Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Freitag, 9. März

9. 03. 2018  •  10 Kommentare

Projekt Auto: abgeschlossen.

Der Wagen ist wieder da. Zwei neue Reifen vorne, Felge repariert. Hoffen wir, dass der Mechanikus einen guten Job gemacht hat.

Auf dem Rückweg habe ich sehr, sehr wachsam auf den Asphalt geschaut.

*

Der Tag startete bereits heute Nacht: Um 00:30 Uhr ging ein Riesenfeuerwerk los. Ich war schon fest eingeschlafen und träumte zunächst, ich sei unter Beschuss. Explosionen, Blendgranaten, schweres Gerät. Als die feindliche Artillerie nicht abzog, erwachte ich und saß mitten im Getöse.

Nach 15 Minuten war der Spuk zu Ende, und ich hellwach. Ich brauchte sage und schreibe drei Stunden, um wieder einzuschlafen. Heute Morgen war ich ein bisschen matschig.

*

Nach dem Frühstück packte ich meine Sachen, denn morgen geht es weiter in die Abruzzen. Ich reise mit zwei kleinen Koffern: einmal Sommer und wandern, einmal alles andere. Außerdem zwei Einkaufskörbe: einmal Arbeit, einmal Schuhe. Dazu MacBook, Jacken, Rucksack und inzwischen auch einige Mitbringsel.

Ich putzte Schuhe, die vom Regen und vom Matsch recht mitgenommen aussahen.

Montefiascone: Blick aus dem Fenster mit Wanderschuhen

*

Gegen 13:30 Uhr fuhr der Bus nach Viterbo. Ich ging hinunter zur Haltestelle und setzte mich dort auf eine Bank. Himmel, diese Hitze. 15 Grad und gleißende Sonne.

Busfahren in Lazio ist wie Busfahren in Dortmund. Riecht genauso, ist genauso eng, und das Publikum ist ebenfalls das gleiche. Auf der Strecke nach Viterbo quasselte eine Olle zehn Minuten lange Sprachnachrichten in ihr Handy. Genauer gesagt: Sie hielt sich ihr Handy vors Gesicht und schrie es an. Resümee: Ihr Typ ist ein Arsch. Er kann sie mal. Sie fährt jetzt nach Rom. Die Katze kriegt auf jeden Fall sie; die kann er sich abschminken.

In Viterbo bin ich wieder an diesem charmanten Busbahnhof angekommen. Von da aus war der Weg in die Stadt ziemlich einfach: fünfzehn Minuten bergauf.

In Viterbo gibt es viele alte Steine. Erste Besiedelung: 310 v. Chr., ab dem 8. Jahrhundert n. Ch. Grenzfestung der Langobarden, dann Teil des Kirchenstaats, päpstliche Residenz und all sowas.

Ich schlenderte ziellos durch die Altstadt:

Blick auf Viterbo

Gasse mi Katze in Viterbo, im Hintergrund Kirchenkuppel

Gelbes Haus mit Durchgang und Blumenbewuchs

Viterbo: Schwarzes Käferauto vor altem Haus

Außerdem besuchte ich den Palazzo dei Papi, den Palast der Päpste und die Kathedrale von Viterbo, ging ins Museum und hörte mir Sachen auf dem Audioguide an.

Zusammenfassung: Alles sehr alt, die Bischöfe hatten es auch nicht leicht, ständig Streitereien mit den weltlichen Herrschern, und als sie sich mal nicht einigen konnten, wer neuer Papst wird, haben sie so lange nur Wasser und Brot gekriegt, bis ihnen jemand einfiel.

Viterbo: Alte Bögen am Palazzo dei Papi

Kathedrale von innen: Bogengang mit gemustertem Boden

Viterbo hat ebenso wie Orvieto ein System aus unterirdischen Gängen. Sie dienten den Etruskern zur Wasserversorgung und zum Abbau von Bodenschätzen. Später hausten dort Diebesbanden. Im Krieg wurden die Gänge als Bunker benutzt.

Gegen 17:30 Uhr ging ich mich zum Stadttor, wo ich die Taxis hatte stehen sehen – gegenüber vom Park mit dem Kinderparadies.

Park im Viterbo mit Karussels in der tief stehenden Sonne

Wir fuhren ins Instudriegebiet zur Werkstatt, wo ich das Auto abholte.

*

Morgen Ortswechsel nach Capelle sul Tavo.

Donnerstag, 8. März

8. 03. 2018  •  8 Kommentare

Den Morgen genutzt und ein wenig gearbeitet. Ich hatte noch Telefonate offen, unter anderem ging es um zwei Vorträge, die ich im April im Kontext einer Veranstaltung halte.

Dann war Mittag. Die Werkstatt hatte sich noch nicht gemeldet. Ich beschloss, das gute Wetter zu nutzen, zum Bolsenasee hinunter zu gehen und später von unterwegs anzurufen.

Bolsenasee von oben

Es führen mehrere Wanderwege zum Lago di Bolsena. Die Touristeninformation hatte mir eine Karte gegeben, die ich mitnahm.

Erst geht es zweieinhalb Kilometer steil bergab. Dann ist man im Tal, und der Weg verläuft sanfter. Unterwegs trifft man auf ein Kirchlein. Im Hintergrund mein Berg.

Kirche unter einem Baum, dahinter ein Berg

Nach etwa eineinhalb Stunden kam ich an den See. Dort: ein Kiosk mit Eiskarte. Das konnte kein Zufall sein! Der ältere Kioskbetreiber gratulierte mir erstmal zum Weltfrauentag und sagte dann, dass Langnese – beziehungsweise das italienische Pendant Algida – heute Sortimentswechsel hätte: Die Saison 2018 startet, alles muss raus! Da war ich doch gerne behilflich. Immer für die gute Sache unterwegs!

Ich setzte mich ans Ufer auf eine Bank und genoss mein Choc’n’Ball. Die Aussicht:

See mit Steg, intensivblaue Farbe

Danach führte der Weg am See entlang.

