Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Die Ketchup-Kinder und der Mann mit der Geige

15. 07. 2007  •  1 Kommentar

Bei mir gegenüber wohnt die Ketchup-Familie. Sie heißt Ketchup-Familie, weil die Kinder eine ganze Menge Ketchup-Flecken auf ihrem Gesicht und ihrer Kleidung spazieren tragen und weil sie den Eindruck machen, als gäbe es bei ihnen nur Dinge zu essen, zu denen Ketchup passt. Wobei Ketchup natürlich zu allem passt, wenn man Kind ist, aber davon mal abgesehen.

Die Ketchup-Familie ist eine jener Großstadt-Familien, in der zwar keine Kinder verhungern, sie aber auch keine besondere Beachtung finden. So werden die drei Buben der Ketchups, nennen wir sie Marvin, Melvin und Justin, morgens auf die Straße geschickt und erst abends wieder reingeholt. In der Zwischenzeit laufen sie orientierungslos den Bürgersteig entlang, dreschen aufeinander ein, bis einer heult, oder sitzen einfach nur da und graben mit Stöcken in den Blumenrabatten, bis einer der Passanten mit ihnen schimpft.

Marvin, Melvin und Justin haben eine Mama und ein paar Männer, die vielleicht ihre Papas sind. Die Mama hat blond gefärbte Haare und trägt unter ihrem Top einen kleinen Hängebauch von den Schwangerschaften. Sie ist noch keine 30, aber ihre Gesichtshaut ist fahl und ihr Blick stumpf. Manchmal schubst sie die Kinder hinaus und ich sehe sie an der verglasten Tür des Mehrfamilienhauses, eine Kippe in der einen Hand, ihr Handy in der anderen. Es gibt Tage, da kehrt sie mit ihren drei Buben von einem unbekannten Ort zurück, die Kinder laufen vor ihr her, schlagen sich mit gefundenen Ästen und schreien „Fick dich!“ durch die Straßenschluchten, während sie SMS tippt.

Wenn einer der Papas vorfährt, heften sich Marvin, Melvin und Justin an seine Beine, kaum dass er aus dem Auto gestiegen ist. Mit fahrigen Bewegungen fährt seine Hand über die Köpfe der Kinder. Aber eigentlich will er zur Ketchup-Mama, die die Treppe hinunter kommt, weil sie das Jubelgeschrei der Buben gehört hat. Die beiden gehen ins Haus, und während sie in der Wohnung sind, klingeln die Kinder vor der verglasten Haustür so lange, bis der Papa hinunter kommt und sie ausschimpft.

Seit einigen Wochen haben Marvin, Melvin und Justin einen neuen Freund, den Mann mit der Geige. Der Mann mit der Geige ist ein großer Asiate mit vollem, fast langem Haar und feinen Gesichtszügen. Er wohnt in einem der Appartments in der Nachbarschaft, die auf Zeit vermietet werden. Jeden Tag steht er an der Straße, den Geigenkasten über der Schulter, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben und wartet auf seinen Chauffeur. Es dauert immer nur wenige Minuten, dann kommen die Ketchup-Kinder und umschwirren ihn wie kleine Motten das Licht. Sie lieben ihn, denn er kniet sich hin, wenn er mit ihnen spricht, fragt nach, wenn sie ihm etwas erzählen und berührt sie vorsichtig am Arm, wenn er mit ihnen lacht. Jedesmal, wenn der Mann mit der Geige bei seinem Chauffeur ins Auto gestiegen ist, laufen die Ketchup-Kinder winkend neben dem Wagen den Bürgersteig entlang, bis er um die Ecke und auf die Hauptstraße gebogen ist. Dann gehen sie gesenkten Hauptes wieder zurück, setzen sich an ein Blumenrabatt und schlagen mit Stöcken auf die Pflanzen ein.

