Ludmilla
Es ist Samstag, 13 Uhr und minus acht Grad, als der Reißverschluss meiner Winterjacke kaputt geht. Natürlich: So etwas geschieht nicht im Frühjahr, nicht im Spätherbst. Es passiert bei minus acht Grad und strengem Frost.
Heute morgen war ich deshalb bei Ludmilla. Ludmilla besitzt im nahe gelegenen russischen Viertel eine Änderungsschneiderei. Sie ist eine winzige, dünne Frau mit grau-braunem Haar, tief liegenden Augen, einem Nadelkissen, das um ihr Handgelenk schlackert, einer Lesebrille, die an einer Kette um ihren Hals hängt, und einem Maßband, das ihr wie ein Schal im Nacken liegt. Ihr Laden ist eine kleine Kammer und in zwei Reihen mit schwerer Kleidung behangen. Auf einem Stuhl türmen sich die Pelzmäntel sibirischer Mütterchen. Maßbänder und Stecknadeln liegen herum. Zwei Nähmaschinen stehen an den Wänden. Die Luft ist dick und warm.
„Guten Morgen“, sagt Ludmilla. „Was kann ich helfen?“
„Der Reißverschluss meiner Jacke ist kaputt“, sage ich und lege sie auf den Tisch vor Ludmilla.
Natürlich könnte ich mit meiner Jacke in den Outdoorladen gehen, in dem ich sie gekauft habe, doch man kennt das ja: Die Jacke muss zur Reparatur eingeschickt werden, der Kostenvoranschlag motiviert zur Aufnahme eines Kleinkredits. Die Jacke reist erst zum Hersteller nach England, dann zu einem Dienstleister nach China. Im Frühjahr, wenn bereits die Bäume ausschlagen und die Krokusse blühen, kommt sie zu mir zurück – mit dem Vermerk, dass ein Reißverschlusswechsel nicht möglich und der Kauf einer neuen Jacke angeraten sei.
Ludmilla nimmt ihre Lesebrille und setzt sie auf. Sie zieht prüfend den Reißverschlussschieber auf und ab, untersucht die Nähte und Krampen und sagt: „Machen wir doppelte Reißverschluss. Können Sie dann von oben und unten aufschieben. Habe ich in Farbe schwarz. Kostet aber 20 Euro, tut mir leid, weil Reißverschluss ist mit drin in Preis, und Reißverschluss ist immer teuer. Ist morgen fertig, 17 Uhr.“
Am Mittwoch ist mir wieder warm.