Nachtschrank liegt bereits ein Bücherstapel für diese Zeit. Ich habe vor, viel zu lesen, nichts zu arbeiten und durch die Tage zu treiben. Eine großzügige Woche lang werden der Reiseleiter und die Kinder dazukommen: Ich werde sie in Rom abholen, und wir wollen Zeit in den Abruzzen verbringen, in den Bergen mit Nähe zum Meer.

Sie dürfen mich hier im Kännchencafé gerne wieder begleiten, das hat ja Tradition.


Broterwerb |  Ich habe einen Keynote-Vortrag gehalten – nach langer Zeit mal wieder. Die letzte Buchung war vor der Pandemie. Schön, dass das nun wieder stattfindet. Ich schlug einen Bogen von Homeoffice, New Work hin zu großen Veränderungen, sprach darüber, was Veränderungen emotional für uns bedeuten, woher Widerstand kommt und dass Change Management viel damit zu tun hat, die Geschwindigkeit zu steuern, mit der wir dem Wandel begegnen.

Ich blieb in Köln und nutzte den Abend für einen kurzen Bummel.

Einige Aspekte aus dem Vortrag werde ich in meinen nächsten Newsletter mitnehmen. Besonders das Thema „Geschwindigkeit“ liegt mir am Herzen – und „Energie dort nutzen, wo sie frei wird“. Hier geht’s zur Anmeldung.

Vor dem Vortrag habe ich mir zwei Einheiten Stimmtraining bei Rebecca Könen gegönnt. Das war sehr lehrreich – und auch sehr anstrengend. Zunächst habe ich gelernt, so zu atmen, dass meine Stimme bei Anspannung nicht gepresst wirkt. Dafür gibt’s eine einfache Technik; als Rebecca sie mir erklärte und ich es ausprobierte, war sofort klar, wie es funktioniert. Wir haben Entspannungsübungen für den Sprechapparat gemacht. Den Großteil der Zeit haben wir aber am Text gearbeitet, haben meine Stimme trainiert, an Betonungen geübt, Brücken zwischen Wörtern geschlagen. Uff! Das war fordernd, aber auch sehr gut.


Aufträge klären | Ich habe einen Text geschrieben: Zehn Fragen, die helfen, Aufträge zu klären, die einem über den Zaun geworfen oder auf den Schreibtisch gekippt werden – damit am Ende etwas Gutes rauskommt, und man nicht den Schwarzen Peter hat. Die Fragen helfen auch, mit unpräzisen Erwartungen umzugehen: Ich habe einen Auftrag. Oder doch nicht? Checkliste zur Auftragsklärung


Zustand der Welt #1 | Verdunstung lässt Europa austrocknen

„Verdunstung ist nicht so intuitiv wie Regen“, sagt Seneviratne. Dabei sei die vor allem in Europa oft die entscheidende Größe für Trockenheit und Dürre. Man kennt das vom Wäscheaufhängen: Am schnellsten trocknen die Hemden, wenn es heiß, sonnig, trocken und windig ist. […]

Doch kaum jemand nimmt die Bedrohung wahr, die sich seit Wochen anbahnt. Stattdessen genießen die Menschen das endlose Badewetter, sonnen sich auf verdorrenden Wiesen und kühlen sich in Flüssen, die immer weniger Wasser führen. Braun gebrannt sehen die Deutschen ihrem Land beim Austrocknen zu.

Zustand der Welt #2 | Regierung bereitet Frankreich auf den Atom-Blackout vor

Die französische Regierung hat die halbstaatliche Elektrizitätsgesellschaft Electricite de France unter Druck gesetzt, 32 Atomreaktoren innerhalb weniger Monate wieder in Betrieb zu nehmen. […] Die französische Regierung bestätigt damit, dass für sie Sicherheitsfragen bei Atomkraftwerken zweitrangig sind. […]

So muss die EDF derzeit auch für die teure Kühlung von 32 abgeschalteten Meilern den internationalen Strommarkt abgrasen. Frankreich treibt mit seinem enormen Stromhunger derzeit die Strompreise in ganz Europa hoch. Sogar um Mitternacht von Samstag auf Sonntag importierte das Land 9,5 Gigawatt von seinen Nachbarn, wie beim französischen Netzbetreiber RTE nachvollzogen werden kann. Am Freitag waren es in der Spitze sogar fast 13 Gigawatt, mehr als die Hälfte dessen, was die altersschwachen Atomkraftwerke im Land noch liefern können.

Zustand der Welt #3 | Heatwave in China is the most severe ever recorded in the world

Thousands of factories in the province have had to cease operations because of electricity shortages amid high demand for air conditioning. Offices and shopping malls were also told to reduce lighting and air conditioning to save power.

In Sichuan alone, 47,000 hectares of crops are reported to have been lost and another 433,000 hectares damaged. 

