Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Paketshop. Anschwimmen. Auswilderung. Parkettstatus.

11. 6. 2021 11 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Im Paketshop | Der Paketshop eines gelb-roten Paketdienst. Im Schaufenster steht ein Berg an Nippes: Buddelschiffe, Wackeldackel, Hamster mit LED-Augen und eine beträchtliche Menge Aschenbecher von ausgesucht schlechtem Geschmack. Der ganze Laden ist vollgestopft mit Firlefanz – außerdem voller Zeitschriften, einem Lottostand und Tabakwaren. Alles ist verraucht. Man ist, so scheint es, sich selbst der beste Kunde.

Vor dem Laden hat sich eine kleine Schlange gebildet, draußen. Es dürfen immer nur zwei Menschen rein, es sei denn, sie gehören irgendwie zusammen. Dann gehen auch drei, und die Kriterien, wer zusammengehört, sind volatil. Zwei Menschen, die deutlich nicht zusammengehören, stehen vor mir. Ich habe also Zeit, die Auslagen intensiv zu betrachten.

Neben dem Hamster glotzt mich Eule an. Daneben steht eine Harley aus Holz. Darüber ein Schild, Vintage-Optik: „Frauen arbeiten niemals so hart wie Männer – denn sie schaffen alles beim ersten Mal.“ Durch die Dekoration hindurch ist zu sehen: Vor dem Paketschalter gestikulieren ein Mann und eine Frau neben einem Trumm von Paket. Es ist brusthoch und wird zusammengehalten von großen Mengen Klebeband. Am Lottostand steht derweil eine alte Frau und macht Kreuzchen. Nach einiger Diskussion – ausufernde Gesten, abwenden, zuwenden, neue Gesten – verlässt das Paar den Laden, leise schimpfend, aber das Paket bleibt da. Die Paketfrau schleift es in die Hinterstube. Man kann ihr Grummeln nicht hören, aber es erahnen.

Danach geht erst der eine Kunde den Laden, dann der zweite. Die alte Frau macht derweil weiter Kreuzchen. Als ich den Laden betrete, ist sie fertig und tritt an den Lotto-Abgabestand. Die Verkäuferin macht eine Geste zu mir, die sagt: Geduld, bitte, das dauert jetzt. Ihre Geduld ist nach dem Trumm schon erschöpft, das sieht man ihr an. Es ist erst 9 Uhr.

Die alte Frau hält mit zitternden Händen ihren Lottoschein hin. „Ist der für Samstag?“, fragt sie.
„Für Samstag“, sagt die Verkäuferin. „Aber sie kommen doch sicherlich erst Freitag wieder, oder? Soll der Schein dann auch am Mittwoch gültig sein?“
„Ja, dann auch Mittwoch“, erwidert die Frau.
„Also Samstag und Mittwoch.“
„Samstag.“
„Und Mittwoch.“
„Ich komme erst in einer Woche wieder.“
„Wie immer, Frau Stellmaier*.“
„Ist der Schein dann auch für morgen?“
„Für Samstag und Mittwoch.“
„Ach, stimmt. Morgen ist ja Samstag.“
„Genau, morgen ist Samstag. Und am Mittwoch haben sie dann auch Lotto. Und am Freitag kommen Sie wieder.“
„Ich komme immer freitags.“

Dann nennt die Verkäuferin den Preis, und mir wird kurz schwindelig. Frau Stellmaier spielt für 56 Euro Lotto. Langsam nestelt sie Scheine aus ihrem Portemonnaie.

„Freitags mache ich immer meinen Rundgang“, sagt sie.
„Freitags sind Sie immer hier“, antwortet die Verkäuferin.
„Warten Sie“, sagt Frau Stellmaier und geht zum Zeitschriftenregal. Sie steht sehr lange davor, nimmt Zeitschriften heraus und steckt sie wieder hinein. Dann kommt sie zurück und legt eine auf die Theke.

Die Verkäuferin sagt: „Die Frau im Leben ist daneben. Das ist die Preiswert kochen.“
„Ach so“, sagt Frau Stellmaier. Sie zieht noch einmal los, schiebt die Preiswert kochen zurück ins Regal und zieht die Frau im Leben heraus.

„Können Sie die rollen?“, fragt sie.
„Natürlich, Frau Stellmaier. Wie immer.“ Die Verkäuferin rollt die Zeitschrift und lässt das Gummiband schnacken. Ich mache ich bereit für meinen Einsatz, den gleich bin ich dran, und lupfe meine Retoure. Aber Frau Stellmaier hat noch ein Anliegen.

