Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Archiv der Kategorie »Turnen«

Morgens im Fitti

29. 04. 2013  •  39 Kommentare

In letzter Zeit gehe ich immer morgens ins Fitti.

Morgens, das heißt von acht bis halb zehn, bevor ich – wie man hier im Ruhrgebiet sagt – in den Puff muss. Also auf Schicht.

Wenn ich um 8 Uhr ankomme, sind die Freaks, die Pumper, die um 6.30 Uhr schon an der Fitti-Tür scharren wie Rentner vor der Arztpraxis, bereits fertig und stehen breitbeinig an der Theke, wo sie ein schäkerndes Schwätzchen mit der Empfangsdame halten. Sie kann zu dieser Uhrzeit kaum aus den Augen schauen, nickt aber immerhin teilnahmsvoll und schüttelt ihnen mit lethargischer Lässigkeit einen Eiweißdrink. Kleine, unsichtbare Testosteronbläschen entweichen währenddessen mit einem lautlosen Plopp den palavernden Pumper-Körpern; man möchte sie mit der Hand erhaschen wie Pustefix.*

Meinen frühen Sport-Einsatz beginne ich immer auf dem Crosstrainer, das kann ich kurz nach dem Aufstehen so gerade koordinieren, und schaue dabei Morgenmagazin. Zunächst schalte ich, des guten Willens wegen, zum Morgenmagazin auf ARD und ZDF, aber spätestens, wenn der erste Politiker interviewt wird, schweift mein Blick auf den Nachbarbildschirm zu SAT1, denn dort ist es ein bisschen interessanter, schon das Studio-Dekor ist  bunter, außerdem ist die Hoeneß-Sache irgendwie durch, nur für Patrick Döring nicht. Auf SAT1 widmet sich hingegen endlich einmal ein Journalist der Garderobe von Willem, Prinz von Oranien; ein Thema, das in der aktuellen Krönungsberichterstattung viel zu kurz kommt.

Montagsmorgens ist immer ein Typ im Fitti, der ausdauernd schnauft, sobald ein Ansatz von Anstrengung einsetzt. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Anfangs dachte ich, ein asthmatischer Riesenschnauzer erlebe neben mir seine letzten Minuten. Da der Gute allerdings nicht nur beim Crosstrainern, sondern selbst beim Dehnen stöhnt, als beackere ihn gerade Thai-Masseurin Sonchai, genannt „Die Walze“, mit einer Intensiv-Akkupressur, ignoriere ich ihn, so gut es geht – was zwar kaum möglich, mit Musik in den Ohren aber einigermaßen gangbar ist, wenn man sich nicht gerade in Reichweite befindet, während er seinen Schweiß abschüttelt.

Manchmal treffe ich morgens Kollegen. Beim ersten Mal habe ich sie gar nicht erkannt. In Sporthose sehen sie plötzlich so anders aus. Als ich sie dann doch zugeordnet hatte, habe ich mich erschreckt, denn – oh Gott! – wer will sich schon, in der Bauchpresse klemmend, über Arbeit unterhalten. Oder gar, verkrampft freundlich, über private Angelegenheiten, das Wetter, das neue Carport, dass der Hibiskus sich gut im Garten macht (wenn nur dieses Läuse-Problem nicht wäre), wie erbaulich die Kinder sind (wenn nur dieses Läuse-Problem nicht wäre), nein danke. Die Kollegen dachten wohl dasselbe, denn wir sind stumm übereingekommen, dass wir uns zunicken und ansonsten so tun, als seien wir Fremde.

Nach dem Training verschwinde ich kurz im Wellness-Bereich. Danach bin ich nicht nur straff und stählern wie ein Einmachgummi, sondern auch eine saunaduftende Blume. Die Kollegen im Puff tun zwar so, als bemerkten sie nichts, erwähnen weder meine außerordentliche Körperspannung noch meinen Wohlgeruch, aber ich denke, es schüchtert sie einfach ein.

So ist das, morgens im Fitti. Sie sollten das auch mal machen. Wenn man erstmal da ist, muss man sich auch gar nicht mehr überwinden.

[*Wer alle Alliterationen auftut, kriegt ein Kännchen Kaffee.]