Zustand der Welt #4 | Derweil ist auch der Amazonas-Urwald am Kipppunkt. Ursache sind die größten Rodungen der Geschichte, getrieben vor allem durch die Viehhaltung der Fleisch produzierenden Industrien: Foreign capital powers Brazil’s meatpackers and helps deforest the Amazon

It’s largely accepted that clearing land for cattle accounts for 70% of Amazon deforestation, with the rate of rainforest cutting accelerating drastically since President Jair Bolsonaro took office at the start of 2019. Between August 2020 and July 2021, 13,235 square kilometers (5,110 square miles) were lost, the highest level since 2006. That devastation is likely to increase in 2022, undermining the Amazon’s vital carbon storage capacity.

Fröhlicheres kann ich grad nicht anbieten.


Na sowas | Der jüngst verstorbene Christian Ströbele besaß die Rechte an der Originalübertragung des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft 1954: „… Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“

Sofern die Übertragung nicht im Ersten Programm wiederholt wird, musste mit Christian Ströbele verhandelt werden. Er war der Neffe des Fußballreporters Herbert Zimmermann. Die erzielten Gelder spendete Ströbele (Quelle).


Stern des Nordens | Stichwort „Fußball“: Ich stand an der Wiege des BVB. Das war aber nicht das Thema, sondern es ging um Arbeiterwohnungsbau in Dortmund. Die Führung hat mir die Dorfnachbarin geschenkt – zu ihrem Geburtstag.

Die Dorfnachbarin hat mit Corona eine neue Tradition eingeführt: Geburtstag feiern durch Umherlaufen. In den vergangenen Jahren waren wir abstandsgetreu wandern, diesmal spendierte sie eine Führung durch den Dortmunder Norden, rund um das Hoesch-Gelände. Spannend! Von (Ver-)Führerin Annette erfuhren wir, wie der Dortmunder Norden als Arbeiterstadt rund um die Westfalenhütte entstand und warum viele der Altbauten heute noch stehen und nicht den Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fielen: Weil die Karrées wie ein Pfeil auf die Westfalenhütte zeigten, 1a-Orientierungspunkte für die Piloten, die dadurch ihr Ziel fanden.

Die Führung endete in einem Nussladen – später in einer Weinwirtschaft und danach noch auf der Terrasse der Dorfnachbarin. Am nächsten Tag hatte ich Jetlag.


Und sonst | Zu Beginn des Sommers kaufte ich einen handgroßen Feigenbaum. Inzwischen geht er mir bis zur Brust und trägt Früchte. Wenn das so weitergeht, erwarte ich für die kommenden Jahre Großes, sehr Großes (immer vorausgesetzt, dass wir noch Wasser haben und uns keine Atomkraftwerke um die Ohren fliegen).

Feigenbaum mit Feigen (noch grün)

Am Donnerstag soll es Regen geben. Reichlich und hoffentlich tatsächlich. Er war schon oft angekündigt.

Meeting-o-Meter | Jeder kennt’s: Meetings sind manchmal ineffizient. Viel verbrauchte Luft, wenig Ergebnis. Wenn’s grad mal wieder zäh ist, können Sie mit meinem Meeting-o-Meter ausrechnen, was das Zusammenhocken Sie gerade kostet – inklusive Beleg zum Verschicken. Danke an Christian fürs Programmieren!


Schwimmen | Montag und Teile des Dienstags habe ich beim Kunden verbracht. Auf dem Heimweg habe ich am Freibad angehalten und bin ausgiebig geschwommen. Die 2000 Meter gehen wieder locker von der Hand; am Anfang der Saison war das noch anders. Leider schließen die ersten Freibäder in einer Woche schon und beenden ihre Saison, auch wenn das angesichts der Temperaturen surreal erscheint.


Energie, fossile | Ich habe überschlagen, wie es ausschaut, wenn der Gaspreis um das Vierfache steigen sollte (These der Energieökonomin Claudia Kemfert) – und noch dazu der Strompreis. Das ist sehr, sehr unerfreulich. Ich bin zurzeit in der glücklichen und sehr privilegierten Situation, dass das alles irgendwie stemmbar wäre, aber die Summen sind einfach absurd hoch, und ich sehe wenig Potential, relevante Mengen an Gas oder Strom einzusparen. Natürlich, ein paar Stellschrauben gibt es immer, aber weder habe ich bislang zwanzigminütige Heißduschorgien veranstaltet noch meine Wohnung zur Sauna hochgeheizt.

Größere, investitionsintensive Maßnahmen – Photovoltaik, Dämmung, Wärmepumpe – sind in meinem Fall nur sehr langfristig denkbar. Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus, das wärmetechnisch mit einem anderen Mehrfamilienhaus zusammenhängt. Dahinter stehen zwei Eigentümergemeinschaften, deren Mitglieder unterschiedliche Interessen verfolgen, unterschiedlich zukunftsorientiert und investitionsfreudig sind. Das ist schonmal ein Riesenhemmnis. Überdies ist eine Umstellung auf Wärmepumpe baulich herausfordernd (Verteilungsverluste und Heizkreistemperaturen in zwei Mehrfamilienhäusern mit je acht Wohnungen … ich habe das bislang nur angelesen). An die initiale Bürokratie und dauerhafte Administration des Ganzen will ich gar nicht denken.

