Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Eine Steinstunde der Bastelgeschichte, Nachtrag zu Familien und Corona

21. 5. 2020 19 Kommentare Aus der Kategorie »Tagebuchbloggen«

Trendscouting | Ich habe Steine bemalt. Machen jetzt viele, und ich bin ja gerne unterwegs, um Menschen zu verstehen. Steine zu bemalen, soll beruhigen. Man hat auch das Gefühl, eine Spur auf dieser Erde zu hinterlassen. Außerdem habe ich viele Steine im Garten; die Erde meines Gartens ist durchwirkt von Steinen. Denen stünde ein schönes Motiv gut zu Gesicht.

Mit Pünnktchen bemalter Stein im Gartenbeet

Ich kaufte mir also Acrylfarben und bemalte Steine, und was soll ich sagen? Es hat mich aggressiv gemacht.


Reisen | Eine Sache, die ich nicht verstehe, ist die Reisefixiertheit in Zeiten der Pandemie. Warum möchten Menschen in diesem Jahr dringend verreisen? Warum nicht mal ein Jahr zuhause bleiben? Es interessiert mich ernsthaft.

Zumal mir scheint: Diejenigen, die einen Urlaub andernorts wirklich nötig hätten – Familien in beengten Verhältnissen, ohne Garten, mit Existenzsorgen, zerrieben im Funktionierenmüssen zwischen Kindern und Arbeit -, sind gerade nicht diejenigen, die nun Ferienhäuser buchen und die Strände und Promenaden der Nord- und Ostsee bevölkern werden.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich reise selbst gerne. Ich mag neue Eindrücke, Ausblicke, Begegnungen, Entdeckungen. Die aktuelle Zeit schlaucht, der Takt ist hoch, eine Auszeit am Strand oder in den Bergen wäre super. Ich wünsche jedem Hotelier, jedem, der vom Tourismus abhängig ist, sein Auskommen. Dennoch: Wir brauchen kein zweites Ischgl an der Ostsee. Warum können wir uns nicht ein bis zwei Jahre lang einschränken? Wie sollen wir mit dieser Haltung den Klimawandel hinkriegen?


Schafe | Die Schafe sind umgezogen, dreihundert Meter das Feld hoch.

Herde Schafe, darin ein Wagen, an dem sich ein Mann zu schaffen macht

Als der Schäfer kam, war großes Hallo. Alle Schafe guckten zu, wie er die Hütehunde fütterte.

Ich mag Schafe. Sie sind gleichzeitig neugierig und ängstlich. Diese widerstreitenden Gefühle zerren an ihnen wie ein unsichtbares Seil. Sie kommen und gucken, aber nicht zu nah. Gleichzeitig wollen sie genau wissen, wer da am Zaun steht. Andererseits: Besser nicht. Obwohl – vielleicht, also, etwas näher ginge wohl noch. Oh! Die Person bewegt sich. Lieber so tun, als wäre sie uninteressant. Nur noch einmal kurz gucken …

Weizenfeld mit Mohn, bewölkter Himmel

Nebendran war das Feld schön.


Nachtrag | Noch ein paar Gedanken zu Familien und Corona – ein Zitat von Hannah Arendt:

Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt jedoch in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um Meinungen.

In der Gegenwart: Übungen zum politischen Denken II

Die Belastung durch Homeschooling, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit ist eine Tatsache, keine Meinung. Dass Schulen und Kitas zwar wieder öffnen, diese Öffnung aber mehr Probleme verursacht, als sie löst, scheint mir auch keine Meinung, sondern eine Tatsache.

Gleichwohl, selbst wenn wir diese Tatsachen anerkennen würden, werden die Schlüsse, die wir ziehen, und die Handlungen, die unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven ableiten, divergieren. Kontingenzen und Mehrdeutigkeiten, wir sprachen darüber.

Das macht aber nichts. Allein, dass wir Tatsachen als Tatsachen anerkennen, führt dazu, dass wir über Lösungen diskutieren und nicht darüber, mit welchen Argumenten wir das Problem negieren möchten.

Inzwischen werden erste Schulen und Kitas (Berlin/Brandenburg, Bremen) wieder geschlossen, weil Corona-Infektionen auftraten.

