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Archiv der Kategorie »Lektüre«

Das Nufbuch: Sehr gerne, Mama, Du Arschbombe

8. 09. 2015  •  2 Kommentare

Beginnen wir einmal ganz von vorn, quasi bei der Erfindung des Blogs:

Es gibt in diesem Internet ein Blog – ich möchte behaupten: Dieses Blog ist die Mutti aller Muttiblogs. Es besteht seit 2004, einer Art paläodigitalem Zeitalter, in dem wir mit Klapphandys telefonierten und unsere Rezepte im Dr.-Oetker-Schulkochbuch googelten, in dem wir mit gewaltsam gegen den Knick gefalteten Falk-Plänen durch Städte gingen und es noch zwei Jahre dauern sollte, bis Twitter erfunden wird.

Vor elf Jahren also, als Gerhard Schröder Bundeskanzler war und die Gartenbohne das Gemüse des Jahres wurde, setzte sich die Mutter der Mutti aller Muttiblogs an einen Schreibtisch und begann zu bloggen.

Diese Frau, die Pionierin des Erzähltippens, heißt Patricia Cammarata, formally known as Das Nuf. Und Patricia hat nun ein Buch veröffentlicht.

Patricia-Cammarata-Mama-Arschbombe

Endlich!, möchte man sagen, nach so vielen Jahren. Denn ich mag Patricias Schreibstil: entspannt und selbstironisch, satirisch und humorvoll – das passt alles wunderbar. Insbesondere zum übergeordneten Thema des Blogs passt es gut: Leben mit Kindern.

Patricias nicht vorhandene Leidenschaft für Brotdosen, ihr ebenso engagierter wie erfolgloser Versuch als Bastelmutti, ihr nimmermüdes Engagement in Sachen Aufwachteller – das alles macht sie unglaublich sympathisch (ein Eindruck, der sich übrigens besätigt, wenn man sie trifft). Darüber hinaus bloggt Patricia auch über Nicht-Eltern-Themen – ein großes Qualitätsmerkmal eines Elternblogs, wie ich finde.

Ein Buch also. Es heißt „Sehr gerne, Mama, Du Arschbombe“ – ein Titel, der den Inhalt treffend zusammenfasst.

Eigentlich bräuchte ich nun nicht weiter fortfahren, denn hey! Ein Nufbuch! Außerdem hat  Christian vom Familienbetrieb bereits alles über das Buch gesagt. Trotzdem ein paar Worte meinerseits:

Das Buch bündelt Beiträge aus dem Blog; es ist eine Art Kurzgeschichtensammlung. Manch einer mag das kritisieren, ich halte das für ein Format, das seine Berechtigung hat. Schön kompakt zum Durchblättern die Höhepunkte aus elf Jahren Blog (und ungefähr so vielen Jahren Familienleben), in mundgerechten Häppchen und handlich verpackt zum Immer-wieder-in-die-Hand-nehmen, zum Aufs-Klo-legen und Beim-Bahnfahren-Lesen. Und natürlich zum Verschenken – für all die vielen Menschen, die Blogs noch nicht für sich entdeckt haben.

Ich selbst kannte übrigens nur rund ein Drittel der Beiträge und habe mich gefreut, die anderen zu lesen.

Am Ende noch zwei Kritikpunkte, die aber eher in Richtung Lektorat gehen. Zuerst zur Sortierung der Geschichten, denn die Chronologie ist irreführend:  Mal ist Kind 1.0 klein, in der nächsten Geschichte ist es Teenager, dann wieder klein; das hätte man besser machen können – hängt aber möglicherweise mit der Untergliederung in Kapitel zusammen, die sich mir nicht erschlossen hat. Einfach chronologisch hintereinander weg, ohne künstlische Themeneinteilung, das wäre besser gewesen. Zweiter Wehrmutstropfen ist der Untertitel „Tiefenentspannt durch die Kinderjahre“. Die Erzählerin (von der Autorin weiß ich es nicht) ist mitnichten immer tiefenentspannt – das macht es doch gerade so gut! Warum also dieser Mainstream-Untertitel?

Insgesamt: schöne Lesefreude mit ein paar wirklich herzlichen Lachern und vielen Schmunzlern. Ich habe das Buch schon dreimal verschenkt.

*

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich hätte es mir aber auch so gekauft, als alter Nufgroupie. 

