Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Frühling, Emotionen und ein Experiment zu solidarischer Eigenverantwortung

12. 4. 2024 1 Kommentar Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Der Lenz | Im Garten blühen die Tulpen: orange und pink, rot auch. Es riecht nach Pflanzen und Säen, ich möchte sofort loslegen, meine Hand in die Herde stecken, Erde ausheben, Tomaten und Gurken setzen, daneben Zucchini und Zwiebeln – und Salat einsäen, Möhren und Mangold. Aber am Ende kommt dann doch noch eine Frostnacht und alles ist hinüber. Im vergangenen Jahr sind meine ersten Gurken und Tomaten so in vorwurfsvoller Dramatik verstorben. Also lasse ich es noch; ich bin zwar ungeduldig, habe aber auch eine Lernkurve. Die Tomaten, ein Geburtstagsgeschenk, gedeihen derweil im Haus.

Tomatenpflanzen, noch klein, auf einem Holztisch, dahinter ein graues Sofa

Saharastaub | Überall Saharastaub. Es fühlt sich wild und abenteuerlich an, Staub aus einer dreitausend Kilometer entfernten, gefährlichen Wüste hier auf der Fensterbank zu haben. Letztlich bin ich aber doch nicht auf Safari, sondern nur in die Waschstraße gefahren, auch weil mir gleichzeitig ein Schwarm diarrhöischer Elefantenvögel aufs Auto gesch*ssen hat.


Experiment zur solidarischen Eigenverantwortung | Auf der Rückfahrt von einem Kunden stand ich im Stau, die Verstopfung war immens. Schnell war klar: Das ist eine Vollsperrung. Das Internet informierte zur Ursache: Entschärfung eines Weltkriegsblindgängers. Die folgende Stunde entwickelte sich zu einer Verhaltensstudie.

Die Autobahn war zweispurig. Die linke Spur wurde erst per Reißverschluss auf die rechte geleitet, die rechte dann in die Ausfahrt. Der Verkehr hätte auf diese Weise einigermaßen flüssig in den Stadtverkehr abfließen können. Auf Höhe des Reißverschlusses wichen Fahrer:innen der rechten Spur allerdings auf den Standstreifen aus, um einen Hauch schneller in die Ausfahrt zu gelangen. Die Konsequenz: In der Ausfahrt musste nochmals von links nach rechts eingefädelt werden, nämlich die rechte Spur in die nun volle Ausfahrt. Die Standspurler verteidigten dabei verbissen ihren Vorsprung und fuhren schnell noch eine Autolänge vor, statt jemanden reinzulassen.

In der Autobahnausfahrt war dann rasch klar, dass es rechts gehen musste, um die ursprüngliche Richtung fortzusetzen. Diese Erkenntnis wurde alsbald durch provisorische Schilder und einen winkenden Mann in orangener Kleidung bestätigt. Gleichwohl scherten Leute links aus und zogen vorbei, um sich vor der T-Kreuzung wieder nach rechts einuzufädeln. In der Folge verzögerte sich erneut alles für alle.

Das Ganze dauerte eine Stunde. Ich hörte dabei True Crime mit Gemetzel, atmete in meine innere Mitte und versuchte, alles als Teil meines spirituellen Weges zu betrachten.


Sonst nur Alltag | Arbeit daheim und Arbeit beim Kunden, Beratung, Gespräche, Seminarvorbereitung und Terminkoordination, Weiterbildung an der Fernuni. Außerdem Wäsche waschen, einkaufen, Essen kochen, Schweinestall säubern, Sie kennen das. Demnächst stehen zwei religiöse Ereignisse ins Haus: Konfirmation und Kommunion. Ich bin jeweils nur mittelbar beteiligt, aber auch hier kleinere Absprachen.


Entscheidungen und Emotionen | Ich las außerdem Fachtexte zur Psychologie der Entscheidung. Sehr interessant, sowohl Phänomene, die in Entscheidungssituationen auftreten, als auch die unterschiedlichen Denkprozesse, die einsetzen, wenn wir zwei oder mehr Optionen haben.

