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Tapeten abreißen

3. 02. 2015  •  51 Kommentare

Da war ich also wieder und riss Tapeten ab.

Wir erinnern uns alle noch an mein Renovierungsbootcamp. Erst legten die Handballmädels Hand an, dann nur noch ich selbst, mal alleine, mal gemeinsam mit Freunden. Meine Wohnung, in den 1960er Jahren erbaut, hatte pro Jahrzehnt eine Tapetenschicht konserviert; außerdem zwei Schichten an Bodenbelag. Eine archäologische Fundstätte, das Troja Dortmunds. Nach dem Abtragen aller Schichten war sie zwei Quadratmeter größer als gekauft.

Tapeten abreißen also.

Ich sage es direkt vorweg und in aller Deutlichkeit: Ich möchte keine Ratschläge. Sparen Sie sich Tipps. Tapetenlöser, Tapetentiger, Dampfreiniger, Nagelroller, Elektroschaber – wenn ich eines dieser Worte in den Kommentaren lese, kommen Sie auf die Blacklist. Ich will nichts hören, gar nichts.

Denn der ganze Scheiß nützt nix.
Nullkommanix.

Ich habe es ausprobiert. Alles. Und ich weiß eins: Derjenige, der als erster ein wirksames Mittel zum Tapetenabreißen erfindet, quasi die sich auf Knopfdruck selbst lösende Tapete, ist ein gemachter Mann. Oder Frau. Wenn ich Sie wäre, würde ich meine gesamte Energie auf diese Fragestellung fokussieren. Danach können Sie auf Ihren Geldbergen Schlitten fahren, dann sind Sie Dagobert Duck und der Welt rettende Heiland in einer Person.

So stand ich aber am Wochenende da, mit Spachtel, Spüli und Spritzpistole und weichte Tapeten ein. Nicht in den eigenen vier Wänden, diesmal war ich ausgeliehen. Die erste Lage ging prima ab, dann aber kam eine zweite zum Vorschein, eine Art Seidentapete, vielleicht war’s auch chinesisches Reispapier, keine Ahnung. Den hauchfeinen, widerstandsfähigen Belag, eins mit der Wand, konnte man entweder trocken abknibbeln oder eingeweicht zentimeterweise runterschaben.

Ihnen gruselt es? Ich setze noch einen drauf: unter der Decke.

Sie stellen sich nun sicher die Frage: Konnte man die nicht dranlassen? Einfach wieder Raufaser drüber – feddich. Nein, so einfach ist das nicht. Nicht, wenn man Wände und Decke danach tapetenlos weiterverarbeiten möchte, mit Farbe oder Strukturputz. Alles musste runter.

Das Positive: der Trainingseffekt. Nichts ist wirkungsvoller gegen Winkfleisch, als einfach mal sechs Stunden über Kopf zu arbeiten. Um anschließend die Haare zu waschen, kriegt man die Arme zwar nicht mehr hoch, dann reibt man den Kopf leise wimmernd an der Duschwand. Aber sonst: eine super Sache.

Deshalb bin ich beim nächsten Termin auch wieder dabei. Weil’s so schön macht.

(Beitrag beim Masseur diktiert)

Bücher 2015 – 1

3. 02. 2015  •  Keine Kommentare

Gelesen im Januar 2015:

Bücher im Januar 2015: Beckett, Link, Pessl, de Waal

Simon Beckett. Voyeur
(Aus dem Englischen von Andree Hesse)
Ein früher Beckett, der viele schlechte Kritiken hat. Ich fand ihn allerdings gut – das scheint eine grundsätzliche Sache bei mir zu sein: Hochgelobte Bücher finde ich meist nur mittel, warum sollte ich als schlecht bewertete Bücher dann nicht gut finden? Darum geht’s: Donald Ramsey ist Gallerist in London und beinahe asexuell. Er hatte noch nie eine Beziehung; seine Erotik beschränkt sich auf die Sammlung frivoler Gemälde. Nachdem er seine Mitarbeiterin Anna zufällig beim Umziehen beobachten konnte, empfindet er plötzlich doch eine ihm bislang unbekannte Leidenschaft. Anna ist jedoch glücklich verliebt. Als sie beschließt, mit ihrem Freund in die USA zu ziehen, ergreift Donald die Initiative. Keine hohe Literatur, aber ein unterhaltender Krimi, der sich langsam entwickelt.

Charlotte Link. Wilde Lupinen
Der Titel führt in die Irre: Er klingt nach pilcheresk-schnulligem Frauenroman, hat jedoch deutlich mehr Tiefgang. Das Buch ist die Fortsetzung von Sturmzeit, in dem es um die Geschichte der Familie Lavergne während des Ersten Weltkriegs geht. „Wilde Lupinen“ ist nun in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angesiedelt: Felicia  ist erfolgreiche Unternehmerin in München, ihre Tochter Belle Schauspielerin in Berlin. Als die Nazis an die Macht kommen, finden beide ihren eigenen Weg, um zu überleben. Es gibt zudem zahlreiche Nebenhandlungen. Eine gute Geschichte, durchaus vielschichtige Charaktere, lässt sich prima lesen. Ein bisschen stört der Schreibstil Links, der – recht adjektivlastig – nicht sehr viel Raum für eigene Gedanken lässt. Alles in allem ist das aber zu verschmerzen. Charlotte Link hat letztendlich eine ähnliche Trilogie geschrieben wie Ken Follett mit „Sturz der Titanen“, „Winter der Welt“ und „Kinder der Freiheit“ – aus meiner Sicht sogar die bessere.