Esther Verhoef: Gegenlicht

5. 09. 2015  •  Keine Kommentare

Gelesen:

Ersther Verhoef: Gegenlicht

Darum geht’s:

Vera ist Ende 30 und verheiratet mit Lucien. Doch die Ehe steht auf der Kippe: Lucien und sie leben nebeneinander her. Vera hat bereits seit einiger Zeit einen Liebhaber. Sie ist rastlos und kann nicht mit ihrer Vergangenheit abschließen: Ihre Mutter erkrankte an Depressionen, als Eva etwa 10 Jahre alt war. Sie verbrachte die meiste Zeit in psychiatrischen Kliniken. Veras Vater und Großmutter schwiegen die Mutter daraufhin tot. Zudem wurde Vera in der Schule gehänselt.

So war’s:

Das Buch wechselt kapitelweise von der Gegenwart in die Vergangenheit, so dass es zwei Handlungsebenen gibt: die der Vera im Alter von Ende 30 und die im Alter von ungefähr 10 Jahren. Die Vergangenheit erkärt Veras Verhalten in der Gegenwart, wo Vera dabei ist, sich, ihre Ehe und ihre Vorstellungen vom Leben zu finden.

Dem Handlungsstrang in der Gegenwart mochte ich gerne. Esther Verhoef zeichnet die Paarbeziehung mit ruhiger Hand. Das lässt sich gut verfolgen und flüssig runterlesen – auch wenn ich mir ein etwas differenzierteres Bild gewünscht hätte, vor allem von den Nebenfiguren: dem Ehemann Lucien als auch von Liebhaber Nico. Die Beziehung zu letzterem kam mir bei der Lektüre deutlich zu kurz; in ihr finde ich auch die Figur der Vera nicht schlüssig.

Nicht glücklich bin ich mit dem Handlungsstrang in der Vergangenheit. Ich hatte den Eindruck, Esther Verhoef versucht sich sowohl sprachlich als auch im Denken auf die Ebene des Kindes zu begeben. Das wirkt sehr bemüht. Die Gefühlswelt des Kindes ist mir dabei zu eingeschränkt und deshalb nicht authentisch; ein innerer Widerstreit findet kaum statt; die Figuren sind mir zu holzschnittartig.

Nichtsdestotrotz kein schlechter Roman – ein solides Werk.

*

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Einzlkind: Gretchen

19. 08. 2015  •  11 Kommentare

Noch ein Buch gelesen:

Einzlkind: Gretchen (Buchabbildung)

Darum geht’s:

Gretchen Morgenthau ist eine Legende des Theaters, eine grantige und überhebliche noch dazu. Die Karriere als Intendantin hat sie beendet, den Gottesstatus aber behalten. Wegen einer Unachtsamkeit wird Gretchen zu vier Wochen auf einer Vulkaninsel bei Island verurteilt. Sie soll mit den Einheimischen ein Theaterstück aufführen.

Und? Gut?

Leider nein. Das Buch kommt eloquent daher, achtet sehr auf eine außergewöhnliche Sprache. Doch die Konzentration auf die Formulierung wirkt nach einem Drittel zunehmend bemüht, die eigentliche Geschichte kommt zu kurz.

Warum Gretchen nach Island muss – ein Gerichtsurteil geht voraus -, erschließt sich nicht – es sei denn, man tut die Geschichte als Anarcho-Roman ab. Dafür aber ist das Buch nicht geeignet. Die Betonung darauf, die unnahbar und arrogant Gretchen ist, wird immer und immer wieder wiederholt. Das ermüdet. So eine Hauptfigur möchte ich nicht lange begleiten.

Das Buch hat mich sehr an den Hundertjährigen erinnert, der aus dem Fenster stieg. Die Geschichte fand ich damals – auch wenn viele das Buch gerne gelesen haben – ebenfalls schnell nervig und platt. Wenn Sie also den Hundertjährigen gut fanden, wird Ihnen auch Gretchen gefallen. Das ist nicht negativ gemeint. Die Geschmäcker sind ja unterschiedlich.

*

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs

16. 08. 2015  •  3 Kommentare

Buch gelesen:

Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs (vor Balkonkulisse)

Darum geht’s:

Fünf Freunde: Kip, Ronny, Lee. Und Henry und Beth. Kip heiratet. Lee heiratet. Ronny heiratet. Henry und Beth haben bereits Kinder, bewirtschaften eine Farm. Sie alle sind Jugendfreunde und leben in Little Wings, Wisconsin, auf dem Land. Das Buch begleitet die Freunde, die Freundschaft und die Lieben, die nicht allesamt bestehen bleiben, bisweilen aber wieder aufflammen.