Der BVB besiegt Málaga – und mich

10. 04. 2013  •  23 Kommentare

Aufmerksame Leser wissen: Fußball und ich, wir sind wie ein Ehepaar, das es emotionslos miteinander aushält, sich abends im Bett freundlich zunickt und sich dann den Rücken zudreht.

Nun bin ich jedoch vor drei Jahren nach Dortmund gezogen, die Stadt, in der Fußball – und das darf man wohl sagen – gelebt wird wie nirgendwo sonst. Mann und Maus, Frau und Kind sind hier Fan. Das liegt unter anderem daran, dass es seit der Quasi-Einstellung des Bergbaus und des Brauereiwesens in Dortmund nicht viel anderes gibt, worauf man stolz sein kann, aber auch, weil in keiner anderen Branche der Aufstieg des Proletariers zum Millionär so hautnah passiert. Dat da unten, auffem Rasn, dat sind welche von uns! Kevin und die Leute aus Eving können Ihnen bei Bedarf sicher mehr dazu erzählen.

Die Handballhühner schauen, wenn sie nicht selbst im Stadion sind, jedes Spiel auf Sky. Der Trainer lädt dazu in sein Wohnzimmer ein, lässt neben seinem riesigen Fernseher eine Leinwand hinunter, baut einen Beamer auf, Sofas und Stühle stehen im Rund, und wir sitzen da wie in einer Arena, Bier und Chips in der Mitte.

Ich habe an diesen Veranstaltungen bislang vor allem aus Gründen der Geselligkeit und der innigen Sehnsucht nach Heimeligkeit teilgenommen. Außerdem gibt es immer etwas Leckeres zu essen, zum Beispiel Mett.

Gestern trafen wir uns natürlich auch – wie auch schon in der Woche zuvor: Championsleague-Viertelfinale, Dortmund – Málaga, schon seit Tagen gibt es in Dortmund kein anderes Thema. Selbst wenn das Rathaus explodierte, vor einem Viertelfinale interessiert das hier keine Sau.

Gestern aber hat es mich nicht nur von den Sitzen gerissen, nein, ich habe gegen Borussia Dortmund verloren. Zwei Tore in der Nachspiel, das ist zu verrückt, das ist einfach sensationell, un-fucking-fassbar. Nach drei Jahren des Nebeneinanderherlebens bin jetzt auch ich im Bann dieses Vereins, alle Gegenwehr ist ermattet.

Außerdem bin ich mir spätestens seit dem gestrigen Abend sicher: Der BVB und ich, wir haben eine unsichtbare Verbindung.

[Audio: BVB-Netradio]

Kampfgericht

4. 03. 2013  •  11 Kommentare

Seit ich Bildungsbandscheibe habe, bin ich Kampfgericht*.

Am Kampfgericht nehme ich die Zeit. Zeit nehmen ist eine wichtige Aufgabe, denn man drückt die Knöppe der Anzeigetafel (Heimspiel) oder trägt das Spielgeschehen in den Spielbericht ein (Auswärtsspiel).

Damit man das darf, muss man zuvor einen Abendkurs belegt und einen Test bestanden haben. Erst dann kriegt man einen Zeitnehmer-Ausweis, ein Dokument mit Lichtbild, Stempel und Dokumentnummer. Ohne Ausweis keine Knöppe. Die Fragen beim amtlichen Zeitnehmertest sind herausfordernd wie gewisse Führerscheinfragen:

Was machen Sie, wenn eine Omma überraschend die Straße betritt?
a) hupen und draufhalten
b) hupen und Fernlicht an
c) bremsen

Die Vertreter des Handballkreises nehmen diesen Test nichtsdestotrotz sehr ernst – so ernst, dass sie während der Stillarbeit mit auf dem Rücken verschränkten Armen durch die Reihen schreiten, um sicherzustellen, dass niemand schummelt, und um den jungen Damen unter den Prüflingen aufmunternd auf die Schultern zu klopfen und pantomimisch Tipps zu geben, weil sie denken, die weiblichen Kleingeister schaffen es sonst nicht. Weil ich ein Checkerbunny bin, habe ich den Test bestanden und bin seither anerkannte Zeitnehmerin des Handballkreises mit angeschlossenem Kampfgerichtsdiplom. Allerdings gibt es in der Praxis einige Probleme.