Vor einem Restaurant standen drei junge Männer.
„Hey“, rief einer auf Italienisch. „Bist du Holländerin?“
„Wie soll sie dich dann verstehen, du Idiot.“
„Du bist bestimmt Deutsche, oder?“, sagte der andere auf Deutsch.
„Stimmt“, sagte ich.
„Ich wohne auch in Deutschland. In Bayern. Seit vier Jahren.“
„Versteht sie dich überhaupt?“, fragte sein Kumpel auf Italienisch.
„Halt die Klappe, natürlich versteht sie mich.“ Und zu mir: „Du versteht mich doch, oder?“
„Klar“, sagte ich.
Zu seinem Kumpel: „Siehste, mein Deutsch ist gar nicht so schlecht.“
„Du kannst uns viel erzählen.“

Wir unterhielten uns ein bisschen.
Dann fragte er: „Und, wo findest du es schöner? In Italien oder in Deutschland?“
„Das Leben ist schon schön hier“, antwortete ich.
„Aber guck dir das an“, er deutete auf die Straße. „Guck dir an, wie die Straßen aussehen!“
„Mein Auto ist gerade in der Werkstatt.“
„Oh, che cazzo! Wegen einem Schlagloch? Einmal passiert es jedem!“
Da hat man doch direkt ein besseres Gefühl.

Boote am See

Auf dem Rückweg rief ich in der Werkstatt an. Morgen um 18.30 Uhr sei das Auto fertig, sagte der Mechaniker. Drücken Sie mir bitte die Daumen.

Strada Montarone: Schotterweg in Richtung Berg, rechts Weinreben

Der Weg ließ sich gut gehen. Nur die letzten zwei steilen Kilometer waren nach den vorangegangen 14 etwas beschwerlich. Aber auf mich wartete ja niemand.

Als ich oben auf meinem Berg ankam und mich die letzten Meter durch das Tor oberhalb der Piazza Vittorio Emmanuele schleppte, sah ich, dass der Abend wunderbar werden würde: Die Tür zum Paradies zur Pizzeria stand offen!

Pizzeria an steile Straße mit geöffneter Tür

Ich ging hinein, doch der Pizzabäcker winkte ab: „Der Ofen ist noch nicht heiß.“ Er ist ein sensibler Mensch, denn er hat mir sofort angesehen, welch schlimme Nachricht das für mich war. „Aber du kannst dir schonmal eine Pizza aussuchen. Ich mache sie dir dann für 19 Uhr fertig.“ Bester Mann.

Tagesaktivität:

81 Stockwerke; 16,2 Kilometer; 21.441 Schritte

Kompensationsmahlzeit: Pizza mit Prosciutto Crudo.

*

Gelesen: Der weite Weg zum Glück – Interview mit dem Glücksforscher, Psychiater und Harvard-Professor George E. Vaillant über die Ergebnisse der Grant-Studie. In der seit 75 Jahren andauernden Langzeitstudie erforscht eine Gruppe Wissenschaftler, was Menschen glücklich macht. Erkenntnisse: Man soll sich wertschätzen, aber wenig an sich denken. Viel für andere tun. Einfühlsam sein. Lieben und verzeihen. Aus Erfahrung lernen. Humor entwickeln.

Mittwoch, 7. März

7. 03. 2018  •  7 Kommentare

Heute: Serviceblog!

Ich habe für Sie die Mobilitätsgarantie von Skoda getestet, über die Imbissqualität in italienischen Industriegebieten recherchiert und mein Italienischvokabular im Kfz-Wesen erweitert.

Wie gestern bereits befürchtet: La gomma è rotta! Der Reifen ist im Eimer. Oder genauer gesagt: die Felge. Ich kramte also die Nummer vom Skoda-Mobilitätsservice raus und rief in Hessen an.

„Was ist denn passiert? … Ah, und wo sind Sie? … Oh! Nördlich von Rom! … Haben Sie Begleitung? … Allein! Oh … Wir kümmern uns.“

Taten sie auch. Eine halbe Stunde später rief eine italienische Dame an, sagte, sie mache jetzt eine Vertragswerkstatt ausfindig, die abschleppen könne, und nahm nochmal die Adresse auf. Eine weitere halbe Stunde später rief der Abschlepper an und entschuldige sich dreimal, dass er erst um 12.30 Uhr kommen könne. Nochmal eine Dreiviertelstunde später rief wieder der Mobilitätsservice an und fragte, ob die Italiener sich gemeldet hätten. Ich bejahte und sagte ihm, alles sei gut. Er meinte, ich sei ja wirklich sehr entspannt, dafür dass ich alleine und als Frau nördlich von Rom gerade eine Autopanne hätte. Wir scherzten etwas. Der Mann war kurz davor, mich zu heiraten.

Während ich auf den Abschleppwagen wartete, eignete ich mir relevantes Vokabular an: Reifen, Felge, Achse, Lenkung, Querlenker, Stoßdämpfer. Denn eins war klar: Die Dame vom  italienischen Skoda-Service sprach zwar Englisch mit mir, aber spätestens beim Mechaniker würde es vorbei sein. Ich bin in Montefiascone und Umgebung noch auf niemanden gestoßen, der eine andere Sprache als Italienisch spricht.

Um viertel vor Eins kam tatsächlich der Pannendienst, ein patenter junger Mann, der mein Auto auflud und uns beide nach Viterbo fuhr.

Irgendwas stimmt mit Felgi nicht

„War ein Schlagloch, ne?“, fragte er.
„Mmh-mmh, Schlagloch“, sagte ich.
„Hamwa öfters.“
„Überrascht mich jetzt nicht.“
„Die Werkstatt macht grad Mittag und erst um 15 Uhr wieder auf.“
„Mmh-mmh.“
„Ich kenne aber einen guten Imbiss. Da setze ich dich ab, von dort aus kannst du zur Werkstatt kommen. Gute Pasta und alles. Kann ich empfehlen.“

So kam ich zu einer Zucchini-Carbonara im Industriegebiet von Viterbo, und ich sag mal: Da können deutsche Kantinenköche mal ein Praktikum machen.

Zucchinicarbonara

Zurzeit läuft noch der Test, wie lange so eine Carbonara satt macht. Wir sind bei sieben Stunden, und ich fühle mich immer noch wie frisch gestopft.

Mit dem Pannendienstfahrzeug wichen wir übrigens sicher zehn, fast knöcheltiefen Schlaglöchern aus. Ich habe den Verdacht, dass die Straßenverhältnisse hier eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Mechanikerzunft sind. Bandscheibenpatienten sollten lieber den Zug nehmen.

Nach dem Essen, einem Kaffee und ein bisschen Warten dackelte ich zur Werkstatt hinüber, vorbei an einem Luftwaffenstützpunkt der italienischen Armee, die sehr große Transporthubschrauber hat. Und: Sie fliegen! Wenn das die Bundeswehr wüsste.

In der Werkstatt wusste man erstmal nicht, dass es mich und mein Auto gibt, aber ich zeigte es ihnen auf dem Hof, erklärte nochmal, was los sei und wir tranken einen Kaffee.

