Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Strandbüdchen

31. 07. 2012  •  31 Kommentare

Heute Nacht habe ich geträumt, ich besäße ein Strandbüdchen.

So eins wie in Italien, direkt am Meer, nur mit einer Promenade und einem Streifen Sand zwischen mir und dem Wasser. Von der Deckel baumeln Luftmatratzen, aufblasbare Delphine und Softball-Sets. Draußen unter einer Markise stehen Postkarten- und Sonnenbrillenständer. Im hinteren Teil des Landes befindet sich außerdem eine Eistruhe.

Ich möchte gerade Feierabend machen, da kommt Thomas Gottschalk herein und sagt, er käme gerade von der Aufzeichnung des Superstar-Recalls – ob ich ihm einen aufblasbaren Delphin verkaufen könne. Außerdem wolle er einen Classicburger aus der Heißen Hexe. Ich hole ihm den Delphin von der Decke und erkläre ihm, dass es keine „Heiße Hexe“ mehr gebe – nur Eis. Er sagt, dass er von Eis Durchfall bekomme, bezahlt den Delphin und geht.

Isabell Werth auf Satchmo

30. 07. 2012  •  18 Kommentare

Wir bleiben noch kurz beim olympischen Thema und blicken zurück auf Peking 2008.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=QomCoG5nEMY&w=560&h=349]

Olympia

29. 07. 2012  •  66 Kommentare

Olympia ist eine tolle Sache.
Für drei Wochen ist immer etwas im Fernsehen.

Skeet zum Beispiel. Bei Skeet fliegt etwas durch die Luft, und jemand muss es abschießen. Es gibt auch Regeln dafür, aber die sind für das Olympia-Gefühl nicht wichtig.

Ich sitze also auf meinem Sofa. Um mich herum liegt und steht alles, was ich brauche: ein Glas zu trinken, ein Buch, eine Zeitung, ein paar Nüsschen. Draußen bläst der Wind und schüttelt Thorsten Zwo, der in der vergangenen Woche stattlich gewachsen ist. Im Fernsehen schwimmen sie gerade. Die Herren machen eine gute Figur am Beckenrand. Im Wasser nicht so, 1:47:26 für 200 Meter, das ist in der olympischen Welt langsam. Ich bin trotzdem beeindruckt, weil die Stimmung so feierlich ist. Für 400 Meter hat ein Amerikaner gestern vier Minuten gebraucht. Ich brauche für einen Kilometer mehr als 20 Minuten, bin also nicht einmal halb so schnell. Ich sinke vor Ehrfurcht leicht ins Kissen, spüre, wie meine Waden verhärten. Franziska van Almsick kommt ins Bild. Zum Glück nur kurz.

Dann Fechten. „En garde“, ruft der Mann an der Planche. Sie gehen aufeinander los. Fechten ist eine prima Sportart zum Zuschauen. Wenn einer getroffen wird, leuchtet er. Das macht es einfach, einfacher als beim Badminton oder Volleyball, wo ich mich pausenlos frage, ob die Leute auf dem Feld nun einen Punkt kriegen oder nicht, wie viele Sätze schon gespielt sind, wer grad dran und wo überhaupt der Ball ist – ach da, na sowas, aber erst 5:6, wie kann das sein, das geht doch hier schon seit gefühlt 50 Minuten hin und her.

Fechten also. Ich fühle mich wie ein Burgfräulein. Der Moderator erläutert den Unterschied zwischen Degen und Florett. Es geht um Treffervorrecht und Trefferfläche. Ich überlege mir, dass ich jetzt mal bügeln könnte, dann bin ich nicht ganz so passiv. Doch ein bisschen möchte ich noch den Kampf verfolgen. Nicolas verteidigt mich gerade gegen einen Russen, der Nikolaj heißt. Die Namensgleichheit ist verwirrend und auch etwas ermüdend.

