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Bücher 2014 – 4: Meine Sommerlektüre

2. 10. 2014 5 Kommentare Aus der Kategorie »Lektüre«

Gelesen im Juli, August und September:

Gelesen im Juli, August und September 2014

Friedrich Ani. Süden und die Schlüsselkinder.
Mein erster Krimi mit dem Privatdetektiv Tabor Süden. Er wird zu einem Kinderschutzhaus gerufen: Ein Junge ist verschwunden. Nur das Mädchen Fanny könnte wissen, wo das vermisste Kind sich aufhält. Süden macht sich auf, es zu finden. Das Buch ist dünn, nur 188 Seiten. Das ist kein Nachteil; das tut der Geschichte gut. Das Bemerkenswerteste an diesem Buch ist, wie schnörkel- und mitleidslos Friedrich Ani die Familien der Heimkinder präsentiert. Die Lösung des Falls kann man vielleicht erahnen; ich habe es nicht getan. Insofern: gute Sache. Es wird nicht mein letzter Ani sein.

Silvia Avalone. Marina Bellezza.
(Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn)
Marina und Andrea – beide aufgewachsen in den italienischen Alpen, dort wo es nichts gibt außer Berge und verlassene Höfe. Als Teenager haben sie sich schon einmal geliebt. Nun, drei Jahre später, treffen sie sich wieder und die Beziehung beginnt von Neuem. Aber es ist die Zeit der Wirtschaftskrise; beide versuchen, sich eine Existenz aufzubauen: Die hübsche Marina geht zu Castings und versucht sich als Sängern, der introvertierte Andrea möchte die Alm seines Großvaters bewirtschaften. Die Geschichte ist solide erzählt. Allerdings hat mir trotzdem ein wenig der Zugang gefehlt: Den pubertären Charakteren bin ich irgendwie entwachsen. Auch wenn Silvia Avalone es schafft, der Figur der Marina ein bisschen Tiefgang zu geben – bei Andrea verliert sie ihn wieder. Das Resümee insofern: okay bis gut, aber nicht bewegend.

Siri Hustvedt. Was ich liebte.
(Aus dem Englischen von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald)
Leo Hertzberg lebt in New York – in unmittelbarer Nähe seines Freundes, des Malers Bill Wechsler. Siri Hustvedt erzählt das Leben der beiden ab ihrem Kennenlernen, die verwebt ihre Schicksale und Schicksalsschläge. Das macht sie virtuos und gleichzeitig ohne Pathos. Nüchtern und abgeklärt lässt sie Leo Hertzberg  berichten – über Beruf, Ehe, Liebschaften, Freundschaft und Kinder. Auch wenn mich das Künstlermilieu zwischendurch genervt hat: Das Buch ein tolles Erzählstück.

Lola Lafon. Die kleine Kommunistin, die niemald lächelte.
(Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke)
Die Geschichte der Turnerin Nadia Comăneci. Mit 14 Jahren turnte sie bei den Olympischen Spiel in Montreal eine sensationelle 10.0 – als erste Turnerin, die diese Note erhielt. Die Welt bewunderte das zarte, disziplinierte und austrainierte Kind. Ihr Heimatland Rumänien machte sie zu einer Heldin der kommunistischen Jugend. Lola Lafon schildert das Leben Comănecis, ihr Verhältnis zu ihrem Trainer Béla Károlyi und ihre Flucht in die USA. Sie zieht außerdem eine zweite Ebene ein: den Entstehungsprozess des Buches und wie sie mit Nadia Comăneci um Absätze und Formulierungen rang. Es sind zwei Dinge, die mich an diesem Buch beeindruckt haben: zum einen das menschenunwürdige Training, das Comăneci absolvierte, und das daraus resultierende, gestörte Verhältnis zu ihrem weiblichen Körper; zum anderen die heutige Reflexion – oder Nicht-Reflexion, wie man’s nimmt – über ihr damaliges Leben, ihre Rolle im Sozialismus und ihren Trainer Károlyi. Eine klare Empfehlung.

