Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Freitag und Samstag, 19. und 20. Juli

20. 7. 2019 8 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Rast | Ankunft in Brandenburg.

Panorama in Brandenburg: links die tief stehende Sonne, Maisfeld, rechts eine baumbestandene Straße

Hier bleibe ich ein paar Tage. Coworking & Recreation. Ein bisschen Arbeit, ein bisschen mehr Urlaub.

Ich bin zu Gast im coconat, einem Coworking Space irgendwo im Nirgendwo bei Bad Belzig, im Landkreis Potsdam-Mittelmark.

Gebäude des Gutshofs von außen
Foyer, Schild: "Relax and get some work done". Dazu eine Diskokugel

Sechs Leute haben das hier gegründet, haben einen Gutshof instand gesetzt, Platz für 40 Menschen geschaffen, Arbeitsräume und Schlafräume eingerichtet, schnelles WLAN in die Provinz gebracht und sich auch sonst allerlei ausgedacht, um das Leben schön zu machen.

Hof mit Steine auf Stein, dafür bunte Stühle und Pflanzen
Springbrunnen mit Schaukel
Zelt, aufgespannt zwischen Bäumen

Eine Sehenswürdigkeit der Gegend habe ich schon erkundet: Ich war auf Brandenburg zweithöchstem Berg, der sich direkt hinter dem Haus befindet: der Hagelberg, 200 Meter.

Blick vom Hügel hinunter auf gelbe Kornfelder

Das war relativ schnell erledigt. Für Historiker: Wissenswertes über die Schlacht bei Hagelberg.

***

Gartenhaus | Zuvor, am Freitagvormittag, war ich noch in Weimar unterwegs. Ich besuchte Goethes Gartenhaus.

Blick durch ein hohes, weißes Holztor auf ein kleines, graues, weinbranktes Haus

Ich muss zugeben, dass die Themen „Goethe“ und „Schiller“ es während meiner schulischen Bildung verpasst haben, ins Langzeitgedächtnis überzugehen. Natürlich haben wir uns im Deutschlunterricht mit Werken beschäftigt, ich hatte ja sogar Deutsch-Leistungskurs. Aber ich erinnere nichts, gar nichts.

Durch diese dunkle Gasse muss er kommen. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Fest gemauert in der Erden, steht die Form, aus Lehm gebrannt. Das war also des Pudels Kern!

Es ist alles ein Nebel, auch das Drumherum. Wann haben sie gelebt? Mit wem? Der Goethe mit Charlotte von Stein. Oder war’s Christiane Vulpius? Welche zuerst oder hat er mit beiden gleichzeitig …?

Das Gartenhaus deckte es auf: erst Charlotte, platonisch, dann Christiane. Woraufhin Charlotte verschnupft war, obwohl sie mit Freiherr von Stein verheiratet war und mit ihm sieben Kinder hatte.

Blick ins Haus: Bibliothek, Schreibtisch

Mehr als 1.770 Briefe und Zettelchen schrieben sich Goethe und Christiane Charlotte. Das ist stattlich. Hätte es damals schon WhatsApp gegeben – was hätten sie dann erst zustande gebracht! Terrabytes von Daten! Und die ganzen Selfies!

Beleuchteter Treppenabgang

Ich begegnete auch dem Erlkönig wieder, in seiner originalen Form. Ich musste ihn einst auswendig lernen, in frühen Jahren, in der fünften oder sechsten Klasse.

Erlönig in Goethes Handschrift

Macht man das heute eigentlich noch in der Schule, Gedichte auswendig lernen?

Weil es regnete, sah ich von einem auschweifenderen Spaziergang ab. Bevor es nach Brandenburg ging, wollte ich noch zur Gedenkstätte Buchenwald, neun Kilometer vor Weimar auf dem Ettersberg.

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Buchenwald | Weimar hat eine reiche Geschichte, in die eine wie in die andere Richtung. Kunst, Musik, Literatur auf der einen Seite, Politik und Nationalsozialismus auf der anderen Seite.

Hitler wollte Weimar zur Gauhauptstadt machen und erfreute sich schon früh an der Stadt mit ihrer so vorbildhaft deutschen Geschichte. Während des zweiten Reichsparteitags der NSDAP 1926 wurde hier die Hitlerjugend gegründet. Es gab nationalsozialistische Aufmärsche. Vor dem Hotel Elephant, das Hitler nach nationalsozialistischem Stil neu aufbauen ließ, feierten die Weimarer ihn.

