Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Lebenslage«

Das nächste große Ding

8. 01. 2013  •  83 Kommentare

Vergessen Sie Hochseilgärten, Survival-Trainings und Ultraläufe. Es gibt größere Herausforderungen: Legen Sie sich einen Bandscheibenvorfall zu und schaffen Sie sich gleichzeitig einen grundständigen bronchialen Infekt mit ordentlich Husten an. Weil das hier ein Serviceblog ist, habe ich das für Sie mal ausprobiert.

Das Erste, was Sie beachten sollten, ist, dass der Rückenschmerz so richtig schön ins Bein zieht. Auch Taubheitsgefühle sind nützlich, sie verstärken das Erlebnis. Am besten ist, wenn Sie gar nicht auftreten können, dann wird es so richtig schön.

Das Zweite, was von Bedeutung ist, ist die Intensität des Hustens. Er sollte gut fest sitzen – erst, wenn sie bereits etwa zehn Minuten husten, sollte der erste grünlich-harte Auswurf kommen. Achten Sie darauf, dass es Sie zwischendurch so richtig packt und Sie einen soliden, reflexhaften Hustenanfall bekommen, den Sie nicht mehr kontrollieren können. Dann ist das Erleben besonders nachdrücklich.

In Zusammenhang mit dem eingeklemmten Nerv ergeben sich dann außerkörperliche Erfahrungen, die Sie so schnell nicht vergessen werden. Es kann sogar sein, dass Sie einmal am eigenen Leib erleben, was es heißt, Sternchen zu sehen. Seien Sie aber nicht zu streng: Es leuchtet dann nicht die strahlende Venus über Ihnen, vielmehr handelt es sich um diffuse Lichtpunkte. Sollte es dazu kommen, halten Sie sich vorsichthalber an einer Anrichte oder Kommode fest, optimalerweise so, als stützten Sie sich auf einen Triathlonlenker, denn es kann sein, dass Ihnen auch das zweite Bein wegsackt. Im ersten haben Sie ja eh schon kaum Gefühl.

Nun der Haken: Wie Sie sich für dieses besondere Event anmelden, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber vielleicht erwischt es Sie ja so wie mich, aus heiterem Himmel.

Sauschwerer Männerschnupfen

27. 12. 2012  •  24 Kommentare

Es gibt ja mehrere Abstufungen von Schnupfen:

  1. Schnuppen
  2. Schnupfen, richtig
  3. Männerschnupfen
  4. schwerer Männerschnupfen
  5. sauschwerer Männerschnupfen

Die letzten beiden müsste man eigentlich zusammenschreiben, denn es handelt sich streng genommen um eigene Krankheiten mit besonderem Gefährdungsgrad: Schwerermännerschnupfen, Sauschwerermännerschnupfen.

Das Christkind hat mir dieses Jahr Sauschwerenmännerschnupfen gebracht – und ich beschreibe Ihnen das jetzt nur so genau, damit Sie gewarnt sind, falls sie ähnliche Symptome fühlen. Es fing an mit leichtem Hüsterchen. Trügerisch! Ich dachte erst nur, die Luft wäre trocken. Aber Hustekuchen!

An Heiligabend ging’s dann richtig los: Heißer Kopf! Donnerhusten! Alles zu! Am ersten Weihnachtstag: Stabilisierung der Situation. Ich dachte: Wunderbar, nur ein normaler Männerschnupfen – leidig, aber unbedenklich. Aber dann, zweiter Weihnachtstag: Kopf noch heißer! Delirium! Rotz ohne Ende!

Wiegen Sie sich beim Sauschwerenmännerschnupfen also nie in Sicherheit.

Frohe Weihnachten!

25. 12. 2012  •  12 Kommentare

Liebe Gäste des Kännchencafés,

ich wünsche Ihnen fröhliche und geruhsame Weihnachten, entspannte Stunden mit der Familie, gutes Essen, viele Kekse, wenig Bauchweh und, falls Sie eine weite An- und Abreise haben, eine gute Fahrt ohne Pannen.

Wärme schenken

21. 12. 2012  •  23 Kommentare

In der Innenstadt, vier Tage vor Heiligabend.