Ich schreibe das hier so ausführlich, weil es politisch ist. Wenn wir die Klimakatastrophe irgendwie begrenzen und derlei Investitionen fördern wollen, brauchen wir Modelle und Anreize, die es einfach machen. Im Kontext Photovoltaik könnte ich mir sowas vorstellen wie: Es gibt eine – kommunale, bundesweite, genossenschaftliche, wie auch immer – Organisation, an die man seine Dachfläche vermietet. Die ist groß bei uns und noch dazu super ausgerichtet. Die Organisation baut dann Photovoltaik drauf und die Eigentümergemeinschaft kriegt Mieteinnahmen für die Fläche oder günstig Strom, wie auch immer. Jedenfalls: Sowas versteht jeder, und die Eigentümergemeinschaft muss sich nur minimal einig sein und kümmern.


Wind | Habe jetzt einen Ventilator im Arbeitszimmer. Best investierte 30 Euro des Jahres.


Hamm | Am Wochenende: Ausflug zum Maximilianpark in Hamm. Viele Spielplätze mit und ohne Wasser, zum Klettern, Schaukeln und Hüpfen, üppige Staudenbeete und ein großer Teich, alles sehr gepflegt. Der Eintrittspreis ist moderat, gerade wenn man sich den ganzen Tag dort aufhält und sich Picknick mitbringt. Kann man gut machen.

Teich

Dring!! Dring!!! | Seit Tagen nervt mich die Nina-Warn-App mit Meldungen zu Geruchsbelästigungen. Liegt da jemand auf der Fernbedienung? Ich musste sie leider runterschmeißen, das geht so nicht.


Die Landwirtschaft | Der Garten knistert vor sich hin. Während ich in Rostock war, hat es einmal kräftig geregnet, die Regentonne ist vollgelaufen. Aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dem Gewächshaus geht es dennoch prima. Vor Rostock habe ich acht Gurken geernet. Jetzt sind wieder sechs fertig. Wird man irgendwann zur Gurke, wenn man täglich Gurken isst? Die Tomaten eskalieren auch. Der Kürbis will weiter mit dem Kopf durch die Wand Zaunlatten.


Gelesen | Das Abflusssieb als Metapher für die Menschheit

Gelesen | Nils Hitze über sich, seine Frau und seine neun Kinder: Hab ich mir anders vorgestellt.


Und sonst | Noch fünf Wochen bis Urlaub.

Ein Ausflug nach Rostock | Anfang der Woche fuhr ich nach Rostock. Management Summary: Tolle Stadt. Guten Workshop gemacht. Strand gesehen.

Strand von Warnemünde in Panoramaaufnahme, Sonnenuntergang

Ein kurzer Ritt durch die Ereignisse, beginnend mit An- und Abreise. Die Rückfahrt verlief trotz dreier Umstiege reibungslos pünktlich. Na gut, zwischen Schwerin und Hamburg musste mein Waggon evakuiert werden – Klimaanlage kaputt und keine Frischluftzufuhr. Im Zug von Hannover nach Hamm war in meinem Waggon ebenfalls die Klimaanlage kaputt, „aber Sie können sich setzen, die Frischluftzufuhr funktioniert, es ist nur ein bisschen warm.“ Ein Zwergelefant aus Borneo hätte es bestimmt „nur ein bisschen“ warm gefunden; für alle anderen war es brühheiß.

Die Hinreise können Sie in einem Thread auf Twitter nachlesen.

Rostock hat direkt mein Herz erobert: Trambahnfahrt am Rathaus und dem Neuen Markt vorbei in die Kröpeliner-Tor-Vorstadt. Hotel fußläufig zum Wasser, zum Kunden und zum Veranstaltungsort. Alles hübsch überschaubar und voller Hanse-Charme. Ich fühlte mich von der Stadt emotional abgeholt. Ich fuhr auch nach Warnemünde – mit der S-Bahn bis fast an den Strand.

Gearbeitet habe ich zwischendurch auch: einen Tag im Büro des Kunden, zwei Tage Workshop im Hotel. Jeweils mit Blick aufs Wasser. Geschäftsreisen an die Ostsee scheinen mir ein Konzept zu sein, das ich ausbauen sollte.