„Haben Sie so … so …“, sie formt mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, „… für den Kühlschrank?“ Sie sieht mich an. „Junge Frau, Sie wissen doch, was ich meine!“
„Magneten“, sage ich.
„Magneten!“ sagt Frau Stellmaier zur Verkäuferin.

Die Verkäuferin deutet auf eine Fläche neben der Eingangstür. Frau Stellmaier geht hin, sehr langsam. Als sie ankommt, sagt sie mit tiefer Inbrunst: „Mein Gott, sind die hässlich. Wer kauft sowas?“ Ich fühle plötzlich große Sympathie.


Verspätung | Die Pfingstrose ist jetzt auch am Start.

Üppige Pfingstrose im Garten, Morgensonne

In Hamburg sitzt Herr Buddenbohm im Garten. Ich mag das ja auch sehr, einfach sitzen, die Blumen und die Vögel beobachten. Wenn erst die Hummeln den Lavendel füllen, auf den wippenden Zweigen landen und taumelnd von Blüte zu Blüte fliegen, gibt es endgültig keinen schöneren Ort mehr.


Auswilderung | Der Mann schlug vor, am Wochenende Außengastronomie aufzusuchen – genau so, wie man das damals machte, als keine Pandemie war. Wir waren allerdings noch nie in einem Restaurant. Abgesehen von einem unserer ersten Dates, damals, als wir uns noch nicht kannten. Ich bin etwas ratlos, was ich anziehen soll. Wahrscheinlich muss ich mir einen Zettel schreiben, damit ich nichts vergesse: Jacke, Geldbörse, Handtasche, BH … ich kenne mich nicht mehr aus. Die Sache wird immerhin dadurch erleichtert, dass ich nichts anzuziehen habe, also aktuell. All meine Kleidung ist in Kisten verpackt und der Kleiderschrank ist abgebaut, weil ja der Parkettmann da ist. Ich habe nur ein paar T-Shirts rausgelegt. Also wird es doch ganz einfach.


A propos Parkett | Ich schlafe, lebe und arbeite derzeit in der Küche. Wenn ich recht darüber nachdenke, brauche ich die anderen Räume eigentlich nicht, geht auch so. Nun gut, die Arbeitshaltung auf dem Küchenhocker wird von keiner Arbeitsstättenverordnung gedeckt, und das Küchensofa ist eher schmal. Aber eigentlich ist es ganz gemütlich. Wenn ich von meinem Sofa aufstehe, bin ich in zwei Schritten am Herd zum Kaffeemachen und in drei Schritten am Kühlschrank. Das ist nicht das Schlechteste.

Status #neuesArbeitszimmer: Der Boden ist gespachtelt, von den alten Fliesen ist nichts mehr zu sehen. Soeben legt der Parkettleger das Parkett.

Danach kommt das Schlafzimmer dran. Das Wohnzimmer ist abgeschliffen und bereits das erste Mal geölt. Ich freue mich wie Bolle auf alles.


Leibesübungen | In den vergangenen Tagen war ich zweimal Radfahren, jeweils längere Abendrunden. Und anschwimmen! Das Elsebad in Schwerte hat im Gegensatz zu den Dortmunder Bädern schon geöffnet. Herrje, die 1.500 Meter haben mir erstmal gereicht. Ich kam in keinen Rhythmus. Nach neun Monaten brauche ich erstmal wieder Wassergewöhnung.


Gelesen | Die Welt hat heute etwas zu bietenAbi während Corona: Warum ich so wütend binRekordhitze im Mittleren Osten: bis zu 51 Grad in Abadan.

Kommentare

11 Antworten: Bestellung aufgeben ⇓

  1. Ich war dann mal kurz in meiner Kindheit: Das Önteriör, die Gummibänder für Roll-Illustrierte, tout ça. Mein Oppa hätte sich da sehr wohlgefühlt. Danke!
    Und von wegen „In-der-Küche-wohnen“: Wenn es gerade nicht so fürchterlich angesagt wäre, würde ich einen Campervan empfehlen. Da hat man das Gefühl permanent. Im Stau, am See, vor kitschigsten Vanlife-Sonnenuntergängen… herrlisch!
    Und herzlich: Charlotte

    1. Vanessa sagt:

      Wie Tiny Home hier. Voll im Trend.

  2. Tiefer Schwimmneid.
    Und große Liebe für Frau Stellmaier.

    1. Vanessa sagt:

      Wahrscheinlich spielt sie nur Lotto, um das Geld danach so richtig auf’n Kopp zu hauen.