Eherne erste Regel des Kampfgerichts ist nämlich:  Das Kampfgericht ist neutral. Zweite Regel ist: Das Kampfgericht ist immer aufmerksam. Beides liegt mir nicht im Blut, weshalb ich für diese Aufgabe, aller intellektuellen Eignung zum Trotz, vollkommen untauglich bin. Denn einem Spiel der eigenen Mannschaft beizuwohnen, ohne dass ich mich mit den Hühnern freuen oder über den Schiedsrichter und die Gegnerinnen ärgern darf, ist ausgesprochen schwierig und verlangt mir höchste Willenskraft ab. Was nicht heißt, dass ich nicht fair bin oder dass ich irgendwas falsch eintrage. Aber ohne Emotionen das alles? Ich bitte Sie!

Dann die Sache mit der Aufmerksamkeit. Beim letzten Spiel standen sie allesamt auf dem Feld, 13 Spielerinnen, eine saß mit zwei Minuten auf der Bank, und zwei Schiedsrichter, und ich dachte: „Worauf warten die denn? Warum geht’s nicht weiter?“ Bis mir auffiel: Huch, sie warten auf mich. Ich Schusselchen.

Was die Neutralität angeht, habe ich mich auf vieldeutiges Brummen und zeterndes Murmeln verlegt. Sie ahnen gar nicht, wie wild ich stumm granteln und wie neutral ich dabei gucken kann.

*nicht zu verwechseln mit Kampfgewicht

Die Gelbe Wand

19. 11. 2012  •  31 Kommentare

An einem Wochenende Ballett, am anderen das Gegenteil:
Dortmund, Südtribüne.

Westfalenstadion, Südtribüne

Wohlmeinende Menschen hatten mir im Vorfeld Ratschläge gegeben, wie ich den Besuch auf der Süd unbeschadet überstehe. Ich solle mir vorab Bier über den Kopf kippen, denn ich müsse nach der Herde riechen, da seien Fans penibel wie Rehkitzmütter. Zwischendurch „den Mittelfinger nutzen! Das unstreicht jede Aussage! Auch ohne Anlass!“ Wenn mich während des Spiels etwas gelbes Nasses im Nacken träfe, „bete, dass es kalt ist!“

Dann der Tag der Tage, Samstagnachmittag, 14.30 Uhr. Der U-Bahn entstiegen weiß ich nicht recht, wohin. Ich laufe einfach den prolligsten Kuttenträgern hinterher, schon bin ich richtig. Eingang Südost: Die Stimmung ist freudig, die Flaschensammler sind gut im Geschäft, fünf Kerle pinkeln einen Fluss Stift’s Pils gegen einen Zaun.

Von vorne ruft jemand: „Hat hier grad einer ’ne Dauerkarte gefunden?“
„Wie heißt du denn?“
„Block 11?“
„Wie du heißt!“
„Block 11!!“
„Du Vollpfosten!“
Erstes Gerangel.

Drinnen habe ich Block 84 gebucht, oben unterm Dach, die Ultras sind links unter mir und singen sich warm. „Die Südtribüne bebt dazu // der Gegner weggeputzt im Nu!“ Dann die Mannschaftsaufstellung.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=GgV3h-swfMs&w=480&h=270]

Nach drei Minuten fällt das erste Tor, olé, olé, nach vier Minuten das zweite, der Ausgleich. Ich verpasse es, weil ich in der Gegend rumgucke, wer rechnet schließlich mit sowas. Hinter mir steht ein halsloser Gnom in schwarz-gelbem Nachthemd, eine Plauze wie ein Medizinball, das Bier fest an die Brust gepresst. Bei jeder Ballberührung bellt er heiser und hitlerhaft „Schön!“, mit kurzem Ö – das ist sein höchstes Lob, wozu mehr Worte. Kuba im Sechzehner. „Schön!“ Lewandowski zum 2:1. „Schön!“ Vorarbeit Blaszczykowski, „Schön!“,  Götze zum 3:1. „Schön!“

