Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Gekrümmter Tag | Heute Morgen erwachte ich und konnte mich nicht mehr bewegen. Rücken! Gekrümmt und kalt schwitzend schlich ich durch die Wohnung. Ich duschte, doch es war ein wackeliges Unterfangen. Den Slip bekam ich an den Körper, indem ich ihn baumelnd vor mich hielt und versuchte, mit dem Fuß hindurchzustechen, gleich eines Löwen, der durch einen brennenden Reifen springt. Ich hielt mich dabei am Schuhschrank fest, während ein Schwert meine Lendenwirbel durchteilte. Erst am Mittag gelang es mir mit hangelnden Bewegungen und unter unwürdigem Stöhnen, das für alle, die nur Ton, aber kein Bild hatten, sicherlich anderes vermuten ließ, meine Füße mit Socken zu bestücken.

Am späten Mittag nahm ich an einem Meeting teil, Telefonkonferenz. Hingegossen lag ich auf dem Cannapé, ähnlich einer römischen Kaiserin, allein die Weintrauben fehlten. Am Nachmittag hatte ich einige gute Momente, als ich die Spülmaschine ausräumte. Danach verließen sie mich wieder.


Im Schaukelstuhl | Es passiert nun etwas Seltsames: Das Bewusstsein für eine neue Realität stellt sich ein. Die vergangenen vier Wochen waren so etwas wie Urlaub, nicht von der Arbeit, denn Arbeit hatte ich reichlich. Aber doch vom Autofahren, von den Staus auf der Autobahn, von Ortswechseln, von Teamworkshops, von Reisen, von Hotelübernachtungen, von abendlichen Freizeittreffen und Restaurantbesuchen, vom Hübschanziehen, von engen Büstenhaltern, vom Zusammentreffen mich Menschen und von weißen Business-Blusen, mit denen ich immer sehr vorsichtig sein muss, sonst bekleckere ich mich. Ich bin daheim, trage Kleid oder Hoodie und sehe dem Garten beim Frühlingserwachen zu. Das hat alles etwas für sich, ich schlafe nun mehr, ich schlafe besser. Dem Immergleichen wohnt etwas Erholsames inne.

Ostern hingegen war eine Zäsur. Das Glockengeläut der leeren Kirchen, die fehlende Tradition von Familientreffen, die Ununterscheidbarkeit des Feiertags vom Alltag, abgesehen von der Arbeit, die ich bleiben ließ, allein weil ich es so wollte. Über die Ostertage erwachte in mir das Gefühl dafür, dass dies nun erst einmal so bleiben wird, dass das Immergleiche zunächst immergleich sein wird. Dass es in den nächsten Wochen immerfort so weitergehen wird, dass keine Reisen kommen werden, keine Workshops, keine Übernachtungen, keine Sommerpläne, keine neuen Eindrücke, nicht visuell, nicht mit der Nase im Wind, ohne den Geruch von Meer, ohne Berge und ohne die lärmenden, wuseligen Straßen großer Städte.

Wenn sich Trübsal angesichts äußerer Umstände einstellt, stelle ich mir immer vor, wie ich als 92-jährige Frau in einem Schaukelstuhl sitze, eine Wolldecke über den Beinen, im Hintergrund wärmt ein Ofenfeuer. Ich höre mich zu einem imaginären Gesprächspartner sagen: „Ach Gottchen, ja, diese zwei Corona-Jahre, damals, als wir auf den Impfstoff warteten, die habe ich fast vergessen. Was waren die gleichförmig. Dieser äußere Stillstand bei innerer Aufruhr. Das war eine seltsame Zeit.“ Mehr fällt mir dazu nicht ein, während ich mit knarzendem Stuhl vor mich hin wippe, denn seither sind 50 Jahre vergangen, und es ist viel passiert.

Ebenso gehe ich mit anderen Kümmernissen um. „Dieser Mann, wie hieß der noch? Der mich verlassen hat, als ich in den Vierzigern war. Oder war ich Ende 30? Ach je, was habe ich gelitten, und jetzt erinnere ich nicht einmal mehr seinen Namen. Irgendwas Christliches, glaube ich.“ Dann beuge ich mich vor, die Wolldecke rutscht mir leicht von den Knien, ich greife nach einem Glas mit Brombeerlikör und lasse mich wieder zurückfallen. Der Stuhl schaukelt leicht. Das Feuer knistert.


Bilder vom Wochenende reiche ich nach, wenn ich wieder sitzen kann. Dann gibt es auch Links und Gelesenes und Gegucktes.

