Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Wir haben alles dabei. Er hat es eingepackt. Ich habe nur ein paar Pinsel in eine Plastiktüte gesteckt, meine Malerklamotten und die Schlüssel. Schweigend sind wir hergefahren. Er hat mich abgeholt, ich bin ins Auto gestiegen. Scheu, mit zusammengekniffenen Lippen und nachtverquollenen Augen haben wir uns in dunstigem Licht einen guten Morgen gewünscht. Doch es war nur eine Floskel, wie so viele unserer Worte, die wir einander in den vergangenen Wochen gesagt haben, nur Floskeln gewesen sind.

Nach einer Stunde Fahrt steigen wir aus dem Wagen, Eimer mit Farbe, meine Tüte mit Pinseln und Klamotten zum Wechseln am Arm. Der Schlüssel gleitet ins Schloss der Haustür, an deren Holz der Lack absplittert. Mit einem Quietschen öffnet sie sich in den Flur mit den Steinstufen, die wir hinauf in die Hochparterre gehen, in der wir gemeinsam gewohnt haben. Aus unserem Briefkasten, der nicht mehr unser Briefkasten ist, sondern nur noch der Briefkasten einer Wohnung, in der einmal zwei Menschen gewohnt haben, die nach dem heutigen Tag wieder eigene Briefkästen haben werde, hängen Werbeprospekte. Ich klemme mir meine Malerkleidung unter den Arm, fingere sie heraus und werfe sie auf den Stapel Altpapier, der neben der Haustür liegt.

Ein Tag ist eingeplant, um Monate des Zusammenlebens überzupinseln. Wir betreten die Wohnung, an deren Wänden Löcher und Schleifspuren Ereignisse nachzeichnen.

„Ich mache die Küche. Du kannst ja im Schlafzimmer anfangen“, sagt er und nimmt mir die Tüte mit den Pinseln und den Eimer Farbe aus der Hand. Es ist das Erste, das er seit „Guten Morgen“ zu mir sagt. Es klingt seltsam fremd aus diesem vertrauten Mund, der mich so viele Male geküsst hat hier in dieser Wohnung, die nun so leer und verlassen ist wie wir. Meine Schritte hallen in den Räumen wider. Ich ziehe mich im Schlafzimmer um, in einer Ecke, die er vom Flur aus nicht einsehen kann. Ich schäme mich vor ihm, obwohl er mich so viele Male nackt gesehen hat. Doch heute ist es ein anderes Nacktsein, kein körperliches, die schutzlose Begegnung zweier Verwundeter, die einander nicht noch mehr verletzen möchten.

Es ist bereits dunkel, als wir fertig sind. Es riecht nach Kopfschmerzen und Neuanfang, als wir die Tür hinter uns zuziehen und ein letztes Mal abschließen, eine blaue Tüte Müll, einen leeren Eimer Farbe, gebrauchte Pinsel und beschmutzte Kleidung in den Kofferraum legen und über die Autobahn vor unserer gemeinsamen Vergangenheit davon fahren. Der Himmel ist in ein sattes Blau gefärbt. In der Ferne rauchen Schlote, und ich gebe mir Mühe, nicht zu weinen. Er fährt, während ich aus dem Beifahrerfenster blicke und das Radio Mittelwelle 102,2 spielt. Es will mir nicht recht gelingen, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt mir wenigstens, nicht zu schluchzen, und so lasse ich sie leise meine Wangen hinablaufen und wische mir die Nase mit meinem Handrücken ab.

Nach einer Stunde setzt er mich vor meiner neuen Wohnung ab, in der eine Matratze auf der Erde liegt und ein Fernseher auf dem Teppich steht. Er steigt aus, als ich aussteige, doch er kommt nicht mit zum Haus, sondern legt nur die angewinkelten Arme auf Autotür und Wagendach. Ich nehme meine Sachen aus dem Kofferraum und spüre, wie er mir nachblickt, als ich zur Tür gehe und sie aufschließe. „Alles Gute“, sagt er in diesem Moment, in dieser Situation, in der er sonst vielleicht „Bis morgen“ gesagt hätte. Ich drehe mich um und sehe ihn noch einmal kurz an, wie er dasteht, im Licht einer Straßenlaterne eingeklemmt in der geöffneten Fahrertür. Dann gehe ich ins Haus, nehme mit der freien Hand Post aus meinem Briefkasten und schließe die Tür.

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