Huch, Radfahren! Wie kann das sein? Wir waren doch grad noch auf der Planche. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Viele Frauen fahren Fahrrad durch den Londoner Regen. Sie haben ganz dicke Oberschenkel. Bestimmt treten sie grad 300 Watt. Ich gehe in die Küche und hole mir ein Smartie-Eis. Gleich werde ich bügeln. Nur noch das Eis essen, dann ist es soweit.

Drei Frauen haben sich vom Hauptfeld abgesetzt. Sie fahren sehr schnell, es regnet sehr doll. Nur noch sechs Kilometer bis zum Ziel, sagt der Moderator. Das Eis schmeckt gut. Ich gucke im Internet, was heute noch auf dem Programm steht. Bogenschießen, Gewichtheben, Segeln. Und heute abend die Schwimm-Finals. Darauf freue ich mich schon.

Ghettonetto – und was danach passierte

25. 07. 2012  •  45 Kommentare

Ein paar Worte zu meiner Supermarkt-Situation:

Nachdem vor einigen Monaten der Ghettonetto fort– und dem Strukturwandel entgegen gezogen ist, befindet er sich außerhalb meiner Reichweite. Dafür gibt es nun einen frisch renovierten Rewe, den ich mit dem Bus erreiche:

Die Einkaufssituation

Meine Supermarkt-Situation: Der Ghettonetto ist dem Strukturwandel entgegen gezogen und für mich nun weit ab vom Schuss, der Rewe erstrahlt in neuem Glanz.

Grund für die Entwicklungen im Einzelhandel ist der Strukturwandel. Er krempelt grad meinen Kiez um. Fördertürme und Stahlwerke kommen weg, stattdessen wird Naherholung hergestellt: Rasen wird gesät; Seen werden angelegt; noch schüchterne Baumsetzlinge stehen auf schlackehaltigem Grund und beobachten Sonntag um Sonntag neugierig promenierende Ruhrgebietsmalocher, die sich heute ansehen, wo sie morgen abspannen und gestern noch unter Schweiß und Schmutz Erz verhütteten.

Wo aus Hochöfen Industriekultur und aus Stahlwerksbrachen Parkanlagen entstehen, werden auch neue Immobilien gebaut – architektonisch anspruchsvolle Niedrigenergiehäuser mit Glasfronten und Panoramabalkonen, gepflegte Eigentumswohnungen mit direktem Blick ins jungfräulich sprießende Grün. Mit den Bauherren zeichnet sich wachsende Kaufkraft ab – und dort, wo bald das Geld hinzieht, ist auch der Ghettonetto hingezogen. Nicht, dass der Ghettonetto ein Einkaufsparadies für die gehobene Kundschaft wäre, aber irgendwie möchte doch jeder ein Stück vom Kuchen abbekommen, auch der Kolonialwarenhändler.

Der Rewe, den ich statt des Ghettonettos nun aufsuche, hat die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und sich in den vergangenen Monaten kernsaniert: das Außen, das Innen, das Sortiment, die Scannerkassen und die Kittel der Angestellten. Nur die Kundschaft hat sich nicht renoviert, was den Gesamteindruck etwas trübt. Denn sie neigt – Strukturwandel hin oder her – immer noch dazu, sich von der Bäckereitheke im Foyer durch die Gemüseabteilung bis zum Pfandautomaten zu prügeln, wenn es denn nötig ist; Kleingruppen von Männern in Trainingshosen erwerben Toastbrot, Hartwurst und Alkoholika, die sie noch vor Verlassen des Geschäfts unter der rechtschreibfreien Kleinanzeigen-Tafel verzehren; Muttis mit und ohne Hauskittel, mal mit Hijab, mal ohne, in Stringtanga und Hüfthosen oder in schwarzer, bodenlanger Hidaja schieben ihren an Sommertagen nur mit einer Baumwollunterhose bekleideten Nachwuchs durch die Gänge, reißen vorm Kauf die Blätter von den Kohlrabi und marodieren durch die Auslagen der neu konzeptionierten Feinkostabteilung wie durch einen Leibwäsche-Wühltisch bei Woolworth. Da hilft es auch nichts, dass die frisch installierte Akzentbeleuchtung die Szenerie in stimmungsvolle Wohlfühlatmosphäre taucht. Man möchte am Eingang des Geschäfts gerne eine Schild aufstellen, das dem Eintretenden signalisiert: „Achtung, Sie verlassen jetzt den proletarischen Sektor und betreten den gentrifizierten Supermarkt!“, damit die Kundschaft versteht, dass es ab hier ernst für sie wird, dass die Spaß-Einkäufe in zwangloser Schlumperkleidung vorbei sind, dass sie jetzt bitte illuster sein soll.

