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Nachbarschaftsfest und Christopher Street Day im kleinen Städtchen, Brutalismus und humanistische Bildung, Tomatensoße und das Gefühl von Sicherheit

22. 08. 2023  •  12 Kommentare

Nachbarschaft | Ich habe die Nachbarschaft kennengelernt: Es gab ein Nachbarschaftsfest. Seit meinem Umzug im Januar bin ich zwar Teil einer WhatsApp-Gruppe und auch schon einzelnen Leuten begegnet, aber es gab bislang keine Möglichkeit, sich ausführlicher bekannt zu machen.

Auf dem Fest lösten sich einige Rätsel auf, zum Beispiel das des Fahrradschuppens. Der Fahrradschuppen ist an eines der Eckhäuser angebaut, und jedesmal, wenn ich an ihm vorbeikomme, tritt eine andere Person heraus; ein Fahrradschuppen wie in der Truman Show, der Startpunkt aller Komparsen. Jetzt ist klar: Die Leute wohnen dort wirklich alle, und die Verhältnisse sind dergestalt, dass ich dem Reiseleiter, der nicht auf dem Fest war und dem ich alles nachträglich erklären musste, sowohl einen Etagenplan als auch einen Stammbaum skizzierte.

Ergebnis des Festes ist, dass ich Mitglied einer Nachbarschafts-Tippspielgruppe bin, in der ich nach dem ersten Spieltag Platz vier von zehn belege. Die ersten drei Plätze bekommen am Saisonende die uneingeschränkte Anerkennung der Gruppe und einen Pokal, der entweder sichtbar in eine Vitrine oder, noch besser, illuminiert in straßenseitige Fenster zu stellen ist. Dass die Gruppe im Wesentlichen aus ehemaligen Fußballerinnen besteht, darunter Bundesliga und Regionalliga, sowie kundigen Rentnern, macht die Sache knifflig. Ich strebe an, nicht Letzte zu werden.


Tomatensituation | Nachdem wir über mehrere Wochen täglich Gurken ernten konnten und sie sowohl uns als auch den Meerschweinen aus den Ohren rauskamen, haben wir jetzt Tomaten ohne Ende. Erstaunlicherweise haben sie kaum Braunfäule, obwohl sie im Freien stehen und es reichlich geregnet hat.

Ich habe also noch einmal Tomatensoße gekocht, große Mengen für schlechte Zeiten, habe sie eingemacht und eingefroren.

Tomatensoße herzustellen befriedigt mich sehr. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Wer eimerweise Tomatensoße besitzt, ist für das Leben mit all seinen Widrigkeiten gerüstet.


Broterwerb | Ich war bei Kunden an verschiedenen Orten in NRW und habe Seminare gegeben und Workshops geleitet.

Bei Workshops ist mein oberstes Ziel, dass es konkrete Ergebnisse gibt, also: Problem –> Lösung + Aufgabenverteilung. Oder: undurchsichtige Gemengelage –> mehr Durchblick + nächste Schritte. „Schön, dass wir darüber geredet haben“ ist etwas für die Feierabendlimo; in der Arbeitszeit sollte es ein Ergebnis geben.

Workshops sind manchmal einfach, weil Problem und Lösung auf der Hand liegen und sich nur alle mal strukturiert dazu austauschen müssen, um ein gemeinsames Bild zu haben und zu klären, wer jetzt was macht. Bisweilen sind sie aber auch ziemlich intensiv und anstrengend für alle Seiten, weil es viele Baustellen gibt, viele Abhängigkeiten zwischen den Baustellen, unterschiedliche Interessen; weil nicht klar ist, wo welche Verantwortung liegt (einschließlich der eigenen) und nicht zuletzt, weil es eine Historie gibt, die zu Frust und Enttäuschung geführt hat.

In der vergangenen Woche hatte ich einen ziemlich intensiven Workshop. Aber wir sind voran gekommen, und es gibt konkrete nächste Schritte. Das ist gut. Danach war ich allerdings ziemlich platt.


Nebensätze | Nach einem Tag Seminar und zwei Tagen Workshop bin ich zu einer Tagung gefahren: der Zukunftstagung der Organisationsberatung Praxisfeld in Remscheid. Mitgestalter des Tages war Prof. Rudolf Wimmer vom Wittener Institut für Familienunternehmen. Er beschäftigt sich mit Führung und Dynamik in Familienunternehmen. Wenn es wissenschaftliche Redebeiträge gibt, ist es für mich immer ein Zeichen, dass die Veranstaltung über anekdotische Evidenz hinausgeht und sich lohnen könnte. Also meldete ich mich an.

Redner auf der Zukunftstagung verschwommen im Hintergrund. Im Vordergrund ein Notizheft.

Sowohl in Weiterbildungen als auch auf Konferenzen sind es immer die Nebensätze, die mir im Gedächtnis bleiben. Hier ein paar davon:

Macht ist nur Kommunikation, ist nur eine Ankündigung: Man nimmt an, es könnte etwas passieren.

Das nehme ich auch in meinen Seminaren zum Thema „Selbstführung“ wahr – und in Einzelberatung mit Kunden: die Tendenz, sich selbst zu blockieren, weil wir jemand Anderen/etwas Anderes als machtvoll empfinden. Beim näheren Hinschauen stellt sich dann heraus: Vieles ist durch unsere Wahrnehmung geprägt; sicher auch durch unsere Erfahrungen. Die Erfahrungen beruhen jedoch oft auf gut gepflegten Handlungsmustern. Was also, wenn wir etwas anders machen? Das, von dem wir denken, was passieren wird, ist keine Bestimmung.

Führung beschäftigt sich mit Positionen, die nicht entscheidbar sind. Wären sie es, könnte man die Lösung einfach ausrechnen.

Ich habe den Satz mitgenommen, bin aber unschlüssig. Management ist Entscheiden, aber Führung ist so viel mehr. Warum ich den Satz trotzdem notiert habe: Es geht tatsächlich viel um Positionen. Allein, indem ich als Vorbild agiere, welches Beispiel ich gebe, macht deutlich, dass es auch eine andere Seite gibt.

In familiär geprägten, patriarchalischen Organisationen ist alles informell.

Der Satz ist ein wenig aus dem Zusammenhang genommen. Er fiel in dem Kontext, dass es in Unternehmen Dinge gibt, die formell geregelt sind (Gehaltsstrukturen, Arbeitsorte und Arbeitszeiten, …) – sie sorgen für Transparenz, Gerechtigkeit, Sicherheit. Andere sind nicht formell geregelt; mit ihnen hat die Führungskraft Spielraum für ihren individuellen Führungsstil. Rudolf Wimmers Perspektive ist: Auch wenn es in kleinen Familienunternehmen formale Regeln gibt, hängt letztlich alles vom Ermessen einer oder weniger Personen ab, die jederzeit entgegen der Formalie handeln und Vorteile gewähren können und dies auch tun. Folglich sei in patriarchalen Unternehmen alles informell.


Brutalistisch | Gestern war ich zu Gast an der Ruhr-Uni, ein toller Ort für den Freundeskreis Beton.

Ich habe ja dereinst in Düsseldorf studiert, einer Universität, die ebenfalls wenig erbaulich ist, architektonisch.

Inhaltlich hing die Erbaulichkeit sehr von den handelnen Personen ab. Ich erinnere mich an Dr. R, bei dem ich sogar Seminare belegte, die ich gar nicht brauchte, weil er so unterhaltsam war. Dr. R hatte seine akademische Karriere in den 1970er und 1980er Jahren begonnen und ist in dieser Zeit offenbar allen wesentlichen Personen der deutschen Gesellschafts- und Kulturgeschichte begegnet. Seine Seminare hangelten sich von Anekdote zu Anekdötchen, von Joseph Beuys zu Rio Reiser, von Willy Brandt zu Walter Scheel, ein Medley der Zeitgeschichte, mal mit R als Protagonist, mal mit ihm als Beobachter. Zwischendurch schweiften wir zu Dantes Göttlicher Komödie ab, die der Veranstaltung ihren Titel gab; dabei gelang es R jedesmal auf wundersame Weise, einen weiten Bogen von Dante zu Fassbinder zu schlagen – oder zu Ulrike Meinhof, je nach Tagesverfassung. Einmal schrieb ich auch eine Arbeit bei ihm, über biblische Lichtsymbolik in der Divina Commedia; dabei lernte ich die Bibel als zeitgeschichtliches Werk schätzen, und R wanderte in seinen anschließenden Ausführungen von Gott zu Breschnew.


CSD | Im kleinen Haltern fand der erste Christopher Street Day der Stadtgeschichte statt. Die Münsterländer Bevölkerung versammelte sich auf dem Marktplatz, betrachtete das Geschehen und lauschte den Darbietungen. „Was sind das für große Frauen auf Stelzen?“, fragten die Kinder. – „Das sind Männer in Stöckelschuhen. Wenn die sich so bunt anziehen, nennt man sie Drag Queen.“ – „Warum machen die das?“ – „Weil es ihnen gefällt.“ Freundliche Kenntnisnahme; wenn es so einfach ist, ist es auch direkt wieder uninteressant.

Eine Parade gab es nicht, aber Musik, Stände, Klebe-Tattoos und Lollis. Was will man mehr.


Marmeladensituation | Ich habe den Marmeladenvorrat stabilisiert: Vatta hat auf dem Dortmunder Hauptfriedhof Brombeeren gepflückt und sie im Eimer nach Haltern gefahren. Wir werden gut über den Winter kommen.


Geguckt | Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann von Regina Schilling. Die Regisseurin leuchtet die Historie von „Aktenzeichen XY“ aus und arbeitet heraus, wie die Sendung gesellschaftliche Wahrnehmung formte, besonders in Hinblick auf Beruf und Familie und das Verhalten von Frauen und Homosexuellen.

Gelesen | Frau Novemberregen ist zufrieden mit der Störungsbehebung ihres Internetanbieters. Das ist doch auch mal schön. Diese kleinen Glanzlichter des Alltags mag ich sehr gern. Hier im Dorf macht es zum Beispiel Freude, in den Supermarkt zu gehen. Sowohl im roten als auch im gelb-blauen Supermarkt sind die Mitarbeiter:innen sehr freundlich – herzlich, plauderig, aber nicht zu viel. Das haben sie gut raus. Auch an der kleinen Poststation ist es immer gut: Man kommt schnell dran, und alle sind nett. Die E-Rezept-Sache bei meiner neuen Hausärztin klappt auch super: Ich schrieb eine Chatnachricht über die App, bekam eine nette Antwort und keine drei Stunden später hatte ich das E-Rezept dort. Fantastisch.

Gehört | You are f*cked – Deutschlands erste Cyberkatastrophe, ein Podcast des MDR. Die Hör-Serie arbeitet einen Hackerangriff auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld auf und zeigt, die verwundbar Kommunen in Deutschland sind. Von Juli 2021 bis zum Januar 2022 war der Landkreis quasi handlungsunfähig: Straßenverkehrsamt, Ausländerbehörde, Auszahlung von Sozialhilfe – alles war beeinträchtigt. Der Angriff macht auch deutlich, wie nachteilig ein Föderalismus ist, in dem jede Kommune selbst für ihre IT-Sicherheit verantwortlich ist.


Schwein des Tages | Die Schweine haben jetzt einen Weidentunnel, und es scheint keinen schöneren Ort zu geben.