Sein Nachbarn lässt hingegen kein gutes Haar an allem. „Da läuft meine Schwiegermutter ja schneller“, krakeelt er. Die Dame muss mindestens 110 sein, denn er ist weit über 60. „Keiner geht mit! Da muss ma‘ einer mitgehen!“ Er wedelt mit seiner Krücke. „Verdorri noch eins!“ Die Reihe vor ihm duckt sich. Aber sonst: „Schön!“

Vor mir wippt die einzige Frau weit und breit – von mir abgesehen – auf ihren Fußspitzen, und ich muss mich ein bisschen für sie schämen, denn sie sieht heute ein anderes Spiel als der Rest der Tribüne. Mit schriller Kopfstimme ruft sie zufallsgetrieben: „Huch!“, „Ach!“ und „Oh nein!“, man weiß nicht, was sie dazu bewegt, das Geschehen auf dem Platz kann es nicht sein. „Schön!“

Nach dem Spiel gibt es eine „Bratwurst Rote Erde“, dazu ein Bier. Ich treffe Bunke aus der Herrenmannschaft. Er organisiert eine Kanne Kronen und noch eine. Ich bin bald ziemlich betrunken, aber was soll’s. Bunkes Tante ist heute zum ersten Mal im Stadion. Sie kommt aus Unna und muss wieder weg, muss beim Abendessen daheim sein, das hat sie ihrem Gatten versprochen.
„… und ich fahre dann zur Landgrafenstraße?“
„Markgrafenstraße, Tante Monika, nicht verwechseln.“
„Alles klar, also in die U-Bahn und dann Landgrafenstraße.“
„Markgrafenstraße!“
„Sag ich doch.“
Wir haben nichts mehr von ihr gehört.

Wir hängen noch ein bisschen rum, bis uns zu kalt wird, dann mache ich mich auf den Heimweg. „Schön!“

Sachen machen

5. 10. 2012  •  33 Kommentare

Gestern hatte ich mein erstes Mal.

Kletterhalle

Nach Vorbild von Frau Isabel habe ich einfach mal eine Sache gemacht: Ich war klettern.

Zuvor hatte ich zahlreiche Videos und Foren konsultiert, um die wichtigste Frage zu klären: Was ziehe ich an? Im Nachhinein hätte ich mich besser mit der Technik des Kletterns vertraut gemacht, denn meine ersten Versuche an der Wand nahmen sich ausgesprochen bescheiden aus. Ich hing auf den Pömpeln wie ein Sack Kartoffeln und brauchte unglaublich viel Kraft, um nicht mal den Hauch von Verve und Eleganz herzustellen, wusste schon nach der Hälfte nicht mehr weiter, nirgendwo war mehr etwas, auf das ich hätte steigen können, oder doch, da vorne, aber wie konnte ich dort hinkommen? „Nimm das linke Bein! Das linke!“, rief Tobi von unten, aber wie sollte das gehen, auf dem linken stand ich doch mit meinem ganzen Gewicht, es ist zugegebenermaßen ein recht hohes Gewicht,  das erwies sich nun eindeutig als Nachteil, das musste ich jetzt senkrecht hochwuchten. Mit krampfenden Händen ließ ich mich in den Gurt plumpsen. Erschütternd, das alles, erniedrigend, deprimierend, und das, ich wage es kaum zu sagen, an einer Wand mit dem Schwierigkeitsgrad drei, die ungefähr, verglichen mit Fahrradfahrenlernen, die Zahl sagt es schon, das Dreirad des Kletterns darstellt. Etwas Einfacheres gab es in dieser Halle nicht, alles andere wäre spazierengehen gewesen.

Ich erholte mich etwas, schüttelte meine Hände aus, die sich anfühlten, als hätte ich Zementsäcke an ihren Sackzipfeln gepackt und in den fünften Stock getragen. Das kann es ja wohl nicht sein, sagte ich mir, so möchtest du nicht enden, nicht als Klops an einer Dreirad-Wand.