Bemerknisse:

  • Schiffe gucken beruhigt ungemein.
  • Warnemünde verfügt über ein ähnlich illusteres Publikum wie Dortmund, nur ohne Leute mit Migrationshintergrund, dafür mit Menschen aus Sachsen. Bandbreite von „Polohemd mit hoch gestelltem Kragen und Segelschuhen“ bis zur Familie mit Fluppe auf’m Zahn und „Fresse da hinten im Bollerwagen! Es gibt gleich Pommes!“
  • Die Nicolaikirche wird bewohnt, ist aber nicht entweiht: Im Turm sind Büros, unterm Dach Wohnungen, und im KIrchenschiff finden Gottesdienste und Konzerte statt. Spannendes Konzept.
  • Im Petrikeller kann man intensiv trinken. Ich habe das angetestet, Stichwort „Metgebräu“, aber nicht weiter verfolgt, Stichwort „Kopfschmerzen“.

Heiß | Heute war der erste Tag dieser Woche, an dem ich nicht durchgehend schwitzte. In Rostock fühlte ich mich wie ein Pritt-Stift: Schon kurz nach dem Frühstück klebte alles an mir. Die Hitze legte sich über Bewegungen und Gedanken. Nur die Klimaanlage des Hotelzimmers kam gegen die Schwüle an, so dass ich immerhin gut schlafen konnte. Ich sehnte ein Freibad herbei – oder auch nur ein Tauchbecken.


Broterwerb, zurückliegend | Das Graduiertenkolleg „Privacy and Trust for Mobile Users” ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zwischen Doktorand:innen aus Informatik, Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Für die weiblichen Mitglieder habe ich im Juni einen Seminarworkshop gestaltet – Workshop for Female RTG members: “Moderating with Confidence” with Dr. Vanessa Giese. Gerade in der interdisziplinären Arbeit gibt es so einige Haken und Ösen; eine gute Moderation von Gesprächen und Projektreffen kann Missverständnissen vorbeugen und Konflikte vermeiden. Gerade das wissenschaftliche Umfeld ist zudem von Besonderheiten geprägt, die sowohl Haltung als auch Fingerspitzengefühl erfordern.


Barcamp Dangast | Wir bleiben im Strandkontext: Am 17. September findet wieder ein Barcamp Dangast statt – in den Räumen des Weltnaturerbes Wattenmeer. Eine kleine Konferenz, die Agenda entsteht am Vormittag. Direkt am Strand treffen sich Menschen und tauschen Wissen und Erfahrungen aus. Ich bin dabei. Themen: offen. Ziel: dort sein, aufs Watt gucken, nette Menschen und am Ende des Tages schwimmen gehen. Denn dann ist Flut.

Mit dabei sind (unter anderem) Frank, Christian, Annette. Es sind noch Plätze frei! Kosten: ein paar Euro für den Raum. Verpflegung und Unterkunft trägt jeder selbst. Verbindliche Anmeldungen unter barcampdangast@ewe.net.

Historisches Bilddokument aus 2018:

Dangast: Am Stand mit Milchkaffee und Cola

Zum Barcamp in Dangast regnet es traditionell. Ich hoffe es innig. In Dortmund weiterhin seit Wochen kein Tropfen. Die Dürre macht Angst vor der Zukunft.


Gelesen | Stefan Rahmsdorf, Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, beschreibt sachlich und verständlich auf 18 Seiten, was eine Klimaerwärmung um drei Grad bedeutet. Spoiler: nichts Gutes.

Gelesen | Warum es sinnvoll ist, mit der Hand zu schreiben

Schatöchen | Manche Unternehmungen sind mehr als andere dazu geeignet, ihre Akteure mit Erinnerungen zu munitionieren für die fernen Tage, in denen sie hüftsteif und reisesatt in einem Lehnsessel sitzen. Zu diesen Unternehmungen gehören zweifellos die Ausflüge aufs Schatöchen, die 2018 ihren Anfang nahmen.

Der letzte Ausflug ist drei Jahre her. Seuchenbedingt mussten wir 2020 und 2021 vorbeiziehen lassen; nun war es daran, den bereits Ende 2019 bezahlten Aufenthalt endlich abzuwohnen. Im vergangenen Wochenende reiste ich wieder dorthin, gemeinsam mit drei Handvoll Freunden.

Was werden wir uns erzählen, wenn wir in vierzig Jahre im Sessel sitzen, die Augen trüb, aber die Erinnerungen klar?

Weißt du noch, das Unwetter? Als wir bei 38 Grad Grad dort ankamen und wir uns nachts mit wehendem Gewand gegen die Fenster des Schlosses stemmten?

Wir werden uns daran erinnern, wie das Wasser in die Zimmer lief und wir versuchten, in der stockfinsteren Nacht die Flügel zu schließen, während Regen prasselte und Blitze die Szenerie erhellten. Der Wind drückte gegen die Fenster, und es dauerte, bis es uns gelang, die Mechanik zu überwinden und sie zuzudrücken.