J.R. Moehringer: Knapp am Herz vorbei.
(Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit)
New York, Weihnachten 1969. Willie „The Actor“ Sutton wird aus dem Gefängnis entlassen. 17 Jahre lang hat er eingesessen – wegen Bankraubs. Gemeinsam mit einem Journalisten begibt er sich an die Stationen seines Lebens zurück und erzählt ihm, wie er zu dem wurde, was er heute ist. Autor J.R. Moehringer kenne ich seit Tender Bar, einem feinen Buch, weshalb ich nun auch „Knapp am Herz vorbei“ gelesen habe. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Die Geschichte läuft flüssig; es ist ebenso kurios wie folgerichtig, wie Sutton zum Bankraub kam und dann dabei blieb.

Rose Tremain. Der unausweichliche Tag.
(Aus dem Englischen von Christel Dormagen)
Die Autorin hat mich mit „Der weite Weg“ nach Hause seinerzeit sehr beeindruckt. Doch „Der unausweichliche Tag“ ist ein Buch, das Sie gut liegen lassen können. Kurz zur Handlung: Anthony Verey, Antiquitätenhändler aus London, ist Mitte 60 und entschließt sich, sein altes Leben über Bord zu werfen und in der Nähe seiner Schwester Veronica ein Haus in Frankreich zu kaufen. Doch die Besitzer, ein schrulliges Geschwisterpaar, sind sich nicht einig. Leider ist die Geschichte vorhersehbar und noch dazu blutleer erzählt. Schade.

Aldo Maria Valli. Die kleine Welt des Vatikan. Alltagsleben im Kirchenstaat.
(Aus dem Italienischen von Renate Warttmann)
Ein Buch, das ich schnell wieder beiseite gelegt habe. Denn entgegen dem Titel gibt es darin keine Alltagsgeschichten aus dem Vatikan. Stattdessen beschreibt Valli die Gebäude und die Flagge, die verschiedenen Ämter und die Geschichte des Vatikan. Das ist sehr ermüdend. Ich hätte lieber etwas vom Vatikan-Apotheker und dem Mann gelesen, der den ganzen Blumenschmuck macht, von einem Soldaten des Schweizer Garde oder vom Pförtner. Doch Menschen kommen kaum vor. Sehr schade.

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Elektronisch gelesen:

Charlotte Link. Der Beobachter.
Samson ist arbeitslos. Aus Langeweile beobachtet er Frauen, träumt sich in ihr Leben, verliebt sich in sie. Dann werden zwei ältere Damen brutal ermordet. Schnell wird klar: Samson ist – trotz seines absonderlichen Hobbys – nicht der Mörder. Aber wer ist es dann? Und wo ist die Verbindung zwischen den Toten und den Frauen, die Samson beobachtet? Wer ist dieser John Burton, der plötzlich im Leben einer der Beobacheten auftaucht? Nicht der beste Link, aber solide.

Philipp Meyer. The Son. 
(Deutscher Titel: Der erste Sohn)
Das Buch wird gefeiert als „das Gründungymythos Amerikas“. Meyer erzählt die Geschichte der Eroberung des amerikanischen Westens als große Familiensaga über drei Generationen. Ich habe es nicht über das erste Drittel hinaus geschafft. Die Charaktere sind mir zu hölzern, die Szenen zu konstruiert, die Zeitsprünge gingen mir auf die Nerven.

Joachim Meyerhoff. Alle Toten fliegen hoch: Amerika.
Ein Meisterstück! Joachim Meyerhoff – eigentlich Schauspieler – erzählt, stark biographisch, wie er/der Erzähler als Austauschschüler ins ländliche Wyoming kommt. Und das eigentlich nur, weil er im alles entscheidenden Fragebogen bei der Austauschagentur angegeben hat, er sei ein genügsamer, naturbegeisterter und streng religiöser Kleinstädter – weshalb er nun hat, was (nicht) wollte: Blick auf die Prärie, Pferde und die Rocky Mountains. Doch was ernüchternd beginnt, entpuppt sich als ziemlicht nett, zumal bald die Basketballsaison startet. Meyerhoff erzählt wunderbar einfühlsam und selbstironisch von seinen Erfahrungen in den USA, dem Gefühl des Ausbrechens aus dem Elternhaus und wie es ist, als Jugendlicher in der Fremde zurechtzukommen.