Es ist mir ein Rätsel, warum niemand Eltern, Kindern (!) und Lehrer*innen zuhört. Sie wissen doch am besten, was ihnen (abgesehen von einem regulären Betrieb) hilft und was sie brauchen – zumal nach den vorangegangenen Wochen. Eine – gemessen an der Zahl der Gesamtbetroffenen – überschaubare Menge Leitfadeninterviews, und ich bin sicher: Wir werden relativ rasch eine Schnittmenge an Hinweisen erkennen, was Familien wirklich brauchen in dieser Situation. Nur: Wer fragt, muss mit den Antworten leben. Vielleicht fragt deshalb niemand.


Corona-Service | Wenn Sie heute noch nichts zu lachen hatten: Ton anschalten und bitte hier entlang. | Blick aus dem Ausland auf die Coronavirus-Proteste: Anti-Vaxxers, Anticapitalists, Neo-Nazis | Die USA stecken schon jetzt in einer tiefen Wirtschaftskrise – ohne nennenswertes soziales Netz. Ein Überblick über die Situation. | Blutkonserven werden knapp. Wer kann, sollte Blut spenden. | Aus Berührung wird Rührung – eine Kulturgeschichte des Social Distancing | Corona macht Zeitverschiebungen. | Twitter-Faden: Einblicke in die Tätigkeit eines Containment-Scouts im Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg

Angeguckt | Wir können jetzt alle in das Grab des Pharaos Ramses VI. gehen – von zu Hause aus.

Gehört | Djure Meinen – alias 50hz, alias Master of Condoms – ist im Podcast Sex Tapes zu Gast: Ein Mal drüberziehen, bitte!

Gelesen | Frauen, seid dankbar – ein Beitrag über Wirtschaftsbereiche, in denen menschliche Arbeit wesentlich für die Produktion oder Dienstleistung ist und die sich dadurch kaum bis gar nicht optimieren, automatisieren und standardisieren lassen. Der Anteil von Frauen ist in diesen Bereichen überdurchschnittlich hoch – bei schlechter Entlohnung. Die Tätigkeiten sind jedoch Voraussetzung, dass Arbeit in anderen Wirtschaftsbereichen überhaupt stattfinden kann.

Gelesen | I do not help my wife

Gelesen | Eine Geschichte vom Gutshof, eine von vielen, nichts Besonderes. Dennoch: Ich mag dieses Tagebuchbloggen.

Angeguckt | Der New Yorker Choreograph Quinn B. Wharton hat die finale Tanzszene aus Dirty Dancing nachgestellt: mit seiner Stehlampe und sich selbst in wechselnden Rollen. (via Frau Kaltmamsell)

Kommentare

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  1. Nihilistin sagt:

    Liebe Nessy, Du fragst ernsthaft, ich antworte ernsthaft. Ich möchte Mitte Juni 5 Tage in eine FeWo an die Ostsee reisen (unter Wahrung aller Regeln, die ich hier in Berlin auch lebe…als Angehörige einer Risikogruppenangehörigen und als Naturwissenschaftlerin lebe ich die Regeln ziemlich streng).
    Weil ich seit Januar hart, seit Coronabeginn megahart arbeite. 8-10 Stunden im Homeoffice, oft nur unterbrochen von einer hastigen Mittagspause. Weil ich zwar in einer recht großen Wohnung, aber an einer fetten dieselbelasteten Strasse in Berlin lebe. Weil ich keinen Garten habe und die Freunde, die einen Garten haben, nicht besuche, weil wir beide in Risikogruppenhaushalten leben. Weil ich die in der Nähe gelegenen Parks nach den täglichen Fahrradrunden zu gut kenne. Weil ich mich nach Weite sehne. Weil ich mich nach guter Luft sehne. Weil ich meinen Mannschaftssport seit Ende Februar nicht und diese Saison auch nicht mehr ausüben kann (zu dicht, zu viele Aerosole). Weil ich ausserhalb der Schulferien keiner Familie einen Platz wegnehme. Weil mein heissersehnter Südeuropa-Aktiv-Urlaub im Mai ersatzlos entfallen ist.
    Deshalb möchte ich mit meiner Freundin 5 Tage abschalten, durchatmen und Energie tanken. Und, wenn die Infektionszahlen es hergeben, bewahrt mich die Aussicht auf die vor 12 Monaten gebuchte Nordsee-FeWo für September ebenfalls davor, am Alltag zu verzweifeln.