Buchenwald war eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Es lag vor den Toren der Stadt auf dem Berg im Wald. 56.000 Menschen starben hier, durch Krankheit und Erschöpfung, sie wurden erschossen oder überlebten auf andere Weise nicht. Die Möglichkeiten zu sterben waren unerschöpflich.

Egal, wo und wie oft ich Orte wie diesen besuche: Es ist mir unverständlich. Wie kann der Mensch so unmenschlich werden? Welche Mechanismen sind es, die eine Gruppe Allmacht über die Andere erlangen lassen; welche Vorgänge sorgen dafür, dass diese Macht aufs Abartigste eskaliert? Wie kann es geschehen, dass der Mensch alles Mitgefühl verliert und zum Menschenquäler wird? Wer wäre ich gewesen, hätte ich damals gelebt?

Heute streifen Leute über das Gelände, Alte und Junge, Familien und Gruppen. Das KZ ist eine weite Ebene auf der Bergkuppe. Die Umrisse der Baracken liegen auf der Erde, als Steine, als Mauerreste, als fahrige Markierungen. Es geht Wind. Das Gras wiegt sich. Der Himmel ist wolkenverhangen. Die Uhr über dem Appellplatz zeigt Viertel nach Drei, Uhrzeit der Befreiung am 11. April 1945. Im schmiedeisernen Tor die Inschrift: „Jedem das Seine“.

Die Besucher tragen Trekkingschuhe. Manche eine Regenjacke. Mutter und Sohn stehen vor der Genickschussanlage. „Hast du gehört, was die Frau gerade gesagt hat? Wie sie hier die Menschen erschossen haben?“ – „Ja, Mama.“

Einige Besucher führen einen Rucksack mit Proviant mit sich. Andere gehen ins Museumscafé und bestellen zwei Wienerle mit Senf. Im Gebäude nebenan läuft der Film mit den Tausenden Toten, Vorführung für eine der Jugendgruppen, die hier zahlreich mit Bussen vorfahren.

Es ist nicht erwünscht, auf dem Gelände Fotos zu machen und sie ohne Genehmigung zu veröffentlichen. Deshalb gibt’s hier keine.

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Gelesen | Elizabeth Strout: Bleib bei mir.

Buch: Elizabeth Strout, Bleib bei mir

Ein wunderbar leises Buch über ein Dorf, dessen Pfarrer seine Frau verliert – eine Frau, die anders war. Er ist nun alleine mit den Kindern, in der Langsamkeit seiner Trauer wird er vom Leben überholt. Die Organistin will eine neue Orgel, der Lehrer träumt von einer anderen Frau, die Haushälterin verschwindet. Alles passiert in einem ruhigen Fluss – und am Ende … ach, lesen Sie selbst.

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Metabene | Aus der losen Reihe „Orte an denen Blogbeiträge entstehen“:

Eine Holzplatte in einer Nische vor einem geöffneten Fenster, darauf ein MacBook, in der Ferne dunkle Wolken.
Kommentare

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  1. Thymi sagt:

    Haben sich die 17ü0 Briefe nicht Goethe und Charlotte geschrieben?

    1. Vanessa sagt:

      Natürlich! Ich bin ganz weich im Hirn angesichts der Fülle an Liebesbriefen.

  2. Sanníe sagt:

    Interessant, die Regeln in Buchenwald. In Auschwitz darf man bis auf die Berge von Brillen, Haaren und Schuhen alles fotografieren. Und die Verbote dort erklären sich von selbst: essen und rauchen.

    1. Vanessa sagt:

      Fotografieren darf man schon, nur nicht veröffentlichen. Es wird ausdrücklich gebeten, nichts im Internet zu veröffentlichen – nur mit zuvor eingeholter Erlaubnis.

  3. jpr sagt:

    Huebscher Coworking Space. Sieht so aus, als ob man da gut Zeit in Riuhe verbringen kann um zu arbeiten. Und auch ein huebsches Gartenhaus – sieht ein wenig so aus, als ob es eher zum Lesen als zum Schreiben verleitet, aber es ist ja nicht jeder Goethe.
    Ich muss aber auch noch die obligatorische Korrektur anbringen: Terabytes bitte, 10^12 ist nicht erdig… (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Vors%C3%A4tze_f%C3%BCr_Ma%C3%9Feinheiten)

    1. Vanessa sagt:

      Korrigiert.

      Lesen kann man dort bestimmt auch ganz formidabel, im Garten oder im Haus. Nur das Bett ist sehr kurz. Goethe war ein kleiner Mann.

  4. Bestes! Mousepad! Ever!

    1. Vanessa sagt:

      Hehe. Danke.
      Beleitet mich schon mehr als zehn Jahre.

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