Waerme schenken

Was ein Symbolbild, denkt man sofort: das Nachtlager des Obdachlosen, ausgerechnet unter diesem Werbeplakat.

Ich gehe jeden Tag an diesem Geschäft vorbei. Das Lager gehört einem jungen Mann, der nachts dort schläft; nach Ladenöffnung rückt er fünf Meter weiter und setzt sich auf seine Decken. Dieser Tage, an denen es kalt ist und regnet, legt er sich tagsüber zwei Decken über den Körper, die Beine sind meist zur Brust gezogen, ein Pappbecher für Münzen klemmt zwischen seinen Knien. Der Regen legt sich auf die Decken und bleibt in kleinen Perlen zwischen der Wolle liegen. Desgleichen der Schnee, der im März und in der vergangenen Woche fiel.

Abends rückt er zurück in den Geschäftseingang und bereitet sich für die Nacht vor. Würde er nicht dort sitzen, man hielte ihn für einen Studenten oder einen Handwerksgesellen. Er ist vielleicht 25 Jahre alt, höchstens 30. Manchmal trägt sein Gesicht Schorf, ab und an hat er neue Schuhe. Er liest viel, während er dort sitzt. Eine Hand hält immer ein Buch.

Seit zehn Monaten gehe ich jeden Werktag an ihm vorbei; seit zehn Monaten sitzt er dort. Er bewegt sich nicht viel von diesem Ort fort, denn egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit ich dort entlang gehe – und ich gehe mehrmals am Tag dort entlang -: Er ist fast immer dort. Nur wenn ich morgens zehn Minuten früher dran bin, so wie heute, ist er nicht da. Es scheint, als sei er in den vergangenen 300 Tagen nirgendwo anders gewesen.

Liebe Nessy,

18. 12. 2012  •  39 Kommentare

Danke für Deinen Post.

[Dies ist die Reaktion des Bundesfamilienministeriums auf meinen Blogbeitrag. Herzlichen Dank dafür! Ich habe den Kommentar in einen eigenen Artikel gehoben. Die einzelnen Punkte habe ich der Übersichtlichkeit halber gefettet, sonst habe ich alles so belassen.]

Kurze Vormerkung: Die Studie des BIBB ist gar nicht in unserem Auftrag erstellt worden. Deshalb haben uns die Ergebnisse genau so wenig überrascht wie Dich. Und: Wir investieren weit über 4 Milliarden Euro in den Ausbau der Kinderstagesbetreuung (obwohl der Bund dafür gesetzlich gar nicht zuständig ist, aber das lassen wir an dieser Stelle mal). Im Übrigen gehören auch wir (das “Twitter-Team”) zu den Mitt- und Enddreißigern ;) Damit Du weißt, wer hier schreibt.

1. Wir wollen, aber können nicht.

> Richtig. Deshalb haben wir ein Programm zur ungewollten Kinderlosigkeit aufgesetzt, einschließlich einer besseren Förderung von Kinderwunschbehandlung.

Die betreffende Förderrichtlinie ist zum 1. April 2012 in Kraft getreten. Damit stellt der Bund 7 Millionen Euro für das laufende Jahr und 10 Mio. für 2013 Euro zur Unterstützung ungewollt kinderloser Paare zur Verfügung. Zurzeit arbeiten wir daran, dass sich möglichst viele Bundesländer daran beteiligen. Gemeinsam mit den Ländern soll der Eigenanteil der Paare – also der Teil, den die Krankenkassen nicht übernehmen – deutlich gesenkt werden. Konkret: Der Eigenanteil verringert sich in aller Regel um bis 25 Prozent für den ersten bis dritten Versuch (bislang: 50 Prozent). Im vierten Versuch reduziert sich der Selbstbehalt der Familien auf bis zu 50 Prozent (bislang: 100 Prozent), da die Krankenkassen diesen vierten Versuch in der Regel nicht fördern.

Es wird dazu noch in diesem Jahr eine eigene ausführliche Webpage geben, die wir dann natürlich u.a. twittern.