Schlafendes Meerschwein im Weidentunnel

Wir gedenken an dieser Stelle dem Schriesheimer Schwein Meghan, das nach kurzer, schwerer Krankheit in hohem Alter verstarb. Lucien und Meghan haben wesentlichen Anteil daran, dass in meinem Garten Meerschweine leben.

Skandinavische Nacht, Reiseplanungen, Kulinarisches und Gartendinge

9. 08. 2023  •  8 Kommentare

Broterwerb | Es ist viel Bewegung in den Arbeitstagen. Beratung für Kunden, digital und von zuhause aus. Vorbereitung auf einen zweitägigen Teamworkshop, der nächste Woche in NRW stattfindet, und auf den Teamday einer Abteilung, für den ich Ende des Monats nach Schleswig-Holstein fahren werde. Ich moderierte eine Führungskräftetagung, führte einige Presales-Gespräche und schrieb Konzepte für 2024. Dazu die übliche Buchhaltung, die ich immer zum Monatsbeginn mache, gemeinsam mit der Umsatzsteuervoranmeldung.

Die Steuerklärungen 2022, Einkommens- und Umsatzssteuer, sind erledigt und raus, nachdem der Dachdecker mir nochmal die im Umzug verloren gegangene Rechnung fürs Gewächshaus zugesandt hat. Die Umatzsteuererklärung hat das Finanzamt auch schon bearbeitet. Es beeindruckt mich immer wieder aufs Neue, mit welcher Rasanz das Finanzamt bei Umsatzsteuerthemen reagiert, insbesondere wenn es Geld bekommt.

In nächster Zeit stehen wieder einige Reisen an. Ich habe mich also hingesetzt, mein Reisebürogesicht aufgsetzt und Hotels und Bahnfahrtkarten gebucht. Zum Thema, Bahnfahren sei fürchterlich teuer:

  • Haltern am See (Münsterland) nach Chemnitz (Sachsen) in der 1. Klasse: 50,50 Euro
  • Haltern am See (Münsterland) nach Rendsburg (Schleswig-Holstein) in der 1. Klasse: 41,80 Euro
  • Rendsburg (Schleswig-Holstein) nach Haltern am See (Münsterland) in der 1. Klasse: 40,30 Euro
  • Haltern am See (Münsterland) nach Berlin in der 1. Klasse: 29,80 Euro

Alle Preise inklusive Sitzplatzreservierung in den Fernzügen. Hinzu kommen das Deutschlandticket, mit dem ich die Regionalfahrten in den Strecken abdecke und das mich einmalig 49 Euro pro Monat kostet, und die Bahncard 25, die mich im Monat zehn Euro kostet.

Hotelvorfreude: In Sachsen hatte partout ein Vier-Sterne-Wasserschloss das beste Preis-Leistungsverhältnis, so dass ich dort zwangsläufig residieren muss. Hilft ja nichts.


Karibisch kühl | Das Freibad veranstaltete eine Karibische Nacht: Schwimmen bis Mitternacht, Cocktails und Livemusik. Allerdings war es mehr eine Skandinavische Nacht: Bis 20 Uhr regnete es in Strömen, der Wind bog Büsche und Bäume. Dann klarte es auf, und Menschen in Hawaiihemden, Outddorjacken und Trekkingschuhen wanderten durchs Dorf zum Freibad. Der aufgeschüttete Sand war schwer und nass, die „Hey, Makkarena“-Musik wirkte leicht ironisch, aber immerhin blieb ein Wacken-Szenario aus. Man hatte Zelte aufgestellt, der Rasen war weiterhin Rasen.

Die Cocktailbar tat alles für die Stimmung, erfolgreich: Nach nur einem Tequila Sunrise konnte ich den Kopf nicht mehr drehen, ohne dass die Welt sich mitdrehte. Gegen 22:30 Uhr setzte sich vor der Bühne der erste Polonaise-Zug in Gang. Eine Maschine pustete Seifenblasen in die Nacht. Der Rasta-bezopfte Sänger ließ die Hüften kreisen. Blumenketten wirbelten durch die Luft. Die Menge grölte Spanisches.

Wer nicht tanzte, saß auf einer Bierbank, die Fleccejacke bis zum Kinn gezogen, und aß Gegrilltes. Im Schwimmbecken tapfere Kinder; dank der Dunkelheit sahen wir ihre blauen Lippen nicht. Ich bereute kurz, dass ich keinen Badeanzug mitgebracht hatte. Die Stimmung wäre es wert gewesen.

Freibad in der Nacht. Vereinzelt schwimmnen Kinder. Scheinwerfer sind aufgestellt.

Auf dem Weg nach Hause standen wir an der Dorfschranke. „Schon nach Hause?“, fragten Radfahrer den Mann neben uns. „Die Kälte, der Alkohol“, antwortete er. Breitbeinig stand er auf schwankendem Untergrund. „Bin feddich für heute.“


Danke! | Herzlichen Dank an N.D. und B.M. für die Zuwendung in die Kaffeekasse. Ich werde sie in Bücher investieren, darunter vermutlich Die Architektin von Till Raether.


Kulinarik | Ich wurde mit Flammlachs bewirtet. Was ein Luxus! Alles. Und meine Güte: So lecker!

Gedeckter Tisch mit Flammlachs, Dips, Pasten, Käse, Salat und Rotwein

Gelesen | Lea Ypi: Frei, aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné. Lea Ypi erzählt in diesem autobiographischen Roman von ihrer Jugend in Albanien, 1989 der letzte stalinistische Außenposten in Europa. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen, es herrscht Mangelwirtschaft, Schule und Alltag sind überfrachtet mit Ideologie. Doch Lea, heute Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics, fühlt Geborgenheit. Die Welt ist klein, die Dinge sind geregelt. Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana die Statue des Didaktors Enver Hoxha vom Sockel kippt. Ich habe das Buch gern gelesen. Mit Albanien habe ich mich nie zuvor beschäftigt; ein guter Anlass. Hier und da hat die Erzählung einige Längen, und ich hatte Schwierigkeiten, mir die Personen zu merken. Aber der Einblick in die Familie und ihren Umgang mit der Didaktur und später der Freiheit ist prima.

Gehört | Daniel Glattauer: Die spürst du nicht, Hörbuch, gesprochen von Tessa Mittelstaedt und Steffen Groth. Die Familie Binder und die Familie Strobl-Marinek gönnt sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Man residiert in einer Villa mit Pool, es manbgelt an nichts. Tochter Sophie Luise, 14, nimmt ihre Schulfreundin Aayana mit, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe: Ayana ertrinkt. Was folgt, ist das Sittengemälde einer privilegierten Gesellschaft, sind Selbstbetrug und ein subtiles Entgleiten von Kontrolle. Absolute Leseempfehlung, grandios komponiert.

Gelesen | Agatha Christie: Ruhe unsanft – Miss Marples letzter Fall. Ein Buch aus dem Bücherschrank im Dorf, Oldie but Goldie. Gelesen an einem Augustsonntag mit Wolldecke auf dem Sofa, draußen stürmischer Dauerregen. Wunderbar trutschig, mit hölzernem Figuren, aber doch so spannend, dass ich wissen wollte, wie es ausgeht. Vor meinem inneren Auge fand es als Aufführung im Dorftheater statt.

Geguckt | Hijack, Miniserie mit Idris Elba auf AppleTV+. In Echtzeit von sieben Folgen wird die Reise eines entführten Flugzeugs erzählt. Am Anfang ist völlig unklar, wer die Entführer sind und was sie wollen. Die komplette Auflösung kommt auch erst in der letzten Folge. Viele Wendungen, gute Cliffhanger, gerne geschaut.


Garten | Der Garten ist nass, sehr nass. Die Blumen finden das durchaus okay, und auch dem Gemüse macht es nicht. Die Tomaten reifen auch ohne Sonne, der Mangold wächst wie Unkraut, die ersten Möhren sind gar, und in den Disteln brummen die Insekten.

Die Tomatenernte ist üppig. Ich habe Soßensuppe gekocht. Das Ergebnis ist sowohl als Soße als auch als Suppe verwendbar. Wir aßen drei Tage davon.

Rezept: So viele Tomaten, wie man hat, dazu Zwiebeln, Knoblauch, Olivenöl und Kräuter, Salz. Zwiebeln und Knoblauch klein schneiden und in Olivenöl andünsten. Danach die gewürfelten Tomaten zugeben. Alles etwas schmoren lassen. Dann die Tomaten mit einem Pürierstab zerkleinern, mit Salz, frischen Kräutern oder einer Kräutermischung abschmecken und so lange köcheln lassen, bis die Mischung etwas einreduziert ist. Auf zehn große Tomaten habe ich zwei kleine Zwiebeln und zwei Knoblauchzehen genommen.

Außerdem erntete ich Kohlrabi und machte Kohlrabischnitzel.


Zur geneigten Betrachtung | Napflix, die Plattform für einschläfernde Videos (via Herr Buddenbohm)


Schwein des Tages | Der Dicke wartet darauf, dass es aufhört zu regnen. Und dass es Futter gibt. Auf Futter wartet er immer. Auch wenn Futter da ist. Dann wartet er auf Futter, das noch leckerer sein könnte.

Meerschwein unter eine Treppe, versonnen in die Ferne glotzend

Die Sache ist allerdings: Er hat eine etwas lange Leitung. Eigentlich hat er durchgehend Edge-Empfang. Dafür ist er der Duldsamste aller Schweine. Eine Art Forrest Gump unter den Meerschweinen. Ich würde deshalb auch nicht sagen, dass er dumm ist, denn dumm ist nur, wer Dummes tut. Und der Dicke tut die meiste Zeit nichts.


Und sonst | Die Drosselkinder sind ausgeflogen, schon vor mehr als einer Woche. Ich habe sie nicht wieder gesehen. Ich hoffe, es geht ihnen gut.

Leeres Nest im Schuppen

Die Drosselkinder sind groß, die Schweine haben ein Labyrinth – und Freibad

29. 07. 2023  •  3 Kommentare

Danke | Vielen Dank an IK für die Zuwendung in die Kaffeekasse.

Ich habe das Trinkgeld in ein Buch investiert: The Cultur Map – Decoding How People Think, Lead, and Get Things Done Across Cultures. Es wurde mir vor einiger Zeit von einem befreundeten Professor empfohlen – derjenige, mit dem ich jüngst in Berlin Ukrainisch essen war.


Nachwuchs | Die Drosselkinder im Schuppen sind fast groß. Das erste Bild ist vom Montag, das zweite Bild vom Freitag.

Zu beobachten, wie sie wachsen und versorgt werden und weiter wachsen, ist ein Krimi. Letztens, im Homeoffice, sah ich den ganzen Tag keine Drosselmutter zum Nest fliegen, auch keinen Drosselvater. Ich kletterte auf eine Leiter und schaute ins Nest. Die Küken piepten mich an. Ich entfernte mich wieder und beobachtete weiter: Niemand kam. Ich googelte „Handaufzucht Drosselküken“, offenbar eine komplizierte Sache. Am Abend saß Mutter Drossel wieder im Nest. Später fand ich heraus, dass sie oftmals von hinten in den Schuppen einfliegt, durch eine Lücke zwischen Querbalken und Dach.