Joachim Meyerhoff. Wann wird es endlich so, wie es nie war.
Die Vorgeschichte zu „Amerika“, wieder autobiographisch. Meyerhoffs Vater war Leiter einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Familie lebte in einem Haus auf dem Gelände. Meyerhoffs kindlichen Erfahrungen sind deshalb geprägt vom Leben inmitten von ganz dicken und ganz dünnen Jugendlichen, solchen, die nicht sprechen, und wieder anderen, die geistig oder körperlich behindert sind. Sein Vater indessen ist ein reiner Theoretiker und in praktischen Dingen völlig verloren, seine Mutter versucht, den Laden am Laufen zu halten, und seine Brüder ergehen sich in ihren Hobbys. „Wann wird es endlich so, wie es nie war“ ist nicht so gut wie „Amerika“, aber eine gute Ergänzung.

Kathrin Seddig. Eheroman.
Ava ist anders. Noch nie hat sie sich richtig zugehörig gefühlt. Dann verliebt sich der erst 12-jährige und deutlich jüngere Danilo in sie. Auch Ava fühlt sich zu ihm hingezogen. Als Danilo 16 ist, zieht er bei ihr ein. Danilo macht Avas Alltag zu etwas Besonderem, obwohl er nur sein eigenes, pubertäres Ding durchzieht. Ich konnte das Buch irgendwann nicht mehr weiterlesen. Die Geschichte war mir zu destruktiv, Ava zu misanthropisch, Danilo zu egoistisch.

Robert Seethaler. Ein ganzes Leben.
Seethaler kenne ich vom „Trafikanten„, eines der herausragendsten Bücher des vergangenen Jahres. Andreas Egger kommt als kleiner Junge in ein Tal, in dem er sein Leben verbringen wird. Er ist nicht besonders helle und auch nicht sehr kommunikativ. Er hat eine kleine, körperliche Behinderung. Trotzdem findet er Anstellung als Hilfsknecht und schließlich als Arbeiter für ein Seilbahnunternehmen. Er lernt die Liebe seines Lebens kennen und verliert sie wieder. „Ein ganzes Leben“ ist die Geschichte eines einfachen Mannes, sie ist schlicht wie die Figur und doch bewegend. Ich bin Andreas Egger gerne durchs Leben gefolgt. Ein gutes Buch.

Kommentare

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  1. Mercator sagt:

    Jetzt musste ich mir doch gleich auf you tube mal die Sensation mit der 10 für Nadia Comăneci ansehen.

    Boa! Gänsehaut. Auch jetzt noch. Mir fällt wieder ein, wie mir der Name damals vollkommen geläufig war und eigentlich als Synonym für Gymnastik-Goldmedaillen stand…

    1. Frau Nessy sagt:

      In dem Buch ist beschrieben, dass Nadia Comăneci als erste Frau Herrenfiguren turnte. Und wie sie dazu trainieren musste.

  2. Die Lebensgeschichte von Nadia Comaneci ist wirklich heftig.

    1. Frau Nessy sagt:

      Absolut. Und der Hintergrund ihrer Erfolge: erschreckend. Heute würde man das zur Anzeige bringen. Alles. Als Misshandlung Schutzbefohlener, Körperverletzung, Nötigung. Unglaublich aber auch das nachträgliche Verklären dieser Erlebnisse.

  3. tonari sagt:

    Danke für den Tipp zum Buch über Nadia Comaneci.
    Ich erinnere mich noch sehr gut, bin ich doch nur zwei Jahre jünger.
    Und nun wanderte das Buch in den Einkaufskorb.

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