Werkstatt

Erste Diagnose: Die Felge ist auf jeden Fall hinüber. Sie gucken sich das jetzt genau an und rufen mich an. Kann bis morgen dauern oder bis übermorgen, man wird sehen.

Der Mechanikus fuhr mich dann zum Busbahnhof in Viterbo, der sogar noch charmanter ist als der Busbahnhof in Hagen. Und nur echt mit Hakenkreuz.

Busbahnhof von Viterbo

Die Busfahrt von Viterbo nach Montefiascone, rund 17 Kilometer, kostet 1,30 Euro. Ein Schnapper. Die Preise richten sich nach der Entfernung, und alles bis 20 Kilometer kostet einsdreißig. Ich stieg vor dem Supermarkt aus, in dem ich am Samstag eingekauft hatte, ging den Berg zu meiner Residenz hinauf und hielt noch einmal im Keksparadies für ein frisches Brot an.

„Regnet’s?“, fragte die Bäckerin, eine ältere Frau.
„Gerade nicht“, sagte ich.
„Schlimm, dieses Wetter. Ich ertrage das nicht mehr.“
„Ich komme aus Deutschland. Wir haben das immer.“
„Ach je, du Arme!“
„Ja.“
„Ja.“

Auf dem weiteren Weg machte ich noch einen Abstecher in den kleinsten „Einmal hin, alles drin“-Supermarkt der Welt, um etwas für aufs Brot zu kaufen – und fotografierte das beeindruckende Knopfsortiment.

Knöpfe, viele Knöpfe

Hier nun großes Gewitter mit Hagel. Sehr schön, dass der Niederschlag variiert. So haben die Bäckerin und ich Abwechslung.

*

#serviceblog

der Reifen: la gomma
die Felge: il cerchio
die Lenkung: lo sterzo
die Achse: l’assale
der Querlenker: il braccio trasversale
der Stoßdämpfer: lo smorzatore, l’ammortizzatore
abschleppen: rimorchiare
das Schlagloch: la buca
der junge Mann vom Pannendienst: il ragazzo
Scheiße: Merda!, Cazzo!, Porca puttana!
Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen: Piove sempre sul bagnato! (Wörtlich: Es regnet immer auf den, der eh schon nass ist.)

*

Ich habe, um mir die Zeit zu vertreiben, beim Warten ein bisschen getwittert (Thread). Weil dort die Frage aufkam: Ich war tatsächlich entspannt. Die Sache ist nämlich: Ich kann es ja eh nicht ändern.

Außerdem habe ich mir vor der Fahrt natürlich Gedanken gemacht, was so alles passieren kann. Nicht sehr sorgenvoll, aber dass ich eine Autopanne haben könnte, war natürlich möglich.

Wenn ich mir vorher überlege, was alles passieren kann, entwickle ich immer schon eine Haltung dazu, und wenn das Ereignis dann tatsächlich eintritt, bin ich emotional ziemlich neutral und wickle das Drumherum dann besonnen ab. Kommt vielleicht vom Projektmanagementgeschäft, in dem ich noch kein einziges Projekt erlebt habe, bei dem nicht irgendwann etwas Unvorhergesehens geschehen ist. Und so eine fünfwöchige Italiendurchquerung ist ja auch irgendwie ein Projekt. Dadurch, dass ich weiß, dass mindestens einmal etwas Unvorhergesehenes passieren wird, kann ich, selbst wenn ich nicht weiß, was genau es sein wird, das schonmal vorsorglich wegatmen, dann ist es, wenn es soweit ist, auch kein großes Ding.

Hatte ich schon gesagt, dass Sie mich buchen können, wenn Sie mal ein paar Kühe vom Eis holen müssen? Ich habe sogar gute Laune dabei!

*

Jetzt noch eine Folge Grey’s. Ich bin gerade dabei, Staffel 13 zu beenden.

Dienstag, 6. März

6. 03. 2018  •  9 Kommentare

Weil ich gestern so viel geschrieben habe, sind für heute nicht mehr reichlich Buchstaben übrig. Deshalb mehr Bilder.

Heute morgen regnete es wieder in Strömen. Erst um 13 Uhr hörte es auf. Ich machte mich auf, um in Richtung Pitigliano zu fahren, auf die andere Seite des Sees. Doch kaum saß ich im Auto, begann es wieder in Sturzbächen zu regnen. Die Straße hatte zahlreiche, tiefe Schlaglöcher. Ich versuchte, mit den Scheibenwischern auf Stufe drei, sie so gut es ging zu umfahren.

Nach einer Dreiviertelstunde kam ich nach Pitigliano, wo ich die Routen 34 und 35 aus dem Rother-Wanderführer Toskana-Süd gehen wollte: zwei Spaziergänge auf antiken Etruskerwegen im und über dem Lente-Tal.

Vie Cave

Die Vie Cave, Höhlenwege, sind in den Tuffstein gehauene Transport- und Kommunikationswege der Etrusker. Die Etrusker haben das vor einer ganzen Weile gemacht: 700 vor Christus. Es gibt sie nur hier in der Gegend um Pitigliano.

Die Wege sind bis zu 15 Meter tief und haben mit der Zeit ihr eigenes, feuchtes Mikroklima entwickelt.

Via Cava di Fratenuti

Der erste Spaziergang führte mich durch die Via Cava di Fratenuti. Um dorthin zu kommen, hieß es im Wanderführer:

[…] folgen wir einem Schotterweg abwärts zum Torrente Meleta. Der Nebenfluss des Lente wird auf einer provisorischen Furt durchquert, sofern man sich nicht die Schuhe ausziehen will, kann dies je nach Wasserstand ein bisschen Geschick erfordern.

Nach Tagen des Regens war mit „ein bisschen Geschick“ nichts mehr zu machen.

Pitiglino Via Cava di Fratenuti: Torrente Meleta

Schuhe aus und Fluss durchqueren

Es war recht frisch an den Füßen.

Danach führte der Weg nach oben, und es kam sehr bald der Eingang zur Via Cava.

Via Cava di Fratenuti

Via Cava di Fratenuti

Der Weg ging eine ganze Weile so: durch die Tuffsteine, dann mit einem Blick ins Lente-Tal, vorbei an einer Höhle – und wieder zurück.

Via Cava di San Giuseppe

Der zweite Weg führte durch die Via Cava die San Giuseppe, über eine Landstraße mit Blick auf Pitigliano und zurück durch eine weitere Via Cava.

