Jetzt ist er da, der Herbst. Mit aller Wucht, mit Wind, Laub und Regen.
Gestern Abend lag ich im Bett, die Jalousien auf Schlitz, das Fenster weit geöffnet, die Wärmflasche im Rücken und hörte dem Haus und dem Garten zu, dem Blätterrauschen, dem Quietschen der Äste und dem Klappern der Rolläden.
Herbst ist eine Jahreszeit, mit der ich nicht viel anfangen kann. Die ich nur mag, wenn es stürmt und regnet, während ich selbst es warm habe. Ich bin ein Typ für warm oder kalt, ich bin einfach gestrickt, entweder A oder B, am liebsten 25 Grad, und nur wenn das nicht geht, dann bitte -10, aber nicht 15 Grad und Regen.
In meinem eigenen Garten sind die meisten Bäume und Büsche beschnitten und laubfrei. Aber der Nachbar hat fast einen Park, viele Quadratmeter Rasen mit Bäumen, Mauern und verwunschene Ecken. Dort summt und raschelt, fliegt und trappelt es das ganze Jahr über. Und wenn es jetzt stürmt, gibt es ordentlich Laub. Der ganze Rasen ist bedeckt, auf den vier Kompostboxen türmen sich bunte Blätterhaufen. Die Vögel sind aufgeregt, fliegen umher, sammeln und picken. Sie nehmen noch mit, was sie finden können.
Früher – natürlich -, da habe ich Kastanien gesammelt und Blätter geklebt. Wozu geht man sonst in den Kindergarten und in die Schule. Um Zeug zu basteln. Dabei war ich nie ein Bastelfreund, nicht einmal als Kind. Malen, das ging, das war okay, das habe ich gerne getan. Aber Gegenstände nehmen und daraus etwas modellieren, sie durchbohren, verkleben, besprühen – nein. Warum auch, die Dinge sind doch schön so, wie sie sind. Kastanien zum Beispiel sind sehr schön, so glatt und knallbraun, an denen muss man nichts tun. Überhaupt finde ich: Man sollte die Dinge mehr für sich stehen lassen. Sie nehmen, wie sie gedacht sind. Ebenso wie die Menschen.
Herbst also – die Jahreszeit, in der alles vergeht, damit aus Vergangenem Neues entstehen kann. In der das Alte schwindet, in der es fortgeweht, uns entrissen wird, auf dass es an anderem Ort zu etwas wird, dass es bislang nicht war. Ich würde melancholisch, wollte ich an dieser Stelle weiterdenken. Und doch kommt mir, ohne sie denken zu wollen, im Angesicht des allgegenwärtigen Verblühens die Idee, dass dieser Zyklus, dass das folgerichtige Werden auch auf mich zutrifft. Dass ich alle und alles bin: die Menschen, die ich verloren habe, und die, die ich noch gewinnen werde; das, was ich erlebt habe, und das, was mich noch prägen wird. Weil beides unausweichlich ist; weil ich ich bin; weil die Zukunft aus der Gegenwart, aus der Vergangenheit erwächst, aus der eigenen und aus unser aller. Weil das Neue, das kommen wird, stets und bald zu Altem wird, das wiederum sein eigenes Neues gebiert.
So liege ich im Federbett, Wärme im Rücken und Sturm vor dem Fenster, mit der Melancholie des Sommers und der Vorfreude auf den Winter im Herzen. So schlafe ich ein und begegne im Traum denjenigen, die bei mir waren, mit einer Spur des Vermissens, aber ohne Schmerz.