Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Gedankenversunken | Gestern habe ich gedacht.

Ich habe nachgedacht und bedacht, ich habe vorgedacht und vorausgedacht. Ich habe weniger überdacht, mehr durchdacht, mich hineingedacht – Dinge erdacht. In einzelnen Fällen habe ich auch weitergedacht, fortgedacht, quergedacht, um die Ecke gedacht. Es ist erstaunlich, auf wie viele Arten man denken kann, wenn man erst einmal zu denken begonnen hat.

Das Denken kommt in meinem Alltag derzeit zu kurz. Ich stehe morgens auf und meine Gedanken sind noch trübe. Ich fahre zum Kunden. Dort habe ich Gespräche und Termine – oder halte einen Workshop, in dem ich zuvor Erdachtes zum Besten gebe. Manchmal denke ich auch nicht selbst, sondern bringe Leute zum Denken; ich habe mir dann vorher ausgedacht, was Menschen brauchen, um anders zu denken, als sie es sonst tun.

Wenn ich abends heim komme, bin ich müde. Dann denke ich nur, dass ich mal wieder denken müsste. Dass ich mal nachdenken, Gehörtes durchdenken müsste, um es zu ordnen, um Gedanken zusammenzuführen, zwei zu einem, oder um einen Gedanken in mehrere aufzufalten, damit er, ähnlicher einer Seerose, die auf dem Seegrund eine Wurzel hat und ein Feld von Blüten trägt, auf der Oberfläche sichtbar wird.

Deshalb habe ich für diese Woche Tempo rausgenommen. Ich habe nur zwei Auswärtstermine; alles Andere läuft telefonisch – und zwischendurch habe ich Zeit, aus dem Fenster zu schauen und zu denken. Eigentlich bräuchte ich mehr als eine Woche; aber diese eine Woche gibt immerhin Gelegenheit, die wichtigsten Gedanken zu denken; oder zu erkennen, was die wichtigsten Gedanken sein könnten, die ich denken müsste.

Den ersten Denkerfolg hatte ich am Vormittag. Ein Kundenworkshop lastete schwer auf meiner Seele. Seit Wochen fragte ich mich: Wie mache ich das bloß? Wie bringe ich den Kunden zu einer Lösung? Es ist ja mitnichten so, dass ich nur meine Schublade aufzuziehen brauche und dort ist dann die Umsetzung aus dem Standardbaukasten. Vieles ist indivuell: Die Kunden haben unterschiedliche Fragen, unterschiedliche Umstände, ähnliche Probleme, aber andere Zielsetzungen, sie haben eine unterschiedliche Kultur und andere Menschen, unterschiedliches Budget und andere Erwartungen. Erfahrung und Methodik helfen zwar, all das anzugehen. Doch dazu benötigt es Zeit zum Erkennen, zum Nachdenken und zum Ordnen der Gedanken.


Supermarktfetzen | Was ich vergaß zu erzählen: Ich war im Supermarkt. Am Samstag – das war der Tag nach dem Feiertag. Der Supermarkt war ein Inferno. Überall Menschen. Zielstrebige Menschen. Hungrige Menschen. Kaufwütige Menschen. Menschen, die zu allem bereit waren, um an eine Packung fettreduzierenden Streichkäse zu gelangen.

Sie führten Gespräche. Beim Obst. Bei den MoPro*. Im Reissegment. Darunter waren erstaunlich viele Gespräche zum Thema: Wer geht in der Familie wann wie einkaufen?

Zitatfetzen, unabhängig voneinander erlauscht:

„Er nimmt mir heute die Kinder ab. Damit ich in Ruhe einkaufen kann.“

„Schlimm, wie voll es heute ist. Das liegt daran, weil die Mütter jetzt auch alle berufstätig sind. Die müssen dann alles am Wochenende machen.“

„Zum Glück geht mein Mann auch manchmal einkaufen. Nicht so wie bei der Maike. Die ist ja wirklich für alles alleine zuständig. Der ihr Mann packt ja gar nicht mit an.

Ich war danach gleichermaßen überrascht, wütend und konsterniert.

*Molkereiprodukte. Können Sie als Einzelhandelsinsider auf Parties einstreuen.