Ich ließ  meine erste Wand links liegen und nahm eine andere; wenn der eine Weg nicht klappt, muss man sich halt einen anderen suchen, Hauptsache es geht in die Höhe. „Das ist wie ’ne Leiter hier, das ist ganz einfach“, sagte Tobi, der schon seit Jahren klettert, und ich dachte: „Na super, wenn du das jetzt nicht schaffst, bist du wirklich der Ober-Looser.“ Tatsächlich war es hier deutlich einfacher, die Wand leicht angeschrägt, ich fühlte mich nicht mehr wie ein Kartoffelsack, sondern nur noch wie eine Melone, und als ich oben ankam und hinuntersah, um mich bei Tobi zu versichern, dass das Seil zu ist und ich mich hineinfallen lassen kann, war Tobi plötzlich sehr klein und der Boden sehr weit weg. Eine Welle von Glückshormonen durchrauschte mich und schwappte von innen gegen meinen Kopf.

Nach vier verschiedenen Wänden ging es am Ende ganz leicht, sogar mit viel weniger Kraft als am Anfang, und als ich nach getaner Arbeit dasaß und mir meine Kletterschuhzehen massierte, fühlte ich mich am ganzen Körper toll.

Alterspräsidentin

22. 09. 2012  •  31 Kommentare

Ich glaube, ich bin jetzt das Mannschaftsmaskottchen.

Der Trainer hat es nicht so direkt gesagt. Er nickt mir immer nur andächtig zu, es ist ein Du-weißt-schon-Nicken, ein wohlwollend-mildtätiges Kopfneigen, das man auch Seniorenheimbewohnern zuteil werden lässt, die 1920 im olympischen Tauziehen eine Bronzemedaille geholt haben.

Ich denke, ich bin das Mannschaftsmaskottchen, denn ich bin flauschig und gut für die Moral. Ich darf die Ansprache vor dem Spiel halten, wenn wir einen Kreis bilden und gebeugt beisammen stehen. Ich begrüße den Schiedsrichter und die gegnerische Mannschaft, mache die Seitenwahl und sage unser Sprüchlein auf.

Ich kann nicht mehr so viel trainieren wie die Studentinnen; drei- bis fünfmal pro Woche, das ist nicht machbar. Ich muss einen Beruf ausüben und brauche Regeneration: heute acht Kilometer laufen und morgen Schnellkrafttraining in der Halle, das ist wie Schweinebraten zur Vorspeise und als Hauptgang überbackene Gyros-Pizza – irgendwann geht einfach nichts mehr.

Nach der Begrüßung setze ich mich erstmal auf die Bank. Ich werde die meiste Zeit nur in der Abwehr eingesetzt. Ich bin langsam geworden, kann nicht rennen wie die jungen Spielerinnen, die wir Älteren „Quietschies“ nennen und die wie Carrerabahn-Autos den Seitenstreifen auf und ab flitzen. Ich stehe stattdessen im Mittelblock, haue ein paar Gegnerinnen weg und halte meine Mitspielerinnen an, es mir nachzutun. Die Jungen sind manchmal zu zaghaft, lassen sich einschüchtern. Sie rennen auch zu früh raus, spekulieren, wollen den Ball erhaschen, wollen immer laufen. So entstehen Lücken – eine Überzahl, die nicht mehr zu stopfen ist. Ich sorge dafür, dass sie an meiner Seite bleiben, dass wir zusammenhalten.

Die meiste Zeit aber ist mein Job, einfach nur da zu sein und gute Stimmung zu verbreiten. Das ist meine Lieblingsaufgabe.

Das Leben als Alterspräsidentin ist ganz schön gut.

Von Hühnern und Hünen

17. 09. 2012  •  55 Kommentare

Fieberhaft erwartet, jetzt hier: der Hochzeitsbericht mit Deutschlandachter.

Ruderblätter vor der Kirche

Wir sitzen in der Kirchenbank, als die Rudermannschaft die Kapelle betritt. Katrins Mund steht offen, Jessica fallen die Augen aus den Höhlen, Pia und Sonja schauen sich an. Wir haben nicht zu viel erwartet, nein, wir haben zu wenig erwartet, unsere Vorstellungen reichten für dieses Bild nicht aus. Sie tragen allesamt Anzug, große Anzüge, sehr stattliche Anzüge, sind einsfünfundneunzig und größer, sehr groß. Der Einmarsch der Gladiatoren.

