Das ist Max Mustermann:
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Max arbeitet in einer großen Firma. Die Firma hat zehn Abteilungen und sechs Dependancen in ganz Deutschland. Jede dieser zehn Abteilungen hat eine Abteilungsleiterin. Die Dependancen haben ebenfalls je eine Leiterin.
Max‘ Firma verändert sich ständig. Abteilungen fusionieren oder werden neu geschaffen. Personal kommt und geht. Alle zwei Monate steht eine neue Personalie im Intranet, darunter die Bitte der Geschäftsführerin, „die neue Kollegin bei ihren Aufgaben zu unterstützen“.
Max kommt es komisch vor, dass das alles Frauen sind; die Abteilungsleiterinnen, die Leiterinnen der Dependancen, alle Leute, die nachkommen und etwas zu sagen haben. Bei Abteilungen wie dem Marketing oder dem Kundenmanagement kann er das noch verstehen. Dort arbeiten in der Mehrheit Frauen. Aber in der Logistik sind die Männer sogar leicht in der Überzahl. In der Produktion und Materialentwicklung arbeiten fast nur männliche Kollegen. Sie werden trotzdem von einer Frau geführt.
Max hält sich selbst für recht fähig. Er ist mittlerweile in einem Alter, in dem viele der Frauen aus seinem Umfeld schon eine Stufe aufgestiegen sind. Er hat studiert, hat Fachwissen aus inzwischen drei beruflichen Stationen. Aber Karrierechancen? Er fragt sich, ob er nochmal die Firma wechseln soll. Doch er sieht bei seinen Kumpels: Auch sie sind auf der Suche nach neuen Stellen, möchten sich beruflich weiterentwickeln – aber es ist schwierig. Und das, obwohl auch sie studiert haben, obwohl sie seit Jahren erfolgreich im Berufsleben stehen und es genug offene Stellen gibt. Doch seit sie 30 sind, werden sie nur noch selten eingeladen und bekommen dann später mit, dass eine Frau den Job gekriegt hat.
Er fragt sich, ob er das Thema „Karriere“ mal intern ansprechen soll. Er macht sich lange Gedanken über die Wortwahl und tut es dann in seinem nächsten Personalentwicklungsgespräch. Seine Personalleiterin lehnt sich zurück und ist belustigt: „Sind Sie jetzt unter die Männerrechtler gegangen, Herr Mustermann?“ Dann, ernster: „Eins müssen Sie wissen: Bei uns gibt es keine Quotierung. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir gehen einzig und allein danach, wer am besten auf die Stelle passt.“ Sie beugt sich vor. „Oder wollen Sie damit andeuten, dass Sie meinen Job besser können?“
Max ist sauer. Darum geht es ihm schließlich nicht. Er wird in Feedbackgesprächen stets gelobt, fachlich und als Teamleiter, seinen Kunden sind zufrieden, seinen Kennzahlen sind sehr gut – aber das ist es dann auch gewesen.
Dass gute Leistungen allein nicht ausreichen, ist ihm mittlerweile klar. Die Damen und ihre Stellvertreterinnen treffen sich regelmäßig im Hof oder zum Mittagessen. Networking! Er bemüht sich schon länger, Anschluss zu finden, hat aber das Gefühl, dass er nicht so richtig reinkommt, in diese Klübchen. Ganz amüsant findet Max in diesem Zusammenhang Ratgeber-Artikel wie: „Männer in der Karrierefalle: Es liegt nicht nur an den Frauen.“ Darin steht, wie er sich weiblicher verhalten kann, angefangen bei der Wahl seiner Kleidung, dass er das Haar offen tragen soll und insgesamt kommunikativer und weicher, weniger männlich-aggressiv wirken muss. „Passen Sie sich optisch und kommunikativ an und nutzen Sie die Gelegenheit, sich im Smalltalk darzustellen!“ Er hat sich die Haare ein Stück wachsen lassen und rosa Hemden angezogen. Aber das ist nicht er. Er fühlt sich verkleidet und bekommt zudem langsam Geheimratsecken. Außerdem: Wenn er bei seinen Chefinnen und Kolleginnen steht und versucht, an ihre Gespräche anzuknüpfen – nee, das klappt irgendwie nicht. Er merkt selbst, dass die Gespräche dann stocken. Einmal hört er im Weggehen, wie seine Vorgesetzte ihn als „überambitioniert“ charakterisiert.
