Wenn man auf Norderney mit dem Fahrrad aus dem Zentrum hinausfährt, fährt man zunächst durch Dünen. Mit Menschen. Vielen Menschen. Sie sind auf dem Weg zur Weißen Düne, das ist ein Lokal an einem Badestrand, ein sehr beliebtes Lokal.
Hinter der Weißen Düne kann man weiterfahren. Dann kommt man zum Norderneyer Leuchtturm. Dort ist es schon leerer. Wenn man noch weiter fährt, acht Kilometer vom Zentrum entfernt, erreicht man an den Parkplatz Ostheller. Dort sind nur noch sehr wenige Menschen.
Vom Parkplatz Ostheller aus kann man nur zu Fuß weitergehen: sechseinhalb Kilometer bis zum Ende der Insel. „Schwer begehbar“, steht unter der Wegbeschreibung. Ich gehe den Weg trotzdem – oder deswegen – sehr gern.
Schon wenige hundert Meter vom Parkplatz entfernt, weitet sich die Landschaft zu einer irischen Butterwerbung.
Wer heute mit Turnschuhen kommt, hat es schwer: zu viel Wasser. Wer mit Wanderschuhen kommt, auch. Denn: zu viel Wasser. Der Wanderweg:
Es ist der 1. November, und ich denke: Och nö jetzt. Nö. Zehn Grad. Zehn! Schneidender Wind. Da möchte ich nicht barfuß laufen.
Hilft aber alles nix.
Durchs Schlickwasser schlurfe ich zunächst wie eine Rentnerin bei der Kneipp-Kur. Auf der Wiese mache ich den Pingiun: Der Schlamm ist glatt, so ganz ohne Profilsohle. Aber er ist kaum kalt. Es ist sehr angenehm zu gehen, meine Füße sind warm. Nur längere Strecken im Wasser sind frisch. Vielleicht bin ich eine Ente.
Ich denke: Was ein Glück, das alles hier. Der Wind, die Natur. Und: Im Thalasso-Badehaus im Ortszentrum gibt’s das gegen Geld – original Norderneyer Schlick-Packung ab 49 Euro pro Anwendung.
Ich gehe die Strecke bis zum Ostende barfuß, denn es lohnt nicht, die Schuhe wieder anzuziehen: immer wieder Wasserläufe und kleine Seen, durch die ich wate.
Nach eineinhalb Stunden: das Wrack.
Es beginnt zu regnen. Aber ey, ganz ehrlich: Ich bin seit mehr als einer Stunde von den Knien abwärts nackt. Im November. Kurz vor Weihnachten! What the fuck is Prasselregen?! Bütterken raus, jetzt wird Mittag gemacht.
Was ich an diesem Ort besonders mag: die Einsamkeit. Ein, zwei andere Menschen sind mit mir dort. Doch niemand möchte viel reden. Wir nicken uns zu und genießen, dass sonst niemand hier ist.
Der Rückweg führt über den Strand. Acht Kilometer, auf denen mir sechs Leute entgegen kommen. Acht Kilometer Gegenwind.
Auf der Hälfte des Weges, im Sand neben mir plötzlich: eine Robbe.
Ich sehe sie an. Sie sieht mich an. Sie kratzt sich am Bauch. Ich winke. Sie legt sich wieder hin.
Auf dem Rückweg vom Parkplatz halte ich mit dem Fahrrad am Leuchtturm. Hinter der Theke steht Käpt’n Iglo.
„Moin“, sagt er.
„Moin“, sage ich.
„Was Warmes?“, fragt er.
„Einen Milchkaffee“, sage ich.
„Hab ich mir doch gedacht“, sagt er.