Nach der Trauung, wir warten vor der Kirche, sage ich zu Jessica: „Der da vorne.“ Ich zeige ihr mit meinem Blick einen Ruderer mit blauer Krawatte, Wuschelhaar und Dreitagebart. Pia, die neben uns steht, sagt: „Der sieht aus wie dieser Typ aus ‚Hangover‘.“ – „Bradley Cooper!“

Bradley steht in einer Reihe mit den anderen Jungs und hält sein Ruderblatt in die Höhe. Zu Zehnt bilden sie eine Allee für das Brautpaar, zehn stramme Recken. Wir wischen uns mit dem Handrücken verstohlen Speichel aus dem Mundwinkel. Jessica starrt wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Im Festsaal sitzen wir am Tisch links vom Brautpaar. Die Ruderer sitzen rechts. Die gesamte Verwandtschaft trennt uns, drei mit Plastikefeu geschmückte Säulen versperren uns den Blick. Das Brautpaar wird sich etwas dabei gedacht haben, wollte sich und uns möglicherweise Peinlichkeiten ersparen; wie werden das trotzdem anprangern.

Der Trainer spielt ungeduldig mit seiner Serviette, er hat Hunger und ist verstört angesichts unseres Enthusiasmus. Gereizt moppert er: „Die Jungs sind alle zwei Meter groß – sind die zu doof zum Basketball, oder was? Die fahren rückwärts, und ein Zwerg sagt ihnen Bescheid, wenn sie im Ziel sind. Da steht ihr doch nicht etwa drauf, oder?“ Wir bleiben unbeeindruckt.

Nach dem Essen zeigen Freunde der Braut Jugendbilder des Hochzeitspaares: die Braut beim Handball, der Bräutigam beim Rudern, beim Jubeln im Deutschlanddress und zu guter Letzt mit den Jungs bei einem Klimmzugwettbewerb, mit nackten Oberkörpern. Wir verlangen an der Theke nach Eiswürfeln.

Gegen 22 Uhr starten wir die „Mission Bradley“. Wir erfahren von der Braut, dass Bradley Stefan heißt und Arzt ist. „Arzt!“, entfährt es unseren Mündern, begleitet von einem schrillen Schrei.

„Wie in einem schlechten Film.“
„Nicht nur schön, auch schlau.“
„McDreamy.“

Sonja sagt nur stumpf: „Ich bin raus“, denn ihr Ex-Freund ist Arzt – seitdem stehen Ärzte auf bei ihr auf der schwarzen Liste, nur Veterinärmediziner haben noch den Hauch einer Chance.

In diesem Moment taucht aus dem Nichts eine brünette Schönheit in einem türkisfarbenen Kleid auf, hakt sich bei Bradley ein, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf die bärtige Wange. Jessicas Augen verengen sich zu Schlitzen, Sonjas Lächeln fällt aus ihrem Gesicht wie eine Wassermelone und zerschellt auf dem Tanzboden des Festlokals.

Wir sind konsterniert, trösten uns mit einer Runde Caipis, werden jedoch bald wieder hoffnungsfroh, als sich die Gesellschaft mehr und mehr an der Bar versammelt. Wir mischen uns unter das Ruderervolk; ich fühle mich wie eine Elfe im Eichenwald: Die Zahl der Männer, die kleiner sind als ich, bewegt sich bei weniger als zehn. Ich möchte mich gerne überall anlehnen und meinen Kopf an die Schultern und Brustmuskeln der umstehenden Männer betten, aber ich wahre die Contenance und sauge Rohrzucker durch meinen Strohhalm.

„Warum haben große Männer eigentlich immer kleine Frauen? Das ist doch Verschwendung“, jammert Sonja neben mir.

Der Abend endet verschwitzt, müde und friedvoll angetrunken, aber ohne die Idee von Verliebtheit. Doch irgendwas muss uns beseelt haben, denn trotz Schlafmangels spielen wir am nächsten Tag wie die Göttinnen und gewinnen unser Spiel mit bislang selten zutage getretener Eleganz.