Alles Gute

1. 07. 2007  •  Keine Kommentare

Wir haben alles dabei. Er hat es eingepackt. Ich habe nur ein paar Pinsel in eine Plastiktüte gesteckt, meine Malerklamotten und die Schlüssel. Schweigend sind wir hergefahren. Er hat mich abgeholt, ich bin ins Auto gestiegen. Scheu, mit zusammengekniffenen Lippen und nachtverquollenen Augen haben wir uns in dunstigem Licht einen guten Morgen gewünscht. Doch es war nur eine Floskel, wie so viele unserer Worte, die wir einander in den vergangenen Wochen gesagt haben, nur Floskeln gewesen sind.

Nach einer Stunde Fahrt steigen wir aus dem Wagen, Eimer mit Farbe, meine Tüte mit Pinseln und Klamotten zum Wechseln am Arm. Der Schlüssel gleitet ins Schloss der Haustür, an deren Holz der Lack absplittert. Mit einem Quietschen öffnet sie sich in den Flur mit den Steinstufen, die wir hinauf in die Hochparterre gehen, in der wir gemeinsam gewohnt haben. Aus unserem Briefkasten, der nicht mehr unser Briefkasten ist, sondern nur noch der Briefkasten einer Wohnung, in der einmal zwei Menschen gewohnt haben, die nach dem heutigen Tag wieder eigene Briefkästen haben werde, hängen Werbeprospekte. Ich klemme mir meine Malerkleidung unter den Arm, fingere sie heraus und werfe sie auf den Stapel Altpapier, der neben der Haustür liegt.

Ein Tag ist eingeplant, um Monate des Zusammenlebens überzupinseln. Wir betreten die Wohnung, an deren Wänden Löcher und Schleifspuren Ereignisse nachzeichnen.

„Ich mache die Küche. Du kannst ja im Schlafzimmer anfangen“, sagt er und nimmt mir die Tüte mit den Pinseln und den Eimer Farbe aus der Hand. Es ist das Erste, das er seit „Guten Morgen“ zu mir sagt. Es klingt seltsam fremd aus diesem vertrauten Mund, der mich so viele Male geküsst hat hier in dieser Wohnung, die nun so leer und verlassen ist wie wir. Meine Schritte hallen in den Räumen wider. Ich ziehe mich im Schlafzimmer um, in einer Ecke, die er vom Flur aus nicht einsehen kann. Ich schäme mich vor ihm, obwohl er mich so viele Male nackt gesehen hat. Doch heute ist es ein anderes Nacktsein, kein körperliches, die schutzlose Begegnung zweier Verwundeter, die einander nicht noch mehr verletzen möchten.

Es ist bereits dunkel, als wir fertig sind. Es riecht nach Kopfschmerzen und Neuanfang, als wir die Tür hinter uns zuziehen und ein letztes Mal abschließen, eine blaue Tüte Müll, einen leeren Eimer Farbe, gebrauchte Pinsel und beschmutzte Kleidung in den Kofferraum legen und über die Autobahn vor unserer gemeinsamen Vergangenheit davon fahren. Der Himmel ist in ein sattes Blau gefärbt. In der Ferne rauchen Schlote, und ich gebe mir Mühe, nicht zu weinen. Er fährt, während ich aus dem Beifahrerfenster blicke und das Radio Mittelwelle 102,2 spielt. Es will mir nicht recht gelingen, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt mir wenigstens, nicht zu schluchzen, und so lasse ich sie leise meine Wangen hinablaufen und wische mir die Nase mit meinem Handrücken ab.

Nach einer Stunde setzt er mich vor meiner neuen Wohnung ab, in der eine Matratze auf der Erde liegt und ein Fernseher auf dem Teppich steht. Er steigt aus, als ich aussteige, doch er kommt nicht mit zum Haus, sondern legt nur die angewinkelten Arme auf Autotür und Wagendach. Ich nehme meine Sachen aus dem Kofferraum und spüre, wie er mir nachblickt, als ich zur Tür gehe und sie aufschließe. „Alles Gute“, sagt er in diesem Moment, in dieser Situation, in der er sonst vielleicht „Bis morgen“ gesagt hätte. Ich drehe mich um und sehe ihn noch einmal kurz an, wie er dasteht, im Licht einer Straßenlaterne eingeklemmt in der geöffneten Fahrertür. Dann gehe ich ins Haus, nehme mit der freien Hand Post aus meinem Briefkasten und schließe die Tür.



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