    1. Vanessa sagt:

      Sehr verständlich. Ich wünsche gute Erholung!

  2. Frau Irgendwas ist immer sagt:

    Ja, auch ich habe die nachgestellte finale Tanzszene (gefunden bei Frau Kaltmamsel)l schon gesehen, der Hammer, oder? Und ja, auch das wird dieses Jahr wohl ausfallen, auf der Freilichtbühne `Dirty Dancing` sehen, mit einem Haufen verrückter Leute, Piccolo, Chips, mitsingen und nach Hause tanzen … nächstes Jahr schon ein Freichlichtevent ins Auge gefasst, werte Frau Nessy?

    1. Vanessa sagt:

      Ich weiß gar nicht, ob ich der Typ für Freilicht-Events bin. Ich gehe ja nicht in Dinge, in denen gesprochen und getanzt wird. Ich habe das ein paarmal gemacht und fand es fürchterlich, wirklich fürchterlich. Dieses Gesinge zwischendurch, unerklärlich, das ergab alles keinen Sinn.

      Nun ja. Vielleicht würde ich für „Dirty Dancing“ eine Ausnahme machen.

  3. Ina sagt:

    Wie immer wunderbar geschrieben und inhaltlich von mir volle Zustimmung.
    Danke.

    Liebe Grüße, Ina

    1. Vanessa sagt:

      Grüße zurück!

  4. Berit sagt:

    Hm re:Urlaub, sie sagen es ja selbst. Neues sehen und entdecken und vor allem bei mir einfach mal nichts machen.

    Für mich sind unsere 1,5 Wochen all inclusive immer das Highlight des Jahres weil ich im Gegensatz zum Rest einfach wirklich nichts machen muss. Kein Haushalt, kein Rumchefen, kein Planen. Einfach nur dösen und baden.

    Und das geht zuhause eben nicht.

    1. Berit sagt:

      Aber natürlich auch nicht an deutschen Gewässern wir werden wohl unsere Eltern besuchen.

    2. Vanessa sagt:

      Ich hatte nun eine Woche Urlaub daheim, und es fühlte sich gar nicht urlaubig an. Es fehlt doch die andere Szenerie, der visuelle Input. Muss ja nichts Dolles sein. Aber einfach was anderes sehen.

      Werde mir auch nochmal Gedanken machen, ob es da eine sinnvolle, kleine Lösung gibt. Vielleicht eine einsame Hütte in den Bergen oder so.

  5. Ulla sagt:

    Nein ich möchte dieses Jahr nicht mehr reisen. Meine für den 3.Juli ursprünglich gebuchte Spanienreise wird hoffentlich nicht stattfinden. Die letzte durchgeführte Reise ging nach Triest.
    Corona hat es mir verleidet so etwas wie Fernweh aufkommen zu lassen.

    1. Vanessa sagt:

      Ach, Fernweh habe ich durchaus reichlich. Ein Besuch in einem Bergdorf in den Abbruzzen wäre wahrscheinlich auch nur mit einer geringen Corona-Gefahr behaftet. Dennoch.

      Und ich weiß ja nicht, ob man als Touristin vor Ort grad wohlgelitten ist. Nicht, dass sie denken, ich schleppe das Virus ein (was ja tatsächlich passieren kann).

  6. blogspargel sagt:

    Also, ich glaube, wir hören uns gegenseitig in diesen Tagen überhaupt nicht mehr zu, u.a. auch nicht den Eltern mit Schulkindern, sondern stricken uns unsere eigene Meinung und jeder, der nicht in die gleiche Richtung denkt, wird ausgegrenzt, ob Familie, Freund und sowieso schon Feind. Die ordnungspolitisch getroffenen Entscheidungen mit der Gießkanne schaffen so viel Probleme, gegen die wir erst mal kämpfen müssen, bevor ein Nutzen daraus gezogen werden kann. Schade, denn eigentlich bräuchten wir jetzt Hoffnung und Zuversicht und kein Durcheinander, damit das gesellschaftliche Miteinander wieder klappt, mehr denn je.

    Danke für den Hinweis auf den Artikel in der NYT. Dieser zeichnet ein Bild von Deutschland, das in der Realität wohl etwas differenzierter aussieht. Journalismus kann so deprimierend sein.