Und? Gut?

Ein schönes Buch für den Sommer auf dem Balkon oder den Winter auf dem Sofa. Es passiert nicht allzuviel, hauptsächlich Zwischenmenschliches. Konflikte tauchen auf, klären sich – manchmal, manchmal auch nicht. Doch das Buch ist nie langweilig, die Geschichte trägt sich. Eine prima Sache.

*

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Pieter Webeling: Das Lachen und der Tod

27. 07. 2015  •  5 Kommentare

Buch gelesen:

Pieter Webeling: Das Lachen und der Tod

 

Darum geht’s:

Ernst Hoffmann ist Komiker, Holländer und Halbjude* Jude. Er wird in ein Konzentrationslager in Polen deportiert. Dort erleidet er ungeheure Qualen und beobachtet ungekannte Grausamkeiten – bis sein Humor ihm ein besseres Leben verschafft: Er darf vor SS-Offizieren auftreten. Oder besser gesagt: Er muss.

Es ist kein Vergnügen. Jeder Witz muss wohl überlegt sein, und das, was er darbietet, wird ein eigener Überlebenshumor, eine Lagerhumor, eine Mischung aus Zynismus, Verachtung und ab und an ein wenig vorsichtiger Ironie.

Und? Gut?

Dieses Buch überschreitet Grenzen. Ich habe schon viele Bücher über den Holocaust gelesen, alle haben Grausamkeiten beschrieben. „Das Lachen und der Tod“ geht einen Schritt weiter. Es beschreibt Gräuel, wo andere Bücher aufhören, und ist deshalb ungeheuer wichtig.

Doch das Buch ist nicht nur schonungslos. Es ist auch warmherzig.

Es ist unfassbar, wie ein Mensch nach Erlebnissen, wie Ernst Hoffmann sie machen musste, weiterleben kann. Aber es geht wohl. Das macht Hoffnung.

Lesen Sie das Buch. Erwarten Sie das Schlimmste, das Menschen Menschen antun können. Und erwarten Sie das Beste, das ein Buch zu tun vermag: bewegen.

*Hinweis in den Kommentaren

*

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Bücher 2015-5: Gelesen im Mai

3. 06. 2015  •  8 Kommentare

Die Bücher des vergangenen Monats:

Bücher im Mai

Thommie Bayer. Vier Arten, die Liebe zu vergessen
Emmi, eine Lehrerin, ist tot. Vier ihrer Schüler, alle in den Vierzigern, finden sich an ihrem Grab ein. Thomas ist ein desillusionierter Geschäftsmann mit einem Alkoholproblem, Bernd ein peinlicher Schürzenjäger, Wagner ein verbitterter Linker. Michael, der vierte von ihnen, lädt sie zu sich nach Venedig ein, wo die Männer, die nach ihrem Wiedersehen wenig miteinander anfangen können, einige Tage verbringen. Ein netter Roman – eine kurzweilige Urlaubslektüre mit kleinem Spannungsbogen. Jedoch nicht so tiefgreifend, wie ich es erwartet habe. Aber das liegt vielleicht an mir.

Alexander Gorkow. Mona
Blum ist ein Spezialist für Kühlkettensysteme und fliegt für einen Auftrag nach Bukarest. Er soll sicherstellen, dass der Transport von Schlachttieren, der kreuz und quer durch Rumänien führt, kühlungstechnisch einwandfrei vonstatten geht. Die Verhandlungen mit den Geschäftspartnern verlaufen zunächst zufriedenstellend. Doch Mona, eine rumänische Prostituierte, bricht wie eine Naturgewalt in Blums Leben herein. Wieder zu Hause, häufen sich dann die Probleme: Blum ist nicht nur verliebt, er hat auch die rumänische Gesamtstromlage nicht ausreichend berücksichtigt. Ein Roman, in der ersten Hälfte grandios schräg. Leider lässt er in der zweiten deutlich nach.

Jan Guillou. Die Brückenbauer
(Deutsch von Lotta Rüegger und Holger Wolandt)
Lauritz, Oscar und ihr Bruder Sverre sind norwegische Fischerjungen. Als ihr Vater stirbt, bekommen sie die Gelegenheit, ein Ingenieurstudium aufzunehmen. Fortan arbeiten sie als Brückenbauer: Oscar in der Kolonie Deutsch-Ostafrika, Lauritz baut in Norwegen die Bergenbahn. Ein historischer Roman, ganz okay, im ersten Teil sehr unterhaltsam, im zweiten mit deutlichen Längen – die 800 Seiten zogen sich am Ende. Die Geschichte um Oscar setzt für meinen Geschmack zu viel auf Exotik. Kann man lesen, muss man nicht.