Zurück zu meinem alten, verwaisten Ghettonetto. Dort hängt seit einer Woche ein Schild im leeren Schaufenster: „Hier zieht bald ein neuer Discounter ein“, daneben Job-Angebote. Frauen in Hüftjeans und Synthetik-Blusen, mit und ohne Kopftuch, stehen Tag für Tag davor und notieren sich die Mobilfunknummer des Discount-Managers. Der Strukturwandel hier ist eine Moräne, die sich gemächlich durch mein Viertel schiebt und dabei eine Menge Geröll bewegt. Bis er allerdings in meinem Straßenzug angekommen ist, werden noch einige Jahre ins Land ziehen – und es wird einen neuen, alten Ghettonetto geben.

Spinning

25. 07. 2012  •  27 Kommentare

Gestern Spinning.

Als ich das letzte Mal beim Spinning war, habe ich gelitten wie ein Tier. In den Sattel, aus dem Sattel, mehr Widerstand, noch mehr Widerstand, in den Sattel, aus dem Sattel – der Schweiß tropfte mir von Kinn und Nase. „Mehr Rhythmus zur Musik!“, rief der Vorturner mir zu. Wenn ich nur gekonnt hätte! Am nächsten Morgen kam ich kaum von der Bettkante hoch und sinnierte über die Anschaffung von Hilfsmitteln für Bad und Toilette.

Deshalb war ich gestern auf alles gefasst: auf Qual, auf Leiden, auf Schmerzen. Nur zu Sechst hockten wir auf unseren Rädern: fünf Männer mit Waden wie Mammutbäumstämme und eine Frau in pinkem Rad-Dress in XS, mit einem Blick wie die schlangenhaarige Medusa. Ich war eingeschüchtert.

Am Ende war es das sanfteste Training seit zwei Monaten – und nach einer Stunde auch schon vorbei. Gewöhnt an zwei Stunden Bootcamp mit sprinten, abstoppen, über Kästen springen und aus Liegestützen in den Tempogegenstoß starten, war das Radfahren mit rundem Tritt gelenkschonender Seniorensport.

Also genau das Richtige. Ich werde das fortsetzen.

Bücher im Juni und Juli

23. 07. 2012  •  8 Kommentare

In den vergangenen eineinhalb Monaten gelesen:

Bücher im Juni und Juli

Markus Beckedahl, Falk Lüke. Die digitale Gesellschaft.
Untertitel: „Netzpolitik, Bürgerrechte und die Machtfrage.“ Beckedahl/Lüke reißen alles mal kurz an: Freiheit, Terrorismus und Internet; Schule, Wissen und Internet; Geld, Wirtschaft und Internet; Netzpolitik, Urheberrechte und Internet. Das Buch ist eine gute Zusammenfassung, bleibt aber rein deskriptiv und steigt nirgendwo tief ein. Es ist nützlich, um den Eltern mal zu zeigen, warum so vieles Mist ist, was übers Internet gesagt und geschrieben wird. Wer das bereits weiß, findet nicht viel Neues.

Paul Beldt. Wollmann widersetzt sich.
Bernd Wollmann ist Hausmann, Blumenliebhaber, verheiratet mit Jutta und zeltet seit Neuestem im Garten des gemeinsamen Hauses. Wie es dazu kommt, erzählt Paul Beldt in einer kleinen Geschichte – launig und kurzweilig. Die Story selbst ist nicht tiefschürfend und manchmal etwas übertrieben, prima ist aber, dass der Autor Bernds Charakterstudie bis zum Ende durchhält. Ich hab’s gern gelesen – eine gute Zug- und Liegestuhllektüre.