2. Wir haben keinen Partner.

> Tatsächlich ist dies nach Umfragen sogar der Hauptgrund für Kinderlosigkeit. Daran können wir als Ministerium unmittelbar wenig ändern.

3. Einer will, der andere nicht.

> Auch richtig. Wichtig ist hier unseres Erachtens, dass auch Männer sich von überkommenen Rollenbildern verabschieden. Viele Männer wollen das ja, sie wollen eine Familie und sie wollen sich mehr um diese kümmern. Das zeigt sich u.A. auch daran, wie die Partnermonate beim Elterngeld genutzt werden. Inzwischen gehen wir auf die 30 Prozent bei der Väterbeteiligung zu.

Nur: Häufig ist es das soziale – und vor allem das betriebliche – Umfeld, das noch nichts damit anfangen kann, wenn ein Mann um 17:00 geht, weil er die Kinder von der Kita abholen muss. Hier brauchen wir einen kulturellen Wandel.

Wir haben deshalb eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik initiiert, die sich mit Rollenbildern von Jungen und Männern befasst. Und wir haben in der Familienpolitik das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt gestellt. Dazu gehört zum Beispiel die Charta für familienfreundliche Arbeitszeiten. Und auch frauenpolitische Programme spielen hier eine wichtige Rolle, etwa die Förderung von fairen Chancen für Frauen auf Führungspositionen.

Aber richtig ist auch: Ein kultureller Wandel lässt sich nicht verordnen, das ist ein Prozess. Und wir stecken mittendrinn.

4. Wir sind schwul oder lesbisch.

> Viele von uns auch. Nach aktueller Rechtslage können Homosexuelle das leibliche Kind ihres Lebenspartners adoptieren, aber nicht ein von diesem adoptiertes Kind. Diese Frage wird im Übrigen just heute vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt!

5. Wir leben nicht an einem gemeinsamen Ort.

> Ja, erhöhte Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen natürlich auch die Entscheidung zur Familiengründung.

In Deutschland wird dies auch sichtbar am durchschnittlichen Alter bei Geburt: Seit dem Jahr 2003 bekommen in Deutschland Frauen unter 30 Jahren weniger Kinder als Frauen über 30 Jahren. In vier Jahrzehnten ist das durchschnittliche Alter bei der Geburt des ersten Kindes um vier Jahre angestiegen: von 24,9 Jahren 1965 (BRD) auf 28,8 Jahre 2010. Diesen neuen Müttertyp gibt es in allen europäischen Ländern. Allerdings ist in Deutschland der Trend zur späteren Geburt noch nicht zum Stillstand gekommen, in anderen Ländern trotz erhöhter Mobilität schon.

6. Wir müssen arbeiten. 7. Wir wollen arbeiten. 9. Es gibt keine ausreichende Kinderbetreuung.

> Genau deshalb ja der Ausbau der Kinderbetreuung und der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. August 2013: http://www.fruehe-chancen.de !!! Und: Wir haben ein neues Programm „Betriebliche Kinderbetreuung“ gestartet (http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=348). Kein Arbeitgeber kann sich da rausreden.

8. Teilzeitarbeit und Anwesenheitskultur

> Richtig. Diese Anwesenheitskultur ist ein großes Problem (siehe auch Antwort 3). Sie ist auch einer der Gründe für unsere Initiative „Familienbewußte Arbeitszeiten“ (http://www.erfolgsfaktor-familie.de/default.asp?id=516).

10. Die Atmosphäre ist kinderfeindlich.

> Deshalb hat der Bund da, wo er das verfassungsrechtlich kann, die Gesetze geändert. So muss zB Kinderlärm von Spielplätzen oder Kindertagesstätten künftig von Anwohnern toleriert werden und ist keine „schädliche Umwelteinwirkung“ mehr (wie es vorher hieß).

11. Eltern können es niemandem recht machen.

> Stimmt leider. Gerade Mütter gelten wahlweise als „Rabenmutter“ (wenn sie arbeiten gehen und ihr Kind schon früh in eine Kita geht) oder als „Heimchen am Herd“ (wenn sie sich länger als 1 Jahr selbst um das Kind kümmern wollen). Auch hier geht es um Rollenstereotype. Und wir halten BEIDE Zuschreibungen für eine Frechheit.