Weißt du noch, wie wir uns die Leiste zerrten, während wir versuchten, das Einhorn zuzureiten?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir uns erst den Arm lahm pumpten, um Herbert, das zwei Meter dreißig lange und ein Meter breite Gay Pride Unicorn, zu Wasser zu lassen. Wie wir zunächst erfolglos versuchten aufzusitzen, bis wir den Bogen raus hatten: Man durfte nicht zu weit vorne aufsteigen und musste seinen Po schwungvoll-beherzt, aber ohne hastige Überstürztheit in der Rückenmitte platzieren und sich sofort gegen den Schweif lehnen.

Weißt du noch, der Notarzteinsatz?

Wir werden uns daran erinnern, wie ich mir beim Ausstieg aus dem Pool den Fuß anschlug, und wir dachten, ich hätte mir den Zeh amputiert. Dabei war es nur ein Nagel. Die Ameisen waren sehr interessiert am üppig tropfenden Blut. Schließlich kam der Zahnarzt, legte einen Druckverband an, und die Sache fand ein zwischenzeitliches Ende. Details verbleiben im Nebel der Erinnerung.

Weißt du noch, wie wir aßen und tranken?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir gemeinsam in der Küche standen und die Mahlzeiten zubereiteten, wie wir Gemüse schnitten und Feta würzten, wie wir Eintopf und Nudeln kochten, Kartoffel schälten und Gratin buken, wie wir alles hinaus trugen auf die lange Tafel vor dem Pool, wie wir die Töpfe und Platten herumreichten, bis wir uns schließlich zurücklehnten und stöhnend überstreckten, damit die guten Dinge tiefer hinunter sacken und Platz machen konnten für einen Magen schließenden Digestiv.

Weißt du noch, die Besuche im Paradies?

Wir werden uns erinnern, wie wir in den Leclerc fuhren und wieder auf Neues entzückt waren angesichts der Käsen und Pasteten, der Pasten und Marmeladen. Wir kauften Baguette und zehn Sorten Weichkäse – den im Schälchen mehrmals -, wir packten Panaché und Rosenkekse in den Wagen, suchten Geschenke für Daheimgebliebende, nahmen Suze mit nach Hause und schnupperten wie Süchtige an Seifen.

Weißt du noch, das Pferdewasser?

Wir werden uns erinnern, wie uns die Bremsenbremse begleitete, „Ultrafresh Insektenschutz für Tier und Mensch“: Fünfzig Milliliter fürs Kleinpferd, neunzig Milliliter fürs Großpferd, auf den Menschen passen zwanzig. Wir sprühten uns ein und dufteten wie fünf Zitronenbäume.

Weißt du noch, unsere Fahrt über die Dörfer? Wie ausgestorben alles war?

Wir werden uns daran erinnern, wie wir nach Vertus fuhren und dort nichts erleben, außer dass die Boulangerie schloss, als wir ankamen. Entgeistert standen wir vor verschlossenen Türen und drückten unsere Nasen platt – die Macarons unerreichbar und wir untröstlich. Wir fuhren daraufhin zu einem Champagnerwinzer, verköstigten vier Sorten, kauften drei und fühlten uns wieder besser.

Weißt du noch, die Baguettes in den Mehlsäcken?

Wir werden uns daran erinnern, wie es zwei unserer Männer trotz mäßigen Französischs gelang, die Bäckerei zu dreimaliger Lieferung von Baguettes und Croissants zu überreden. Die Baguettes kamen in Mehlsäcken und dufteten köstlich. Croissants hatten sie wohlweislich mehr bestellt, als wir Reisende waren. Es blieb an keinem Tag etwas übrig.

Weißt du noch, wie wir einfach beieinander waren?

Wir werden uns nicht mehr daran erinnern, worüber wir sprachen, aber wir werden noch wissen, dass wir Gespräche führten über große und kleine Dinge des Lebens, Freuden, Zweifel und Alltägliches. Mehr als unser Kopf wird unser Herz wissen, wie es uns gefiel, befreundet zu sein und diese Freundschaft zu feiern, mit diesem Aufenthalt, ohne Programm. Denn das Programm waren wir selbst.

Wir werden uns an all dies erinnern, wenn wir in unseren Lehnstühlen sitzen und nicht mehr reisen können – oder vielleicht nicht mehr reisen wollen, weil wir so voll sind von Erlebnissen, dass wir sagen: Jetzt ist es genug, jetzt genügen die Erinnerungen, denn sie sind schön und ohne Beschwernis.


Serviceblog | Chateau de Pleurs, Rue du Château, 51230 Pleurs, Frankreich. Buchbar über Olivers Travels oder Airbnb France. Man kann nur das ganze Schloss mieten, die Nacht kostet 1.515 Euro – geteilt durch die Anzahl der Personen, mit denen man reist. Wir waren noch zum preiswerteren 2019er-Kurs dort. Wenn Sie es wie wir machen und eine WG-Kasse eröffnen, aus der Sie Essen und Trinken bezahlen, rechnen Sie mit etwa 40 Euro pro Person für drei Tage, Kinder die Hälfte.