  3. Jungsmama sagt:

    Wellinghofener Freibad und Volksbad sind seit dieser Woche inoffiziell schon geöffnet. Dort gibt es gerade bis zu den Sommerferien vor allem Seepferdchen-Intensivkurse. Schwimmverein übergreifend organisiert. Eine super Aktion! Der 7jährige, der sein Seepferdchen vermutlich längst in der Tasche gehabt hätte, wenn sein Schwimmkurs über ein Jahr so gut wie gar nicht und das Schulschwimmen gar nicht stattgefunden haben, ist höchst motiviert dabei. Geschwommen wird bei (fast) jedem Wetter.

    1. Vanessa sagt:

      Ach, deshalb sind die Freibäder nicht offiziell geöffnet, sondern nur für Kurse. Habe mich schon gewundert (und ein bisschen geärgert). Aber dann ist das natürlich klar. Es sei den kleinen Seepferdchen von Herzen gegönnt!

  4. Natascha sagt:

    Kurz nur eine andere Ansicht zu dem Abitur-Link: Auch meine Tochter hat gerade Abitur gemacht. Auch sie hat gefroren, gebangt, war noch einmal extra und ganz besonders vorsichtig, musste sich dann noch (NRW) mit einem angeordneten Präsenzunterricht unmittelbar vor den Klausuren herumschlagen (konnte abgewehrt werden). Auch sie vermisst die ganzen „letztes-Schuljahr“-Aktivitäten; auch die von einer engagierten Lehrerin privat geplante, nachgeholte Studienfahrt nach Polen samt Auschwitz, die Anfang Juli hätte stattfinden sollen, fällt nun doch definitiv aus. Noch dazu war sie gerade erst in einer neuen Stufe angekommen, weil sie nach einem Auslandsjahr zurückgegangen ist.
    Und trotzdem (hat sie neulich auch in einem Leserbrief deutlich kundgetan): Sie hat engierte Lehrer/innen erlebt, sie hat Gemeinschaftsgeist erfahren; sie hat das Abitur gut und sicher hinter sich gebracht; sie konnte ziemlich ungestört sich vorbereiten (auch weil parallel nur die Abizeitung und der letzte Schultag vorbereitet sein wollten statt noch vieler -letzte-Minte-Geld-Beschaffen-Aktivitäten), sie fühlte sich schulisch, im Freundeskreis, von der Familie gut unterstützt und begleitet. Und jetzt planen sie eine Abschlussfeier ohne Eltern statt Abiball und überlegen, ob sie einfach nächstes Jahr mit der Q1 auf Klassenfahrt gehen. Sie nimmt, da ist sie sich sicher, keinen „psychischen Knacks“ und keine Dauerverzichtshaltung aus der Pandemie mit. Sondern sie hat gelernt, damit einigermassen klarzukommen, mal genervt und mal verzweifelt zu sein – am meisten aber über die Meckerer in ihrer Altersstufe, die so tun als seien sie nun fürs Leben geschädigt, und die vielen Idioten, denen sie verdankt, dass die Pandemie überhaupt so lange und so heftig gewirkt hat. Einschließlich der NRW-Schulministerin…
    Vielleicht wächst da auch eine Generation heran, die gelernt hat, mit Widrigkeiten umzugehen, nicht in Watte gepackt zu sein, nicht alles für selbstverständlich zu nehmen. hören wir auf, sie ständig zu Opfern zu deklarieren. Viele sehen sich selbst nicht so!

    1. mareibianke sagt:

      Danke, aus tiefster Seele!
      Meine Tochter und die meisten aus ihrem Freundeskreis sehen das auch so. Das lässt hoffen!

    2. Ina sagt:

      Liebe Natascha, danke für diesen tollen Kommentar und der letzte Absatz sagt genau was ich hoffe. Es war und ist nicht alles schlecht an dieser Zeit, auch meine neunjährige Tochter ist bei allem Verzicht innerlich gewachsen. Und während so viele Erwachsene laut schreien „Lasst die Kinder in Ruhe!“ ist sie zum Beispiel stolz darauf dass ihr in der Schule zugetraut wird sich selbst zu testen. Ein Beispiel von vielen. Kinder sind oft viel pragmatischer als offenbar viele Eltern ihnen zutrauen.

      Ich muß gestehen dass ich aus dem vice Artikel schon nach dem ersten Absatz ausgestiegen bin als die Verfasserin beschrieb wie sie sich bei der Einschulung auf die Verkleidung nach dem Abitur gefreut hat. Ich kenne keinen Erstklässler der solche Gedanken am Tag der Einschulung hatte.

      Liebe Grüße, Ina

  5. Julia sagt:

    Frau Stellmair hat mich herzhaft lachen lassen.

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