Rebecca Hunt. Mr. Chartwell.
1964. Die Bibliothekarin Esther Hammerhans möchte ein Zimmer untervermieten. Einziger Bewerber ist ein großer, schwarzer Hund, der sich als „Mr. Chartwell“ vorstellt und vorgibt, aus beruflichen Gründen in der Stadt zu sein. Esther findet ihn äußerst unangenehm, nimmt ihn aber trotzdem bei sich auf. „Der schwarze Hund“ – so hat Winston Churchill seine Depression genannt. Ihn nennt Mr. Chartwell auch als seinen Auftraggeber. Der Ausgangspunkt des Buches ist gewitzt; die Geschichte selbst nicht immer. Beim Lesen dachte ich mehrmals: „Da muss doch jetzt noch ein Höhepunkt, eine Pointe kommen!“ Kommt aber nicht. Trotzdem kann man das Buch gut lesen.

Margaret Mazzantini. Non ti muovere. (Geh nicht fort).
Timoteos Tochter Angela hat einen Unfall und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Während sie in Lebensgefahr schwebt und operiert wird, legt Timoteo Rechenschaft über sein Leben ab und erzählt die Ereignisse rund um Angelas Geburt, als er eine Geliebte hatte, sie schwängerte, seine schwangere Frau verließ und … nein, ich verrate nichts weiter. Die Geschichte klingt nach Klischee, ist jedoch vorsichtig, hintersinnig und und mit feinem Gespür für Timoteos Charakter erzählt. Ich wusste während des Lesens nicht, ob ich ihn verachten oder verstehen soll. Ein überaus gutes Buch.

Klaus Hoffmann. Philipp und die Frauen.
Ich gebe zu: Ich neige momentan dazu, Bücher über Männer in mittleren Jahren zu lesen. Die Story diesmal: Ein Schauspieler fährt auf eine Nordseeinsel, wohnt in einem Haus mit drei Frauen und rekapituliert sein Liebesleben. Diesmal ist die Geschichte jedoch fahrig erzählt, nichts findet zueinander, und auch der Stil ist wenig erhebend.

Moritz Rinke. Der Mann, der durchs Jahrhundert fiel.
In Worpswede droht sein Elternhaus im Moor zu versinken. Paul Wendland-Kück macht sich deshalb auf, um sein Erbe zu retten, und kehrt zurück an den Ort seiner Kindheit, der Künstlerkolonie mitten im Teufelsmoor.  Die Figuren sind herrlich verschroben, die Geschichte einfallsreich und die Atmosphäre dicht. So wird Pauls Onkel, der das Haus seit dem Fortzug der Familie allein bewohnt, allgemein „Nullkück“ genannt, weil er angeblich kein richtiger Kück ist. Von seinem Trecker aus hat der wortkarge Nullkück den Frauen in seiner Jugend Liebesbriefe zugeworfen; heute bewahrt er die übergroßen Bronzemenschen im Garten des Künsteranwesens vor dem Absinken. Das Buch hat ein paar Längen, alles in allem aber trägt die Geschichte und nimmt zum Ende hin noch einmal Fahrt auf.

Maarten ‚t Hart. Das Wüten der ganzen Welt.
Als Kind beobachtet der Komponist Alexander Goudveyl den Mord am Polizisten Vroombout. Das Verbrechen lässt ihn nicht los; während seiner gesamten Jugendzeit, sogar bis ins Studium hinein, sucht er immer wieder nach dem Mörder, sammelt Indizien und landet in Sackgassen. Das Buch verknüpft geschickt die Geschichte Alexanders mit der Geschichte einer Kleinstadt, in der sich wiederum die Geschichte der Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt. Ein gutes Buch, das unaufdringlich und leise erzählt.