Broterwerb | Erste Arbeitswoche nach der Sommerpause. Ich moderierte einen digitalen Workshop, hatte Termine mit Kunden, insgesamt war es aber noch ruhig. Ich nutzte die Zeit zur Nachbereitung der Sommerpause: Mails und die daraus resultierenden Dinge abarbeiten, an einem Vergabeverfahren teilnehmen. Tatsächlich beantworte ich in meinem Urlaub keine Mails – ausgenommen diejenigen, bei denen ich weiß, dass die Kunden nicht drei Wochen auf eine Antwort warten können oder sollten, weil es dann für uns beide komplizierter wird. Die meisten Dinge können aber tatsächlich warten. Ich nutzte die Zeit außerdem zur Vorbereitung auf das, was in den nächsten Wochen kommt: Beratungen, Workshops, ein Seminar, Planungsgespräche für Aufträge im Oktober, November und in 2024.


Freibad | Das Freibad ist ein guter Ort, vor allem wenn es nicht so heiß ist. Wenn es im Wasser genauso warm ist wie an der Luft, wenn ein leichter Wind Wellen kräuselt und der Tag sich herabsenkt.

Leeres Freibadbecken am Abend.

Gelesen | Mein neues Zuhause, die AfD. Die Süddeutsche Zeitung besucht Julia Wortmann, AfD-Mitglied aus Essen-Karnap. Als Kind einer Arbeiterfamilie war sie lange in der SPD. Nun arbeitet sie für die AfD im Europaparlament.

Die Familienpolitik, die sei ihr viel wichtiger. Die betrifft sie ja selbst. „Ich, alleinerziehend mit zwei Kindern, da tut keiner mehr was für mich. Ich muss arbeiten, um irgendwie meine Familie am Kacken zu halten.“ Frage also, Frau Wortmann: Was tut die AfD für Mütter wie Sie? „Das kann ich so gar nicht genau sagen, wenn ich ehrlich bin.“ […]

Ihre Werte? „Familie. Irgendwo auch der christliche Glauben.“ Welche christlichen Werte transportiert die AfD für Sie? „Ein Glaube ist ein Gefühl. Und ein Gefühl zu beschreiben, find ich schwierig.“[…]

Die Leute aus dem schickeren Süden der Stadt kämen kaum hierher, sagt Wortmann, auch, weil der Ausländeranteil so hoch sei. „Hier in Karnap haben wir 70 Prozent.“ Kurzer Blick auf die Bevölkerungszahlen der Stadt Essen: Tatsächlich sind es 22,4 Prozent. […]

Wie finden Sie eigentlich die EU? „Nicht richtig.“ Sie störe, wie viele Angestellte in Straßburg, in Brüssel arbeiten, wie viel Geld für die Verwaltung ausgegeben wird. Dabei ist sie doch selbst Angestellte des Europäischen Parlaments. „Ja, ich würde sofort aufhören, wenn ich wüsste, wir schaffen es, aus der EU auszutreten.“

Gelesen | Braunkohle mit Milliarden gefördert – Staatsgeld für fossile Konzerne

Gelesen | Ein etwas weniger schweres Thema: Sänger Sascha und seine Frau erzählen davon, wie sie an den Stadtrand gezogen sind: „Und dann der crazy Keller …“


Schwein des Tages | Die Schweine haben jetzt, weil es so viel regnet, einen Indoor-Spielplatz.

Die Schweine lieben es, wenn man ihr Gehege umgestaltet. Sie kommen dann gucken, gurren und quietschen. Sobald man die Häuser und Brücken abgestellt hat, laufen sie hindurch und erkunden. Wir bauen öfter mal um, alle zwei Wochen, damit die Tiere nicht verblöden (und damit sie nicht immer im gleichen Häuschen sitzen und auf die gleiche Stelle auf den Rasen kacken).

Nun hat K1 alle verfügbaren Häuser, Brücken und Tunnel zu einem Rundlauf zusammengestellt, einem großen Schweinelabyrinth. Die Viecher sind verzückt. Sie sprinten in gestrecktem Galopp von ihrem Käufig zum Labyrinth, laufen dort gurrend im Kreis und suchen sich. Wenn wir dann noch Leckerchen verstecken, drehen sie völlig durch.

Ein Ausflug ins Altmühltal

24. 07. 2023  •  7 Kommentare

Expedition in die Wissenschaft | Meine Sommerpause ist zu Ende. Zu diesem Anlass habe ich noch einen Ausflug gemacht. Ich setzte mich in den Zug und fuhr nach Eichstätt.

KU Eichstätt

Vor einigen Wochen habe ich eine Einladung aus Eichstätt erhalten – zum Jubiläum der Eichstätter Journalistik und zur Antrittsvorlesung von Annika Sehl. Mit Annika habe ich an der TU Dortmund zusammengearbeitet, am Institut für Journalistik. Wir waren damals beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Ich habe mich danach aus dem Wissenschaftsbetrieb verabschiedet, habe Medienangebote auf Smartphones und Tablets gebracht und mich später selbstständig gemacht. Annika ist in der Wissenschaft geblieben und hat eine großartige Karriere hingelegt. Nach Stationen in Oxford, Vertretungsprofessuren in Dortmund und Hamburg und einer ordentlichen Professur an der Universität der Bundeswehr in München ist sie jetzt Professorin an der KU Eichstätt. Dort beschäftigt sie sich mit Medienstrukturen und Gesellschaft, darunter viel mit den öffentlichen-rechtlichen Medien. Sie ist unter anderem auch Mitglied im Zukunftsrat der Rundfunkkommission an.

Außerdem hielt auch Karin Boczek ihre Antrittsvorlesung. Sie ist Juniorprofessorin für Digitalen Journalismus; auch sie kenne ich aus Dortmund. Die dritte Antrittsvorlesung hielt Liane Rothenberger. Ihr Schwerpunkt sind Medien und Migration.

Interessantes aus den Vorträgen, vereinfacht zusammengefasst:

  • Forschung zu Mediennutzung Geflüchteter: Arabischsprache Kinder nutzen sehr schnell deutschsprachige Medien – und haben dabei auch Kontakt zu öffentlich-rechtlichen Programmen.
  • Aktuelle forscht Annika Sehl zur Frage, wie Redaktionen ihre Berichterstattung verändern können, so dass sie der Friedensorientierung dienen und Polarisierung entgegenwirken?
  • Je höher die Einnahmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, desto höher auch die Einnahmen privater Programme. Offentlich-rechtliche Medien tun der Medienlandschaft wirtschaftlich gut und beleben den Markt.
  • Junge Menschen sind eher bereit für öffentlich-rechtliche Programme zu bezahlen als Ältere. Wichtig: Journalistische Qualität muss im Mittelpunkt stehen.

Verschwunden im Altmühltal | Die Anreise nach Eichstätt war thrilling. Von Haltern nach Nürnberg war alles noch einfach. In Nürnberg zeigte die Bahn-App dann Züge, die der papierene Aushang nicht kannte. Der Aushang informierte hingegen über Verbindungen, die die App nicht kannte. Am Gleis stand schließlich ein Regionalexpress, der weder in der App noch im Aushang auftauchte. Der also gar nicht existent war. Das angeschlagene Ziel: Treuchtlingen, dort angeblich Umsteigeoption nach Eichstätt. Stationen: Schwabach, Roth, Georgensgmünd, Mühlstetten, Pleinfeld, Ellingen, Weißenburg. Noch nie gehört! Alles.

Ich stieg ein, das Internet brach weg, wir durchquerten malerische Orte vor Felswänden. Die Leute verließen nach und nach den Zug, bis ich allein war. Ab dem Zeitpunkt hätte der Lokführer mich überallhin fahren können. Niemand hätte mich je gefunden, zerstückelt und vergraben zwischen Emetzheim und Dettenheim, entführt in einem Zug, den es nie gegeben hat.

Überraschenderweise kam ich gut in Treuchtlingen an. Dort stand auch tatsächlich ein Zug nach Eichstätt. In Eichstätt stellte sich jedoch heraus, dass ich noch gar nicht in Eichstätt bin. Von Eichstätt-Bahnhof muss man nämlich noch in einen Schienenbus umsteigen, der über Wasserzell und Rebdorf nach Eichstätt-Stadt fährt. Ich hinterfragte nichts. Es war auch schon 19 Uhr.

In Eichstätt-Stadt war ich immer noch nicht am Ziel. Ich musste in einen Landgasthof nach Landershofen, vier Kilometer jottwede. Ich suchte und fand ein Taxi – das einzige. Darin: der Vadda von Kommissar Thiel aus Münster, vierzig Kilo schwerer.

Taxifahrer: „Sie kumma bestimmt a wegen dea Journalistik.“
Ich: „Bin ich nicht die erste heute?“
Taxifahrer: „Do, so Sie hinwollen, hob i heid scho oan Professor hingefohn. Aus Hamburg. Kennen Sie den?“
Ich: „Wie sah er denn aus?“
Taxifahrer: „Dea war no älter ois i. Und trug oan Hut.“
Ich: <schweige>
Taxifahrer: „Dass do ibahaupt Journalisten ausgebildet wern. So unabhengig, mid eigener Meinung, mein i.“
Ich: „Die Eichstätter Journalistik hat einen sehr guten Ruf.“
Taxifahrer: „Ko ma goa ned glauben. In Bayern!“


Riding the Möhre | Weil Taxifahren auf Dauer ziemlich teuer ist, und die Taxiunternehmen Eichstätts werktags nur Dienstzeiten bis 18:30 Uhr haben (tatsächlich!), mietete ich mir im Landgasthof ein Fahrrad.

Das Ding war die schärfste Möhre, auf der je geritten bin: zwei Rahmengrößen zu klein, Rücktritt, das Vorderrad eierte, das Hinterrad auch, aber nicht im gleichen Rhythmus. Das Sattelrohr rutschte außerdem immer runter, so dass ich mit den Knien an den Ohren trampelte. Jede Fahrt eine Zirkusnummer!

Fahrrad an der Landstraße vor dem Ortsausgangsschild Eichstätt, zwei Kilometer bis Landershofen

Aber egal, die Möhre fuhr, sie fuhr zu jeder Tages- und Abendzeit und brachte mich mehrmals von Landershofen nach Eichstätt und wieder zurück.


So klein ist die Welt | Den Professor aus Hamburg kannte ich übrigens wirklich. Er hatte einen Lehrstuhl in Dortmund, als ich dort wissenschaftliche Mitarbeiterin war. Wir frühstückten zusammen, und er plauderte.


Unterwältigt in Ingolstadt | Am Samstag, dem Tag nach der Veranstaltung, blieb ich noch in Oberbayern. Bei so langen Fahrten hänge ich oft einen Tag dran, besonders wenn ich die Gegend noch nicht kenne. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ein wenig Fahrrad zu fahren, aber mit dem vorhandenen Gerät kam das nicht in Frage. Also fuhr ich mit dem Zug nach Ingolstadt. Ich war hart unterwältigt. Eine Stadt, charmant wie Hagen, nur mit bayerischer Fassade. Vergeblich suchte ich nach schönen Ecken, lief vom Hauptbahnhof durch die Altstadt zum Nordbahnhof, aß ein gar nicht mal so gutes Gemüsecurry, fand das Schloss und die Festung und fuhr wieder zurück nach Eichstätt.

In Eichstätt setzte ich mich hin, hing an der Altmühl ab, las und guckte Leute an.


Überwältigt von der Bahn | Heimfahrt im Pride-ICE.