12. Wir haben die Wahl.

> Und wir wollen, dass neben die Optionen „Kinder“ oder „Karriere“ die dritte Option „Kind und Karriere“ treten kann. Das ist Aufgabe der Politik und der Unternehmen – aber wählen muss jeder selbst.

Beste Grüße!

Liebes Familienministerium,

17. 12. 2012  •  177 Kommentare

du fragst dich, warum meine Generation so wenige Kinder bekommt und hast deshalb eine Studie in Auftrag gegeben.

Das ist insofern bedauerlich, als dass diese Studie bestimmt sehr teuer war und du auch durch Nachdenken zu einem Ergebnis hättest kommen können. Aber Schwamm drüber. Schauen wir lieber in die Zukunft. Damit du demnächst das Geld sparen und es für gute Kinderbetreuung einsetzen kannst, hier mal ein paar Eckpunkte, die uns Mitt- und Enddreißiger im Zusammenhang mit dieser Kindersache bewegen.

1. Wir wollen, aber können nicht.
Unglaublich, aber wahr: Viele von uns möchten sehr gerne Kinder haben – können jedoch keine bekommen. Weiß der Geier, was im Einzelnen der Grund dafür ist, aber ich kenne einige Paare, die schon lange nicht mehr verhüten. Trotzdem stellt sich keine Schwangerschaft ein.

2. Wir haben keinen Partner.
Desgleichen kenne ich viele Menschen, denen der Partner oder die Partnerin fehlt. Mal liegt es an den Männern, die mit Mitte 30 noch den Lebenswurf von 16-Jährigen haben, mal an den Frauen, die kein Auge für Normalos haben und sich einen Prinzen auf dem Pony wünschen. Mal liegt es auch an den Umständen, an häufigen Jobwechseln, an Schichtarbeit, Umzügen, am sich ständig wiederholenden Sich-neu-einleben – oder daran, dass wir müde werden auszugehen, weil wir einfach erschöpft sind von all den Ansprüchen, denen wir genügen sollen.

3. Einer will, der andere nicht.
Oft ist es der Mann, der nicht will – so zumindest mein Eindruck quer durch den Bekanntenkreis. Kinder? Lieber nicht, zu anstrengend, zu unbequem. Bei einer Trennung hat er oft keinen Anspruch mehr aufs Kind, muss aber Unterhaltszahlungen leisten. Oder: Er würde sich gerne fortpflanzen, aber nur, wenn er keine Abstriche machen muss. Das macht sie aber nicht mit. Also bleibt das Paar kinderlos, oder wir sind wieder bei Punkt zwei.

4. Wir sind schwul oder lesbisch.
Dann gibt es noch die (gar nicht so kleine) Gruppe derer, die gerne Kinder hätte, aber keine bekommen kann – und auch keine großziehen soll, zumindest nach Willen der Politik. Ich kenne sowohl schwule als auch lesbische Paare, die gerne Kinder erziehen würden.

5. Wir leben nicht an einem gemeinsamen Ort.
Ihr im Familienministerium, ihr pendelt doch bestimmt viel. Guckt euch mal an, wer freitags und sonntags am Bahnsteig steht, zwischen den Kegelclubs. Oder wer über die Autobahn brettert. Das sind alles junge, gebährfähige Menschen. Menschen, die pendeln, um Beruf und Partnerschaft unter einen Hut zu kriegen. Genau die, die so begehrt sind, weil sie mobil sind; die, die in ihrer Heimat keine Anstellung finden; oder die, bei denen es Teil des Jobs ist: Studenten, Handwerker, Manager, Projektleiter, Arbeiter auf Montage, Soldaten, Fernfahrer. Bekommen sie Kinder, ist einer der Partner unweigerlich allein erziehend. Oder die Frau muss ihren Job aufgeben, weil sie zum Partner zieht – denn umgekehrt wäre es ja Schwachsinn: Ihr Gehalt fällt nach der Geburt schließlich erstmal aus.