Andrea Maria Schenkel. Finsterau
Bayerischer Wald, 1944: Die junge Afra kehrt zurück in ihr Elternhaus. Sie ist schwanger und nicht verheiratet, eine Schande. Einige Zeit später ist sie tot. Der Vater soll es gewesen sein. Doch war er es tatsächlich? Ein kleiner, feiner Krimi, nur 160 Seiten stark.

Martin Suter. Allmen und die Libellen
Allmen, ein eleganter Lebemann und Feingeist, ist über die Jahre finanziell in die Bredouille geraten. Zwar pflegt er noch seine kostspieligen Routinen und hält sich auch noch einen Assistenten, steht dafür aber bei diversen Leuten in der Kreide. Nach einer Nacht mit einer gealterten Schönen findet er hinter ihrem Schlafzimmer fünf Jugendstil-Schalen, die ihn auf eine Idee bringen. Das Buch ist kein Geniestreich, aber ausgesprochen angenehm zu lesen, mit eigenem Stil und toller Atmosphäre. Mein erster Suter, aber gewiss nicht mein letzter. Zumal die Geschichte der Auftakt für ein Ermittlerduo und der Start einer Krimiserie ist.

Fabio Volo. Il giorno in piú
(Deutsch: Noch ein Tag und eine Nacht)
Giacomo ist Ende 30 und ohne feste Beziehung, ein Romantiker mit wechselnden Frauengeschichten. Auf der täglichen Fahrt in der Straßenbahn verliebt er sich in eine Frau, die er sich lange nicht traut anzusprechen, und als er es dann doch tut – nun, ich möchte nicht zu viel verraten.

Die Handlung ist eine klassische Schnulzenhandlung, aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Volo versteht es, ihr Tiefsinn zu verleihen. Vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Zeitebenen, mit denen er erzählt, vielleicht auch an seiner Fähigkeit, alltägliche Dinge und Gefühle so zu beschreiben, dass ich fortwährend nicken möchte. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass Volos Figuren nicht – wie in so vielen anderen Romanen – Anfang 20, sondern Ende 30 sind. Ihre Erfahrung bereichert die Geschichte.

Die Geschichte wurde in Italien verfilmt – mit dem Autor in der Hauptrolle. Wenn Sie nichts verstehen, ist es nicht so schlimm. Für die Atmosphäre:

Trivia:

Julia Bähr über eines meiner Lieblingsbücher, „Die Frau des Zeitreisenden“:

Romantiker! Lest das Buch, klappt es in der Mitte zu, denkt euch irgendwas von „Happily ever after“ und geht einen Tee trinken. Lest nicht weiter. Ehrlich jetzt, hört auf meinen Rat, ich meine es nur gut.

Und für jene von euch, die eine Axt suchen für das gefrorene Meer in sich: Dieses Buch ist aber so was von eine Axt. Tretet beiseite, wenn die Späne fliegen.

Bücher 2015 – 4: Sylvain Tesson. In den Wäldern Sibiriens

28. 04. 2015  •  2 Kommentare

Ein Buch über den Baikalsee, das Leben in einer Holzhütte und das einfache Leben:

Tessain: In den Wäldern Sibiriens - Cover

 

Darum geht’s:

Sylvain Tesson, französischer Reisender und Schriftsteller, zieht für sechs Monate in einer Blockhütte an den Baikalsee. „Einfach mal weg sein: die Einladung, ein anderes Leben zu führen“, das ist es, was er möchte.

Das nächste Dorf ist fünf Tagesmärsche entfernt, um Tesson herum: nur Schnee, Eis, der See, Wald und ab und an ein Vogel. Die Temperaturen liegen im Winter bei minus 30 Grad, ein Ofen beheizt die Hütte.

Gefällt’s?

Nein, tut mir leid. Gefällt nicht. Sylvain Tesson verbringt Monate in Einsamkeit, erlangt offensichtlich jedoch keinerlei Erkenntnisse. Er beschreibt lediglich seinen Alltag, er hackt Holz, geht auf den See hinaus, ab und an besteigt er einen Berg, marschiert zu seinem nächsten Nachbarn oder bekommt Besuch.