ICE mit Regenbogenstreifen

Die Fahrt von Eichstätt zurück nach Haltern war maximal ereignislos, geradezu großartig langweilig. Die Umsteigezeiten in chronologischer Reihenfolge: drei Minuten in Eichstätt-Bahnhof, zwölf Minuten in Nürnberg, fünf Minuten in Essen. Es hat alles geklappt! In den zwölf Minuten in Nürnberg konnte ich mir sogar Brötchen und ein Getränke kaufen und habe ein Kinder bueno am Automaten gezogen.


Schwein des Tages | „Der Napf ist leer, chica.“

Meerschwein steht mit den Pfoten auf dem Rand des leeres Futtertellers

Eine Radreise mit den Kindern zum Burger’s Zoo in Arnheim

21. 07. 2023  •  4 Kommentare

Kleine Radreise | Die Idee zu Radreise hatte der Reiseleiter. Er meinte: Wir könnten doch mit den Kindern mal eine Mehrtagestour machen, so richtig mit Gepäck und Radfahren, das wäre eine tolle Sache. Dazu muss man sagen: Der Reiseleiter findet alles, was mit Radfahren zu tun hat, eine tolle Sache. Deshalb ist es wichtig, dererlei Vorschläge gut zu prüfen.

Ich prüfte den Vorschlag und fand ihn auch gut. Also fragten wir die Kinder, und die Kinder sagten: „Yeah!“ Der Reiseleiter plante, wir packten die Fahrräder und fuhren los.

Fünf Fahrräder auf einer Lichtung, im Hintergrund drei rennende Kinder, ein Mann sitzt au der Bank

Wir waren uns einig, dass die Kinder an die 60 Kilometer am Tag fahren können. Im vergangenen Jahr fuhren sie schon einmal 50, jetzt waren sie ein Jahr älter, das würde passen. Wir waren uns außerdem einig, dass es gleichmäßig auf der Strecke verteilte Incentives braucht: Eis, Seen, Spielplätze, Fährfahrten, Alpakas, Supermärkte mit Fantaverkauf (nicht nur für die Kinder; ich bin dahingehend auch sehr schlicht). Weil ich Erfahrung habe mit der Kalorienzufuhr in Ganztages-Trainingslagern, packte ich große Mengen an Proviant ein.

Bemerknisse:

  1. Dass man in den Niederlanden ist, merkt man – ganz ohne Schild – an den plötzlich gut markierten und asphaltierten Radwegen. Wenn der Asphalt in eine Schotterpiste übergeht, fährt man wieder aus den Niederlanden heraus.
  2. Dass man in den Niederlanden ist, merkt man auch, weil die Leute plötzlich freundlich grüßen – überholende und entgegenkommende Radfahrende, Menschen in Vorgärten. Hoi, goede reis!
  3. Die Albert Heijns auf der Strecke kennen uns jetzt mit Namen. Wir sind die, die morgens die Pizzaschnecken aus der Brötchentheke kaufen.
  4. So, wie Kinder einem beim Spazierengehen mit großem Talent vor den Füßen heraumlaufen, fahren sie einem bei Radreisen vor dem Rad herum.
  5. Auffahrunfälle sind unbedingt zu vermeiden, können aber passieren.
  6. Auch wenn man schon wenig an Zeugs einpackt, braucht man in Wirklichkeit immer noch weniger.
  7. Gegenwind ist Mist.
  8. Einer hat immer einen Platten.

Etappen | Insgesamt sind wir an vier Tagen etwa 190 Kilometer gefahren:

  • von Haltern am See nach Bocholt, 63 Kilometer
  • von Bocholt nach Ellecom bei Arnheim, 58 Kilometer; am Abend nochmal acht Kilometer zum Abendessen und zurück
  • von Ellecom in den Burger’s Zoo, 30 Kilometer Hin- und Rückweg
  • von Ellecom nach Elten, 31 Kilometer

… und von Elten mit dem Zug zurück nach Haltern am See.


Burger’s Zoo | Ziel der Reise war einerseits der Weg, also das Radreisen selbst. Andererseits war es der Burger’s Zoo in Arnheim. Anders als in anderen Zoos gibt es kaum Gehege. Stattdessen gibt es Themenwelten – ein Safarigelände, aus dem man von verschiedenen Aussichtspunkten aus hineinsehen kann, und mehrere riesige Hallen, in der die Tiere zusammenleben. Ich war dort vor vielen jahren schonmal und erinnerte mich, dass es mir sehr gefallen hatte.

Inzwischen ist es noch besser. Burger’s Busch, der tropische Regenwald:

Tropischer Urwald, ein Wasserfall und eine Brücke

In der Mangrovenhalle wurden wir von Schmetterlingen umfalltert, Manatis tauchten unter uns hindurch, Vögel flogen über unsere Köpfe hinweg, Winkerkrabben winkten uns. Das Korallenriff ist das größte Riff Europas; dort wird auch geforscht.

Wir kamen am morgen und blieben bis zum Abend, so viel gab es zu entdecken.


Sattelfolter | Vor der Radtour montierte ich einen neuen Sattel. Mein vorhandener Sattel schmerzte nach Justierung des Lenkers zwar nicht mehr so wie einst, aber ich dachte, ich könnte die Sache vielleicht noch etwas optimieren.

Ich fuhr in ein Fahrradgeschäft und ließ mich vermessen. Die Beratung war mäßig. Der Verkäufer sprach immer wieder vom Sitzhöckerabstand und ignorierte, dass nicht meine Sitzhöcker schmerzten, sondern die Weichteile weiter vorne: Labien und Scham. Das sagte ich sehr eindeutig, es fielen die Worte „Vulva“, „Schamlippen“ und „Klitoris“. Die Worte brachte den Verkäufer in Verlegenheit; er errötete und ging nicht darauf ein. Vielmehr nuschelte er, dass – rein satteltechnisch – Männer und Frauen „untenrum gleich sind“. Am Ende kaufte ich einen SQlab-Sattel – mit der Option, ihn wieder umtauschen zu können.

Nach fünfzig Kilometern stellten sich die ersten Leiden ein, nach achtzig Kilometer pflegte ich sehr konkrete Gewaltfantasien gegen den Verkäufer. Während ich auf meinen schmerzenden Weichteilen ritt, stellte ich mir vor, wie ich nach meiner Rückkehr in den Fahrradladen fahren würde, wie ich den Verkäufer beim Kragen packen, wie ich sein Gesicht ganz nah an meines ziehen und ihm mit warmem Atem zuflüstern würde, dass! Er! Den Sattel! zurücknehmen würde! Über jede schmerzende Stelle, über die Sitzhöcker (die schmerzten jetzt auch) den Damm, die Labien, die Klitoris, das Schambein, die Rückseite der Oberschenkel würde ich zehn Minuten sprechen; eine Stunde lang würde ich ihn mit auf meinen Leidensweg nehmen. Ich würde beschreiben, wo der Sattel drückt und scheuert, wie der Damm erst schmerzt, wie danach alles ertaubt, wie die Taubheit zu brennen beginnt, wie der Sattel sich hineinbohrt, wie er zerquetscht und zerfleischt, wie jede Bodenwelle die Weichteile zerhackt, wie der Sattel die Leisten zerreibt und wie er die Labien zermalmt. Der Verkäufer würde sich alles anhören müssen, jeden Kilometer meines Schmerzes, mit meiner Hand an seinem Kragen. Würde der Verkäufer Luft holen, um zu widersprechen, würde ich ihn hundertmal schreiben lassen: „Frauen und Männer sind nicht untenrum gleich.“ Mit schmerzendem Schritt trampelte ich durch die Felder Gelderns, während ich das dachte, und fühlte mich ein bisschen besser.

Natürlich tat ich das alles nicht. Stattdessen fuhr ich in den Fahrradladen und bat höflich, von meinem Umtauschrecht Gebrauch machen zu dürfen. Ich wurde den Foltersattel wieder los und bekam einen Gutschein.

Auf der Fahrradreise opferte sich der Reiseleiter und tauschte unsere Sättel. Nach 120 Kilometern konnter er sich mein Gemaule nicht mehr anhören. Ich durfte auf seinem Sattel fahren (eine Wohltat!), er nahm meinen. Meine Stimmung stieg augenblicklich.

Zuhause angekommen, habe ich sofort meinen alten Sattel von Terry wieder montiert. Ich liebe ihn jetzt. Es ist alles eine Frage der Perspektive.


Gelesen | Stine Pilgaard: Meter pro Sekunde, aus dem Dänischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Für mich war das Buch ein Pageturner, ich kann aber nicht genau sagen, warum. Denn es passiert eigentlich nichts. Eine junge Mutter zieht mit ihrem Mann nach Westjütland, ins Land der einsilbigen Menschen. Ihr Sohn schläft wenig, sie selbst spricht gerne und offen – aber niemand will mit ihr reden. Sie wird Kummerkasten-Redakteurin bei der örtlichen Zeitung. Es ist die Geschichte eines rauen Miteinanders, einer zarten Entwicklung und scharfzüngiger Kummerkastentexte. Die Kapitel sind kurz, und immer dachte ich: Ach, eins noch. So hatte ich das Buch in zwei Tagen durch.

Gelesen | Thorsten Pilz: Weite Sicht. Vier Frauen, vier Leben: Charlottes Mann stirbt, und plötzlich sind da neue Perspektiven. Ihre Schwester Gesine schlingert und braucht Hilfe. Plötzlich taucht Charlottes alte Freundin Bente auf. Und auch Sabine, die Ziehschwester von Gesine und Charlotte, löst sich aus alten Fesseln. Vom Grundgedanken her ein gutes Buches, allerdings wirkt die Erzählung auf mich überladen: Die Menge an Krankheit, Tod und Verdrängung, Geheimnissen und emotionaler Verstrickung erscheit mir deutlich zu groß. Den Figuren bin ich deshalb nicht richtig nahe gekommen.


Schweinebild des Tages | Die Schweine haben meinen Vater in ihr Schweineherz geschlossen. Er hat sich während der Radreise um sie gekümmert.

Drei Schweine grasend im Gehege

P!nk in Köln, eine 90 Kilometer lange Radfahrt, eine Amsel im Schuppen und Vorlesungen in Osnabrück

13. 07. 2023  •  7 Kommentare

Management Summary | Ich lebe in den Tag hinein, und das ist sehr hervorragend so. Während des Hineinlebens fuhr ich Fahrrad, schwamm im Freibad, hörte P!nk beim Singen zu, besuchte die Uni Osnabrück und las ein Buch.


Radeln | Am Samstag radelte ich nach Dortmund. Die Turnschwester aus Heidelberg war vor Ort (wir turnten um 2010 herum gemeinsam im Dortmunder Fitnessstudio, vor ihrem Umzug nach Baden-Württemberg), wir hatten uns zu einem Lunch-Date verabredet. Mir kam der Gedanke, dass ich mit dem Fahrrad fahren könne: 45 Kilometer hin, 45 zurück, das sollte gehen.

Ich sattelte also mein Rad, packte mir ausreichend Wasserflaschen, ein paar Nüsse und zwei Stützknoppers ein und radelte los. Auf dem Hinweg fuhr ich entlang der Kanäle: Erst am Wesel-Datteln-Kanal entlang nach Osten, dann am Dortmund-Ems-Kanal nach Süden.

Das ging ganz prima; lediglich eine Strecke durch Datteln war sehr lästig. Der Fahrradweg war eine Offroad-Strecke, durchsetzt mit Wurzeln und welligem Pflaster. Irgendwann gab es dann gar keinen Radweg mehr; es gelang mir, auf der Landstraße zu überleben.

