Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Denise war stets davon ausgegangen, dass das Leben sich langsam steigern würde, Leute sich vervielfältigen, Ereignisse sich drängen, dass das Leben mit dreißig ihr vorkommen müsste wie mit zweimal zwanzig. Sie hatte vermutet, es könnte sich überwuchern wie ein Garten. Aber es sah nicht danach aus. Zwischen zwanzig und dreißig schoss das Leben ins Kraut, mit dreißig dünnte es sich aus auf das, was man hegte und pflegte.
aus: Andrew Sean Greer. Die Nacht des Lichts, S.88

Was habe ich nicht alles zwischen 20 und 30 erlebt! Ich habe geliebt und mich entliebt, habe eine Wohnung eingerichtet, noch eine Wohnung und noch eine, hatte mal wenig, mal viel Geld, habe Städte erobert – für Wochen, Monate und Jahre, habe Meilen gesammelt und Autobahnkilometer gezählt. Ich bin nach China gereist, in die USA, nach Island, Schweden, Finnland, Norwegen, nach Russland und Italien, habe unter dem Eiffelturm Silvester gefeiert. Ich habe Menschen getroffen und Freunde gefunden.

Doch jetzt – und da spricht mir das Zitat aus der Seele – gibt es einen Status Quo, unweigerlich, ohne dass ich es wollte. Er stellte sich einfach ein. Ich habe in meinen rastlosen Zwanzigern einen Beruf erlernt (fast nebenbei, wie es im Nachhinein scheint) und Anstellungen gefunden; ich habe eine Partnerschaft, eine Wohnung, eine Rentenversicherung und einen Bausparvertrag.

Ich bin vorsichtiger geworden. Bedächtiger. Ich stürme nicht mehr los. Ich wäge ab. Wer etwas hat, hat etwas zu verlieren. Das ist neu. Das war früher nicht so.

Ich entdecke an mir, dass ich weniger beweglich bin, nicht mehr so offen und sorglos. Ich vertraue nicht mehr jedem, nenne nicht jeden meinen Freund; genau genommen habe ich nur wenige Freunde. Ich lasse Beziehungen im Sand verlaufen, vorsätzlich. Ich weiß jetzt zu unterscheiden zwischen denen, mit denen ich mein Leben teilen möchte, und denen, die nur in ihm vorkommen.

Die Dynamik des Aufbruchs ist verflogen. Schön war sie, ja. Nun bin ich glücklich mit dem Stillstand, dem Langsamerwerden, dem Hegen und Pflegen des Gewonnenen.

Oder kultiviere ich nur die Gewohnheit? Muss es tatsächlich bei dem einen Leben bleiben? Schließlich bin auch ich nicht nur die Eine; ich bin die Ruhige und die Lebhafte, die Mutige und die Ängstliche, die Realistin und die Träumerin.

In wilden Momenten möchte ich mit gestrecktem Arm meinen Büroschreibtisch leerfegen, die Tür hinter mir offen stehen lassen und fortlaufen zu einer zweiten Ich-Zentrale: einem Haus am See, wo ich Gemüse züchte und Bücher schreibe, zu einem Drei-Generationen-Loft, das ich plane und mit freundlichen Menschen bewohne, oder – weniger prätentiös – zu einem Einfamilienhaus von stattlicher Spießigkeit, in dem ich vier muntere Kinder aufziehe.

Nichts als Spinnereien. Du weißt doch gar nicht, was Du willst, sagt mein kritisches Ich. Du hast nur Angst, Dich festzulegen. Was Du auch änderst, wo Du auch landest, Du nimmst Dich selbst mit – denk dran.

Die Welt steht Dir offen, sagt mein wohlgemutes Ich. Sorge für die Basis und mach Dich fort. Niemand hält Dich auf. Du hast die Kraft, neu Wurzeln zu schlagen. Das Leben ist kurz, und es ist Deins, nur Deins allein.

Nessy, ra(s)tlos.

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