Marisha Pessl. Die amerikanische Nacht
(Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler)
Ein Buch, das sein Potential verschenkt. Zuerst zur Geschichte: Ashley Cordova ist tot. Sie 24-Jährige liegt in einem Aufzuchtschacht, ein Suizid. Ihr Vater Stanislas ist ein ebenso berühmter wie eigenwilliger Regisseur, der Horrorfilme dreht und sich vor der Öffentlichkeit versteckt.  Legenden umranken seine Person. Der Journalist Scott McGrath und zwei Helfer machen sich auf die Suche nach der Wahrheit. Das Besondere an dem Buch ist die grafische Aufmachung: Autorin Marisha Pessl (ihr erstes Buch „Die alltägliche Physik des Unglücks“ fand ich großartig) arbeitet mit Zeitungsschnipseln, Bildern und Webseiten. Aus meiner Sicht die Zukunft des gedruckten Buches, die Idee ist wirklich super – wenn nicht die Geschichte so nichtssagend wäre. Ich habe sie nämlich nicht kapiert. Das heißt: Kapiert schon, aber die Basis, auf der die ganze Geschichte aufbaut, die Geheimniskrämerei um den Regisseur, ist mir ein Rätsel geblieben. Von daher: gut gemeint, aber leider nicht gut.

Edmund de Waal. Der Hase mit den Bernsteinaugen: Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi
(aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauser)
Das Buch wurde mir vor rund einem Jahr in den Kommentaren hier empfohlen. Edmund de Waal, Nachkomme der jüdischen Bankiers- und Handelsfamilie Ephrussi, verfolgt die Spur von 264 Netsuke. Netsuke sind japanische Miniaturschnitzereien. Charles Ephrussi hat sie Ende des 19. Jahrhunderts gekauft und nach Paris gebracht, dann zur Hochzeit an Verwandte nach Wien verschenkt, wo die Haushälterin sie schließlich vor den Nazis rettete. Am Ende fanden sie den Weg zurück nach Japan. Die Figuren sind ein erzählerisches Mittel – eigentlich wird die Geschichte der Familie Ephrussi erzählt. Im ersten Kapitel (Paris) habe ich zwischenzeitlich einige Seiten überblättert; doch ab Wien wird das Buch besser. Ein lesenswertes Panorama.

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Elektronisch gelesen:

Fabio Geda. Der Sommer am Ende des Jahrhunderts
(aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt)
Ein ganz tolles, geradezu wunderbares Buch. Ich bin absolut hingerissen. Für mich schon jetzt eines der besten Bücher 2015. Zeno ist zwölf und muss für einen Sommer zu seinem Opa ziehen: Bei seinem Vater wurde Leukämie diagnostiziert, er kommt in eine Spezialklinik, die Mutter begleitet ihn. Zeno wird also bei seinem Opa untergebracht  – den er nicht kennt, von dem er nicht einmal wusste, dass er noch lebt. Der Alte wohnt in einem Dorf in den Bergen, ist schroff und wortkarg. Die kleine Alm-Öhi Geschichte spielt abwechselt in der Gegenwart des zwölfjährigen Zeno und in der Vergangenheit, in der Zeit, als der Opa heranwuchs. Im Laufe der Lektüre fügen sich die beiden Geschichten wunderbar ineinander. Ein feines, leises, warmherziges und kluges Buch.

 

70 Jahre

2. 02. 2015  •  10 Kommentare

Steven Spielberg hat einen Film produziert. Sprecherin ist Meryl Streep.

Das Thema: Auschwitz-Birkenau. Vor 70 Jahren haben sowjetische Truppen das Konzentrationslager befreit.

Der Film ist 15 Minuten lang und lohnt sich. Auch wegen der Mittel, die Spielberg nutzt, um das Thema zu transportieren.

http://youtu.be/GDxuAVDkDtY

Es ist schon circa 15 Jahre her, dass ich die KZ-Gedenkstätte Dachau besucht habe (in Auschwitz war ich noch nicht). Wenn ich mich recht entsinne, stehen dort nicht mehr viele Gebäude; von den Baracken standen nur zwei nachgebaute. Sonst waren nur Grundrisse zu sehen.

Es gab eine Führung; die Führerin hat nur beschrieben, wie viele Menschen dort gelebt haben, wie ihr Alltag aussah. Zahlen, Daten, Fakten.

Trotzdem – oder gerade deswegen – hat mich der Besuch sehr bewegt. Die Beschränkung auf Sachliche, dazu die eigene Vorstellungskraft: Es muss monströs gewesen sein, was dort geschehen ist.

Am nachdenklichsten hat mich der Hinweis gemacht, dass die Lagerinsassen täglich in einem Marsch durchs Dorf geführt wurden, um in der Umgebung zu arbeiten.

Und die Menschen in Dachau? Haben sie gedacht, es habe schon alles seine Richtigkeit? Es müsse ja einen Grund geben, warum sie im Lager sind? Ahnten Sie, was vor sich ging? Wussten sie es und hatten einfach Angst?

Was hätte ich getan, wenn ich seinerzeit dort gelebt hätte?

Ich weiß es nicht. Und das macht es am schlimmsten.

[Film via Max]



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