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Vier Jahre nach Bildungsbandscheibe

9. 1. 2017 24 Kommentare Aus der Kategorie »Lebenslage«

Bisweilen werde ich gefragt: Wie geht’s eigentlich deiner Bandscheibe? Meist von Leuten, die einen Bandscheibenvorfall haben, unter akuten Schmerzen leiden und auf der Suche nach einem Strohhalm der Hoffnung sind.

Deshalb hier mal mein Fazit vier Jahre nach Bildungsbandscheibe – zum Mutmachen:

Ausgangssituation:

Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule mit Bewegungsstörungen und Taubheit im Bein. Ich hatte sehr starke Schmerzen, wirklich, wirklich stark. Bei bestimmten Bewegungen, vor allem reflexhaftem Husten, stand ich, ich übertreibe nicht, kurz vor der Ohnmacht. Das war … beeindruckend.

Erstversorgung:

Hausarzt und MRT. Durch Vitamin B bin ich binnen 24 Stunden an einen MRT-Termin gekommen. Rückblickend hat das erheblich zur Heilung beigetragen.

Das MRT war eindeutig; auch für mich als Laiin war dort zu erkennen, was los ist. In Absprache mit dem Hausarzt verzichtete ich auf eine Überweisung zum Orthopäden, denn mal ehrlich: Beim Orthopäden sitze ich dann vier Stunden im Wartezimmer (oder stehe vielmehr, sitzen geht ja nicht), er guckt zwei Minuten auf die Bilder, sagt mir, dass ich einen Bandscheibenvorfall habe und verschreibt mir Physio.

Der Hausarzt und ich beschlossen, dass wir das auch können – wobei eher ich den Hausarzt in seiner Diagnose und Therapieempfehlung unterstützt habe als umgekehrt.

Das Thema „Operation“:

Direkt im ersten Gespräch kam der Hausarzt auf das Thema „Operation“ zu sprechen – in dem Sinne, dass er sagte, es gebe halt die konservative Methode und immer auch die Möglichkeit einer OP. Ich besprach mich mit ihm und belas mich im Internet zu dem Thema. Die Meinungen dort: Man kann operieren, es ist aber oft überflüssig. Im Grunde geht es bei einem Bandscheibenvorfall nämlich erstmal darum, dass der Körper Wasser abtransportiert und dass Entzündungen und Verkrampfungen zurückgehen müssen. Das lindert dann schon die Symptome. Dafür benötigt er körperliche und seelische Entlastung, Bewegung und später: Sport und Muskelaufbau.

Faszienmassage und Spazierengehen:

Schon zwei Tage nach Bandscheibe begann ich, spazieren zu gehen. Sitzen ging eh nicht, liegen so lala, also 600er Ibu eingeworfen und los. Ich bekam außerdem Faszienmassage bei der Physiotherapeutin. Falls Sie solch eine Behandlung noch nicht genießen durften, aber auf Nahtoderlebnisse stehen, kann ich sie wärmstens empfehlen: Wenn die Folterkraft das Bindegewebe vom Muskel schiebt, ist das wie lebendig häuten. Eine super Sache für Freunde von Grenzerfahrungen.

Faszienmassage hilft allerdings sehr gut (langfristig, währenddessen muss man sich das leise vorsummen), und ich habe gelernt, dass die Faszien bei mir tatsächlich ein Schwachpunkt sind, auch heute noch – bei Belastung im Garten oder wenn ich mich seelisch und körperlich verspanne.

Die Entscheidung „keine OP“:

Nach zwei Wochen hatte ich das Thema „Operation“ abgehakt. Ich war noch weit entfernt davon zu sagen: „Mir geht es gut“, aber ich spürte, dass das, was ich tat, das Richtige und alles nur eine Frage der Zeit war. Meine sportliche Erfahrung hat mir sicherlich dabei geholfen, dieses Selbstbewusstsein und das Vertrauen in meinen Körper zu haben. Wenn Sie das nicht haben, seien Sie versichert: Ihr Körper kann das auch. Trauen Sie ihm etwas zu.

Die Komplikation „Piriformissyndrom“:

Immer, wenn ich jemandem vom Piriformis erzähle, sagt er: „Piri- was?“ Und: „Das denkst du dir doch aus.“ Der Name ist tatsächlich seltsam, wenn man aber Probleme mit dem Piriformis-Muskel hat, sind diese sehr real und total un-komisch.

Durch mein Durch-die-Gegend-Gelatsche hat sich der Muskel im Po bei mir so verkrampft, dass er schlimmere Symptome als der Bandscheibenvorfall selbst hervorgerufen hat: Ich konnte nicht mehr liegen, stechender Schmerz zog über viele Wochen in Kniekehle und Wade. Am Ende half: dehnen, dehnen, dehnen und sich auf einen Tennisball legen. (Diese Tennisballsache trägt nicht grad zur Versachling des lustigen Muskelsyndroms bei.)

Medikamente:

Haben Sie keine Angst davor, Schmerztabletten zu nehmen. Dröhnen Sie sich zu. Je nach Konstitution dürfen Sie bis zu 2.400 mg Ibuprofen pro Tag nehmen. Ich habe das voll ausgenutzt. Anders geht es nicht, und nur so bildet sich kein Schmerzgedächtnis. Also hauen Sie rein.