6. Wir müssen arbeiten.
Es ist eine gern genommene Phrase: Ein Kinderlachen entschädigt für alles. Das mag stimmen, wenn wir von durchwachten Nächten reden. Aber nicht, wenn es um die Existenz geht. Ich kenne kaum einen in meinem Alter (und wenn, dann sind es in der Mehrheit Männer oder LehrerInnen), die einen unbefristeten Job haben. Was passiert, wenn frau schwanger wird und der Arbeitsvertrag regulär endet, ist leicht auszumalen. Die Tatsache, dass Frauen Mitte 30 bisweilen, sagen wir, kuriose Bewerbungsgespräche führen müssen, verstärkt diesen Eindruck. Okay – man könnte argumentieren: Ist ja kein Problem – der Partner hat einen Job, die Frau bleibt eh erstmal zu Hause und stillt. Das stimmt – aber was kommt nach Ende des Elterngeldes? Viele Paare, auch Akademiker, haben das Problem, dass ein Gehalt nicht ausreicht, schon gar nicht in Großstädten, wo aber die Arbeit ist.

7. Wir wollen arbeiten.
Wir sind keine Arbeiter- oder Agrargesellschaft mehr. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft, viele von uns leben vom Denken, vom kreativen Schaffen, vom Erfinden oder Verbessern von Produkten, von der Forschung, vom Verkauf. Arbeit ist nicht nur Maloche, Arbeit ist auch ein Stück Persönlichkeit. Wir arbeiten gerne, weil wir gerne gestalten. Oder weil wir gerne mit Menschen zusammen sind, gerne Menschen helfen. Das hört mit der Geburt eines Kindes nicht auf.

8. Teilzeitarbeit und Anwesenheitskultur
Selbst Freunden, die in großen Konzernen arbeiten, wurde Teilzeitarbeit abgelehnt – „das geht bei uns in der Abteilung nicht“. Wenn Teilzeit möglich ist, gehören eine berufliche Weiterentwicklung und Verantwortung oft der Vergangenheit an. Besonders Frauen sind in Teilzeit nicht mehr „die Fachkollegin, die Projekt Y betreut“, sondern nur noch „unsere Teilzeitkraft Frau B.“, als ob jegliche Qualifikation mit der Geburt des Kindes abhanden käme. Hinzu kommt die Anwesenheitskultur: Als fleißig gilt, wer lange da ist.

9. Es gibt keine ausreichende Kinderbetreuung.
Nehmen wir nur mal eines der größten innerstädtischen Einkaufszentren Deutschlands, den Limbecker Platz in Essen, eröffnet im Jahr 2009. Wie kann es sein, dass fast 80.000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen, 200 Geschäfte, ein Center, in dem rund 2000 Menschen arbeiten – und die Betreiber erhalten nicht die Auflage, Betreuungsplätze für die Kinder dieser 2000 Menschen einzurichten? Wo sollen die Verkäufer und Verkäuferinnen bis zum Verkaufsende um 22 Uhr ihre Kinder betreuen lassen? Die Kinderbetreuung in Deutschland ist ein Witz, ist zu teuer und basiert immer noch auf dem Gedanken, dass um 16 Uhr Feierabend ist oder die Oma es zur Not richten wird. Aber viele meiner Freunde, ich eingeschlossen, müssen auch mal länger arbeiten, müssen flexibel sein, wohnen nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern. Oder die Eltern arbeiten selbst noch. Oder sind krank. Oder bereits tot.

10. Die Atmosphäre ist kinderfeindlich.
Anwohner klagen gegen Kitas, gegen Spielplätze, gegen spielende Nachbarskinder. Eine fünfköpfige Familie findet in der Stadt kaum bezahlbaren Wohnraum. Die Bürgersteige sind zugeparkt mit Autos, kein Kind kann mehr auf der Straße spielen, nicht mal mit dem Kinderwagen kann man zwischen Beifahrertür und Hauswand entlangschieben, weil alles dicht ist. In den U-Bahnen funktionieren die Aufzüge nicht, beim Tragen hilft niemand. Lacht ein Kind dort oder schreit es: genervte Blicke. Mehrwertsteuer auf Hundefutter: sieben Prozent, auf Babynahrung: 19 Prozent. Eine Kita-Gebühr, die schon im ersten Monat alles übertrifft, was man jemals für sein Studium bezahlt hat. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, aber ihr wisst, was ich meine.