Auf einer der letzten Partys hat Max sich mit einer Bekannten unterhalten. Sie arbeitet als Personalleiterin. Nach dem dritten Glas Wein meinte sie: „Ganz ehrlich, Max? Wir stellen in der mittleren und höheren Führungsebene nur ganz selten Männer ein. Wenn sie zwischen 30 und 45 sind, planen viele Männer Familie, wollen ein Haus bauen, handwerken ständig, das ganze Zeug. Damit sind die erfahrungsgemäß ausgelastet und nicht mehr belastbar. Seit es die Elternzeitregelung gibt, sind die meisten oftmals für mehrere Monate komplett raus. Ich hatte mal einen Typen, der innerhalb von drei Jahren zwei Kinder gezeugt hat. Parallel hat er dieses alte Zechenhaus renoviert. Okay, seine Frau hat ihm zwar viel unter die Arme gegriffen, aber seither stelle ich eigentlich grundsätzlich keine Männer mehr ein.“ Sie macht eine Pause. Dann ergänzt sie: „Meistens passt es auch einfach nicht. Vom Persönlichen her. So ein Team muss ja auch stimmig sein.“
Als in den Nachrichten kommt, dass es 2016 eine gesetzliche Männerquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte geben werde, ist Max einerseits erfreut. Er findet eine Männerquote zwar befremdlich, aber er hat in den vergangenen Jahren immer mehr den Eindruck gewonnen: Von alleine wird sich nichts bewegen. Erst gestern wurde er in größerer Runde wieder vorgestellt als „Herr Mustermann, unser Junge für alles“, dabei hat er einen festgelegten Aufgabenbereich. Andererseits: Was wird ihm persönlich diese Männerquote nützen? Sein Unternehmen ist keine AG, und Aufsichtsratmitglied wird er auch nicht werden.
Die Führungsfrauen reagieren mit Zoten und Zorn auf die Nachricht. „Sehen wir’s positiv: Es gibt Frischfleisch!“, hört er die Leiterin Kundenmanagement im Hof sagen. Die Geschäftsführerin sagt der Lokalpresse auf Anfrage: Jetzt könnten wir nicht mehr nach Qualifikation einstellen; jetzt müssten wir auch diejenigen berücksichtigen, die sich nicht 100 Prozent fürs Unternehmen einsetzen werden.
Für Max klingt es kurios, wenn er hört, Männer wollten sich nicht einsetzen, sondern Familie und Handwerken – gerade wenn er an seine Kumpels denkt: Max2 ist ein kreativer Kopf, er ist ohnehin Single, er möchte in seiner Firma etwas bewegen; Max3 konzentriert sich ebenfalls auf seinen Job, er hätte zwar gerne Nachwuchs, ist aber zeugungsunfähig; die Frau von Max4 ist gerade im Key Account aufgestiegen und will sich erstmal, O-Ton, „kein Kind ans Bein binden“. Max5 ist seit sechs Jahren verheiratet, aber schwul und hätte zwar gerne ein Kind, aber es ist kompliziert; Max6 hat zwei Kinder und war jeweils nur vier Monate in Elternzeit – er und seine Frau teilen sich die Familienarbeit, doch auch er kommt seit der Geburt der Jüngsten nicht voran.
Alle seine Kumpels sind genervt. Denn in den Nachrichten wird – parallel zur Männerquote – die Berichterstattung über die demographische Entwicklung rauf und runter gespielt: „Männer im Zeugungsstreik! Deutsche Männer zeugen im Durchschnitt nur noch 1,3 Kinder.“ Es heißt, Männer wollten alles auf einmal (wie die Frauen vielleicht?), Männer wollten nur Karriere (haha!), ihre Kinder schieben sie ab (haben die keine Mutter?).
Max wird zunehmend zynischer. Er kapiert’s auch nicht mehr. Soll er nun Kinder zeugen oder nicht? Zeugt er welche, ist er im Job der letzte Honk. Zeugt er keine, muss er sich als Egoist und Rentenschmarotzer anpöbeln lassen – und beruflich geht’s trotzdem nicht weiter. Außerdem: Wenn, dann wollen ja wohl die Frauen nicht! Siehe Max4, der Mann der Key-Accounterin. Oder die Männer dürfen nicht – wie der schwule Max5. Oder sie wollen, können aber nicht (Max3, die arme Sau, bei ihm bewegt sich kein einziges Spermium). Oder … Max selbst hätte gerne Kinder, seine Frau auch. Doch bei der nächsten Umstrukturierung wird wohl seine Abteilung drankommen. Er weiß: Zeugt er jetzt ein Kind, darf er danach nur noch die Briefmarken in der Poststelle anlecken.
Aber vielleicht macht er es einfach, jetzt oder nie. Seine Frau ist Geschäftsführerin dreier Altenheime. Finanziell wäre es drin. Nach der Elternzeit geht er auf Teilzeit. Oder arbeitet freiberuflich – seine Karriere wird es kaum schmälern. Seine Frau kann eh nur zwei Monate zu Hause bleiben. Bei den meisten seiner Kollegen läuft es irgendwann so. Die Klischeefalle eben.
Klischee oder nicht, ihm ist es inzwischen egal, er schmiedet eigene Pläne. Gleich geht er mit seinen Kumpels einen trinken. Dann bequatschen sie ihre Idee: „Magazin M“, ein Web-Portal für Männerthemen. Sollen die Weiber doch machen, was sie wollen.