Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Kommissar Rex

28. 11. 2017  •  11 Kommentare

Nicht das erste Café am Platze, aber das erste Café, wenn man die Fußgängerzone betritt. Ich setze mich neben die Gruppe Rentnerinnen: Silberschopfe um Kaffeetassen, gelassenes Schweigen, Rühren, Schlürfen.

Eine vierte Dame betritt die Szene, Tweedkostüm, Stockschirm.
„‚Nmorgen Ladies.“
„Hilde! Nein! So schön, dich wiederzusehen!“ Großes Hallo. „Geht’s dir besser?“
„Fühle mich wieder wie 50. Hundertzehn Blutdruck heute.“
„Haaaach, wie schön! Dann können wir Baileys trinken.“
Gelächter.

Hilde setzt sich. „Hundertzehn ist zu niedrig. Ich hab Schwindel.“
„Gehst du zum Müller?“
„Seit Januar.“
„Der macht mich auch immer schwindelig.“
Gelächter.

Zur Thekendame: „Machste mir ’n Kakao? Mit Sahne, bitte.“
„Was macht Jürgen?“
„Hüfte.“
„Immer noch?“
„Ich sach‘ nur noch ‚Mein kleiner Schäferhund‘ zu ihm.“
„Kommissar Rex.“
Gelächter.

„Er war ja sogar bei der Kripo.“
Japsen. Augen trocken tupfen.

„Wird er denn bald operiert?“
„Ist er doch schon!“
„Ach, und immer noch …“
„Die andere Seite muss noch.“
„Herrje. Wie bei meinem Gerd.“

Der Kakao kommt.
„Ist Schuss drin?“
„Ist es denn schon elf?“
„Hast Recht. Noch zu früh.“
„Zum Wohl.“
„Zum Wohl.“

All you can eat

21. 11. 2017  •  18 Kommentare

Eines dieser Hotels im Industriegebiet. Checkin und Checkout, ohne einem Menschen zu begegnen. Vor dem Haus eine Parkplatzstadt: Autozubehör, Dänisches Bettenlager, Subway, Tankstelle, ein Chinarestaurant mit Buffet für 14,90 Euro all you can eat. Ich setze mich ins Chinarestaurant.

Als ich den ersten Teller am Start habe, beugt sich der Mann vom Nebentisch zu mir rüber.

„Ich bin jeden Tach hier“, sagt er. „Is’ besser als Pommesbude. Und du weiß‘, watte kriechs.“

Er trägt einen Fleecepulli und eine Arbeitshose. Sein Doppelkinn legt sich sanft auf seine Brust.

“Bin Frührentner. Hab Zement im Rücken. Zwei Wirbel raus, Zement rein. Und Stützstrümpfe. Ohne Stützstrümpfe geht nix. Wennde die Guten nimms, halten die ein ganzes Jahr.“

Er deutet auf die Theke, hinter der ein Mann Fleisch und Gemüse brät. „Dat is‘ der beste Mann hier. Is aber nur dienstags da.“

Die Kellnerin bringt ihm ein Glas Cola. Er sagt: „Ich trink kein Bier mehr. Da kriechste nur auffe Fresse. Gehste inne Kneipe, und kaum bisse drin: Schlägerei. Hatt‘ ich gestern ers‘. Mit Polizei und allem. Aber ich hab‘n Zeugen. Ich hab nich‘ angefangen. Dann is‘ immer gut, wennde‘n Zeugen has‘. Wenn’s andersrum is’, is’ besser, wenn’de keinen has’.“ Er atmet durch, ein Schnaufer. „Dat is ja heute nich‘ mehr nur mit Schiedsmann und so. So einfach kommste nich‘ davon.“ Noch ein Schnaufer. „Bisse nich‘ von hier? Bisse da im Hotel?“

Ich nicke. Ich habe bis hierhin noch nichts zu ihm gesagt, nicht ein Wort.