Via Cava di San Giuseppe

Via Cava di San Giuseppe

Via Cava di San Giuseppe

Via Cava di San Giuseppe

Via Cava di San Giuseppe

Via Cava di San Giuseppe

Schuhe im Matsch

Via Cava di San Giuseppe

Blick auf Pitigliano

Via Cava di San Giuseppe

Bevor ich zurückfuhr, warf ich noch einen Blick auf Pitigliano:

Pitigliano

Morgen werde ich voraussichtlich den Mobilitätsservice meines Autoherstellers in Anspruch nehmen müssen. Denn auf dem Rückweg habe ich im Dunkeln ein so tiefes Schlagloch mitgenommen, dass der Reifen noch auf dem Nachhauseweg Luft verlor. Als ich das Auto vor der Altstadt parkte, war der Reifen schon sehr matschig. Ich denke, morgen ist er platt. Mist.

Montag, 5. März

5. 03. 2018  •  15 Kommentare

Ein Tag in Nebel und Dauerregen.

Es gibt etwas, das ich schon vor dieser Reise gut konnte: die Dinge auf mich zukommen lassen und das Beste daraus machen. Und doch gibt es dabei immer noch etwas zu lernen. Zum Beispiel heute, an einem Tag, der mich lehrt, dass man sich noch so viel vornehmen kann – wenn es dauerregnet, sind die Pläne alle für den Eimer.

Statt also nach Orvieto oder Viterbo zu fahren, statt auf der anderen Seite des Sees etruskische Wege und Tuffsteinstädte zu erkunden, statt ins Tal zu wandern und ein Eis zu essen, blieb ich auf meinem Felsen. Ich habe also nicht viel erlebt und eigentlich auch nicht viel zu berichten. Trotzdem möchte ich Ihnen erzählen von dem, was so wenig passiert ist.

Als Erstes suchte ich heute die Touristeninformation auf, denn sie ist gleich bei mir um die Ecke auf der Piazza Vittorio Emmanuele, dem Platz, der das Herz der Stadt ist, und der Platz, auf den man immer auf wundersame Weise zurückkommt, wenn man durch die Straßen wandert.

Hinter einer Theke saß eine kleine, in eine Winterjacke gewickelte Frau, die sofort aufsprang, als ich die Tür öffnete.

„Hallo! Schön, dass Sie das sind! Sie möchten Montefiascone entdecken!“, sagte sie. Es war kein Fragezeichen hinter dem letzten Satz, und es wäre auch nicht möglich gewesen zu widersprechen, denn mit einer schwungvollen Geste holte sie einen kopierten Plan der Stadt hervor, begann, mit dem Kuli darauf herumzumalen und erzählte mir, was ich schon wusste.

„Waren Sie schon oben auf dem Felsen? Sie können die Papstresidenz besichtigen“, sagte sie.
„Hat sie nicht montags zu?“, fragte ich. Montags hat vieles in Italien geschlossen. Außerdem stand es auf dem Schild am Tor der Burg.
„Schon. Aber manchmal auch nicht. Heute zum Beispiel. Also, glaube ich. Warten Sie. Ich rufe mal an.“

Doch von den Päpsten ging niemand ran. Sie gab mir noch eine Karte mit Wanderwegen mit, und ich fragte sie, ob sie mir auch etwas über Orvieto sagen könne, das ganz in der Nähe ist. Man kann praktisch rüberspucken.

„Nein, also, Orvieto, das ist Umbrien, wir sind hier in Lazio. Über Umbrien kann ich Ihnen nichts sagen.“

Das ist ja wie im Ruhrgebiet, dachte ich. Jeder macht Seins.

Bevor ich nachsah, ob bei der Papstresidenz nicht doch jemand zu Hause war, ging ich einkaufen. Mir gelingt es so langsam, mich dem italienischen Tagesrhythmus anzupassen, zwischen 13 und 16 Uhr also weitgehend passiv zu sein oder zumindest keine Erledigung machen zu wollen. Das vereinfacht das Leben erheblich. Denn ich konnte den kleinen Laden in der Altstadt nutzen, ein Tante-Emma-Laden in einem dieser historischen Häuser mit den dicken Mauern – und wie sich herausstellte: eine Wundertüte.

Auf geschätzten achtzig, dem Fels abgerungenen Quadratmetern gibt es alles, und wenn ich „alles“ sage, meine ich: alles. Obst, Joghurt und Backwaren, eine Käse- und eine Wursttheke, Shampoo, Waschmittel, Strumpfhosen, Sicherheitsnadeln, Blumensamen, Notizhefte, die guten Fischer-Dübel, Gummistiefel, Eimer, Töpfe, WD 40,  eine Sammlung Alkoholika, Zwirne und Garne, Unterhosen, ein Regal mit bestimmt 20 Sorten Kaffee, Schnürsenkel, SD-Karten, Teppichmesser, Schaufeln, Schuhcreme, Klopapier, Tierfutter, Spielzeugautos und noch ungefähr 700 Produkte mehr. Die Bude ist vollgestopft bis unters Dach.

Laden von innen

Ich kaufte, was ich brauchte, außerdem ein Zwei-Meter-Lighting-USB-Kabel, brachte alles nach Hause und ging zur Papstresidenz, um nachzusehen, ob sie nicht doch geöffnet hat, obwohl Montag war.

Tatsächlich: In einem in den Fels gehauenen Kämmerchen neben dem Eingangstor saßen zwei Männer, einer mit einem Glasauge, einer ohne. Der ohne sprang sofort auf, als ich mich näherte, nahm eine soldatische Haltung an und sagte: „Ein biglietto, ja? Studentin!“

Adulti“, sagte ich, Erwachsene. Denn ich wollte die Kommune, wenn um diese Jahreszeit schon ein Tourist da war, nicht um zwei Euro bringen.

Der mit dem Glasauge riss ein Ticket von seinem Block ab, gab es mir und sagte: „Für alles. Du kannst auf den Turm und ins Architekturmuseum und dir alles in Ruhe angucken. Lass dir Zeit, wir sind hier.“

Es regnete noch immer in Strömen. Ich stieg auf die Turmruine der Residenz. „Nur sechs Leute auf einmal“, steht unten auf einem Schild, und als ich oben, in luftiger Höhe auf der Plattform stand, wusste ich, warum es nicht gut ist, hier zu Siebt zu stehen und sich zu drängeln.

