Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Adoleszenz«

Teenie-Tagebuch, 6. Mai 1995

4. 06. 2009  •  Keine Kommentare

Hervorragende Nachrichten!

Ich habe einen Gemeindebrief bekommen! 30 Jahre Sankt Severin! Der Clou: Da stehen auch Gruppen drin, CVJM und so und – jetzt kommt’s – die Montagssportgruppe geleitet von … N.! Schwerpunkt: Kraftsport.Montags also, 20 bis 22 Uhr in der Realschule. Ein Hoffnungsschimmer? Ich weiß es nicht. Fest steht: Ich wollte schon immer mal Bodybuilding machen. Soll auch gut sein für die Figur. In dieser Angelegenheit geht es mir – und das ist die volle Wahrheit – nicht nur um N.! Mit netten Leuten einmal in der Woche ein bisschen Gewichte heben? Das wäre doch mal nicht schlecht. Wirklich!

Am Freitag fahren Mama und Papa übrigens in den Urlaub, und ich bin alleine zu Hause. Ich kann also unbemerkt zum Montagssport gehen. Muss ja nicht jeder mitkriegen, dass ich plötzlich Gewichtheben mache.

Teenie-Tagebuch, 22. April 1995

1. 06. 2009  •  Keine Kommentare

Gestern Pur-Abend bei Tanja.

Auch irgendwie eine scheiß Band, aber was soll’s. Wegen Tanja mussten wir außerdem „Verbotene Liebe“ gucken. Dann noch ein Pur-Video. Gott, sind diese Teenager-Abende schrecklich. Hoffentlich wird mein Leben aufregender, wenn ich älter bin.Vielleicht denke ich nur noch an N., weil ich es von mir erwarte Ich hätte ihn vielleicht schon vergessen, wenn ich mich nicht so an den N.-Gedanken gewöhnt hätte. Das wäre nicht schlecht. Dann könnte ich ihn nämlich einfach vergessen. (Kann man das kapieren? Manchmal verstehe ich mich selbst nicht.) Keine Antwort übrigens auf meine Geburtstagskarte. Ob das ein Zeichen ist, dass er nichts mit mir zu tun haben will?

Ich meine, ich sehe ihn ja nicht als Sexobjekt an, als einen Freund, nur um einen Freund zu haben. Die absolut große Frage ist: Denkt er noch an mich? Kennt er mich überhaupt noch? Nach einem dreiviertel Jahr! Vielleicht hat er sich die Karte auch an den Hut gesteckt.

Morgen Nachhilfe geben bei Kim. Was aus der Frau werden soll, weiß ich auch nicht. 14, voll pubertär, von Schule keine Ahnung und einen Intellekt wie Hartmut Engler.

Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht.

Teenie-Tagebuch, 20. April 1995

30. 05. 2009  •  Keine Kommentare
Ich nehme mir vor, wieder eine Diät zu machen. An meinem Bauch stapeln sich die Rollen. Ich will nur schlank und hübsch sein. Dünn, dünn, dünn. Oh mann, hoffentliche kriege ich das hin.

Und mit N.? Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, vor sechs Monate auf der Fete, hat er mich ignoriert. Oh, N. – bist du das Bild, das ich von dir habe? Oder bist du der Ignorant von der Fete? Du musst nicht das Erste sein, aber sei bitte nicht das Zweite!

Morgen zwei Doppelstunden Chemie und Englisch. Das ist der Tod. Die Langeweile wird so schlimm, dein Herzschlag verlangsamt sich und du fällst in ein Koma. Vor einer Woche habe ich mal meinen Ruhepuls gemessen. Erst 64, dann 52! Morgen werde ich sicher sterben.

[Das ganze Teenie-Tagebuch]

Teenie-Tagebuch, 19. April 1995

25. 05. 2009  •  Keine Kommentare
Tja, N. – eben habe ich eine Doppelseite mit seinem Namen vollgeschrieben. Nein, natürlich nützt das nix. Und natürlich ist er mir dadurch nicht näher. Absolut nicht.

Ach, N. – du toller, gut aussehender, tiefgründiger, charakterstarker N., der absolut zu mir steht und alles von mir weiß. Aber ist er so? Egal. Ich würde ihn bis aufs Letzte lieben, egal, wie er ist.