11. Eltern können es niemandem recht machen.
Arbeiten Frauen, sind sie Rabenmütter. Bleiben sie zu Hause, sind sie Glucken. Nehmen Männer Elternzeit, können sie ihre Karriere begraben. Nehmen sie sie nicht, sind sie egoistische Machos. Eine Mutter soll stillen, aber nicht länger als sechs Monate, sonst klammert sie. Stillt sie nicht, wird das Kind ein fettleibiger Allergiker mit Bindungsstörung. Spielen die Kinder im Hof zu laut, sind es schlecht erzogene Gören. Spielen sie drinnen, sind es computerabhängige Psychopathen. Man kann sich jetzt hinstellen, den Eltern ermunternd auf die Schulter klopfen und ihnen raten: Schert euch nicht darum, was andere sagen. Doch permanente Beurteilung, gerade wenn sie nicht wohlwollend ist, zermürbt – auch bei dickem Fell.

12. Wir haben die Wahl.
Die Pille wurde in den 60ern erfunden. Unsere Eltern sind die erste Generation, die sie angewendet hat, alle Generationen davor konnten das Kinderkriegen nicht sicher verhindern. Wir sind dementsprechend die erste Generation, die von Eltern erzogen wurde, die uns das Bewusstsein dieser Wahlmöglichkeit mit auf unseren Weg gegeben haben. Außerdem sind wir die erste Generation, in der Mann und Frau nicht nur auf dem Papier gleichberechtigt sind, sondern die diese Gleichberechtigung auch bewusst leben möchte; in der Frauen wie Männer in gleichem Maße Abitur machen, ein Studium aufnehmen und mit gleichen Amibitionen ins Berufsleben starten, in der Frauen finanziell unabhängig sind und in der sie bewusst entscheiden. Wir haben die Wahl – und wir machen davon Gebrauch.

Männer auf dem Weihnachtsmarkt

10. 12. 2012  •  34 Kommentare

Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es viele Männer: junge und alte, große, kleine, dicke, dünne, langhaarige und glatzköpfige, betrunkene und nüchterne, fröhliche und genervte, in Gruppen oder allein, Glühwein trinkend oder Reibekuchen essend.

Und es gibt diese bestimmten Männer. Mittelalte Männer, meist untersetzt, deren Frauen mikroskopisch kleine Nikolaushütchen im antoupierten Haar tragen. Ihre Arme werden von einem Strauß massiv ausgebeulter Plastiktüten in die Tiefe gerissen, Tüten voller Einkäufe, die sie zwar bezahlt haben, die ihnen aber nicht gehören, von denen sie nichts abbekommen werden, sie dürfen sie nur zum Auto tragen, später, nicht zwischendurch, eine Tüte geht noch, stell dich nicht so an, so schwer sind sie nun auch wieder nicht, wofür habe ich dich eigentlich.

Es sind Männer, die ebenso wie ihre Frauen roten Mützen tragen, allerdings große Mützen, Mützen mit einem Sternenkranz, der von ihrem linken zu ihrem rechten Ohr und wieder zurück blinkt. Sehr lustig ist das, Partnerlook, und das Blinken, hihi, was ein Spaß! Die Batterie hängt ihnen aus dem Hinterkopf, ein weißer Kasten, es scheint fast, als sei es eine Art Schrittmacher – oder der Empfänger einer Fernbedienung, je nachdem.

Da stehen sie also in Gruppen beisammen, meist zwei, selten drei oder vier, während ihre Frauen sich am Glühweinstand besaufen, das Hütchen der Damen sitzt bombenfest in einem Haarspraynest, es könnte ein Wirbelturm kommen, es bliebe dort auf ewig. Die Männer haben keine Hand frei, nicht einmal für ein Würstchen, sie dürfen die Tüten nicht absetzen, denn dann kippen sie um oder werden nass, jemand tritt dagegen und die Sammeltasse für Oma wird beschädigt, sie dürfen sie auch nicht an den Haken unter dem Stehtisch hängen, denn dann werden sie die Einkäufe am Ende noch vergessen, das kennt man ja, das ist ihnen doch letztens erst passiert, vor elf Jahren.