Vielleicht liegt die mangelnde Relevanz seiner Ansichten daran, dass er sich quasi unentwegt mit Alkohol zukippt. Es scheint fast so, als hätte der Autor sich nur zurückgezogen, um seiner Alkoholsucht zu frönen: Entweder trinkt er alleine oder mit Besuch, auf jeden Fall erwähnt er sein Trinken ohne Unterlass, er säuft Wodka, Bier und Cognac.

Tessain: In den Wäldern Sibiriens - beispielhafte Seite

 

Steigt Tesson mal in seine Gedankenwelt hinab, ist sie verworren; vielleicht kommt man ihm näher, wenn man das Buch betrunken liest. Das könnte helfen.

Alternative:

Hauke Trinks Dessen Tagebuch über eine Forschungsreise in die Polarnacht – Trinks ist Physikprofessor und Extremforscher – ist weitaus ergiebiger, kurzweiliger und sympathischer.

Das Buch wurde mir zur Rezension zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch gekauft hätte.

Bücher 2015 – 4: Max Scharnigg. Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau

17. 04. 2015  •  7 Kommentare

Literarischer Roman über drei Generationen, die auf der Hofstatt Pildau wohnen.

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau - Cover

 

Darum geht’s:

Jasper Honigbrod ist sechs Jahre alt. Er wohnt mit seinem Vater Max und seinem Opa Ludwig auf dem Bauernhof Pildau.

Die Drei leben autark. Es gibt kaum Berührungspunkte mit anderen Menschen. Jasper verlebt eine fantastische Kindheit – in jeglicher Hinsicht: Der Hof ist eine eigene Welt für ihn. Es gibt die Hofstange, die jedes Jahr gelängt wird – zu Ehren der Jungfrau Maria und aus allerlei anderen, eher weltlichen Gründen. Ab und zu kommt die Lene-Mama, eine Freundin des Vaters, und irgendwann wohnt auch Lada auf dem Hof, ein kleines Mädchen, das – aus Gründen – nach einem Auto benannt ist.

Max Scharnigg erzählt aus der Sicht Jaspers, kapitelweise auch aus der Vergangenheit Ludwigs und Lenes. Wir erfahren, wie die Rüben-Erntemaschine The Original Pildauer erfunden wurde, und wie man Kinder erziehen kann.

Und? Gut?

Ja. Das Buch erschließt sich allerdings erst langsam. Zu Beginn habe ich mich des Öfteren gefragt: Mmmh? Worauf läuft’s hinaus? Wovon leben die eigentlich? Das ist doch alles irgendwie … Quatsch.

Nee, ist es nicht.

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau

 

Die Geschichte läuft immer knapp am realen Leben vorbei. Das ist gewollt und das ist gut so. Denn so ist die kindliche Wahrnehmung; da fehlen manchmal Versatzstücke, damit es wirklich schlüssig ist; der Schwerpunkt liegt auch nicht immer auf dem, was Erwachsene wichtig finden, sondern was für Jasper im Fokus steht.

Ab und an finden sich außerdem wirklich schöne Sätze und Wörter. So beschreibt Jasper seinen Vater als einen „unentwegt in Fußnoten denkenden Mann“ (S.21), und die Leute sterben nicht einfach:

Der Großvater Honigbrod hatte den Fisch gefangen, als er selbst noch jung war, in einem Altwasser, das es nicht mehr gibt. „Das Altwasser ist verlandet, und der Altopa wird bald verhimmelt sein“, so pflegte er bisweilen den Verlauf der Zeit festzustellen, wenn er unseren Klappkalender in der Küche einen Monat weiterdrehte, worauf mein Vater, der sonst ein weitgehend unaufmerksamer Mensch war, sich gezwungen sah, eine Geräusch zu machen, irgendeines, das die lange Sekunde nach einer großen Wahrheit auffüllte.“ (S.21)

Großvater Honigbrod – damit verrate ich nicht zu viel – verhimmelt tatsächlich im Laufe der Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Überlegen Sie schon einmal, wie das passieren kann, denn damit ist genug gesagt.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch so gekauft hätte.  

Bücher 2015 – 4: Kevin Maher. Nichts für Anfänger.

15. 04. 2015  •  6 Kommentare

Das Leben des jungen Jim Finnegan, das plötzlich aus den Fugen gerät.