“In Elberfeld, da is‘ auch‘n Hotel. Da war ich ma’ mit meine Lebensgefährtin. Ers‘ nur eine Nacht. Dat Hotel war total sauber – dat war schön, richtich schön. Die Bettlaken, ganz glatt. Dat war schöner als bei uns zu Hause. Deshalb sind‘wa noch‘ne Nacht geblieben. Ha’m nur dagelegen und ferngesehen. Dann konnten wir‘n Zettel ausfüllen, da hamwa dat Zimmer für 55 statt für 60 Euro gekriecht. Fünf Euro sind nich‘ viel, aber bei zwei Nächte hasse schon zehn. Dat is‘ dann schon wat.“

“Ich gehe nochmal zum Buffet“, sage ich und stehe auf. Ich spüre, wie „Der beste Mann hier“ hinter der Theke hervorkommt und mir nachschleicht. Als ich mir Krabbenchips auf den Teller häufe, raunt er mir ins Ohr: „Isse immer hier, der Gaste. Wenne du willst, kannste du andere Tisch haben. Machen wir unauffällig.“ Ich raune zurück: „Schon okay.“

Als ich zum Tisch zurückkomme, sagt der Gast: „Sie is ja getz wech, ne, meine Lebensgefährtin. Is einfach wech. Obwohl ich ihr noch’n Teddy vonne Kirmes geschossen und vor die Tür gestellt hab’.“ Dann erzählt er mir von ihr. Und von seiner verstorbenen Frau, wie er ihre Schulden aus dem Versandhandel erbte, wie er Schüttgut fuhr und sich den Rücken kaputtmachte. Er erzählt, dass er eine Tochter, aber keinen Kontakt mehr zu ihr hat, dass sie ihn nicht mehr sehen will, weil er nur Mist redet. Am Ende zückt er sein Handy und zeigt mir ein Video: Ein Mann trägt einen vollen Bierkasten mit den Zähnen.

„Dat üb‘ ich getz. Ich trink dat Bier ja nich‘ mehr. Dann kann ich den vollen Kasten jeden Tach rumtragen. Dann komm‘ ich auch auf Jutub.“

Bemerknisse zu einem Urlaub auf einer Insel

10. 11. 2017  •  12 Kommentare

1 Ein Orkan auf einer Insel ist ein besonderer Orkan. Wenn die Gischt wie Schnee über die Promenade weht, wenn der Wind das Wasser auf den Strand drückt, wenn die Möwen trudeln und die Menschen schwanken, prickelt es im Gesicht und im Herzen.

Norderney: Orkan Herwart wirbelt Gischtflocken auf

2 Es gibt immer einen guten Grund, Milchreis zu essen. Allerdings gibt es auch immer einen Grund, statt Milchreis zu essen über den Strand zu laufen, um nach ausreichend Umherlauferei festzustellen, dass es jetzt zu spät für Milchreis ist und das Abendessen naht.

Norderney: Orkan Herwart weht Gischt an den Strand

3 Die Weiße Düne ist nicht weißer als andere Dünen.

4 Seeluft in Kombination mit ausgedehnten Spaziergängen ist nicht nur eine Garantie für tiefen, sondern auch für frühen Nachtschlaf. Gerüchteweise gelingt es einigen Menschen, auf Norderney Kneipen zu besuchen und gesellig zu sein. Ich habe das versucht, habe eine Lokalität aufgesucht und einen Cocktail bestellt. Fast wäre ich über dem Glas eingenickt. Mit letzter Kraft konnte ich mich ins Ferienbett schleppen, wo ich anschließend traumlos zehn Stunden durchschlief.

Norderney : Panoramablick am Strand

5 Muschelsammeln geht immer. Wenn man dort hingeht, wo wenig Leute sind, findet man außerdem ganz viele große, heile Muscheln, die man mit nach Hause nehmen kann, wo sie zuerst in der Küche herumliegen, dann in den Garten wandern und dort von Eichhörnchen durcheinandergebracht werden.

Norderney: Strand im Sonnenuntergang vor dem Regen

6 Wenn man auf dem Deich steht, während es regnet, steht man auf dem Deich, während es regnet. Keine Pointe. Wenn der Wind dabei den Regen waagerecht gegen die Beine treibt, bleibt immerhin eine Körperseite trocken.

Norderney: Auf dem Deich vor dem Regen

8 Voraussetzung zur Eröffnung einer Fahrradvermietung ist eine hingebungsvoll ausgelebte Griesgrämigkeit mit leichtem Hang zum Menschenhass.

9 Wenn man dann Fahrrad fährt und es eigentlich bergab geht, wenn man aber trotzdem treten muss, um nicht umzufallen, hat man wohl Gegenwind.