Ich weiß noch nicht einmal, wie er mittlerweile aussieht. Es ist irgendwie scheiße. Wenn ich in der Stadt bin, hoffe ich, ihn zu treffen. Viele Leute sind in der Stadt, alle Leute sind in der Stadt. Man trifft jeden, vor allem die, die man nicht treffen will. Nur N. treffe ich nie. Wenn ich ihn träfe, hätte ich auch Angst. Irgendwie albern.

Manchmal, im ersten Augenblick – unglaublich! – verwechsel ich jemanden mit ihm. Dann läuft es mir kalt den Rücken runter und sofort schießt mir durch den Kopf: Was soll ich jetzt sagen?

Das ist ein wahnsinniges Problem. Irgendwie genauso, wie es in der Bravo steht.

[Das ganze Teenie-Tagebuch]

Teenie-Tagebuch, 18. April 1995

20. 05. 2009  •  Keine Kommentare
Letzte Nacht habe ich beschlossen, N. zum 19. Geburtstag eine Karte zu schicken. Ganz unvoreingenommen. Erstmal nur so. Wenn er sich nicht meldet, ist es schade, aber eben nicht zu ändern. Dann passiert einfach nichts. Ein Zustand wie das letzte Dreivierteljahr. Aber wenn er sich meldet und sich für die Karte bedankt – umso besser. Ich kann also nichts verlieren. Ich wünsche mich aber schonmal, dass mir etwas Gescheites einfällt, das ich sage, wenn er anruft.

Ich habe heute Alexandra „Barbie“ Nolte im Bus getroffen. Die hat jetzt einen Freund. Sie wohnt auch schon bei ihm. Wahrscheinlich hat sie auch schon mit ihm geschlafen. Dabei ist sie eher Skipper als Barbie. Hat ja noch nicht mal Brüste, sondern nur lange Haare und reitet auf einem Pferd.

So, das war’s für heute. Gedanke an N. – gute Nacht.

[Das ganze Teenie-Tagebuch]

Nessys Teenie-Tagebuch, 28. Februar 1995*

18. 05. 2009  •  Keine Kommentare
Dieser N.! Bin ich bescheuert, frage ich mich? Sieben Monate ist es her, und ich heule ihm immer noch nach! Mein Gott, ja, ich bin verliebt, aber dieses Gejammere ist nun absoluter Quatsch! Seit vier Monaten habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Und jetzt das: Frank Krüger geht mit Julia Vogel. Schweige-Julia. Julia „Sprich mich nicht an“ Vogel. Sandra und Christian haben sie verkuppelt. Die Geschichte:

Frank steht auf Julia. Julia weiß es nicht, und wenn, hätte sie sowieso nichts gesagt. Und nach langem Hickhack hat Frank bei ihr angerufen. Treffen bei Sandra am Sonntag. Video gesehen. Julia „Faß mich nicht an“ Vogel und er nebeneinander. Sandra zu ihrem Traumchristian: „Ach Christian, mach doch mal das Licht aus, es blendet so schrecklich! Tut schon in den Augen weh!“ Und dann haben Julia „Ich bin so prüde, daß es blitzt“ Vogel und Frank sich an die Hand genommen. Später sollen sie sich sogar geküsst haben. Niemand weiß Genaues. War ja dunkel!

Und ich? Ich werde noch im Kloster enden.
Morgen wieder Bandprobe. Da lasse ich es krachen.

*Nachdem ich heute in alten Tagebüchern geblättert
und mich gut amüsiert habe, gibt’s jetzt eine neue Rubrik.
Das kann ich Euch nicht vorenthalten.

1.000

31. 10. 2007  •  Keine Kommentare

Wir waren zeitig da. Es war früher Nachmittag, und Gras bewegte sich im Wind auf dem Beton vor dem Rheinstadion.

Wir waren aus dem Sauerland angereist. Düsseldorf war für uns, die wir nur zweimal im Jahr in die nächste Großstadt zum Einkaufen fuhren und auch selbst das generalstabsmäßig planten, Rom. Oder nein: Es war weniger sakral. Es war Paris.

Wir setzten uns in die Sonne auf einen Betonpoller und warteten auf die Toten Hosen. In unserem Rücken fuhren die Wagen der Rheinbahn eine Schleife. Sie wechselten ihre Richtung und kehrten in die Stadt zurück.

Wir legten uns aufs Pflaster und schauten in den Himmel.