In Dortmund musste ich dann erstmal zwei Liter trinken. Es war ja doch sehr heiß an diesem Tag, 32 Grad. Auf dem Rückweg wählte ich dann einen kleinen Umweg, fast nur über Nebenstrecken. Das war angenehmer. Bei Kilometer 66 lutschte ich meine geschmolzenen Knoppers aus der Verpackung. Habe niemals ein besseres gegessen!

Fahrrad unter einer Kanalbrücke

Bei Kilometer 78 musste ich dann nochmal eine Trinkpause machen. Nach 90 Kilometern kam ich dann zuhause an – ein bisschen verschwitzt, aber in einem erstaunlich guten Allgemeinzustand.


P!nk | Ich besuchte außerdem das RheinEnergie-Stadion in Köln und sah P!nk bei der Berufsausübung zu. Nach dem Desaster beim Grönemeyer-Konzert in Gelsenkirchen entschieden der Reiseleiter und ich, mit dem Auto anzureisen; seinerzeit kamen wir ja am Abend nicht mehr weg und mussten 70 Euro für ein Taxi ausgeben – das wäre aus Köln deutlich teurer.

Die Idee erwies sich als gut – für den Rückweg. Der Hinweg war beschwerlich. Rund um das Stadion staute es sich brachial. Wir standen eine gute Stunde in Wohngebieten herum, die offiziellen Parkplätze waren voll, ein Parkleitsystem gibt es offenbar nicht, die Lage war chaotisch. Durch Zufall sahen wir, unscheinbar an der Auffahrt auf eine Bundesstraße gelegen, die Stimmung war schon angespannt, ein Schild „Parken Konzert“ und fanden einen bis dato noch ziemlich leeren, aber offiziellen Parkplatz.

P!nk lieferte eine sehr solide Show ab, sang sehr schön, zog sich zigmal um (Trickkleider!), flog Helene-Fischer-mäßig durchs Stadion und hatte Akrobaten dabei, die oberkörperfrei Akrobatik machten. Für jeden etwas dabei!

P!nk im Müngersdorfer Stadion

Wir hatten einen Platz auf der Tribüne, letzte Reihe. Das war zwar klanglich nicht der beste Ort, dafür hatten wir niemanden hinter uns, die Luft zog über und unter das Glasgeländer des Stadions hindurch und uns war nicht ganz so heiß.


Gelesen | Der Boden unter unseren Füßen von Ursula Kirchenmeyer. Ich mag es ja, wenn ich Protagonisten nicht so ganz sympathisch finde; wenn sie Widersprüche in sich haben und ein Verhalten zeigen, bei dem ich denke: „Herrgottnochmal!“

Bei Ursula Kirchenmeyer geht es mir so mit Laura und Nils, ein junges Paar, das ungeplant schwanger wird und zusammenzieht. Die Wohnung scheint auf den ersten Blick ein Glücksgriff zu sein, mitten in Berlin. Bald stellt sich jedoch heraus, warum die Vormieter unbedingt aus der Wohnung raus wollten: Im Erdgeschoss wohnt Peggy, und Peggy hat paranoide Schizophrenie. Ihr Wahn bezieht sich vor allem auf Lauras und Niels Wohnung, in der sie ihre Tochter vermutet.

Laura und Nils gingen mir ein bisschen auf die Nerven in ihrer Berliner Bohème-haftigkeit – zwei Freiberufler, abgebrannt und hier und da ein bisschen sehr emotional. Das Buch zeigt jedoch gut die Problematik von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die keine Krankheitseinsicht haben: das Dilemma zwischen dem Freiheitsrecht des Kranken und dem Schutzbedarf der Umgebung.


Hausbesetzung | In meinem Schuppen brütet eine Amsel.


Ausflug nach Osnabrück | Nach nunmehr eineinhalb Wochen Urlaub unterbrach ich mein intellektuelles Vergammeln, setzte mich in den Zug und besuchte Antrittsvorlesungen an der Uni Osnabrück. Ich hatte davon auf Instagram erfahren und mich kurzerhand angemeldet. Im Flyer der Veranstaltung heißt es:

Transformationen sind ein zentraler Untersuchungsgegenstand der Erziehungswissenschaft. In Erziehungs-, Bildungs-, Lern- und Sozialisationsprozessen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, aber auch in der Entwicklung von pädagogischen Organisationen sind Fragen der Veränderung, aktuell noch gesteigert vor dem Hintergrund geselslchaftlicher Umbrüche, konstitutiv.

Beruflich beschäftige ich mich mit Transformation in Unternehmen, aber auch mit Veränderung im Allgemeinen. Die Erziehungswissenschaft schaut mit einem übergeordneten Blick auf Bildung und Sozialisierung; ich kenne das noch aus meinem Studium der Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Deshalb war ich mir sicher, dass ein Besuch sich lohnen würde. Überdies war waren unter den Vortragenden zwei bekannte Gesichter: Aladin El-Mafaalani und Ferdinand Stebner – über ersteren sprach ich im letzten Blogbeitrag, letzterer hatte jüngst die Montessori-Schule der Reiseleiter-Kinder besucht; ich wollte wissen, was er mit den Erkenntnissen und auch sonst akademisch tut.

Die Vorträge waren erhellend. Hier nur zwei Aspekte: Aladin El-Mafaalani trug zum Thema „Migrationshintergrund“ vor und war dies für den Alltag in Schulen bedeutet. 27 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund – de facto sogar mehr, das liegt an der Definition des Begriffs; das aufzudröseln würde jetzt hier zu weit führen. Diese 27 Prozent sind deutlich diverser als die 73 Prozent der Kartoffeldeutschen. Warum, zeigt die nachstehende Folie, eine Erhebung aus einer Grundschulklasse.

Während die grobe Statistik stets nur erfasst, wie viele Mädchen und Jungen in einer Klasse sind und wie viele von ihnen einen Migrationshintergrund haben (linke Seite), ist die Realität deutlich vielfältiger (rechte Seite, Erhebung der Wissenschaftler:innen): Die fünfzehn Schüler:innen mit Migrationshintergrund stammen aus elf verschiedenen Ländern auf drei Kontinenten, gehören vierzehn ethnischen Gemeinschaften an, acht unterschiedlichen Konfessionen und sprechen elf Sprachen (plus Deutsch). Zwei von ihnen sind ohne sicheren Aufenthalt in Deutschland. Als Unternehmensberaterin frage ich mich jetzt natürlich: Was sollten die Unternehmen tun, um darauf vorbereitet zu sein – und auch, um das Potential zu nutzen, das darin steckt? Diese Schüler:innen kommen in zehn bis fünfzehn Jahren in die Betriebe.

Ferdinand Sterbner stellte einen Weg vor, mit Widerständen von Lehrkräften umzugehen, wenn es um die Transformation von Schule geht. Sehr interessant für mich. Außerdem berichtete er über Forschungsergebnisse zum selbstregulierten Lernen. Die Mechanismen, die dort greifen, scheinen mir sehr ähnlich zu denen in Unternehmen, wenn Mitarbeiter:innen stärker selbstorganisiert arbeiten sollen. Stebners Erkenntnisse: Die Schüler:innen, die selbstreguliert lernen, erbringen bessere Leistungen – jedoch nur in dem Fach, in dem sie an die Methodiken des eigenständigen Lernes herangeführt wurden. Ein Transfer auf andere Fächer findet erstmal nicht statt beziehungsweise muss stark begleitet werden. Genau dasselbe erlebe ich in Unternehmen: Mitarbeiter:innen, die stärker in die Verantwortung gehen (sollen), können dies meist nach kurzer Zeit – bezogen auf ein Aufgabenfeld. Ändern sich die Aufgaben jedoch leicht oder kommt eine andere Kundenanforderung, fallen sie nach meiner Beobachtung oft in alte, hierarchische Muster zurück inklusive Silodenken. Spannende Parallele!

Die frustrierende Erkenntnis aus allen Vorträgen: Die Erziehungs- und Bildungswissenschaft weiß genau, was heute in den Schulen nicht passt und wie wir Schule gestalten müssen. Wir haben kein Erkenntnisproblem. In der Politik tut sich allerdings nichts; dort lebt man noch im Jahr 1985. Wir haben ein Umsetzungsproblem – ohne Licht am Horizont.

Die Uni (die Einlassungen auf dem Uni-Klo passend zum Vortrag „Migrationshintergrund als deutsche Perspektive“):


Schweine | Schwein of the day:

Meerschwein in seinem Häuschen

Klugscheißen mit Bienenstich und Erhellendes aus der Soziologie

7. 07. 2023  •  11 Kommentare

Erhellend | Ich habe ein sehr gutes Buch gelesen. Ein optimistisches Buch. Ich habe jetzt wirklich gute Laune. Denn das Buch hat mir geholfen, Einiges zu verstehen.

Das Buch heißt Das Intergrations-Paradox und ist von Aladin El-Mafaalani. Aladin El-Mafaalani ist Soziologe, hat Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft, Pädagogik und Arbeitswissenschaft studiert und ist jetzt Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft. Also ein wirklich schlauer Mensch, was man allerdings weniger an seinen Titeln erkennt, sondern daran, dass er das, was er erforscht, gut erklären kann. Denn es ist wirklich komplex.

Die Hauptthese im Intergrationspradox ist: Weil die Integration in Deutschland so gut gelungen ist, gibt es mehr Konflikte. Aladin El-Mafaalani nimmt dafür das Bild eines Tisches. Die ersten Gastarbeiter saßen noch am Katzentisch. Die zweite Generation saß mit am Tisch und durfte auch vom Kuchen essen. Die dritte Generation möchte nun nicht nur den gleichen Kuchen essen, sondern sie möchten auch mitbestimmen, was gebacken wird und welche Regeln bei Tisch gelten.

An den gemeinsamen Tisch haben sich im Laufe der Zeit nicht nur für Migrantinnen und Migranten gesetzt, sondern auch für Frauen, schwule und lesbische Menschen, Transpersonen und Menschen mit Behinderung.

Im Gespräch mit Thilo Jung von „Jung & Naiv“ sagt Aladin El-Mafaalani: Dies sei der Grund, warum sich in allen europäischen Ländern die Sozialdemokratie so schwer tue, warum also die SPD seit vielen Jahren eine solch schlechte politische Leistung abliefert. Es gehe nicht mehr um Verteilungsfragen – eine Frage, die zum Gründungsmythos der SPD gehört und auf die ihre ganze Story aufbaut; es gehe nicht darum, wie der Kuchen aufgeteilt wird, sondern darum, was wir backen. Deshalb wirkt die SPD so strategielos und paralysiert.

Aber zurück zur Integration. El-Mafaalani sagt: Wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten so viel geschafft wie kaum eine andere Nation. Die Entwicklung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, Integration von Migrant:innen unterschiedlichster Herkunft – Deutschland ist nach den USA das beliebteste Einwanderungsland – , Beteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, Ehe für alle, Rechte für Transmenschen, Inklusion von Menschen mit Behinderung – und eine Wiedervereinigung. Natürlich: Überall gibt es noch Luft nach oben. Aber wenn man sich allein die Zeit seit 1978 anschaut, meines und El-Mafaalanis Geburtsjahr, hat sich unheimlich viel getan. Ich selbst bin in einer westdeutschen Kleinstadt-Wirklichkeit aufgwachsen, in der die Frauen mehrheitlich zu Hause waren, ich bin in eine Halbtagsschule gegangen, in meiner Gynmasialklasse gab es keine Ausländer, Homosexualität war in meiner Kindheit und Jugend nicht existent, Transsexualität schon gar nicht, und wenn man eine Behinderung hatte, ging man auf die Sonderschule. Wir vergessen zu sehr, was wir alles schon erreicht haben, wenn wir auf die heutigen Defizite schauen.