Landfrauenorden | Am Wochenende verdiente ich mir den Goldenen Landfrauenordnen: Ich verarbeitete einen riesigen Beutel Klaräpfel und einen Eimer Brombeeren.

Vielleicht haben wir im Winter nicht ausreichend Gas und müssen wir frieren, aber ich habe Marmelade und Apfelmus.

Ich probierte auch spontan aus, Apfel-Chutney zu machen. Das führte zu einem ganz guten Ergebnis; leider hatte ich nur noch vier Zwiebeln im Haus. So wurden es nur vier Gläser.


Freibad | Am Sonntagmorgen fuhr ich ins Freibad. Der Himmel war bedeckt, aber es war dennoch ausreichend warm. Perfektes Schwimmwetter ohne Sonnebrandgefahr.

Freibad ist für mich ja die Speerspitze der Entspannung. Ich bin draußen, es weht meist ein leichter Wind, und das Wasser ist eine Erfrischung (im Hallenbad hingegen herrscht immer feucht-drückende Hitze, es ist laut, und die künstlich-traurige Tropik, die verstaubte Kunstpflanzen schaffen, macht die Sache nicht besser).

Im Wasser selbst stellt sich schnell ein meditatives Gefühl ein: Die Welt rückt von mir ab. The person you have called is temporarily not available: Nirgendwo geht das so gut wie im Wasser des Freibad.

Ich fand schnell meinen Rhythmus und zog 40 Bahnen. Auf der Nebenbahn hatte sich ein Damenklübchen eingefunden – Frauen zwischen Fünfzig und Sechzig, die sehr gut schwimmen konnten. In Sport-Bikinis und Renn-Badeanzügen kraulten sie durchs Becken. Ich versuchte mitzuhalten. Gutes Training.


Nass | Am Sonntagabend regnete es, die Nacht hindurch auch. Wunderbar! Endlich ist der Garten mal so richtig nass. Das hatten wir lange nicht mehr.


Bämm | Ein Knoten ist geplatzt, gedanklich. Hallelujah.


Und sonst | Nilsson saß neben Kräutern, während ich Gin trank.

Hund auf der Terrasse, reckt den Kopf in die Luft

Häusliches | Ich habe in den vergangenen Wochen Marmelade – Erdbeere und Johannisbeere – und Apfelmus eingekocht. Einige Gläser sind schon wieder leer, also koche ich bald neue Marmelade ein – Vatta wird Brombeeren pflücken – und bekomme weitere Klaräpfel.

Im Garten hat sich ein Kürbis in den Zaun gequetscht.

Kürbis zwischen Zaunlatten

Er steckt fest und kommt nicht mehr heraus, auch nicht mit Gewalt. Ich werde ihn aussägen müssen – oder an Ort und Stelle zerteilen. Oder er bleibt dort einfach und wohnt jetzt da.

Im Gewächshaus wuchern die Gurken; jeden Tag könnte ich eine Gurke essen, würde ich nicht welche verschenken.


Broterwerb | Ich bin wieder viel im Kontext IT unterwegs, parallel Keynote-Vorbereitungen und Administratives. Die Einkommens- und Umsatzsteuersteuererklärung stehen an. Kein allzu beliebtes Thema, auch wenn es unkritisch ist: Ich habe alles im Buchhaltungsprogramm. Dennoch.


Gelesen | Das Wasser war in jenen Zeiten wärmer: Herr Buddenbohm schreibt über die Phasen des Schwimmengehens mit Kindern. Oder ohne, später.

Ich bin ja direkt in Phase zwei eingestiegen, wobei mir Rutschen ausgesprochene Freude bereiten. Allerdings nur normale Rutschen; es sollte schon zügig gehen, und die Rutsche soll Kurven und Huckel haben, aber es darf keine warnschildwürdige Expressrutsche sein, bei der ich senkrecht in ein Loch falle oder Geschwindigkeiten annehme, die mir das Atmen verleiden. Ich hatte schließlich schonmal Bandscheibe.

Im Kontext Schwimmen und Rutschen sehe ich, dass hauptsächlich Väter mit ihren Kindern rutschen, Mütter weniger. Das Verhältnis Frauen zu Männer liegt optimistisch bei 1:4, auf vier rutschende Männer kommt eine rutschende Frau. Auch spielen Frauen weniger Wasserball oder werfen Kinder in die Luft und ins Wasser. Das verstehe ich einerseits, gerade wenn frau daheim die Care-Arbeit übernimmt; da ist sie froh, einfach nur auf der Decke zu liegen, während der Mann die Kinder müde tobt. Andererseits frage ich mich, welches Frauenbild wir Mädchen und Jungen vermitteln. Ich möchte den Kindern zeigen, dass auch Frauen wild sind und rutschen, schnell kraulen, stark sind und andere in die Luft werfen, beim Wasserball gewinnen und Arschbomben machen, ungeachtet von Körper und Erwartungen an Weiblichkeit.