Mit der gelben Post | Neues von der Namensvetterin, die immer meine E-Mailadresse verwendet: Ihre Telefonrechnung ist in meinem elektronischen Postfach gelandet. Sie ist in Zahlungsverzug. Das verwundert nicht. Denn ich bin es ja, die ihre Rechnungen bekommt (und nicht begleicht).

Sie erinnern sich vielleicht: Sie wohnt inzwischen in Australien. Zunächst dachte ich, sie mache dort nur Urlaub, fahre mit Uber herum und besichtige Sehenswürdigkeiten, für die sie online Karten kauft. Nachdem sie allerdings einen Telefonanschluss bestellte, liegt die Vermutung nahe, dass es ein längerer Aufenthalt wird.

Ich habe ihr die Rechnung ausgedruckt, eine Dortmunder Postkarte dazugelegt, ihr liebevolle Worte geschrieben, ihre zeitgleiche Anmeldung in der Mc-Donald’s-App und beim Fitnesstudio gewürdigt und alles an die Adresse des Telefonanschlusses geschickt. Es ist doch immer schön, Post zu bekommen, gerade fernab der Heimat.


Esstisch | Mein Esstisch sieht grad schön aus.

Weil ich in dieser Woche denkend daheim bin, lohnte es sich, Schnittblumen zu kaufen. Die schaue ich nun mehrmals am Tag versonnen an.


Unbekannter Besuch | Es gibt einen neuen Vogel im Garten. Ich sah ihn, während ich denkend aus dem Fenster blickte. Er ist so groß wie eine Amsel, aber dünner. Gelbe Brust, dunkle Flügel, gelb-melierter Rücken und schwarz-gelber Schwanz (Heja BVB!). Er landete auf dem Rasen, lief schnurstracks zur Wasserstelle, wippte mit dem Schwanz. Ging baden. Wippte weiter. Wetzte den Schnabel. Wippte. Ging wieder baden. Wippte. Und verschwand.

Ich griff sofort nach meinem Vogelbestimmungsbuch und konnte eindeutig feststellen:

Seite im Vogelbestimmungsbuch: Bild des Tieres, daneben Text

Zweifelsfrei eine Gebirgsstelze. Ich bin verzückt.


Gelesen | Für mich soll es Neurosen regnen von Peter Wittkamp.

Peter Wittkamp ist Autor und Gagschreiber der heute show online. Außerdem steckt er hinter der Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsgesellschaft. An sich also ein lustiger Mensch. Seit 20 Jahren hat er eine Zwangsstörung, die ihm einen bunten Strauß von Zwängen liefert: Er muss herumliegendes Obst aufheben. Er muss Radwege reparieren, weil sein Zwang befürchtet, dass sonst Menschen verunglücken. Er kann nicht auf Reifen gucken, weil sein Zwang denkt, es stecken Nägel darin und der Fahrer komme um. Sein Zwang riecht ständig Gas und Peter muss dann die Stadtwerke kontaktieren, damit niemand zu Schaden kommt. Den Waschzwang hat er mittlerweile überwunden (fast), aber Obst kann er auf keinen Fall auf der Straße liegen lassen. Es könnte ja sein, dass jemand darauf ausrutscht. Wie gut, könnte man meinen, dass er manchmal nur schwierig aus dem Haus kommt, weil er die Haustür mehrmals schließen muss, bis er sie auf die richtige Weise geschlossen hat.

Das ist alles ziemlich abstrus – von außen betrachtet. Peter Wittkamp gibt einen Einblick in die Welt der Zwänge, ordnet ein, gibt Hintergrundinfos und erzählt Anekdoten. Zum Beispiel die, als er sogar ein Straßenbauunternehmen beauftragte, um einen Radweg am Berliner Paul-Linke-Ufer zu reparieren – weil sein Zwang ihm keine Ruhe ließ.

Eine wirklich unterhaltsame Lektüre (man soll es kaum meinen), fluffig erzählt. Als Bonustrack gibt es einen Abstecher in die Psychiatrie und zur Frage, was Medikamente bringen. Trotzdem fällt es mir auch nach der letzten Seite noch schwer, wirklich zu verstehen, warum der Zwangskranke die Zwangshandlungen nicht einfach lassen kann. Aber das weiß er wahrscheinlich auch nicht.