Thorsten Zwo (und Theo Albrecht)

18. 07. 2012  •  45 Kommentare

Darf ich vorstellen: Thorsten Zwo.

Thorsten Zwo, mit Blüten

Noch etwas kümmerlich, aber woher soll’s kommen? Viel Sonne hat er schließlich noch nicht gesehen. Als Ansporn habe ich ihm heute ein Spalier gekauft, an das er sich anlehnen kann. Nach oben ist noch ungefähr ein Meter Platz. Da geht was!

Neben Thorsten wohnt eine Brombeere mit Namen Theo Albrecht, so wie ihr Ziehvater. Theo Albrecht wuchert wie blöde.

Brombeere Theo Albrecht

Seit heute gesellt sich außerdem eine Erdbeere dazu. Sie hat keinen Namen. Den habe ich noch nicht ausgependelt.

Erdbeere

Nein. Scherz. Ich pendel natürlich keine Blumennamen aus.
Ich frage die Pflanzen einfach, wie sie heißen, und sie sagen es mir.

Michael aus dem ersten Stock

15. 07. 2012  •  54 Kommentare

Wir sitzen an der Bar und trinken Erdbeer-Daiquiri.

Schon steht Michael neben uns. Es ist Samstagabend. Die Freundin und ich tragen Kleid und die Haare offen, das genügt, um ins Gespräch zu kommen. Michael vertreibt Bausparverträge, allerdings nicht in einer kleinen Bausparbude, sondern in größerem Stil. Sein Büro sei im ersten Stock, dort, wo die Leute mit Verantwortung säßen. Das erzählt er uns, nachdem er seinen Namen genannt hat. Wir nicken wohlwollend. Er sei 41, sagt er. Dabei sieht er aus wie 50. Ich entgegne: 41, jetzt flunkere er aber, er sei doch niemals älter als 39. Er fragt, ob ich mit ihm rausgehen wolle, eine rauchen.

Ich sage: „Ich rauche nicht.“ Oh, sagt er, das sei ein Fehler. Er gehe mehrmals täglich mit der Geschäftsführung rauchen, deshalb sei er auch so erfolgreich und deshalb habe er das Rauchen noch nicht aufgegeben. Er fragt, was ich beruflich mache, schiebt dann aber direkt hinterher: „Warte! Lass mich raten! Lehrerin, Grundschule!“ Das sehe er auf den ersten Blick. Er habe auch nichts gegen Lehrerinnen, keine Vorurteile oder so, ganz im Gegenteil, er finde Lehrerinnen süß, also Grundschullehrerinnen, die anderen nicht so, Gymnasiallehrerinnen seien anstrengend und kompliziert, aber ich sei ja eine von den Guten, also keine Panik.

Ich habe keine Panik. Wir gehen raus, und er raucht eine. Er fragt, wie alt ich sei, unterbricht sich dann aber und sagt, das sei nicht wichtig. Wichtig sei, dass man ein gutes Gespräch führen könne, Cellulite hin oder her, die gemeinsame Wellenlänge sei entscheidend, dass ihm jemand zuhöre, dass er seine Gedanken teilen könne. So langsam wird es etwas anstrengend mit ihm. Zum Glück gesellt sich Katja zu uns. Katja ist tatsächlich Grundschullehrerin und hat gerade ihr Referendariat beendet. Ich lasse die beiden allein und gehe wieder rein.

Dort stehen Rainer und Piet und baggern an der Freundin rum. Rainer macht in Marketing, und Piet sieht aus wie Mesut Özil in zehn Jahren. Sie freuen sich, dass ich komme, denn so müssen sie sich nicht zu Zweit eine Frau teilen. Mesut erklärt uns, wie man Golf spielt und dass Golf die komplexeste Sportart überhaupt sei. Sie beanspruche alle Muskelgruppen einschließlich der der Augen, deshalb könne er einen Golfball inzwischen auf 400 Meter in der Wiese liegen sehen.