Werbeblock | Die nachfolgende Werbung ist leicht verwandt mit dem Schwimmthema. Es geht darum, wer man als Frau ist und wie man handelt, allerdings im Arbeitskontext.

Frauen denken oft – nach meiner Erfahrung zumindest öfter als Männer -, es sei gut, immer kollegial zu agieren und möglichst alle Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen. Den Satz: „Ich habe gerne Harmonie um mich herum“, höre ich mehr von Frauen als von Männern.

Manchmal ist es jedoch besser, klare Ansagen zu machen – auch für die Harmonie. Denn Klarheit vermeidet Missverständnisse, ebenso wie Konsequenz und eine Haltung, für die man einsteht. Spätestens, wenn es um Macht und Status geht, gerät kollegiale Kommunikation sowieso an Grenzen.

Das Seminar „Frauen in Führung“ ist eine Seminar für Frauen mit Verantwortung – für Aufgaben, Projekte oder für Personal – und für Frauen mit Interesse an Führungsfragen. Wir sprechen darüber, wann welche Strategien erfolgsversprechend sind. Wir setzen uns auch mit Statuskommunikation auseinander, und es gibt einfache Handreichungen, mit Dominanzverhalten umzugehen. Wer dabei ist, erhält einen Werkzeugkoffer mit Möglichkeiten, in unterschiedlichen Führungssituationen passend zu agieren, und bekommt die Sicherheit, in herausfordernden Situationen souverän zu bleiben. Außerdem: Wann und wie führe ich von oben oder von der Seite? Wie gehe ich damit um, selbst nicht geführt zu werden?

Zwei Tage im Raum Frankfurt/Main am 20. und 21. September 2022.


Gelesen | Marco Balzano: Damals am Meer, aus dem Italienischen von Maja Pflug. Sohn, Vater und Großvater machen sich auf den Weg nach Apulien, um die Wohnung am Meer zu verkaufen. Alle tragen sie Erinnerungen an diese Wohnung mit sich: Zwei sind dort aufgewachsen, der dritte hat alle Ferien dort verbracht. Nun ist sie verfallen. Eigentlich möchte keiner der Drei die Wohnung verkaufen, doch gibt es keinen Grund, sie zu behalten.

Von Marco Balzano habe ich schon Ich bleibe hier gelesen, ein Buch, das mich nicht recht mitgenommen hat. Auch diesmal ging es mir so: Gute Ausgangslage für eine gute Geschichte, aber die Charaktere blieben mir fern, und es fehlte an Esprit.

Die Anreise | „Dafür, dass wir eben so schnell waren, sind wir jetzt ganz schön langsam“, sage ich, als wir auf freie Strecke stehen, und es nicht weitergeht. 

Eine halbe Stunde zuvor, auf dem Weg nach Lüdinghausen, wir fahren gerade an einem Maisfeld vorbei und die Sonne kommt heraus, frage ich: „Wann fährt der Zug?“ – „Halb“, antwortet der Reiseleiter. Ich sehe auf die Uhr. „Das wird aber knapp“, sage ich, „dann haben wir nur noch eine Viertelstunde.“ – „Das wird knapp“, sagt der Reiseleiter. Synchron schalten wir auf ein größeres Ritzel und geben Hackengas. Genau fünfzehn Minuten später fahren wir mit quietschenden Reifen direkt auf den Bahnsteig und in die geöffneten Türen des Zuges. 


Im Zug | Ein Mädchen mit wilden, blonden Locken trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Find your inner Minion“. Eine Frau, die Blondierung herausgewachsen, knallroter Nagellack, schiebt vier goldene, kühlschrankgroße Hartschalenkoffer in den Zug, am Griff Flugetiketten. Zwei Niederländer, ebenfalls mit Fahrrädern unterwegs und routiniert organisiert, blicken während der Fahrt stumm aus dem Fenster. Eine Herrengruppe in Schalke-Trikots trinkt mit erstaunlicher Zielstrebigkeit Sixpacks; bei einem längeren Halt in Coesfeld steigen sie aus und pinkeln gruppendynamisch gegen einen Schmetterlingsflieder.

Angekommen in Gronau lobt ein Mann, zwei Meter groß, Bartschatten, Typ Kuschelbär, mein Fahrrad. Er liebe tolle Fahrräder, sagt er , er komme aus Dortmund, vier seien ihm schon geklaut worden. Ich sage, dass ich auch aus Dortmund komme. „Dann treffe ich doch dort vielleicht mal, Inshallah. Ich kann tolles Essen kochen.“ In dem Moment schiebt sich der Reiseleiter hinter einem Wagenstandsanzeiger hervor. „Dein Freund?“, fragt der Bär. In seinen Augen erlischt ein Leuchten. Doch dann erwacht Kampfgeist. Er zeigt auf den Reiseleiter. „Kann der kochen?“ Ich nicke. Der Bär streckt seine Brust vor. „Aber ich kann besser kochen.“


Geschmeidigkeit | Fahrradfahren in den Niederlanden unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Fahrradfahren in Deutschland: Man bangt nicht um sein Leben.