Ihre Schultern sind eingesunken, ihr Rücken ist gebeugt, es mag an den schweren Tüten oder am Leben liegen, vielleicht sitzt auch nur der Herrenmantel ungünstig, ein bisschen sackartig, man vermag es nicht zu sagen. Ihre Stirn blinkt, ihre Batterie wird nie leer, der Spaß ist sparsam. Sie unterhalten sich leise, tauschen sich aus über ihr Schicksal, während die Frauen krachend ihre Weihnachtsmarkttassen aus fester, dicker Keramik gegeneinander prosten und gackernd lachen. Die Tasse werden sie später nicht zurückgeben, sondern mit nach Hause nehmen, denn es ist eine Motivtasse, jedes Jahr anders, sie werden sie zu den Tassen der vergangenen Jahre ins Küchenregal stellen.

Die Männer, sie haben sich in ihr Schicksal gefügt, nur jetzt oder für immer, wer weiß das schon.

Dezember-Endspurt

9. 12. 2012  •  35 Kommentare

Dass Sie nichts von mir hören, liegt daran, dass ich gerade furchtbar viel zu tun habe.

Es beginnt damit, dass ich zu blöd war, meinen Jahresurlaub bis zum Dezember aufzusparen. Die Kollegen haben das allesamt geschafft, weshalb sie nun der Reihe nach ihren Resturlaub abbauen und ich währenddessen die Stellung halte. Vielleicht kennen Sie das. Es ist ein bisschen wie Arbeiten am Brückentag, niemand ist da, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied einer „Das muss noch vor Weihnachten fertigwerden“-Stimmung.

Dann die Sache mit den Weihnachtsgeschenken. Ich habe inzwischen immerhin ein Konzept geschrieben. Habe also einen Zettel genommen und draufgepinnt, was ich wem schenken könnte. Es fühlt sich fast so an, als hätte ich schon eingekauft. Jetzt nur nicht nachlassen.

Diese Jahr habe ich auf einen Adzventzkrantz verzichtet. Ist auch Quatsch. Am dritten Advent ist die erste Kerze schon abgebrannt, stellt man eine neue auf, ist die erste größer als die dritte, das zerstört das Originaladzventzkrantzgefühl. Also nix. Nur die Pyramide. Und die Krippe, aber ohne Jesus. Jesus liegt bis zum 24. Dezember in der Küchenschublade.

Außerdem esse ich immer noch an meinem Gazpacho. Aktueller Pegelstand: Liter sieben von zehn. Die Kollegen (also die verbliebenen) haben sich an den Knoblauchgeruch gewöhnt, begrüßen den Wombat täglich mit einem Kopfnicken und atmen stoisch schweigend durch den Mund.

Weihnachtsmarkt ist übrigens für die Füße. Wenn ich die Wahl habe zwischen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt und Bier im Stadion, nehme ich auf jeden Fall Bier im Stadion. Ich glaube, ich sagte das schonmal.

Neues Waschmittel ausprobiert und direkt mal die Trikots damit gewaschen. Am nächsten Spieltag werden wir alle dezent nach Elfenpups riechen. Das wird den Gegner fertigmachen.

Domino Day

15. 10. 2012  •  45 Kommentare

Heute morgen war ich dann doch nicht mehr so frisch.

Meine Füße waren viel weiter unten als sonst, auf Socken musste ich verzichten, und alles, was herunterfiel, war verloren. Natürlich fiel mir sehr viel herunter, erst der Zahnpastadeckel, dann das Haargummi, dann das Küchenmesser.

Ich machte mich also auf den Weg zu Doktor Knack. Doch Doktor Knack, der einzig Wahre, ist mittlerweile in Rente, es gibt jetzt Knack 2.0, der zwar nicht ganz so fesch ist wie Doktor Brinkmann, aber trotzdem recht schnittig – außerdem motiviert und zugetan, als frischer, neuer Praxis-Inhaber. Er legte mich auf eine Liege, es machte *knack, *knack, *knack, *knack – Domino Day in meinem Rücken. Er riet mir, fürderhin großzügig spazieren zu gehen, das sei gut für die Genesung, außerdem verschrieb er mir Ibu600, das fördere die Heilung und beruhige die gereizte Stelle.