  7. Susann sagt:

    Liebe Nessy,

    um auch mal anderen Bevölkerungsgruppen eine Stimme zu geben: Wir haben eine ausreichend große Wohnung und einen Gemeinschaftsgarten hinten dran. Und falls unser geplanter Urlaub in Österreich zu Beginn der Sommerferien ausfällt, wollen wir gern ein paar Tage auf den Campingplatz in 17km Entfernung fahren. Um zwar ein paar Tage dem Alltag zu entfliehen, aber dafür sollte eben auch eine kurze Strecke reichen :)

    Danke für deine Ausführungen zum Zuhören! Du sprichst mir aus der Seele ;)

    Was mich noch interessieren würde: Warum hat dich das Anmalen aggressiv gemacht? Wenn ich mit den Kindern Gips-Einhörner anmale, finde ich das auch immer sehr meditativ.

    Viele Grüße
    Susann

    1. Vanessa sagt:

      Das Anmalen ist so frickelig, so kleinteilig. Ständig verschmiert irgendwas. Die Punkte werden größer, als ich will. Oder keine Punkte, sondern Striche. Es ist alles … argh.

      Campingplatz in 17 Kilometern Entfernung klingt erstmal strange, aber ich kann’s mir tatsächlich gut vorstellen. Einfach raus aus den eigenen vier Wänden, anderer Alltag, andere Kulisse.

      Zuhören ist halt Voraussetzung für alles. Ich kann die Aussagen danach ja doof finden. Aber dann finde ich sie wenigstens begründet doof. Vor allem gibt es dann eine Gesprächsgrundlage.

  8. Sandra P. sagt:

    zum thema reisen: mein vater meinte zu mir, es macht meinen eltern deshalb zu schaffen, weil sie nicht wissen, wann sie nicht mehr in der lage sein werden, in den urlaub zu fahren und deshalb eigentlich jedes jahr nutzen wollen.
    sie fahren aber unter den jetzigen umständen nicht weg.

    1. Vanessa sagt:

      Stimmt – diesen Aspekt hat man als junger Mensch gar nicht auf dem Schirm. Verständlich. Andererseits: Wenn sie dieses Jahr mit dem Ferienflieger nach Malle reisen, war’s vielleicht tatsächlich die letzte Reise … um’s mal direkt zu sagen. Vielleicht gibt’s ja Möglichkeiten, irgendwas Nahes, aber trotzdem Interessantes zu entdecken.

  9. Chris sagt:

    Vielen Dank für das Arendt-Zitat, das für mich die Krise im gesellschaftlichen und politischen Diskurs der letzten Jahre und Monate gut zusammenfasst. Jetzt in Sachen Corona nochmal verstärkt. Bemerkenswert und auch etwas beruhigend, dass das offenbar schon damals(TM) ein Problem war und nicht erst heutzutage mit Social Media.

    1. Vanessa sagt:

      Ich denke nicht, dass Social Media das Problem ist. Der Kanal und die Kommunikationsweise verstärken Tendenzen, aber sie sind nicht die Tendenzen.

      Sowohl die Verschwörungsleute als auch diejenigen, die gegen alles und jeden hetzen, gab’s schon immer. Jedes Dorf, jede Kleinstadt hatte schon immer ihre wunderlichen Leute – oder die, die gegen alles waren. Sie konnten sich nur nicht so gut vernetzen.

  10. Nadine sagt:

    Danke für den so klugen Kommentar zu Familien. Schreibt eine Mutter, die mit ihrer Familie glücklicherweise bisher gut durchgekommen ist. Was es an unnötigem Leid in befreundeten Familien gibt, richtig doof.

    Urlaub = wir fahren immer nur 25 Minuten im dem Auto oder 50 mit dem Fahrrad in unseren Garten und schlafen dort. Es ist trotzdem richtiger Urlaub, weil mitten in der Natur unfassbar erholsam, und einfach im anderen Bett schlafen, andere Supermärkte nutzen, andere Wege gehen. Wir sind immer noch in der gleichen Stadt, aber trotzdem so ein Unterschied, und ich glaub, danach sehnen sich viele. Uns ist es aber an der See etc. grundsätzlich zu voll.

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