Wir waren nicht richtig zusammen. Überhaupt war in unserem Leben im Juli 1997 nichts „so richtig“. Wir waren keine Schüler mehr und noch keine Studenten. Wir hatten keine Wohnung, aber zu Hause wohnten wir auch nicht mehr. Wir waren ein Paar oder eben auch nicht. Freunde sagten über uns, wir würden zueinander passen. Er sagte von uns, wir seien seelenverwandt. Aber es fehlte an Zutrauen – an Zutrauen zum anderen und zu uns selbst.

Als die Tore sich öffneten, betraten wir das Stadiongelände, und er sagte: „Wenn wir uns verlieren, treffen wir uns da vorne.“ Er deutete auf eine Laterne hinter einem Würstchenstand. Ich nickte. Ich hatte nicht vor, ihn zu verlieren. Ich wollte ihn für mich gewinnen, seit Monaten schon wollte ich das. Seit Silvester, dem Abend, an dem wir uns zum ersten Mal und mehr aus Versehen geküsst hatten.

Das Konzert – was kann ich davon erzählen? Es waren die Hosen, es war das 1.000ste Konzert, es war Stimmung, ein Mädchen starb im Publikum, doch ich bekam von alldem nichts mit. Ich beobachtete ihn von der Seite, wie er sang und wie er klatschte. Ich beobachtete mich selbst, wie ich daneben stand, ohne zu wissen, was ich mit mir anstellen sollte.

Wir hatten Tribünenkarten, und als er loszog, um etwas zu trinken zu besorgen, kam er mit zwei Innenraumkarten zurück. Er hatte sie gefunden, sie waren schmutzig und zertreten. Übermütig drückte er mir meine Karte in die Hand, drehte sich um, rief „Komm!“ und verschwand durch den Zaun auf die Holzbohlen des Spielfelds, wo die Menge wogte. Schon bald sah ich ihn nicht mehr. Er war weg, und ich blieb stehen, in der Nähe des Zauns, wo Platz war. Ich sah den Hosen zu, wie sie spielten. Ich blickte mehr auf die Leinwand neben der Bühne als zur Bühne selbst. Die Kamera schwenkte ein ums andere Mal hinunter in die ersten Reihen, und ein ums andere Mal entdeckte ich ihn dort. Er hatte sich vorgekämpft in den Pulk und rockte mit wippendem Kopf und emporgereckten Armen.

Als das Konzert zu Ende und die letzte Zugabe gespielt war, blieb ich dort stehen, wo ich war, am Rande des Innenraums und ließ die Leute hinaus, in der Hoffnung, dass er an mir vorbeiginge und ich ihm am Ärmel ziehen konnte. Doch seit ich ihn das letzte Mal auf der Leinwand gesehen hatte, war er fort.

Der Innenraum war schon fast leer. Auf dem Holz mischten sich Dreck und Staub mit den Hinterlassenschaften der Fans. Plastikbecher mit dem 1.000er-Logo rollten über die Planken. Zertretene, weiße Taschentücher leuchteten matt im Flutlicht. Es war kurz vor Mitternacht. Die Helligkeit des Konzerts war der Helligkeit der Abreise gewichen. Ich fühlte mich allein, wie ich dort stand. Wir hatten gemeinsam feiern wollten, doch er war abgehauen, ohne auf mich zu warten und ohne mich zu fragen, ob ich das wollte. Tagsüber war es warm gewesen, nun fror ich. Ich war müde. Ich weinte.

Ich ging hinaus auf den Platz vor dem Stadion, vorbei an dem Würstchenstand. Dann sah ich ihn dort sitzen. Unter unserer Laterne hockte er mit dem Rücken am Pfosten, die Ellbogen auf den Oberschenkeln. Die Hände hingen hinab, während er in die Gesichter der vorüber ziehenden Menschen blickte.

Er sah mich erst, als ich schon vor ihm stand. Er war verschwitzt und müde. Seine Augen glänzten, seine Haaren waren nass und durchwühlt, seine Jeans dreckig. Er lächelte, sprang auf, umarmte mich und küsste mich. „Da bist Du ja!“ Er küsste mich wieder. Es war der erste Kuss seit Silvester und der erste Kuss überhaupt, der nicht unter einem Vorwand zustande kam.

Das war mein 1.000stes Konzert.