Pluspunkt des Buches: Es hat viele Absätze. Ernsthaft! Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn ich ein Buch jederzeit zur Seite legen kann, weil es viele gedankliche Pausen macht, an denen ich dann auch eine Pause machen kann. Man sollte es als Qualitätsmerkmal mit aufs Buchcover schreiben.

Disclaimer: Ich erhielt das Buch als Rezensionsexemplar.

Gelesen | Passt zum Thema „Denken“: Why You Should Find Time to Be Alone With Yourself.

Kommentare

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  1. Danke für den Lesehinweis auf das Buch. Muss ich in meine Liste aufnehmen.

    Wenn Du Kunden „zu einer Lösung“ führst, beinhaltet das dann, dass Du die Lösung bereits wissen musst? Kann der Kunde mit Deiner Unterstützung die Lösung selbst entwickeln?

    1. Vanessa sagt:

      Ich spreche mit den Kunden über Erwartungen. Manche Kunden wünschen, dass ich mir Dinge anschaue und analysiere, meine Sicht und Ratschläge gebe – ihnen also eine Lösung gebe. Dann gebe ich ihnen zunächst meine Meinung zum Problem – die sich manchmal von ihrer unterscheidet und manchmal das bestärkt, was der Kunde schon geahnt hat. Außerdem gebe ich ihnen aus meiner Erfahrung heraus Impulse, wie man das Problem lösen kann – mit einer Empfehlung. Das findet meist dann so statt, wenn das Budget begrenzt ist oder es erstmal einen Gedankenanstoß braucht; der Rest wird dann inhouse erledigt. Bei einer guten Unternehmen- und Führungskultur ist das auch durchaus möglich. Bisweilen braucht es auch einfach jemanden von außen, der Drive in die Sache bringt.

      Es gibt auch Fragestellungen, bei denen das Problem gar nicht klar ist. Nur die Symptome sind offenbar, zum Beispiel unzufriedene Kunden. Auch die Lösung ist nicht offensichtlich. Oder: Die Lösung ist im Haus vorhanden, hat es durch hierarchische Strukturen aber nicht in die Realisierung geschafft. Oder: Wenn das eigentliche Problem erkannt und vergemeinschaftet ist – also alle sich einig sind, was genau das Problem ist -, ist die Lösung offensichtlich. Dann begleite ich manchmal noch die Implementierung, damit sie auch nachhaltig funktioniert. Es gibt also unterschiedliche Ergebnisse.

      Dass der Kunde mit meiner Unterstützung die Lösung selbst entwickelt, ist meist am sinnvollsten. Außerdem sind die Mitarbeiter:innen beim Kunden diejenigen, die sich am besten in ihrem Business auskennen. „Meine Unterstützung“ beinhaltet dann vor allem die Moderation und die Methodik; manchmal lenke ich leicht oder ordne ein. Zum Beispiel in Fällen, in denen die Leute sehr von ihrer Innensicht geprägt sind und den Kunden wenig im Blick haben.

    2. Danke für die ausführliche Beschreibung. Ich habe vor längerer Zeit in meiner Coaching-Ausbildung gelernt, dass ich nur Fragen stellen aber keine Vorschläge und Beispiele geben dürfe. Nach einer Weile bin ich in der Praxis von diesem Konzept abgerückt. Dabei spielen sowohl die Erwartungen der Kund/innen nach einer schnellen und praktikablen Lösung als auch ein gewisser Erfolgsdruck eine Rolle. Nichtsdestotrotz habe ich Coachings erlebt, in denen die treffenden Fragen zu einer Entdeckungsreise und letztlich auch Ergebnissen führten, die tiefer gingen, als es die Betreffenden für möglich hielten. Diese Kunst beherrsche ich (noch) nicht aus dem Stegreif. Das Konzept eignet sich wahrscheinlich auch nicht für Unternehmenscoaching.

  2. ANNA sagt:

    I feel you durch und durch-mit dem Denken und den Gedanken ist es so ne Sache -einerseits sind Gedanken immer da ,andererseits auch schwer sich darauf einzulassen.

    Aber ich denke mir oft: kommt Zeit,kommt Rat (und gute Gedanken)

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