Als wir die Grenze überqueren, ist der Radweg plötzlich betoniert, glatt betoniert, ohne Wurzelwerk und Hindernisse, breit und auslandend, und er führt immer weiter: durch Felder und Wiesen, Landstraßen entlang, durch Kreisverkehre, mit Richtungs- und Fahrbahnwechseln. Es gibt Ampeln für Fahrräder, Beleuchtung und Pfosten, an denen man sich festhalten kann, ohne abzusteigen. Alles ist so durchdacht, die Fahrt so geschmeidig, man möchte weinen.

Als wir nach Deventer hineinfahren, aus dem Vorort in die Innenstadt, haben wir eine grüne Welle. Auf dem Rückweg entdecken wir, warum: Jeweils 30 Meter vor der Kreuzung fahren wir über einen Anforderungskontakt. Die Autos müssen halten, und wir haben freien Weg. Es ist fantastisch.


Flüsse und Hügel | Gibt es einen Berg, neigen die Niederländer dazu, direkt ein Naturschutzgebiet drumherum zu legen, hier wie dort. Kilometer um Kilometer fährt man durch Heide, Wald und Ginster, vorbei an Birken, Eichen und Kiefern. Der Boden ist sandig. Es geht auf und ab, aber eben auch bergauf. Man wundert sich, schließlich sollte hier doch alles flach sein, so erwartet man das.

Zweimal kreuzen wir auf kleinen Fähren die Ijssel, Fußgänger zahlen einen Euro, mit Fahrrad einszehn. Wir kommen an einen Badesee. Am Natuurzwemmen Lathumse plas springen wir ins Wasser. Das Ufer fällt sofort steil ab. Am Ufer flirrt die Hitze, das Wasser ist schön kalt.

Auf dem Weg gibt es Cafés. Nicht so viele, wie man sich wünschen würde, aber ausreichend. Ein Lokal trägt den Namen „Bike & Eat“ , mein Motto. Wir trinken alkoholfreies Bier, der Elektrolyte wegen.


Die Rückreise | Die Strecke von Emmerich zurück nach Haltern könnte schön sein – gäbe es mehr Züge. Doch zwei Verbindungen fallen aus, andere verspäten sich; einige Linien werden bis September gar nicht bedient, sie sind komplett aus dem Programm genommen: Personalmangel. So schlagen wir uns durch, gemeinsam mit hunderten anderen. Es ist bummsvoll in den Zügen. Handys plärren, Hunde bellen. Das Mitführen von Gepäck, Kinderwagen, Fahrrädern, Rollstühlen oder Rollatoren ist nicht vorgesehen, schon gar nicht zum gleichen Zeitpunkt. Man arrangiert sich und möchte danach in Sterilium baden: Es hat sich noch nicht herumgesprochen, dass man zum Sprechen und Husten die Maske auflässt – wenn man denn eine trägt. Eine Haltung christlicher Nächstenliebe ist gefragt: Um diese Fahrt zu genießen, muss man Menschen mögen wollen.

Es stellt sich heraus, dass Oberhausen einen gar nicht mal so schönen Bahnhof hat. Die Getränkeautomaten sind leer, auf dem Nachbargleis kollabiert eine Frau; Menschen helfen. Der Kiosk in der Unterführung hat noch kalte Cola vorrätig, immerhin. Auch Gelsenkirchen ist nicht hübsch; doch von hier fährt der Regionalexpress – und er fährt tatsächlich, sogar fast leer. Nur weg.

Bahnhof Oberhausen, trostloser Bahnsteig, darüber fliegt eine Taube
Wunderschönes Oberhausen

Zu Hause, nach einer kalten Dusche und einem noch kälteren Radler, geht’s dann schon wieder. Der Reiseleiter erwärmt eine Pizza. Bike & Eat.


Serviceblog | Etappen:

Von Haltern nach Lüdinghausen, circa 10 Kilometer. Von Lüdinghausen mit dem Zug nach Gronau. Von Gronau über Losser nach De Lutte, circa 20 Kilometer

Von De Lutte nach Deventer über Oldenzaal, Borne, Bornerbroek, Enter, Rijssen, Nationaal Park de Sallandse Heuvelrug, Okkenbroek und Lettele, circa 70 Kilometer

Große Kathedrale und ein Platz davor

Von Deventer nach Emmerich über Epse, Gorssel, Klaerenbeek, Loenen, Nationaal Park Veluweezoom, Rheden, Lathum, Zevenaar und Elten, circa 70 Kilometer. Von Elten mit diversen Zügen, wie gerade verfügbar, nach Haltern. Von dort raus aufs Dorf, nochmal 10 Kilometer.


Uns Uwe | „Wir sind noch im Spiel, Digga.“ – „Ja, noch sind wir im Spiel.“



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