Ich nahm also das Ibu und ging in die Natur, tanzte ein wenig und umarmte ein paar Bäume. Ein prima Trip, wenn man sonst nie Medikamente nimmt.

Nun bin ich wieder daheim und hebe erstmal auf, was mir heute morgen heruntergefallen ist. Das geht nämlich jetzt.

Die Sache mit der Waschmaschine

14. 10. 2012  •  52 Kommentare

Meine Waschmaschine musste in den ersten Stock, es half alles nichts.

Mein Vermieter wollte sie nicht mehr im Keller stehen haben, warum auch immer, es lohnt sich nicht, das auszudiskutieren. Also musste das Ding hoch in mein Bad. Wir montierten die Schläuche von den Hähnen, ich ging in die Knie, wie sich das gehört, bloß nicht aus dem Rücken heben, sondern bitteschön aus den Beinen. Wie ich mich und die Waschmaschine dann hochdrückte, machte es vernehmlich „Knack“ im Rücken, und ich war kurzfristig überzeugt, dass mir jemand mit einer Schaufel die Lendenwirbel zerhackt.

Wie ich mich allerdings schonmal aufgerichtet hatte, die Waschmaschine am langen Arm, war es eigentlich ganz okay – stehen war in Ordnung, nur das Treppensteigen lief ein bisschen unrund. So trugen wir die Maschine ins Bad. Nach dem Absetzen begann dann das Leiden, das mich schließlich in die Notaufnahme führte – diesmal, im Gegensatz zu meinem letzten derartigen Ausflug, immerhin bekleidet.

Es begrüßte mich ein junger Arzt. Er hatte einen Händedruck, als hätte er mir einen schlaffen Penis in die Hand gelegt, es schüttelte mich leise. Ich erklärte ihm, was geschehen war. Aha, sagte er, das sei ja nicht schön. Ich sagte, in den Beinen sei nichts taub oder so, alles super, nur im Rücken eben, dort ginge gar nichts mehr. Aha, meinte er, er wisse jetzt auch nicht, was man da tun könne, vielleicht ein Schmerztropf, dann müsse ich aber stationär bleiben, ob ich nochmal auf und ab gehen könne. Ich ging wie gewünscht auf und ab. Mmmmh, machte er nachdenklich, das sei ja kein schönes Gangbild, „was meinen Sie denn dazu?“ Ich sagte: Nein, nicht schön. Er sagte: Tja, und kratzte sich am Kinn, „wollen Sie nun bleiben, oder was sollen wir tun?“. Ich sagte: Auf Wiedersehen – und ging ins nächste Krankenhaus.

Dort öffnete mir ein junger Udo Brinkmann in persischer Ausführung die Tür, sein Händedruck war fest, seine Augen waren groß und dunkel, seine Unterarme kräftig. Er sagte, das Illiosakralgelenk sei blockiert, das sei samstags nichts Seltenes, dauernd trüge jemand Waschmaschinen, ich möge mich bitte vorbeugen. Er spritzte mir eine Zauberdroge in den Rücken, ich habe sie hinterher ergoogelt, Triamcinolon, es war fantastisch. Nach nur zwei Minuten konnte ich aufrecht gehen, mir fiel auf, dass ich eine Jogginghose trug und überhaupt ziemlich nach Samstag aussah, und ich war sehr beeindruckt von so viel Kompetenz und Schönheit. Er drückte mir noch zwei Pillen in die Hand, für die Nacht und für weitere Schmerzen, schüttelte noch einmal feste meine Hand, ich war hin und weg, natürlich wegen der Spritze und nichts anderem, und er schubste mich in den Gang hinaus.

Heute habe ich dann einen kleinen Genesungsspaziergang gemacht, die große Laufrunde durch den Wald. Jetzt ist alles wieder locker und frisch, und die Waschmaschine macht schon ihre dritte Tour.



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