10 Aussichtsdüne. Auch so eine Erfindung, die ganz gut ist. Fast so gut wie Frieseneis.

Norderney: Panoramablick von der Aussichtsdüne

Der Weg zum Ende der Insel

1. 11. 2017  •  13 Kommentare

Wenn man auf Norderney mit dem Fahrrad aus dem Zentrum hinausfährt, fährt man zunächst durch Dünen. Mit Menschen. Vielen Menschen. Sie sind auf dem Weg zur Weißen Düne, das ist ein Lokal an einem Badestrand, ein sehr beliebtes Lokal.

Hinter der Weißen Düne kann man weiterfahren. Dann kommt man zum Norderneyer Leuchtturm. Dort ist es schon leerer. Wenn man noch weiter fährt, acht Kilometer vom Zentrum entfernt, erreicht man an den Parkplatz Ostheller. Dort sind nur noch sehr wenige Menschen.

Vom Parkplatz Ostheller aus kann man nur zu Fuß weitergehen: sechseinhalb Kilometer bis zum Ende der Insel. „Schwer begehbar“, steht unter der Wegbeschreibung. Ich gehe den Weg trotzdem – oder deswegen – sehr gern.

Schon wenige hundert Meter vom Parkplatz entfernt, weitet sich die Landschaft zu einer irischen Butterwerbung.

Norderney Ostende: In den Dünen, Wasserflüsse

Norderney: Weg durch die Dünen zum Wrack, Wasserfluss

Wer heute mit Turnschuhen kommt, hat es schwer: zu viel Wasser. Wer mit Wanderschuhen kommt, auch. Denn: zu viel Wasser. Der Wanderweg:

Norderney Ostende, überfluteter Wanderweg

Es ist der 1. November, und ich denke: Och nö jetzt. Nö. Zehn Grad. Zehn! Schneidender Wind. Da möchte ich nicht barfuß laufen.

Norderney, Füße mit Schlick

Hilft aber alles nix.

Durchs Schlickwasser schlurfe ich zunächst wie eine Rentnerin bei der Kneipp-Kur. Auf der Wiese mache ich den Pingiun: Der Schlamm ist glatt, so ganz ohne Profilsohle. Aber er ist kaum kalt. Es ist sehr angenehm zu gehen, meine Füße sind warm. Nur längere Strecken im Wasser sind frisch. Vielleicht bin ich eine Ente.

Ich denke: Was ein Glück, das alles hier. Der Wind, die Natur. Und: Im Thalasso-Badehaus im Ortszentrum gibt’s das gegen Geld – original Norderneyer Schlick-Packung ab 49 Euro pro Anwendung.

Ich gehe die Strecke bis zum Ostende barfuß, denn es lohnt nicht, die Schuhe wieder anzuziehen: immer wieder Wasserläufe und kleine Seen, durch die ich wate.

Nach eineinhalb Stunden: das Wrack.

Norderney Ostender: Wrack

Es beginnt zu regnen. Aber ey, ganz ehrlich: Ich bin seit mehr als einer Stunde von den Knien abwärts nackt. Im November. Kurz vor Weihnachten! What the fuck is Prasselregen?! Bütterken raus, jetzt wird Mittag gemacht.

Was ich an diesem Ort besonders mag: die Einsamkeit. Ein, zwei andere Menschen sind mit mir dort. Doch niemand möchte viel reden. Wir nicken uns zu und genießen, dass sonst niemand hier ist.

Der Rückweg führt über den Strand. Acht Kilometer, auf denen mir sechs Leute entgegen kommen. Acht Kilometer Gegenwind.

Norderney, Ostende: Strand

Auf der Hälfte des Weges, im Sand neben mir plötzlich: eine Robbe.

Robbe am Strand

Ich sehe sie an. Sie sieht mich an. Sie kratzt sich am Bauch. Ich winke. Sie legt sich wieder hin.

Auf dem Rückweg vom Parkplatz halte ich mit dem Fahrrad am Leuchtturm. Hinter der Theke steht Käpt’n Iglo.

„Moin“, sagt er.
„Moin“, sage ich.
„Was Warmes?“, fragt er.
„Einen Milchkaffee“, sage ich.
„Hab ich mir doch gedacht“, sagt er.



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