Die Gesellschaft ist also offener geworden, viel offener. Gleichzeitig wird es enger und kuscheliger: Mehr Leute wollen mit an den Tisch. Deshalb ändert sich auch die Sprache, die wir sprechen, denn die Regeln bei Tisch werden neu verhandelt.

Man kann ja mal überlegen, ob es möglich wäre, sich zu Tisch mit „Krüppel“, „Schlitzauge“, „Weib“, „Schwuchtel“, „Ausländer“ oder „Neger“ auf Augenhöhe anzusprechen. An einem Tisch teilen die Menschen eine gemeinsame Sprache, und durch Teilhabe verändert sich die Sprache.

El-Mafaalani, Aladin (2020): Das Integrationsparadox. Warum gelingene Integration zu mehr Konflikten führt. S. 237

Wenn sich nun Leute beschweren, dass man nichts mehr sagen dürfe, liegt das nicht daran, dass die Sprache komplexer geworden ist, sondern daran, dass die ganze Gesellschaft komplexer geworden ist. Tatsächlich darf man sogar viel mehr sagen als früher; es gibt aber auch mehr Widerspruch, weil die Gesellschaft vielfältiger geworden ist.

Viele Menschen sagen, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, meinen aber eigentlich, dass sie kaum noch etwas sagen können, ohne dass ihnen jemand widerspricht. Meinungsfreiheit meint aber, dass man unendlich vieles sagen darf und damit unendlich Gelegenheiten für Widerspruch entstehen. Die Tatsache, dass heute widersprochen wird, wo dies in der Vergangenheit nicht der Fall war, ist ein starkes Indiz für mehr Meinungsfreiheit – und zugleich anstrengend für jene Menschen, die damals das Privileg hatten unwidersprochen zu bleiben.

El-Mafaalani, Aladin (2020): Das Integrationsparadox. Warum gelingene Integration zu mehr Konflikten führt. S. 114

Die Leute, die sich beschweren, seien im Übrigen nicht nur Konservative, sondern auch ehemalige Wähler linker Parteien – Intellektuelle alten Schlages, Menschen aus der Mittel- und Oberschicht, aus Kultur und Journalismus, denen das Leben die Deutungshoheit entzogen hat. Das erklärt für mich die vielfältigen Wählerwanderungen zur AfD.

El-Mafaalani sagt im Interview bei Thilo Jung übrigens, dass die AfD und die Grünen die einzigen Parteien seien, die eine Antwort darauf haben, was gebacken werden soll – die also eine Antwort haben auf Offenheit oder Schließung. Deshalb seien es auch die einzigen Parteien, die in den vergangenen Jahren Wachstum zu verzeichnen hatten: All Leute, die „in between“ stehen, die sowohl die guten als auch die kritischen Seiten der offenen Gesellschaft sehen, entscheiden sich bei Wahlen, ob sie mehr Zukunft in der Schließung oder in der Offenheit sehen und wählen vermehrt Grüne oder AfD (während die SPD den Kuchen sucht).

Sie merken, ich lege Ihnen das Buch unbedingt ans Herz, ebenso wie die Folge Jung & Naiv – und auch die El-Mafaalani-Folge beim FAZ-Podcast „Am Tresen“. In allen Publikationen wird noch viel mehr Schlaues gesagt, als ich hier zusammengefasst habe. Leider weiß Aladin El-Mafaalani auch nicht, wie man die Menschen, die unser Land lieber wieder abschließen und unsere Gesellschaft zurück in die Vergangenheit führen möchten, davon überzeugt, dass das zum einen gar nicht mehr geht und zum anderen auch nicht hilfreich und vorteilhaft für unsere Gesellschaft ist.


Rundreise | In den vergangenen zwei Tagen las ich nicht nur, ich bin auch Fahrrad gefahren und war im Freibad. Radfahren, Freibad und lesen ist eine wirklich gute Kombination für einen Urlaub daheim; ich möchte an dieser Stelle eine Empfehlung aussprechen.

Fürs Radfahren habe ich mir meinen Vater geschnappt und habe mit ihm eine Sightseeing-Tour durch Haltern gemacht. Fünfunddreißig Kilometer in verschiedene Stadtteile, durch Felder, durch Wald, am See entlang, durch die Stadt, vorbei an Bauernhöfen und Hofcafés, mit Besuch im Biergarten und abschließender Pizza. Das gefiel uns beiden gut.

Am besten gefiel es uns im Biergarten, als wir ein Stückchen Bienenstich aßen und Kaffee und Cola tranken. Direkt neben dem Biergarten war ein Kletterwald, und in dem Kletterwald waren jede Menge Leute. Wir hatten direkten Blick auf eine knifflige Passage. In beträchtlicher Höhe lag eine Leiter horizontal in der Luft: Wer zum nächsten Baum wollte, musste sich von Sprosse zu Sprosse hangeln. Alternativ konnten man sich sofort in den Gurt fallen lassen und sich an einem Seil zur nächsten Plattform ziehen – eine Vorstellung, die für Mehrzahl der Teilnehmer offensichtlich entwürdigend war, denn alle versuchten sich im Hangeln.

Wir saßen also am Boden, schauten in die Höhe, stopften Gabel für Gabel Bienenstich in unsere Körper und kommentierten die Versuche der Probanden. Mit anderen Worten: Wir waren die Könige des Klugscheißens.

Ein Tisch unter Bäumen, mit Blick auf den Klettewald, im Vordergrund ein Tablett mit Kaffee, Cola und Bienenstich, im Hintergrund weitere Tische

Die Fahrt endete im Freibad, wo wir eine Pizza aßen und ich noch eineinhalb Kilometer schwamm. Ein erfrischender Tagesabschluss.


Und sonst | Und dann gab es da noch die Elterngelddiskussion. Sie wissen schon: Ein Paar, das mehr als 150.000 Euro zu versteuerndes Einkommen hat, soll keines mehr bekommen. Ich versuchte, mir dazu eine Meinung zu bilden. Es gibt Argumente dafür (wer 150.000 € versteuern muss, hat so viel Geld , dass man ihn nicht noch alimentieren muss) und Argumente dagegen (Care-Arbeit hat einen Wert, egal wer sie tut; Frauen werden noch abhängiger von ihren gut verdienen Männern). Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass „Dafür oder Dagegen?“ die falsche Fragestellung ist.

In Deutschland kann man am besten von den wirklich wichtigen Fragestellungen ablenken, indem man entweder eine Nebelkerze zündet oder bei einem Thema in absurdeste Details geht und es zerredet.

Die eigentliche Frage ist doch: Warum pochen wir auf die Einhaltung einer Schuldenbremse, während es wichtig wäre zu investieren, unser Land energiepolitisch unabhängig zu machen, klimaneutral zu werden und in die Zukunft unserer Kinder zu investieren? Wir haben einen solchen Investitionsstau! Es ist völlig egal, ob für ein paar Wohlhabende das Elterngeld wegfällt. Das ist, gemessen am Gesamthaushalt, absolut wurscht. Was nicht wurscht ist, sind Kindergrundsicherung, massiv (!) notwendige Investitionen in Schulen und Bildung, in Forschung und Entwicklung, wichtig ist die Stärkung des BAFöG, um auch damit Zugang zu Bildung zu ermöglichen, wichtig sind Gesundheit und Pflege. Über all das diskutieren wir jetzt nicht.


Schweine | Die Herrschaften bei der Tea-Time.

Drei Meerschweine vor einem Napf mit Gras und Salat

Start in die Sommerpause

5. 07. 2023  •  10 Kommentare

Sommerpause | Seit ich am Samstag die letzten Handgriffe gearbeitet, meine Buchhaltung gemacht und meinen Abwesenheitsassistenten aktiviert habe, lebe ich in den Tag hinein. Urlaub!

Dies ist mein erster Sommer am neuen Wohnort, deshalb brauche ich nicht wegfahren. Ich kenne meinen Garten noch nicht im Sommer, habe noch nicht über Stunden im Hängesessel gesessen und gelesen. Ich kenne das Dorf noch nicht bei Hitze, bin noch nicht fünfzigmal den Weg zum Freibad gefahren. Ich weiß noch nicht, wie das Feld im Juli riecht, wie der See, wenn ein Gewitter naht. Ich habe noch nicht alle Sorten Eis in der Dorf-Eisdiele probiert, und war bislang nur selten auf dem Wochenmarkt.

Am Sonntag bin ich mit dem Reiseleiter gewandert, danach waren wir im Freibad. Am Freibad gibt es eine Pizzeria mit direktem Blick auf den Sprungturm. Wir beobachteten die Bauchklatscher und Arschbomber, während wir die erste Freibadpizza der Saison aßen.

Zwei Pizzen, im Hintergrund ein Sprungturm

Am Montag traf ich eine Freundin, die gerade in Elternzeit ist; wir haben gebruncht und geredet.

Am Dienstag war ich beim Arzt und habe mir eine 4-fach-Impfung abgeholt; nach zehn Jahren war es Zeit für eine Auffrischung. Ich war auf dem Wochenmarkt, habe Erdbeeren eingekauft und war beim Friseur. Der Friseur hier im Dorf ist bestens. Nicht nur, dass das Ergebnis erquicklich ist. Er braucht auch nur eineinhalb Stunden, dieses Ergebnis herzustellen – in Dortmund waren es immer mindestens zweieinhalb Stunden (wegen besonderer Strähnchenfarbe, dies und das, so genau weiß man das nicht). Die Friseurin hier im Dorf möchte sich bei der Arbeit nicht unterhalten. Das ist gut: Ich möchte mich nämlich auch nicht unterhalten. Ich hatte also eineinhalb Stunden, in denen ich lesen konnte.

Ich las I’m Glad My Mom Died von Jenette McCurdy. Sie erzählt, wie ihre Mutter sie als Kinderdarstellerin zu Nickelodeon brachte. Damit sie sich nicht zur Frau entwickelte und möglichst lange Kinderrollen spielen konnte, motivierte die Mutter sie, Diäten halten. Die Folge: erst Magersucht, dann Bulimie. Es ist Biographie eines Missbrauchs; Jenette braucht viele Jahre, um das so klar zu sehen. Ein eindrückliches Buch.

Heute habe ich dann Erdbeermarmelade eingekocht. Sie ist etwas flüssig geworden. Aber ich denke, dass man das auf dem Butterbrot gut in den Griff kriegen kann – zum Beispiel mit einem Wall aus Frischkäse.


Broterwerb | Vor meiner Sommerpause war ich in Karlsruhe und in Wuppertal. Ich fuhr mit dem Zug. Wieder hatte ich entspannte Fahrten. Auf dem Rückweg durchs Rheintal saß ich in einem Panoramawagen der Schweizer Bahn und war umgeben von britischen Rentnerpärchen. Die Damen trugen Handschuhe ohne Finger, die Herren Strohhut. „It’s lovely, isn’t it, dear?“

In Karlsruhe beriet ich die Geschäftsführung eines Unternehmens; in Wuppertal war ich ein einer Dreifachrolle: Moderatorin, eines Workshops, aber auch Teilnehmerin und Beraterin. In beiden Fällen ging es, wenn auch ganz unterschiedlich, um Verantwortung für die Mitarbeitenden.