So geht es den Abend über weiter. Ziehen Sie einfach mal ein Kleid an und lassen Sie die Haare offen. Dann werden Sie es erleben.

Wie beim Schlachter

11. 07. 2012  •  57 Kommentare

Noch zwei Stunden bis zur Prüfung, der hoffentlich letzten Prüfung meines Lebens. Ich fahre mit dem Bus zur Uni. Etwas ungelenk lasse ich mich in einen Sitz neben eine ältere Frau plumpsen, pummelig, Outdoorjacke, graues Haar.

„Entschuldigung“, sage ich, als ich ihren Arm streife.
„Is‘ nich‘ schlimm“, sagt sie. „Is‘ schon wieder verheilt.“
Oh. Sie möchte, dass ich nachfrage. „Hatten Sie sich verletzt?“
„Ich sach‘ Ihnen! Die Treppe bin ich raufgefallen. Ausgerechnet beim Arzt.“
„Und da haben Sie sich die Hand verstaucht.“
„Prellung. Vor die Füße bin ich ihm gefallen. Aber dat Knie, dat war viel schlimmer. Und die Rippe!“
„Die auch?“
„Auch Prellung. Sechs Wochen konnt‘ ich mich nich‘ bewegen. Mein Mann musste mich sogar duschen. Ich konnt‘ ja nich stehen! Und mit dem kaputten Arm. Nä, dat ging nich‘. Und auf Toilette erst.“

Das möchte ich doch gar nicht wissen.

„Dat war aber nix gegen das eine Mal, wo ich vom Fahrrad gefallen bin.“

Das auch noch! Es sind noch sieben Haltestellen bis zur Uni. Sieben Haltestellen bis zum Showdown. Ich bin apathisch. Dieses Gefühl, nicht gut vorbereitet zu sein. Aber was hätte ich mehr tun können? Was hätte ich anders machen sollen? Wenn ich es wüsste, hätte ich es getan.

„Blut! Alles voller Blut! Dat ganze Bein lief’s runter! Bin wohl mit dem Knie auf einen Stein gefallen. Wie ein abgestochenes Schwein, sach‘ ich Ihnen.“
Ach je. „Und was haben Sie dann gemacht?“
„Ich? Nix! Ich konnt‘ ja nich‘! Mein Mann hat’n Krankenwagen gerufen. Und als der da war – bumms! Drückt der Sanitäter mir eine Mullbinde auf die Wunde, ich dacht‘, ich müsst‘ den schlagen.“
„So weh hat es getan?“
„Weeeeehhh? Schmerzen! Schmääär! Zen! Wie! Beim! Schlachter!“

Noch drei Stationen. Jetzt ist es eh gelaufen. Jetzt kann ich sowieso nichts mehr tun. Wenn es nur nicht so heiß wäre im Bus. Hier weht kein Luftzug. Ich bin schon total durch, bevor es überhaupt losgeht.

„Die ganze Ummantelung war wech. Vom Knochen die, wissen’Se? So tief ging dat rein. Kein Wunder, dat dat so geblutet hat. Bis runter auf den Knochen.  Können’Se sich dat vorstellen? Ihren eigenen Knochen sehen?“

Warum eigentlich immer ich? Es ist ja alles prima, zum Bloggen und so, aber warum ich und warum jetzt – jetzt, wo ich gleich in den Ring steige? Wladimir Klitschko wird doch auch nicht zugesülzt, wenn er schon den Bademantel anhat.

Noch eine Station. Ich sage: „Ich muss dann jetzt auch aussteigen.“
„Stolpern’Se nich‘.“

Während der Prüfung gibt es einen Moment, in dem ich denke: „Wie! Beim! Schlachter!“ So muss es sein, wenn man zerlegt wird. Aber dann ich höre eine leise Stimme: „Stolpern’Se nich‘.“

Nein, nicht stolpern.
Nicht jetzt.
Geradeaus schauen.
Krönchen richten, weiterreiten.

Hat dann ja auch geklappt.
(So trug es sich zu. Jetzt wissen’Se Bescheid.)



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