Wenn wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden sollen, betrachten wir die einzelnen Argumente, die für und gegen Möglichkeit Eins sprechen und die einzelnen Argumente, die für und gegen Möglichkeit Zwei sprechen, wobei sich positive und negative Argumente ausgleichen. Wir bilden dann eine Bilanz für Eins und eine Bilanz für Zwei.

Wenn wir allerdings die Auswahl zwischen drei und mehr Möglichkeiten haben, vergleichen wir die die einzelnen Argumente untereinander, die für Eins, Zwei und Drei sprechen. Wir bilden also eine Bilanz für Argument A, eine Bilanz für Argument B und so weiter. Ist es beispielsweise so, dass die Möglichkeit Drei bei Argument a sehr weit hinten liegt, schließen wir die gesamte Möglichkeit Drei sofort aus. Wir ziehen keine Gesamtbilanz mehr aus allen Argumenten, die für oder gegen Möglichkeit Drei sprechen.

Interessant auch das Kapitel zu Emotionen im Entscheidungsprozess. Wut und Furcht sind zum Beispiel Einflussnehmer in unterschiedliche Richtungen: Während verärgerte Menschen Dinge als kontrollierbarer einschätzen, als sie sind, und Risiken abwerten, schätzen furchtvolle Menschen sie höher ein. Wenn Sie eine risikoreiche Entscheidung von jemandem wünschen, sollten Sie vor der Entscheidung also ein Thema platzieren, das ein leichtes Ärgergefühl erzeugt. Sollten Sie selbst in verärgerter Stimmung sein: Achtung! Sie neigen dazu, Dinge als kontrollierbarer einzuschätzen, als sie sind. (Das ist das gleiche Prinzip, aus dem heraus wir risikoreicher Auto fahren, wenn wir aufgebracht sind.)

Auch Scham und Schuld sind spannende Emotionen. Schuld ist das Grundgefühl, das schlechtem Gewissen zugrunde liegt. Es entsteht, wenn wir unsere eigenen moralischen Prinzipien verletzen. Gewissensbisse sind also ein privates Gefühl, das wir haben, wenn wir unser eigenes Selbst nach unseren eigenen Maßstäben bewerten. Scham hingegen tritt ein, wenn wir öffentlich als moralisch schlecht oder inkompetent wahrgenommen werden – oder uns vorstellen, dass es so sein könnte. Hier sind die Maßstäbe anderer relevant. Scham ist also im Gegensatz zu Schuld und Gewissensbissen eine öffentliche Emotion.

Um unser schlechtes Gewissen zu reparieren, versuchen wir, unsere Handlungen vor uns selbst wieder gut zu machen, indem wir uns klein machen und über die Maßen kooperativ verhalten. Deshalb können Menschen, die ein (permanent) schlechtes Gewissen haben, sich auch schlecht abgrenzen (ich denke hier zum Beispiel an Mütter und Vereinbarkeit; hier hilft nur das Verschieben des eigenen moralischen Kompass). Unsere Mittel, Scham zu entgehen, sind Flucht und egozentrisches Verhalten.

Die Komplementäremotionen von Schuld und Scham sind übrigens Stolz und Überheblichkeit.

vgl. Pfister, Jungermann, Fischer (2017): Die Psychologie der Entscheidung


Transfer | Die Frage, inwieweit das Experiment zur solidarischen Eigenverantwortung und die nachfolgend skizzierten Emotionsmuster zusammenhängen, hinterlasse ich uns allen als Denkaufgabe.


Gelesen | 23 Beobachtungen in Taiwan: diagonale Ampeln, Spätis 2.0, Dreifach-Wasserspender und Körbe unterm Tisch – wie praktisch, man könnte sich etwas abgucken (via Maximilian)


Schweine | Die Schweine können sich nun auf unserer ganzen Rasenfläche frei bewegen. Sie sind sehr glücklich. Es muss sich anfühlen wie in Pudding zu baden.

sehr zufrieden blickendes Meerschwein auf der Wiese, davor Perlhyazinthen. Am Rand ein weiteres Schwein, grasend.

(Keine Sorge wegen der Hyazinthen. Die Schweine fressen sie nicht. Ich habe das beobachtet.)

Kommentare

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  1. Neli sagt:

    Praktisch die kleinen Meerschweinchen, lebendige kleine Mähroboter mit Düngerfunktion

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