Rocca dei Papi: Aussicht (Panorama)

Die Papstburg ist mehr als 1000 Jahre alt, der Turm liegt 600 Metern über dem Meeresspiegel und man kann jeden heranreitenden Feind auf zwanzig Kilometer sehen – wenn es nicht gerade regnet oder neblig ist. Im Hauptgebäude fanden Empfänge und Gelage statt; dort wohnten Päpste und Bischöfe. Es gibt eine Zisterne, die tief in den Fels geht.

Im Museo dell’Architettura di Antonio di Sangallo erklären sie, wie selbsttragende und nicht selbsttragende Kuppeln gebaut werden, und es ist auch sonst ganz interessant.

Kuppelbau im Modell

„Ich bin dann jetzt weg“, rief ich beim Rausgehen den beiden Männern zu, und sie winkten mir hinterher.

Ich ging durch die Gassen zum Dom Santa Margherita mit seiner großen Kuppel. Es soll angeblich die drittgrößte Kuppel Italiens sein. Ich habe dafür keine Belege gefunden. Aber sie ist auf jeden Fall groß.

Bemalte Kuppel von Santa Margherita

„Gehen Sie auch in die Krypta“, hatte die Frau in der Touristeninformation gesagt.

Eine Krypta ist ja immer unten, also suchte ich in der Kirche eine Treppe, die hinabführte. Ich ging einmal im Kreis die Wände entlang. Es gab aber keine Treppe und auch keine Tür, die zu einer Treppe führen könnte. Mich beschlich der Verdacht, dass es einen Geheimgang gebe, einen, der sich öffnete, wenn man einen Stein in der Wand drückt. Hier ist alles möglich.

Ich sah allerdings nichts, ging hinaus, stieg am Gebäude hinab und fand: die Krypta. Logisch, wo hier doch alles in den Fels gebaut ist, ist auch das untere Teil der Kirche am Berg gebaut. Ich hob den Riegel der schweren Tür an, öffnete sie vorsichtig und sah das:

Krypta: Gemauerte Bögen mit wenig Licht, dazwischen ein Sarkophag

Das Licht war schummrig, draußen heulte der Wind ums Gebäude. Mit einem Schlag fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Mamma mia, was hab’ ich mich erschreckt!

Ich ging auf das Ding in der Mitte zu, beugte mich hinunter, sah hinein und – Heiliger Bimmbamm!

Einbalsamierter Körper im Sarkophag

Eine Leiche.

Die Tür klapperte. Kerzenlicht flackerte. Ein Luftzug im Nacken.
Das. War. Gruselig.

Ich machte mich vom Acker.

Draußen traf ich auf etwas, das mir half, mich von meinem Grusel zu erholen: das Keksparadies von Montefiascone. Eine Bäckerei, deren Tradition bis ins Jahr 1925 zurückgeht, mit einem Laden voller Plätzchen. Kekse mit Vanille und mit Schokolade, mit Mandarinengeschmack und mit Rosinen, Kekse aus Wein, kleine Kekse und große Kekse. Ich kaufte einen Rucksack voll ein.

Kleine Bäckerei an steiler Straße

Endlich kam auch mal der Regenschutz für meinen Rucksack zum Einsatz. Damit bloß die Kekse trocken bleiben! Wenn die Daheimgebliebenen Glück haben, bleibt etwas übrig.

Ich ging noch ein Stück die Straße hinunter zu San Flaviano. Spätgotische Hauptfassade, es gibt eine Oberkirche und eine Unterkirche, das heißt: Man geht rein, und steht in der Kirche. Dann geht man eine Treppe hinauf und steht in einer weiteren Kirche. Alles aus dem 11. Jahrhundert, genauer aus dem Jahr 1032. Also wirklich alt. Sieht auch so aus.

San Flaviano, sehr alte Steinfassade

 

San Flaviano von innen

*

Vor dem Stadttor, dem Tor zur Altstadt, gibt es einen Platz, einen sehr kleinen. Auf ihm trifft sich der Verkehr, der den Berg herauf aus den Nachbardörfern im Westen, Osten und Süden kommt, und der Verkehr, der aus der Altstadt von Montefiascone herunter kommt. Es gibt also vier Zufahrten, eine aus jeder Himmelsrichtung, und sage und schreibe sechs Abfahrten, nämlich die vier Zufahrten plus zwei Sträßchen, die neben dem Stadttor abgehen. Manchmal werden auch die beiden Abfahrten zu Zufahrten, denn sie sind zwar Einbahnstraßen, aber  was solls. Dann hat dieser winzige Platz sechs Zu- und Abfahrten.

Der Platz ist so klein, dass es keinen Kreisverkehr gibt. Es gibt auch keine Ampel oder sonst etwas, das den Verkehr regelt. Mittags um Eins, wenn alle nach Hause wollen, ist vor dem Stadttor Verstopfung. Die Leute kommen aus allen sechs Straßen auf den Platz gefahren und treffen sich in der Mitte. Erst, wenn jeder sein Auto ein Stück zurechtgeruckelt hat, einmal vor und zur Seite gefahren ist, kann eines der Auto irgendwo abiegen, und der Stopfen löst sich auf, als hätte jemand Abflussfrei reingekippt.

*

Daheim recherchierte ich, wer die Leiche ist: Es ist Santa Lucia Filippini, also die Heilige Lucia, und es sind wirklich ihre unverwesten Gebeine. Die Eckdaten: geboren 1672, gestorben 1732 an Brustkrebs. Sie gründete einen Orden und mehrere Schulen.

Den Rest des Tages verbringe ich damit, mich mit meiner Weiterbildung zu befassen. Ich sitze vor dem Ofen, lese über die Psychologie der Konflikte und über Grundlagen mediativer Verfahren.

*

Inzwischen weiß ich, wie es nach dem Aufenthalt in Montefiascone weitergeht. Am Samstag werde ich auf die andere Seite des Stiefels wechseln – in einen Ort in den Abruzzen, von dem aus ich zum Meer und in die Berge fahren kann. Er heißt Capelle Sul Tavo, hat 4.000 Einwohner und liegt in der Nähe von Pescara.

Landkarte

Dafür, dass ich heute eigentlich nichts erlebt habe, habe ich ganz schön viel aufgeschrieben.

Sonntag, 4. März

4. 03. 2018  •  6 Kommentare

Heute erwachte ich, Sonne schien durch die Vorhänge und meine Residenz hatte eine Aussicht.