Alles Gute

1. 07. 2007  •  Keine Kommentare

Wir haben alles dabei. Er hat es eingepackt. Ich habe nur ein paar Pinsel in eine Plastiktüte gesteckt, meine Malerklamotten und die Schlüssel. Schweigend sind wir hergefahren. Er hat mich abgeholt, ich bin ins Auto gestiegen. Scheu, mit zusammengekniffenen Lippen und nachtverquollenen Augen haben wir uns in dunstigem Licht einen guten Morgen gewünscht. Doch es war nur eine Floskel, wie so viele unserer Worte, die wir einander in den vergangenen Wochen gesagt haben, nur Floskeln gewesen sind.

Nach einer Stunde Fahrt steigen wir aus dem Wagen, Eimer mit Farbe, meine Tüte mit Pinseln und Klamotten zum Wechseln am Arm. Der Schlüssel gleitet ins Schloss der Haustür, an deren Holz der Lack absplittert. Mit einem Quietschen öffnet sie sich in den Flur mit den Steinstufen, die wir hinauf in die Hochparterre gehen, in der wir gemeinsam gewohnt haben. Aus unserem Briefkasten, der nicht mehr unser Briefkasten ist, sondern nur noch der Briefkasten einer Wohnung, in der einmal zwei Menschen gewohnt haben, die nach dem heutigen Tag wieder eigene Briefkästen haben werde, hängen Werbeprospekte. Ich klemme mir meine Malerkleidung unter den Arm, fingere sie heraus und werfe sie auf den Stapel Altpapier, der neben der Haustür liegt.

Ein Tag ist eingeplant, um Monate des Zusammenlebens überzupinseln. Wir betreten die Wohnung, an deren Wänden Löcher und Schleifspuren Ereignisse nachzeichnen.

„Ich mache die Küche. Du kannst ja im Schlafzimmer anfangen“, sagt er und nimmt mir die Tüte mit den Pinseln und den Eimer Farbe aus der Hand. Es ist das Erste, das er seit „Guten Morgen“ zu mir sagt. Es klingt seltsam fremd aus diesem vertrauten Mund, der mich so viele Male geküsst hat hier in dieser Wohnung, die nun so leer und verlassen ist wie wir. Meine Schritte hallen in den Räumen wider. Ich ziehe mich im Schlafzimmer um, in einer Ecke, die er vom Flur aus nicht einsehen kann. Ich schäme mich vor ihm, obwohl er mich so viele Male nackt gesehen hat. Doch heute ist es ein anderes Nacktsein, kein körperliches, die schutzlose Begegnung zweier Verwundeter, die einander nicht noch mehr verletzen möchten.

Es ist bereits dunkel, als wir fertig sind. Es riecht nach Kopfschmerzen und Neuanfang, als wir die Tür hinter uns zuziehen und ein letztes Mal abschließen, eine blaue Tüte Müll, einen leeren Eimer Farbe, gebrauchte Pinsel und beschmutzte Kleidung in den Kofferraum legen und über die Autobahn vor unserer gemeinsamen Vergangenheit davon fahren. Der Himmel ist in ein sattes Blau gefärbt. In der Ferne rauchen Schlote, und ich gebe mir Mühe, nicht zu weinen. Er fährt, während ich aus dem Beifahrerfenster blicke und das Radio Mittelwelle 102,2 spielt. Es will mir nicht recht gelingen, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt mir wenigstens, nicht zu schluchzen, und so lasse ich sie leise meine Wangen hinablaufen und wische mir die Nase mit meinem Handrücken ab.

Nach einer Stunde setzt er mich vor meiner neuen Wohnung ab, in der eine Matratze auf der Erde liegt und ein Fernseher auf dem Teppich steht. Er steigt aus, als ich aussteige, doch er kommt nicht mit zum Haus, sondern legt nur die angewinkelten Arme auf Autotür und Wagendach. Ich nehme meine Sachen aus dem Kofferraum und spüre, wie er mir nachblickt, als ich zur Tür gehe und sie aufschließe. „Alles Gute“, sagt er in diesem Moment, in dieser Situation, in der er sonst vielleicht „Bis morgen“ gesagt hätte. Ich drehe mich um und sehe ihn noch einmal kurz an, wie er dasteht, im Licht einer Straßenlaterne eingeklemmt in der geöffneten Fahrertür. Dann gehe ich ins Haus, nehme mit der freien Hand Post aus meinem Briefkasten und schließe die Tür.



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