Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Im Kiez | Am Vormittag fuhr ich mit dem Fahrrad um den See. Das Wasser lag still. Am Ufer grasten die Gänse. Ihre Küken sind nicht mehr klein, eher von wilder Jugendlichkeit. Das Gras ist gelb, der Weg staubig. Im Blühstreifen surren die Insekten. Außer mir ist niemand dort. 9 Uhr morgens, 32 Grad: Den Flaneuren ist es zu heiß.

Phoenixsee mit Fahrradweg und Blühstreifen, menschenleer

Ich fahre in die kleine Fußgängerzone im Stadtteil. Der Wochenmarkt hat sich in die Schatten der Häuser verdrückt, die Schlanke Mathilde, die große Uhr mit den Laternen, steht einsam in der Mitte. Von der Treppe, die in die Tiefe führt, weht der typische U-Bahn-Geruch herauf, eine Mischung aus Keller, Metall und kalter Kohle. Hinter dem Gemüsestand verwirbelt ein Ventilator die Luft. Daneben ein Aufsteller für „Erbsensuppe mit Einlage“; eine Frau mit kräftigen Armen rührt in einer Gulaschkanone. Rentner schlurfen über den Platz, am Arm Einkaufsnetze mit Gemüse.

In der Buchhandlung sucht eine alte Frau ein Geschenk. Politik soll es sein, aber konservativ. Von Fritze Merz ist nichts vorhanden. Die Merkel ist nicht recht, der Habeck schon gar nicht, Gott bewahre. Man tut sich schwer mit der Auswahl. Die Buchhandlung neigt zu Fortschritt und Feminismus.

Ich kaufe drei Bücher: 60 Kilo Sonnenschein von Hallgrímur Helgason, Schlaflos von Sarah Moss und das Sachbuch Revolutions – Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten von Hannah Ross.

In der Drogerie ist volles Haus. Man erwirbt Sonnenmilch, Fruchtfliegenfallen und Corona-Tests, Feuchttücher und Shampoos in Reisegrößen. Ich fahre weiter zum Fahrradladen; ich brauche eine Radfahrhose, eine, bei der das Polster weiter nach vorne ragt. In der Kabine ist es heiß, aber gleich die erste Hose passt. Ich nehme noch Reflektorbänder dazu, für kältere Tage, wenn die Jeans wieder länger wird. Pedalriemen sind aus, es sind keine mehr im Regal und auch nicht mehr auf Lager; das ist misslich. Mit mir ist nur ein weiterer Kunde im Laden. Er fährt Fahrräder Probe, Runde um Runde, die Reifen quietschen auf dem Betonboden, er murmelt Unverständliches im Vorbeifahren. Ein Verkäufer räumt Red Bull in einen Kühlschrank. Ein weiterer fährt mit der Hand über die Bügel mit Trikots, eins ragt heraus, er schiebt es zurück in die Reihe, dreht den Ständer, geht zum nächsten.

Auf dem Rückweg drei Menschen: ein Mann, der schlurfend Staub aufwirbelt und dabei in einer rauen, kehligen Sprache in sein Handy ruft. Er hält es wie ein Pizzastück vor den Mund; es sieht aus, als wolle er gleich hineinbeißen, so weit geht sein Mund auf. Gleich darauf kommen mir zwei Radler entgegen, ein Mann und eine Frau, E-Bike und textile Vollausstattung, Warnwesten. Sie sehen entschlossen aus, als wollten sie noch bis Hattingen fahren, Besichtigung Burg Blankenstein, danach Kaffeetrinken an der Ruhr, Hitze hin oder her, geplant ist geplant.

Ich komme nach Hause, schneide das Preisschild aus der Hose und lege die Bücher in die Küche. Sie werden dort bis heute Abend liegenbleiben, denn auch wenn ich sie noch nicht lese, schaue ich neue Bücher gerne an und freue mich auf sie.


Gartenbeobachtungen | Seit Monaten hat es in Dortmund nicht geregnet, nicht nennenswert. Die Erde ist hart und trocken. Selbst wenn ich mit dem Spaten hineinsteche, sehe ich keine Feuchte. Die Wetterstation bestätigt: Es gab seit Mai nur wenige Millimeter Niederschlag, und wenn doch einmal, war die Erde nur benetzt; unter Büschen und Bäumen nicht einmal das. Meine Regentonne ist schon lange leer.

Die Herbstanenomen beginnen zu blühen; normalerweise tun sie das erst ab Mitte/Ende August. Die Schwertlilien sind vertrocknet; sie vergehen sonst erst im September. Die Erdbeerpflanzen liegen platt danieder. Der Hibiskus vergilbt. Die Monbretien blühen und verblühen zwischen zwei Wimpernschlägen. Ich würde nochmal Salat, Spinat und Mangold einsäen, aber ohne zweimal tägliches Wässern kämen die Saaten auf keinen grünen Zweig. Also lasse ich es.

Einzig die Gurken erfreut das Wetter. Im Bild habe ich sieben Stück versteckt.

Gurkenpflanze im Gewächshaus, daran mehrere Gurken

Broterwerb | Ich arbeite heute sporadisch, schreibe ein Angebot und bereite Dinge für einen Auftrag vor, für den ich im August nach Rostock reise.

38 Grad. Zeit für Wassermelone.


Andernorts | Frau Novemberregen lässt Themenvorschläge einreichen, über die sie dann bloggt. Es ist interessant zu lesen, was eingetragen wird – „Dosenobst“ zum Beispiel. Dosenobst finde ich mitunter super, etwa in Form von Pfirsichen, nicht aber als Fruchtcocktail, Sie wissen schon … der, der so 70er ist. Weitere Einreichungen: „Kenne ich eigentlich meine direkten Nachbarn?“, „Atmen“ und „Taschentücher“. Aus meiner Sicht gibt es ja zwei Arten von Leuten: Die, die immer Taschentücher dabei haben, und die, die nie Taschentücher dabei haben; ich gehöre zu letzteren.


Gehört | Jan Ullrich – Held auf Zeit, ein Hörstück in sieben Etappen. NDR-Autor Moritz Cassalette arbeitet die Ambivalenz heraus, die Ullrich begleitet: die Eigenverantwortung, die er einerseits nicht ausreichend besaß, und das System aus Druck und Doping, das eine Eigenverantwortung nicht zulässt.

Gelesen | Ein Tagebuchblog, das Sie vielleicht noch nicht kennen – oder doch. Jedenfalls las ich dort die vergangene Wochen nach: Alltägliches und Ausgedachtes.

Kommentare

3 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓

  1. Juja sagt:

    Die Taschentuchbeobachtung kann ich so nicht unterschreiben. Meine Lage ist: meine Oma hat Zeit ihres Lebens alle Familienmitglieder nur mit der Frage „Hast du ein Taschentuch?“ (bitte in Dialekt denken) in größere Unternehmungen entlassen. Und ich vermute, ich trage das Taschentuch-Dabeihaben nicht in mir, aber diese Omafrage trage ich nun in mir und verbringe somit zumindest mein halbes Leben mit verfügbarem Taschentuch.

  2. Meja sagt:

    Ich versuche immer Taschentücher (aus Stoff) dabei zu haben. Meist dienen

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