Kommentare

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  1. Saskia sagt:

    Diese Schaukelstuhltaktik gefällt mir ja außerordentlich gut, die würde ich mir auch gerne angewöhnen…

    Dem Rücken wünsche ich gute und baldige Besserung!
    (Eventuell helfen Beckenuhr und Yoga Krokodil (siehe YouTube)?)

  2. Alexandra sagt:

    Autsch. Sowohl als auch.

  3. Nihilistin sagt:

    Gute Besserung.
    Und danke für die Illustration des Gefühls, das mich auch manchmal streift.

  4. Berta sagt:

    Als sonst stille Mitleserin treibt es mich jetzt doch die allerbesten Genesungswünsche zu schicken! Und sie helfen ganz bestimmt – manchmal dauert es nur ein klein wenig! Kopf hoch!

  5. AM aus DO sagt:

    Gute Besserung!

  6. PaulineM sagt:

    Ich schäme mich, dass ich beim Lesen des ersten Absatzes Tränen gelacht habe. Es hat mir gut getan. Dennoch wünsche ich ganz schnelle Besserung und baldige Mobilität.
    Und dass Dinge im Rückspiegel (oder 50 Jahre später) klein und unbedeutend werden können, hat doch etwas Tröstliches. Vorausgesetzt man erlebt dieses „50 Jahre später“ noch.

  7. Cathy73 sagt:

    Ein Highlight dieser Beitrag vorallem die Schaukelstuhltaktik lässt mich schmunzeln und hilft persönliche Niederlagen mit Abstand zu betrachten und zu überstehen. Gute Besserung für den Rücken !

  8. Annika sagt:

    Ob Mady schuld war? Ich bin nämlich jetzt auch so’n bissel Yoga- und Meditationsanfängerin und sah mir das Video kurz an, und zwar bis zu der Stelle: Auf den Knien, Popo in die Höhe, rechter Arm druch den linken Arm, auf die rechte Schulter legen und Kopf ablegen. Da war ich raus und dachte: Boah ey, die traut sich was!

    Mich umweht mitunter auch gelinde Verzweiflung, temporär zwar nur, aber das kann sich noch steigern.

    Was mir hilft: heimlich ins Büro fahren und im Geisterhaus arbeiten.

    Gute Besserung. Das einzige, was jetzt hilft: spazieren gehen, minimum 3-4 Stunden pro Tag.

  9. Uwe aus Schwerte sagt:

    Ja, auch von mir gute Besserung.

  10. Lukas sagt:

    Für mich ist das alles ein beschissener, nicht enden wollender Alptraum, die schlimmste Zeit meines Lebens.

    1. Uwe aus Schwerte sagt:

      @Lukas: wünsche viel Kraft. Und helle Tage die Zuversicht bringen.

  11. Liz sagt:

    Gute Besserung für die leidgeplagten Wirbel.

    Mir ging es mit Ostern auch so, übrigens. Bis dahin lief es halbwegs okay, fast schön manchmal. Trotz fehlender Kinderbetreuung und sehr doofer beruflicher Situation. Aber seit einigen Tagen bin ich völlig rastlos, verzagt, sorge mich. Um die Einschulung meiner Tochter. Um unsere Gesundheit. Und um meine sozialen Fähigkeiten – als Autistin funktioniert für mich alles besser, wenn meine sozialen Routinen stetig weiterplätschern. Fällt zu lange alles weg, habe ich das Gefühl, eine Fremdsprache zu verlieren, die ich mal fast fließend gesprochen habe. Ein seltsamer Zustand.

    Aber dennoch, ganz hoffnungslos bin ich nicht.

  12. Alexa sagt:

    Gute Besserung auch von mir als ansonsten stiller Mitleserin.

    Das Bild mit dem Schaukelstuhl finde ich auch sehr schön. Ich werde Mal testen, ob ich mir diese Taktik auch ein bisschen angewöhnen kann. Danke dafür und für viele andere erheiternde, zum Nachdenken anregende und inspirierende Artikel und Empfehlungen! Ich schaue immer wieder sehr gerne hier vorbei!

  13. Frau Irgendwas ist immer sagt:

    Zitat Anfang
    Ach Gottchen, ja, diese zwei Corona-Jahre, damals, als wir auf den Impfstoff warteten, die habe ich fast vergessen.
    Zitat Ende
    Wissen Sie mehr als wir?
    Also wenn es der Kontostand denn zulassen würde, Himmel soviel Zeit zur Verfügung, ich komme echt ins schwärmen … so viele Kopf-Ideen würden sich anfangen/anschieben lassen, boa!

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