Kevin Maher: Nicht für Anfänger - Cover

Darum geht’s:

Jim ist der jüngste Spross einer achtköpfigen Familie. Er lebt mit seinen Eltern und seinen fünf Schwestern in Dublin. Es sind die 1980er Jahre. Das Leben wird von der Politik und der IRA bestimmt – und für Jim nimmt es plötzlich rasant an Fahrt auf.

Alles fängt damit an, dass Helen MacDowell einen Hockeyball ins Gesicht bekommt. Danach gerät irgendwie alles außer Kontrolle: Er lernt den halbstarken Mozzo kennen, verliebt sich. Dann kommt ein Pfarrer ins Spiel, und zu guter Letzt wird auch noch sein Vater krank.

Gefällt’s?

Kevin Maher erzählt aus der Sicht des 14-jährigen Jim – in seiner jugendlichen, rotzigen Sprache. Es gibt keine wörtliche Rede. Das Buch ist praktisch ein Erzählfluss.

Kevin Maher: Nicht für Anfänger - Summer Loving

 

Das stört aber nicht: Es liest sich locker weg, und auch der Erzählton, der im Verdacht stehen könnte, irgendwann zu nerven, passt gut zur Handlung.

Das macht das Besonderes des Buches aus: Jims Haltung ist zum einen naiv und emotional, distanz- und sorglos, zum anderen kühl, berechnend und zynisch. Ich war Jim beim Lesen sehr nahe. Es hat Spaß gemacht, seine Entwicklung zu verfolgen.

Ein Buch über das Heranwachsen, über ein schwieriges Teenagerleben. Hat mir gut gefallen, bleibt hängen.

Gefällt Leuten, die auch „Tender Bar“ gut fanden.

Und sonst?

Im letzten Drittel war die Handlung rund ums esoterische Heilen überflüssig, hat das Leseerlebnis im Großen und Ganzen aber nicht getrübt. Starke, ganz starke Passagen rund um die Pfarrer-Handlung.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch so gekauft hätte.  

Bücher 2015 – 4: Giuseppe Catozzella. Sag nicht, dass du Angst hast.

7. 04. 2015  •  1 Kommentar

Das zweite Buch im April, gelesen an Ostern:

Sag nicht, dass du Angst hast: Cover

 

Darum geht’s: 

Ein Roman nach einer wahren Geschichte: Die junge Somalierin Samia möchte eine große Läuferin werden. Schon mit acht Jahren weiß sie, dass sie Talent hat – und setzt alles daran, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie trainiert wie besessen – trotz schlechter Bedingungen.

Der Traum wird wahr: Sie tritt 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking an. Doch danach beginnt eine Odyssee: Sie flieht aus ihrer Heimatstadt Mogadischu. Zunächst nach Äthiopien, wo sie aber nicht trainieren kann; sie ist illegal im Land. Sie vertraut sich Schlepperbanden an. Ihr Ziel: Helsinki. Dort lebt ihre Schwester.

Gefällt’s?

Eine eindringliche Geschichte. Die einfache Sprache macht es leicht, sich Samia zu nähern. Zunächst geschieht nicht viel; Catozzella schildert, wie Samia in Mogadischu trainiert, schildert ihre Kindheit, das Leben ihrer Familie. Doch die Situation spitzt sich von Seite zu Seite zu.

Ein kleines Buch, nur 250 Seiten, das viel Eindruck hinterlässt.

Sag nicht, dass du Angst hast: Kapitel 2

 

Samia:

Samia Yusuf Omar ertrank am 2. April 2012 nach 6-monatiger Flucht  vor Lampedusa bei dem Versuch, Taue zu erreichen, die ein italienisches Schiff ausgeworfen hatte.

Das Video ihres Laufs in Peking über 200 Meter: Sie kam zehn Sekunden nach der Siegerin Veronica Campbell-Brown ins Ziel (ab 1:45). Das Publikum hat sie frenetisch gefeiert.

Im Buch beschreibt Catozzella, unter welch widrigen Bedingungen Samia trainierte: Sie hatte kaum etwas zu essen und musste die meiste Zeit über in einer Burka trainieren – oder nachts, wenn sie niemand sah.

Einen Trainer hatte sie nicht – und nur ein einziges Paar Schuhe, das ihr Vater ihr geschenkt hat. Ebenso wie das weiße Stirnband, das sie in Peking trägt.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Ich rezensiere nur Bücher, die ich mir auch so gekauft hätte.  



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