Beim Kunden lernte ich Chamäleon Karl kennen. Karl war auf dem Weg ins Reptilienhotel und schon in Ferienstimmung (innerlich).

Chamäleon Karl

Garten | Die Sommerpause kommt günstig. Im Garten wird nun vieles reif und will verarbeitet werden. Der Reiseleiter ist währenddessen im Homeoffice. Er sieht goldenen Zeiten entgegen, was die Versorgung angeht.


Aufgabe | Nach einer Impfung, so las ich jünst, soll man viel schlafen. Im Schlaf optimiere sich das Immunsystem; Leute, die nach einer Impfung nicht ausreichend schlafen, bilden nicht so viele Antikörper wie ausgeruhte Menschen. Da ich nicht weiß, wie viel „ausreichend“ ist und wie lange man ausreichend viel schlafen soll, gehe ich konservativ an die Sache ran. Ich möchte auf keinen Fall ein Risiko eingehen.


Schweine | Fensterrentner:

Meerschwein sitzt in der Käfigtür, die Pfoten aufgestützt, und guckt umher

Samson, ein tanzendes Orchester, ein Wolkenbruch und Zug reisende Kreuzfahrer

28. 06. 2023  •  6 Kommentare

Expedition nach Hamburg | Das erste Mal Elbphilharmonie, und es war super – um das gleich vorwegzunehmen. Ich meine, schauen Sie sich dieses Gebäude an!

Elbphilharmonie - großer Saal

Sehr beeindruckend.

Wir hörten das Baltic Sea Philharmonic Orchestra, das auf seiner Website mit dem Slogan wirbt: „A New Dimension in Concert Experience“ – und ja, das kann man so sagen. Die Musiker und Musikerinnen spielen ohne Noten. Sie sitzen nicht, sondern stehen (es sei denn, dass Instrument erfordert einen Stuhl). Sie laufen während des Musizierens umher. Der Dirigent hat keinen Taktstock, sondern schlägt ein Tamburin. Dudelsack und Maultrommel sind zentrale Instrumente. Die Klänge sind ethnisch. Neben Sibelius und Strawinski spielte das Orchester Selbstkomponiertes. Die Musik fließt. Es gibt keine Pause, die Stücke gehen ineinander über. Eine Erfahrung von „interessant“ über „oh, wow!“ bis „äh … seltsam.“ Am Ende tanzte der ganze Saal, der Dirigent lief ins Publikum und holte Menschen auf die Bühne. Ich war ein bisschen froh, oben auf dem Rang zu sitzen.

Das Gebäude und die Aussicht:

Auf dem Heimweg goss es aus Kübeln. Wir bekamen richtig die Hucke voll, die Kleidung klebte uns an den Körpern, der Regen lief uns den Rücken hinunter, in die Unterhose hinein, die Schuhe standen komplett unter Wasser. Vielleicht der Wolkenbruch, von dem Herr Buddenbohm berichtet; allerdings sprangen wir nicht, wir rannten auch nicht, wir gingen einfach durch diese herbfallenden Wassermassen; es war ein Regen, bei dem nach fünfzehn Sekunden schon alles egal ist.


Der, die, das | Bevor wir wieder abreisten, besuchten wir die Sesamstraßen-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Dort sahen wir die Sesamstraßen-Puppen – alte und neue -, betraten Kulisse und lernten, wie die Geschichten und die Puppen entstehen, we sie gespielt werden und welche Idee hinter den Figuren steckt.

Ernie war leider nicht zuhause, sondern musste arbeiten.


Kreuzfahrt nach Hause | Auf dem Heimweg, also dem Weg von Hamburg nach Haltern, trafen wir am Bahnhof viele Mitreisende. Sehr viele. Unter ihnen: Kreuzfahrer. Man erkennt Kreuzfahrer, so lernte ich, an taillenhohen Hartschalenkoffern, sportivem Chic mit kräftigen Farbakzenten und dem Geruch der Verunsicherung, der sie umweht, während sie den einfahrenden Zug beobachten.

Die Koffer sind monumental. Es passt problemlos eine erwachsene Leiche hinein, unzerstückelt, nur leidlich gefaltet. Es sind Hartschalensärge mit Outfits fürs Captain’s Dinner und den Landausflug auf dem Quad, die wattierte Weste neben den Sportschuhen fürs Fitnessstudio, die Badeschlappen unter dem leichten Wollpullover zum Über-die-Schulter-legen, die Ärmel vor dem Brust im Sylter Schlupp verschlungen. Die Kreuzfahrer schieben ihre Hartschalensärge durch den Gang des Zuges, treffen auf entgegenkommende Kreuzfahrer mit Hartschalensärgen und stecken fest. Zwei Koffer passen nicht aneinander vorbei, sind aber auch zu schwer, um sie übereinander zu heben. Es geht nicht vor und nicht zurück. „Wir kommen aus Spitzbergen.“ – „Wir aus dem Mittelmeer.“ Man macht sich bekannt. Man ist verschwitzt.

Wir werden alle noch verschwitzter, als südlich von Hamburg die Klimaanlage ausfällt. Die Metalllkiste erwärmt sich auf dreißig Grad, vielleicht auch nur achtundzwanzig, das Hirn wird jedenfalls ganz weich. Der Zugbegleiter murmelt etwas von „Letzte Woche kollabierte mir eine Schulklasse“ und fummelt an einer Art Sicherugskasten herum, vergeblich. Der Waggon steht vor der Evakuierung, aber dann geht es doch irgendwie. Man stellt fest, dass die Passagiere immerhin ausreichend Sauerstoff haben.

Zwischen Bremen und Osnabrück evakuiere ich mich in den Nachbarwaggon vors Klo. Es fühlt sich an wie ein Umzug ans Nordkap, so kühl ist es im Vergleich zum kochenden Heimatwaggon. „Als ich letztes Jahr Zug fuhr, hatten wir eine Stunde Verspätung“, sagt ein Kreuzfahrer, der pinkeln muss, „und jetzt das.“ Und jetzt das.


Fahrrad-Ergonomie | Am Sonntag unternehmen wir eine Fahrradtour. 74 Kilometer von Haltern zum Dorfpark Osterwick und zurück. Bekannte hatten zu einem Sommerfest eingeladen. Wir brachten Brot und Obst mit und reisten deshalb mit ein wenig Gepäck.

Die erhöhte Lenkerposition half: Der Schritt trat nicht so weh wie sonst, der Druck ist nun wieder hinten. Das ist immer noch nicht optimal, aber auf jeden Fall schonmal besser.

Fahrrad vor einem Feld. Die Sonne steht schon tief.

Während Hinfahrt und Ankunft trank ich drei Liter. Es war mehr als dreißig Grad warm. Die Hitze flirrte über den Feldern. Solange ich zügig fuhr, ging es; der Fahrtwind war zwar heiß, aber half. Bei den Anstiegen rund um den Coesfelder Berg brezelte die Sonne allerdings gehörig.


Schweine-Insight | Neues Feature: Mittagessen steht nun immer mit den Pfoten auf dem Rand des Fressnapfes und wippt mit dem Kopf, wenn sie andeuten möchte, dass es (dringend!) Zeit wird nachzufüllen.

Zwei Meerschweine, eins steckt neugierig den Kopf aus dem Häuschen

Die Geschehnisse in chronologischer Reihenfolge  

20. 06. 2023  •  28 Kommentare

Abends im Abklingbecken | Mit dem Bloggen ist es derzeit so: Entweder bin ich unterwegs, in Städten oder in Zügen, oder ich bin zu Hause. Wenn ich zu Hause bin, kann ich mich abends entscheiden, ob ich mich nach einem Tag am Schreibtisch nochmal an den Rechner setze oder ob ich das Haus verlasse und etwas passieren lasse.

Meistens möchte ich lieber etwas erleben, fahre ich ins Freibad, dusche mich eiskalt ab, steige ins Becken und ziehe Bahnen, bis ich ordentlich runtergekühlt bin und mich ausreichend bewegt fühle. Danach lege ich mich auf die Wiese und trockne. Das Trocknen ist eine sehr aktive Sache, man darf diesen Teil des Freibadbesuches nicht unterschätzen. Ich lese und wende mich dabei mehrfach, verliere aber auch nicht die Springer aus den Augen, die auf dem Dreier stehen und Salti und Schrauben ins Becken machen. Ab und an rollt mir ein Ball gegen den Körper oder ein Federball fliegt mir ins Buch; es ist viel zu tun.


Die Geschehnisse in chronologischer Reihenfolge | So kam es, dass ich Ende Mai zum letzten Mal etwas hier ins Kännchencafé schrieb. Um Sie nicht zu sehr zu langweilen, aber doch auch mitzunehmen, fasse ich die Erlebnisse der vergangenen drei Wochen kurz zusammen – mit vereinzelten Abstechern in die ein oder andere Begebenheit.

In der Reihenfolge der Ereignisse war ich erst in einem schönen Garten und habe Waffeln gefrühstückt. Es war Amtsübergabe beim Ladies‘ Circle, der Serviceorgnisation, in der ich sechs Jahre Mitglied war und aus der ich nun altersbedingt ausscheide. Mit 45 Lebensjahren muss man dort die Segel streichen; eine Konstruktion, die ich durchaus gut finde: Die Organisation überaltert nicht, und man kann sich vor dem Ausscheiden überlegen, ob man nochmal Gas geben oder die Sache ausklingen lassen will.

Garten mit Bäumen. Auf dem Rasen steht eine lange Tafel.

Danach steht man nicht auf der Straße: Es gibt einen Club für alte Schachteln wie mich. Er heißt Agora Club Tangent Club. Dort kann man dann mitmachen bis zum Tod. Ich habe mich beworben.

Zwei Tage später fuhr ich nach Duisburg und gab ein Seminar: Moderation für Fortgeschrittene. Qua Amtes war ich für kurze Zeit im Besitz des Keksschrankschlüssels; das gab mir ein sehr gutes Gefühl.

Schlüsselanhänger mit der Beschriftung "Raum 508 und Keksschrank"

Gemeinsam mit Freunden wanderte ich an Fronleichnam 16 Kilometer durch die Haard. Anschließend grillierten wir. Walk haard, grill haard. Haha.

Am Tag darauf, dem Brückentag, hatte Herr Grönemeyer zu einem Liederabend in die Arena auf Schalke eingeladen. Ein fantastisches Konzert: Mehr als 3,5 Stunden Programm ohne Pause – ich hatte den Eindruck, dass Herbert nicht aufhören und das Publikum ihn auch nicht gehen lassen wollte. Es war das letzte Konzert der Tour.

Arena auf Schalke, proppenvoll mit Menschen, auch im Innenraum, im Hintergrund eine Bühne. Das Konzert ist im Gange.

ZDF und 3sat haben das Konzert aufgenommen; in ein paar Wochen können Sie es im Fernsehen anschauen. Eine wirklich großartige Stimmung.