Panoramabild: Blick über das Tal und den See

Der Bolsenasee ist vulkanischen Ursprung. Irgendwann gab’s hier mal vier Vulkane, einen in Latera, einen in Montefiascone, einen in Capodimonte und einen in Bolsena – außerdem mindestens 94 weitere Krater. Das war hier sozusagen die Vorhölle. Der See bildete sich unterirdischen Magmakammern, die einstürzten. Die Caldera füllte sich mit Wasser.

Der See ist einer der saubersten in Europa. Man kann unter Wasser angeblich zehn Meter weit sehen.

Hier wird sanfter Tourismus betrieben: Schon in den 1990er haben die Behörden verboten, das Ufer weiter zu bebauen. Es gibt viel Agrotourismus. In der Umgebung sind historische Stätten – na klar: die Nähe zu Rom.

Nach dem Frühstück stapfte ich los, um die Stadt ohne Nebel zu erkunden. Wie gestern machte ich mich erst auf zum Rocca dei Papi, dem Felsen der Päpste ganz oben auf dem Hügel – und sah zum ersten Mal die große Kuppen von Santa Margherita.

Rocca dei Pai: Kirche Santa Margherita

Danach ging ich auf der anderen Seite wieder runter und durch die Gassen.

Montefiascone: Durchgang mit Blick ins Tal

Es war mächtig was los in der Stadt: Wahlsonntag. Ich wohne in der Nähe des Rathauses, wo die Leute wählten. Dort und auf jedem Platz standen sie und redeten.

In den Gassen und um die Altstadt herum war ordentlich Verkehr. Die Kioske und Cafés hatten geöffnet, es gab einen Stand mit Trockenfrüchten. In den Kirchen war Messe.

Montefiascone, rechts die Stadt auf dem Hügel mit großer Kirchenkuppel, links das Tal

Ich entdeckte ein Schild, in dem Wanderwege eingezeichnet waren. Sie führten alle um See, und ich stand direkt am Beginn eines der Wege. Also stapfte ich ein Stück bergab. Ich hatte ja nichts anderes vor.

Weg durch eine Felsgasse

Ich ging und ging – durch Schilf und Wald, vorbei an Weinbergen und Olivenhainen. Es war warm. Erst legte ich den Schal, dann die Jacke ab. Es war nicht nur mein erster Tag in Italien ohne Pudelmütze. Es war auch direkt mein erster Tag ohne Jacke.

Irgendwann war ich unten am Fuß des Hügels – und mein Dorf oben auf dem Berg.

Mein Berg von unten

Zum See wären es noch gut und gerne vier Kilometer durch die Ebene gewesen. Darauf hatte ich keine Lust. Also ging ich wieder hoch.

Als ich wieder oben war, begann es zu regnen. Ich befeuerte meinen Ofen, holte mir eine Decke, nahm mir ein Buch und legte mich aufs Sofa. Ich las und machte ein sonnelino, ein Nickerchen. Dann war es auch schon Abend. Ein perfekter Sonntag.

Samstag, 3. März

3. 03. 2018  •  3 Kommentare

Ein Tag in Nebel und Regen.

Heute Morgen erwachte ich, und es prasselte aufs Dach. Das Dach sieht aus dem Bett so aus. Das war das erste, was ich heute morgen sah:

Holzsparren, Ziegelsteine

Das Haus hier ist von 1200, und seither war da offenbar kein Dachdecker mehr dran. Obwohl es keine Dämmung gibt, ist es erstaunlich warm. Relativ gesehen.

Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich: nichts.

Dach mit dickem Nebel

Ich wohne in der historischen Altstadt von Montefiascone auf einem Hügel. Eigentlich habe ich eine Aussicht. Schätze ich. Also: Man weiß es nicht. Gestern Abend, bei meiner Ankunft, war es ja auch dunkel.

So sieht das Haus von außen aus – es ist die erste Tür rechts:

Haus in der Altstadt: Alte Steine, Holztür

So sieht es von innen aus – das Wohnzimmer:

Wohnzimmer

Die Säcke im Kamin sind Holzpellets für den Pelletofen rechts. Er heizt das Haus – beziehungsweise das Untergeschoss. Im Obergeschoss gibt es keine Heizung. Im Schlafzimmer ist es daher frisch. Das finde ich aber nicht schlimm. Ich schlafe bei 16 Grad sehr gut. Einzig das Bad könnte wärmer sein.

In Quattro Castella war das Bad warm, aber das Duschwasser kalt. Hier in Montefiascone ist das Bad kalt, aber das Duschwasser warm. Nun denn.

Die Treppe ins Obergeschoss:

Steintreppe ins Obergeschoss

Mittags hörte es auf zu regnen. Ich beschloss, den Ort zu erkunden und einen Supermarkt zu suchen. Mir fehlten Brot und Milch, außerdem Toilettenpapier, Batterien und irgendwas, das ich in den nächsten zwei Tagen kochen könnte. 

Montefiascone liegt 95 Kilometer nordwestlich von Rom und ist ein Titularbistum. Die Stadt stammt aus dem 9. Jahrhundert und gehörte lange zum Kirchenstaat. Im 12. und 13. Jahundert gab es hier einen Papstsitz, den Rocca dei Papi, den Felsen der Päpste, den man heute noch besichtigen kann.

Dort gibt es einen Garten, vom dem aus man einen Rundumblick in die Umgebung hat. Theoretisch.

Garten der Päpste: Bäume im Scherenschnitt vor Nebel

Es war ein bisschen knifflig, sich zu orientieren. Denn ich konnte zwar in die Straßen hineinsehen, aber nicht wieder hinaus – wegen des Nebels. Die Orientierung an Landmarken, Aussichtspunkten und großen Gebäuden fehlte.

Denn die großen Gebäude, etwa die Kirchen Santa Margherita oder San Flaviano konnte ich auch nicht sehen. Die Fassaden sind zu hoch, und der Nebel war zu dick – sie waren nur Schatten. So streifte ich ziellos durch die Gassen und genoss einfach die gespentische Szenerie.

Montefiascone, Gasse im Nebel


Montefiascone, Platz im Nebel

Es gibt hier – gefühlt – genauso so viele Kirchen wie Einwohner. Ständig bimmelt irgendwo eine Glocke.

Es war übrigens tatsächlich so menschenleer, ich habe nicht an irgendwelchen Leuten vorbeifotografiert. Es gab einfach keine Leute. Ich bin in der Altstadt vielleicht zehn Menschen begegnet, davon acht auf dem Platz, wo die Tabaccheria ist. Es war aber auch kurz nach dem Mittag. Da ist eh nie etwas los, und ich glaube, dass bei diesem Wetter einfach niemand auf die Straße geht.