Ruderer

13. 09. 2012  •  65 Kommentare

Am Wochenende bin ich wieder auf einer Hochzeit. Eines der Handballhühner heiratet, und der Hühnerhaufen ist aufgeregt. Nicht nur wegen der Zeremonie.

Als ich das Hochzeitshuhn und ihren Matze vor eineinhalb Jahren das erste Mal besuchte, fiel mir eine Urkunde an ihrer beider Wohnzimmerwand auf. Sie erinnerte mich stark an meine erste Kreismeisterschaft im Handballbezirk Iserlohn-Arnsberg, damals mit der B-Jugend. Deshalb sagte ich: „Oh, wie schön. Ist der Matze auch mal Kreismeister geworden?“

Im gleichen Moment las ich etwas von „Olympic Games“ und sah die schwere, runde Medaille, die an einem flauschigen Band neben dem Schrieb hing und die nichts von Kreismeisterschaft hatte. Gleichzeitig erschien Matze vor meinem geistigen Auge: groß, breitschultrig und insgesamt von einer körperlichen Konstitution, die eher Championgsleague als Bezirksklasse ist.

Es stellte sich heraus, dass der gute Matze gerne den Kanal auf und ab rudert, aber nicht einfach so, als Familienausflug mit einem Liedchen auf den Lippen, sondern dass er mal einer von Neun im Deutschlandachter war und bis anhin ziemlich viel abgeräumt hat: Weltmeistertitel, Olympia, das ganze Programm halt.

Am Samstag ist nun die große Sause: Die Handballerin heiratet den Olympia-Ruderer, und es werden viele hoch dekorierte, vor allem aber sehr stattliche Championsleague-Ruderer zugegen sein, weshalb die Hühner schon seit Wochen raschelig sind. Wir haben der Braut gesagt: Entweder möchten wir Plätze neben den Ruderern, mindestens aber welche mit Blick auf die Ruderer – das werde die Stimmung ungemein heben und partymäßig zu einem guten Gesamtergebnis beitragen.

Ich fühle zarte Nervosität.

Das Trainingswochenende

5. 08. 2012  •  37 Kommentare

Die Bilanz des Bootcamps:

  • 2 Tage Trainingslager.
  • 12 Stunden Sport.
  • 8 Stunden Schlaf.
  • 12 Liter getrunken.
  • 7 T-Shirts, 4 Hosen und 2 Trikots durchgeschwitzt.
  • Eine Finalgon-Behandlung.
  • 7-Tore-Sieg gegen den Verbandsliga-Gegner.
  • Unentschieden gegen den Drittliga-Gegner.

Und am Ende ist es wie nach dem Strandurlaub mit dem Sand: Irgendwo am Körper findet man immer noch Harz. Ein gutes Gefühl.

Bootcamp in Ostwestfalen

3. 08. 2012  •  22 Kommentare

Am Montag werde ich Rollator fahren.

Denn am Wochenende bin ich im Trainingslager: Bootcamp im Ostwestfälischen. Das können Sie sich so ähnlich vorstellen wie Fremdenlegionsausbildung in Französisch Guyana, nur mit weniger Dschungel. Um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln, was mich erwartet:

Es beginnt mit der Abreise am Samstag um 6:40 Uhr. Ich werde also schon vor dem Start völlig durch sein. Erstes Training von 10 bis 13 Uhr. Danach ein Testspiel gegen eine Verbandsligatruppe.

Der Sonntag beginnt mit einem Regenerationslauf, wobei ich die Wortkombination „Regeneration“ + „Lauf“ nicht verstehe: Entweder laufe ich, oder ich regeneriere mich. Nach dem Joggen Training von 9.30 Uhr bis 13 Uhr. Nachmittags dann der Höhepunkt für unseren Trainer: Spiel gegen einen Drittligisten.

Dritte Liga. Das ist fast Bundesliga. Das ist wie zehn Kilometer laufen und dabei alle 500 Meter vermöbelt werden.

Denken Sie bitte an mich. Und machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie erstmal nichts von mir hören. Ich regeneriere dann. Liegend.



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