Herr Grönemeyers Singfreude zog allerdings Schwierigkeiten nach sich: Wir kamen nicht mehr nach Hause. 50.000 Menschen verließen gegen 23:30 Uhr gleichzeitig das Stadion, ein Teil von ihnen in Richtung Stadtbahn, die heillos überfordert war, die Menschen zum Gelsenkirchener Hauptbahnhof zu bringen. Wir kamen nicht einmal auf den Bahnsteig. Während wir mit hunderten anderen auf einer Brücke standen, und es weder vor noch zurück ging, erfuhren wir, dass die Deutsche Bahn mit Beginn des Konzerts auch Bauarbeiten begonnen hatte und wir – außer mit irgendeinem nächtlichen Schienenersatzverkehr – gar nicht zurück nach Haltern kommen würden. Wir schlugen uns daraufhin nach Gelsenkirchen-Buer durch.Von dort hätte es noch einen Nachtbus nach Recklinghausen gegeben, von Recklinghausen aus wären wir wiederum nach Hause nach Haltern gekommen. Doch einer Dame wurde schwummrig, die Rettung kam, der Weg nach Buer war blockiert, und wir verpassten den letzten Bus. Am Ende fuhren wir für 70 Euro mit dem Taxi heim.

Am Tag nach dem Grönemeyer-Konzert feierten wir dann Kindergeburtstag: Jungs, Muffins, Freibad, Filmabend, Pizza, Übernachtungsparty. Ich denke, dass Sie mit diesen Stichpunkten eine ziemlich realistische Vorstellung der Veranstaltung haben.

Am Mittag nach der Übernachtungsparty fuhr ich nach Duisburg, wohnte dem Rhein-Ruhr-Marathon bei und feuerte an. Es war heiß, und es bleibt festzuhalten, dass ein Marathon nicht nur für die Athleten, sondern auch für die Zuschauer eine langwierige Angelegenheit ist, insbesondere wenn der zu beklatschende Athlet ein wenig …. uhm … später ins Ziel kommt. Zum Glück gibt es überall im Ruhrgebiet Büdchen.

Zieleinlauf im Duisburger Wedau-Stadion: Tartanbahn mit Zeitanzeige und bunten Fähnchen

Die Sicht des Athleten können Sie hier nachlesen.

Am Morgen nach dem Marathon fuhr ich nach Berlin, traf nette Menschen und lernte, Kanban-Systeme zu entwerfen. Kanban ist eine Methodik, um Arbeit so zu steuern, dass sie fließt – also dass Aufgaben ohne Unterbrechungen erledigt werden und ohne, dass sie sich an Schnittstellen stauen. Das wird insbesondere dann spannend, wenn es unterschiedliche Arten von Aufgaben gibt, sowohl was den Inhalt der Tätigkeit angeht als auch ihre Dringlichkeit. Wir simulierten das Ganze an einer Art Brettspiel und übertrugen bestimmte Werte in Charts, die wir wiederum nutzten, um zu steuern, wie viele Leute welcher Qualifikation wir wo brauchen und welche Arbeit als nächstes erledigt werden kann. Ich kannte die Methodik schon vorher, allerdings noch nicht in dieser Tiefe und nicht mit den Messmethodiken. Insofern hat sich die Weiterbildung gelohnt.

In Berlin aß ich Dinge, die ich hier in der Kleinstadt nicht bekomme: Sommerrollen und Reisnudelsalat, ukranischen Borschtsch und Wareniki mit Kartoffelfüllung. Das ist das Unerfreuliche an dem Umzug in die Kleinstadt: Die kulinarische Vielfalt ist äußerst überschaubar, es gibt im Wesentlichen deutsches und italienisches Essen. Jede halbwegs solide Lokalität, die etwas Kreativeres anbietet, würde hier überrannt. Kommen Sie also gerne nach Haltern am See und füllen Sie diese Lücke im Markt.

Ich besuchte das Kulturkaufhaus Dussmann, erwarb Gitarrennoten und freute mich, dass mein Buch im Regal stand. Außerdem besuchte ich den Birkenstock-Laden an der Friedrichstraße mit der Erwartung: Dort haben sie alles, was das internationale Publikum kaufen will, ein Showroom, ich suche mir etwas aus und kaufe die Schlappen, die ich brauche. Das war leider nicht Fall: Die Auswahl an Farben, Formen und Größen war überschaubar, der Laden vollgestopft mit Kartons, das Verkauspersonal mürrisch. So fuhr ich nach Hause und kaufte online.

Kaum aus Berlin zurück, genauer gesagt am darauffolgenden Tag, reiste ich weiter nach Olpe: Die Weiterbildungsagentur Beyer und Wilmer, für die ich gelegentlich arbeite, hatte zu einem Trainiertreffen eingeladen. 48 Trainerinnen und Trainer aus ganz Deutschland kamen nach Olpe-Sondern in ein Wellnesshotel. Wir wurden verköstigt, durften zusehen, wie die Köche bei Ommi Kese unser Abendessen zauberten, und am nächsten Tag gab es Methodik und Wissen – zum Beispiel Ideen, wie ChatGPT mir das berufliche Leben erleichtern kann. Das war spannend, und ich war ganz ergriffen angesichts dieser Großzügigkeit.

Anlässlich all dieser Geschehnisse fuhr ich viel Zug, weitgehend ereignislos. Bis auf kleine Verspätungen waren die Verbindungen pünktlich, die Klimaanlagen funktionierten, die Toiletten waren geöffnet und sauber, und es gab etwas zu trinken. Nur die Rückfahrt aus Olpe war quasi unmöglich: Den Hinweg legte ich komfortabel mit dem IC Münster – Frankfurt und einer Regionalbahn zurück; der IC fuhr aber nicht, als ich den Rückweg antreten wollte, warum auch immer. Die Alternative war abenteuerlich: von Olpe nach Finnentrop, dann von Finnentrop nach Letmathe, von Letmathe nach Iserlohn, von Hagen nach Dortmund, von Dortmund nach Wanne-Eickel, von Wanne-Eickel nach Haltern. Ich hätte das auch alles so gemacht, hätte es nicht einerseits eine Weichenstörung auf der Strecke gegeben und andererseits einen Personalausfall. Ein freundlicher Kollege, Sprechtrainer, nahm mich bis nach Schwerte mit. Von dort aus kam ich dann gut weg.

Wenn ich das jetzt so zusammenfasse, fällt mir auf, dass ich ganz schön viele Dinge erlebt habe.


Bemerknis | Ich bin ja nun Laie, was die Verkehrsberuhigung der Berliner Friedrichstraße angeht. Aber ich muss sagen: Sie gefällt mir außerordentlich gut. Während sich andernorts die Menschen aufs Trottoir quetschen – die einen wollen nach Osten, die anderen nach Westen, man weicht sich aus und rempelt sich doch an -, läuft es sich auf der gesperrten Friedrichstraße wunderbar. Es ist Platz fürs Flanieren und für Gedanken, fürs Hinsetzen und Ausruhen, fürs Kaffeetrinken und Eisessen.

Unter den Linden beginnt jedoch plötzlich wieder der Lärm, ein matt lackierter Mercedes lässt den Motor aufheulen, die Menschen weichen zurück auf die Bürgersteige und laufen sich dort wieder über die Haufen. Das sollte so nicht sein.


Serviceblog Gestank | Über mehrere Tage entwickelte sich in unserer Küche ein immer penetranterer Gestank. Eine undefinierbare Wolke waberte durch den Raum, war mal hier und mal dort. Erst roch sie käsig, als ich aus Olpe wiederkam immer unerträglicher nach Kotze. Der Reiseleiter und ich schnupperten in Schränke hinein, rückten Möbel ab, legten uns auf die Erde, guckten unter Schränke, rochen an den Dielen und räumten den Kühlschrank aus, ohne etwas zu finden. Dann kamen wir drauf: Vor einiger Zeit war im Kühlschrank eine Milchpackung ausgelaufen. Die Milch hatte sich auf dem Weg durch den Kondenswasserablauf hinein in die Abtropfschale des Kühlschranks gemacht und wurde durch das Wetter und den Kompressor unerbittlich erwärmt.

Wir schraubten die Rückseite des Kühlschranks ab, fanden die Abtropfschale, operierten sie heraus und hatten die Quelle des Gestanks in der Hand. Falls Sie also irgendwann mal eine wabernde Käse-Kotze-Wolke in der Küche haben: Denken Sie an diesen Blogbeitrag.

Serviceblog Fahrradergonomie | Vor knapp zwei Jahren war ich bei Juliane und ließ mein Fahrrad umbauen. Das war eine super Sache: Ich habe seither keine Rückenschmerzen mehr nach langen Touren, und die Kraftübertragung ist super. Ein Beschwernis gibt es allerdings und es bereitet mir zunehmend Schmwerzen: das Sitzen. Allerdings tut mir mitnichten der Hintern weh, sondern die Weichteile vorne: Ich reite auf meiner Klitoris. Das ist nicht annähernd so freudvoll, wie Sie sich das vorstellen.

(Ich habe überlegt, ob ich das hier so deutlich und intim schreibe, aber es gibt zig Fachbeiträge und Foren, die Männerprobleme beim Radfahren besprechen – jedoch nur wenige, die sich mit Frauenfragen beschäftigen. Man muss die Dinge beim Namen nennen, sonst ändern sie sich nicht.)

Fahrrad vor See

Achtzig Kilometer Druck und Reibung auf einer Stelle zu ertragen, an der 10.000 Nervenenden zusammenfinden und die 50-mal sensibler ist als die männliche Eichel, ist extrem unerfreulich. Da hilft auch die beste Radfahrhose nichts, zumal die Polsterung in diesen Hosen für dieses Problem zu weit hinten ist.

Ich probiere nun herum, was hilft. Als erste Maßnahme habe ich den Lenker leicht erhöht. Damit ist mein Oberkörper aufgerichteter und mein Becken weniger nach vorne gekippt. Auf den ersten Metern wirkt das ganz gut. Mal sehen, wie es sich auf der Langstrecke anfühlt.


Meerschwein-Insight | Den Schweinen ist es warm, aber sie halten sich wacker. Wir haben den Park erweitert. Sie nutzen ihn ausgiebig und werden immer zutraulicher. Die Gang beim abendlichen Flanieren:

Drei Meerschweine beim Spaziergang auf der Wiese

Das Leben der Schweine ist deutlich aufregender geworden: Der Ahornbaum, der über ihrem Stall steht und Schatten spendet, leidet unter der Trockenheit. Er verliert Blätter. Immer, wenn ein Blatt herunterfällt und es im Gehege landet, rennen die Schweine hin und fressen es mit Wonne. Landet es hingegen außerhalb des Geheges, stehen sie leidend am Gitter und schmachten es an. Glück und Unglück liegen hier nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und jedes Mal, wenn sich ein Blatt hernieder senkt, kommt Spannung auf.


Gelesen | Niemand fliegt hier in den Urlaub

Gelesen | Frau Novemberregen erklärt den Kapitalmarkt: Das dunkle Herz des Kapitalismus – Teil I, Teil II und Teil III.

Gelesen | 22 Bahnen von Caroline Wahl ist die Geschichte von Tilda, die in einer Kleinstadt wohnt und in einer Großstadt studiert. Sie zieht dort nicht hin, weil ihre Mutter Alkoholikerin ist und sie auf ihre kleine Schwester aufpassen muss. Das Buch erzählt die Geschichte der Selbstermächtigung der beiden Schwestern, wie man mit einer suchtkranken, allerinerziehenden Mutter klar kommt und wie verstrickt doch alles ist. Denn als Leserin möchte man hier zurufen: Such dir Hilfe! Warum suchst du dir keine Hilfe?! Gute Lektüre.


Garten | Während ich auf Reisen war, hat sich die Biomasse im Garten vervielfacht.


Und sonst | Ein Video, wie man die Rollwende beim Schwimmen lernt. Ich poste das hier für mich, damit ich den Link wiederfinde und das irgendwann üben kann.



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