Montefiascone, Gasse mit Lampe im Nebel

Die Luft war wie Dampfsauna bei zehn Grad. Sie war unglaublich feucht, meine Nase lief und lief. Das war bestimmt gut für die Atemwege.

Es duftete allerdings auch sehr gut. Ich kann den Frühling riechen. Und es fühlte sich nach der Kälte der Emilia Romagna sehr warm an.

Montefiascone, Häuser mit Büschen im Nebel

Danach machte ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Die Supermärkte liegen außerhalb der alten Stadtmauern, den Hügel hinunter.

Ich hatte keine Lust, mein Auto zu nutzen. Das wäre auch übertrieben umständlich gewesen: Vom Parkplatz in der Altstadt raus, einmal um die Altstadt, den Berg hinunter und dann wieder zurück. Da konnte ich auch zu Fuß gehen.

So pittoresk das auch alles ist: Der Rückweg war beschwerlich. So sah’s auf der Hälfte des Weges aus, als ich mich umgeblickt habe:

Montefiascone, Straße

Stellen Sie sich zu dem Bild vor: Zehn Kilo Getränke im Rucksack, weitere fünf Kilo Einkäufe am Arm und ein sanfter Regen, der in den Nacken läuft. Nachdem ich das Stadttor durchschritten hatte, dann nochmal das:

Montefiascone, durch das Stadttor

Wo das Bild zu Ende ist, ist der Aufstieg leider noch nicht zu Ende. Mit dem Herz-Kreislauf-Training war ich danach also durch.

Zur Belohnung gab’s Kaffee – mit frisch gekaufter Milch:

Moka-Kanne und Milch auf dem Gasherd

Die Milch im Topf passt genau in die Elefantentasse. Wie praktisch.

Ich schmiss den Pelletofen an. Der Rest ist Sofa.

Freitag, 2. März

2. 03. 2018  •  10 Kommentare

Wenn ich irgendwann mal eine Frage an das Leben habe, die ich nicht selbst beantworten kann, werde ich zum magischen Telefon greifen und den Bürgermeister von Quattro Castella anrufen. Denn der Mann weiß einfach alles.

Er hat Eisregen prophezeit, und es kam: Eisregen.

Wettervorhersage

Als ich heute Morgen die Vorhänge öffnete, regnete es verdächtig laut – als wenn Hagel auf gefrorenen Schnee fällt. Und so war’s auch. Der ganze Norden Italiens lag lahm: Genua, La Spezia, die Autostrada A1 von Mailand bis Florenz und die Straßen aus der Emilia Romagna an die Adria, nach Ravenna und Ancona (Berichterstattung: Corriere della Sera und Quotidiano). Nichts ging mehr: Unfälle, quer stehende Lkw, alles eine großes Chaos, zwei Tote, etliche Verletzte, gesperrte Autobahnen.

Ich schlappte rüber zu S und M, wir tranken Kaffee, blätterten in Ss Vogelbestimmungsbuch und bestimmten erstmal die Vögel im Garten. Davon gab’s nämlich heute Morgen besonders viele. M war außerdem sauer auf die Rehe, denn sie sind gestern bis an ihr Küchenfenster gelaufen und haben ihre Veilchen weggefressen.

Es gibt nichts, was man bei Eisregen tun kann – außer warten. Also wartete ich. Zur bildlichen Untermalung: die Türklingel des Hauses. Sie gibt sehr gut den Humor der Hausherren wieder.

Spruch: "I'm so far behind I thought I was first."

Gegen 11 Uhr kam das Postauto, und der Postbote meinte, es ginge inzwischen ganz gut auf den Straßen, so schlimm sei es nicht mehr. S und ich beschlossen, eine Probetour zu machen: Er meinte, er habe Aufträge von seiner Frau bekommen, da könne ich mitkommen und schauen, wie es so sei, und mir Verpflegung für die Fahrt kaufen. Außerdem fanden wir, sei es eine gute Gelegenheit, noch auf dem Weingut Rinaldini vorbeizufahren, und ein wenig Moro del Moro in den Kofferraum zu laden. So tourten wir durch die Nachbarschaft, es regnete zwar bei -1 Grad, war aber wundersamerweise nicht glatt, und ich habe jetzt drei Kisten 2009er Barrique-gereiften Rotwein für ein kleines Vermögen im Kofferraum.

Das Ortszentrum von Cavriago, 9900 Einwohner: 

Cavriago

Die Situation auf dem Boden:

Boden, bisschen gefroren, bisschen Eis, bisschen Wasser

Nach der Rückkehr beschloss ich aufzubrechen.

Es folgten 380 Kilometer Fahrsicherheitstraining von der Emilia Romagna über den toskanisch-emilianischen Appenin bis nach Latiumalso von Modena über Bologna und Florenz, Montepulciano bis kurz vor Rom. Dort bin ich jetzt: in Montefiascone am Bolsenasee.

Landkarte mit eingezeichneten Zielen

Wirklich glatt war es nicht mehr, aber es gab auf dem Weg alles andere: Eisregen, Schnee, Schneeregen, dicken Nebel und Starkregen. Niemand wählte die Panoramica, die Panoaramaroute der A1 durch die Berge; alle – mich eingeschlossen – fuhren über die Direttissima von Bologna nach Florenz, die Direktverbindung mit zahlreichen Tunneln. Entsprechend voll war es dort – alles bei heftigem Regen und schlechter Sicht. Wenn man aus einem Tunnel herausfuhr, fuhr man in eine Nebelwand hinein – und wieder in den nächsten Tunnel. Die Berge rundherum sind mehr als 2.000 Meter hoch.

Rund um Florenz und in der gesamten Toskana dann fette Staus.

Ich habe nicht in Arezzo oder Lucca oder sonst einer schönen Stadt angehalten, das war alles nicht machbar. Außerdem regnete es Hunde und Katzen. Stattdessen stoppte ich kurz an der Autobahnraststätte Arno-West südlich von Florenz. Die Nachrichtenkanäle kannten heute nur ein Thema: Glatteis.

Arno Ovest

In Orvieto, 125 Kilometer vor Rom, fuhr ich von der A1 ab. Es folgte eine weitere Komplikation: Bei meiner Auffahrt auf die Autostrada hatte der Mautautomat keinen Schein ausgeworfen. Den muss man aber vorzeigen, wenn man abfährt: Auf ihm steht, wo man aufgefahren ist, und sie berechnen die Maut. Ich suchte mir also eine Ausfahrt mit Kassenhäuschen, in dem ein Mensch saß, dem ich das erklären konnte. Er war nicht erfreut. Ich konnte es ja aber nicht ändern, es tat mir auch leid, und wir kriegten es dann hin. Ich musste auch nur die üblichen 18,70 Euro zahlen.

Die nachfolgende Strecke von Orvieto nach Montefiascone deklariere ich zum Stoßdämpfertest 2018, und ich sag’s mal so: Die Markierung der Landstraßen im Dunkeln ist ausbaufähig. Ich war sehr dankbar, dass das Navi anzeigte, was an Kurven kommt und wo sie hinführen.

Weiter ging’s dann in der Altstadt von Montefiascone: Die Straßen hier sind genauso breit wie mein Auto – wenn man den linken Außenspiegel einklappt und auf die Treppenstufen der Häuser achtet. Und sie sind steil. Beim Ausräumen des Autos gab’s den Handbremsentest 2018. Als ich in Montefiascone ankam, meinte mein Vermieter L übrigens, ich hätte mir den beschissensten Tag der vergangenen fünf Jahre ausgesucht, um in Italien Auto zu fahren.

Für diesen Tag verleihe ich mir die goldene Plakette „Autoprinzessin 2018“.

Jetzt sitze ich in der historischen Altstadt von Montefiascone, neben einem Papstpalat und in einem Haus aus dem Jahr 1200, blicke über Latium, im Ofen brennt ein Feuer, und ich fühle mich sehr burgfräuleinesk. Plan für morgen: ausschlafen und nicht Auto fahren.

Donnerstag, 1. März

1. 03. 2018  •  2 Kommentare

Ganztägiger Schneefall in Quattro Castella. Ich blieb daheim und legte einen Arbeitstag ein.

Büro

Buchhaltung gemacht. UStVA für Februar erstellt und ans Finanzamt geschickt – aus Italien, online! Was heutzutage alles möglich ist! Einen Haufen Korrespondenz erledigt. Blogbeitrag für meine berufliche Website erstellt: ein Interview mit Frau Moku; ihr geschickt und mir das Okay geholt, dass ich alles richtig wiedergebe. Fragebogen ausgefüllt: Ich werde im nächsten „do it!“-Magazin der Dortmunder Wirtschaftsförderung vorgestellt, habe dazu meine Geschichte erzählt und Fragen beantwortet. Kundenunterlagen einer Anfrage durchgearbeitet, die ich diese Woche erhielt. Telefoniert.

Zwischendurch Blick aus der Tür.

Schnee vor der Tür

Am frühen Nachmittag schneite es statt sehr viel nur noch mittelviel. Ich habe daraufhin meine Expeditionskleidung angezogen und bin spazieren gegangen. Dabei „Was man von hier aus sehen kann“ weitergehört. So, so toll. Bald habe ich es zuende gehört, und was auch immer das Nachfolgehörbuch sein wird: Es wird es schwer haben.

Bild von der Expedition:Wirtschaftsweg in Schneelandschaft

Die Weinreben links gehören zu La Vigna dei Peri. Angebaut wird Lambrusco, Grasparossa, Lambrusco Marani, Lambrusco Maestri, Marzemino, Malbo Gentile, Croatina und Malvasia.

Auf dem Heimweg schneite es dann wieder heftig. Die fleißigen Schneetreckerfahrer schieben hier allerdings auch den letzten Wirtschaftsweg frei.

Starker Schneefall kurz vor Zuhause

*

Ich habe weiterhin Wasser im Haus, heute Nacht ist nichts eingefroren. Ich habe einen Tipp von S befolgt, der mir den gleichen Ratschlag wie Thea gegeben hat: Wasserhahn leicht geöffnet lassen, so dass ein kleines Rinnsal fließt. Dann frieren die Rohre nicht zu. Funktioniert.

*

Am späten Nachmittag kam S rüber und lud mich zum Abendessen ein. Als ich gerade dort war und die Pasta auf dem Tisch stand, klingelte das magische Telefon, und der Bürgermeister war wieder dran. Gelicidio! Glatteis! Nachdem es nun tagelang gefroren und heute den ganzen Tag geschneit hat, soll es morgen im Laufe des Tages zu regnen beginnen. Alle Bürger sollen Salz kaufen, rausgehen, streuen und zuhause bleiben. Wieder dieser Widerspruch!

Beim Abendessen habe ich erfahren, wer im Dorf seine Stromrechnung nicht zahlt, wer ein bisschen verrückt ist und warum wer Photovoltaikanlagen an seinem Haus anbringen darf und andere nicht.

„Ihr kennt auch wirklich jeden im Ort, oder?“
„Es ist umgekehrt: Jeder kennt uns. Das ist viel schlimmer.“

*

Gelesen und kommentiert bei Spontiv, der schreibt:

Ein gleichaltriger Freund hat regelmäßig und dauerhaft Probleme mit seinem Herzen. Das ist zwar alles in Behandlung, zunehmend  frage ich mich allerdings warum niemand aus seiner Tretmühle ausbricht. Was ist am Arbeitsleben so wichtig das man dafür vor die Hunde geht? Das Geld?

Meine Antwort:

Warum die Leute so selten ausbrechen? Weil das nicht ihrem Selbstbild entspricht und weil es keine alternativen Lebensvorstellungen neben den aktuellen gibt. Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite, wie ich jetzt arbeite, wenn ich weniger leiste? Was macht mich aus? Woraus ziehe ich meinen Selbstwert, wenn nicht aus der bezahlten Beschäftigung? Sich weniger von äußeren Faktoren lenken lassen, ist eine Konfrontation mit sich selbst.

Gelesen: „Das ganze gemeinsame Leben hört auf“ über die Beziehung zu einem depressiven Partner.

Gelesen bei Familie Buddenbohm: Die Herzdame startet ein Experiment und Experiment Tag 1. Die Buddenbohm-Eltern sind es satt, die Söhne ständig zu ermahnen, Medienzeit zu reglementieren, zu streiten und Verbote zu verhängen. Deshalb jetzt: Eigenverantwortung als einwöchiges Experiment. Nichts wird mehr reglementiert, aber die Kinder müssen die Konsequenzen selbst tragen.

*

Morgen Weiterfahrt nach Montefiascone. Sofern ich mit dem Auto vom Hof komme. Denn auf dem Hof passen Schneehöhe und Unterbodenhöhe nicht mehr zusammen. Und sofern die Straßen befahrbar sind. Das Leben ist ein großes Abenteuer.



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