Außerdem habe ich Keltican genommen (Marketingseite des Herstellers), dessen Wirkung allerdings nicht erwiesen ist.  Ich hatte das Gefühl, dass es ein bisschen was bringt. Das kann aber auch Einbildung gewesen sein.

Erste richtige Besserung:

Geringe Besserung nach zwei Wochen. Weitere Besserung nach vier Wochen. Wirkliche Besserung nach drei Monaten.

Tiefschlag Hexenschuss:

Nach einem halben Jahr sowie nach einem Jahr hatte ich jeweils einen Hexenschuss. Beim ersten Mal eher leicht, beim zweiten Mal so, dass ich mich kein Mü mehr bewegen konnte. Echt: Es ging nix, ich konnte mich nicht selbst herumdrehen, mich nicht selbst aufsetzen, nicht gehen. Pflegestufe 3.

Beim ersten Mal hat mir mein Arzt ein Medikament verschrieben, dessen letzte Tablette ich wie meinen Augapfel hüte. Es heißt Tolperison, ist ein nicht-sedierendes Muskelrelaxans und wird zum Beispiel bei Spastiken nach Schlaganfall eingesetzt. Das Zeug kann zu schweren Überempfindlichkeitsreaktionen führen; ich hatte nix, bei mir wirkte es Wunder: Nach nur einer Tablette und vier Stunden warten konnte ich mich wieder bewegen. Wahnsinn, was mit den richtigen Drogen alles möglich ist. Es war auch meine Rettung, denn ich war gerade in einer Berghütte in Spanien.

Nach dem Hexenschuss hatte ich fortwährend Muskelprobleme im Rücken – kleine Feuerstöße wie vor einem Krampf. Dafür nehme ich regelmäßig Magnesium, das hilft.

Sport:

Ja. Bewegung, Bewegung, Bewegung. Wenn ich micht nicht bewege, kriege ich Probleme. Dinge zu Fuß erledigen, joggen, gezielt den Rücken stärken. Und den Bauch! An dem geht nix vorbei. In jeder Fitti-Runde und auch zu Hause mache ich Übungen für die Bauchmuskeln.

Nach Hexenschluss #2 hatte ich mir geschworen: Erst, wenn ich ein Jahr lang keine Rückenprobleme habe, fange ich wieder mit dem Handball an. Zweieinhalb Jahre nach Bandscheibe war es soweit. Erst trainierte ich sehr vorsichtig, ich hatte eine riesige Blockade im Kopf. Die ist mittlerweile weg – auch wenn ich immer noch sehr sensibel auf meine Rückenmuskulatur lausche.

Yoga und Gymnastik:

Ich mache regelmäßig Übungen, mit denen ich auch in der Lage bin, Blockaden selbst zu lösen. Sollten Sie nicht nachmachen, deshalb hier keine Details. Zwischendurch habe ich mal Yoga gemacht. Das ist gut für den Rücken, ich habe das nach jeder EInheit positiv bemerkt. Aber insgesamt ist es nicht meine Sportart. Sollten Sie Yoga mögen, ist das ’ne tolle Sache.

Wenn Sie Fragen oder Ergänzungen haben: gern.

Kommentare

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  1. Toll geschrieben und sicher eine große Hilfe für Leidende.

  2. Das zu lesen macht Mut. Danke.

  3. Nihilistin sagt:

    Danke für den guten Text. Mutmacher für alle Betroffene .
    Sehr sehr hübsch: Jemand der Mü verwendet (mich gucken immer alle nur groß und verständnislos an). Die Naturwissenschaftlerin in mir bittet aber um Ü statt Y. Verbindlichsten Dank :)

    1. Nessy sagt:

      Erledigt. Gern geschehen.

  4. sven sagt:

    Danke für die aufmunternden Worte. Ich gehe morgen früh zum Hausarzt und wir besprechen die Bilder des MRT, das heute gemacht wurde.

    Klingt alles ähnlich wie bei mir. Toll, dass es besser wurde. Applaus.

    1. Nessy sagt:

      Schnelle Besserung!

  5. Uwe sagt:

    Was sollte Keltican denn bewirken? Ich frage weil ich das nun auch schon 3 Monate lang nehme. Bei mir allerdings keinen „Rücken“. Ich habe mir an einer Glasscheibe neben der Schlagader, 3 (oder 4, weiß nicht mehr) Sehnen und dem Unterarmmuskel auch den Medianus-Nerv durchgeschnitten. Und dieses Keltican soll den Wachstum des Nervs unterstützen.
    Für was war das bei einem Bandscheibenvorfall gedacht?

    1. Nessy sagt:

      Für Empfindungsstörungen: Kribbeln, Taubheit, Schmerzen im Bein, Missempfinden. Damit sich der eingeklemmte Nerv erholt.

    2. Uwe sagt:

      Ah. Danke.

  6. flyhigher sagt:

    Ich stimme zu! Nach 2 Knieprothesen und 2 (inzwischen uralten) Bandscheibenvorfällen stimme ich unumwunden zu – BEWEGUNG IST ALLES, MUSKELAUFBAU IST ALLES. Wenn ich nichts mache, bekomme ich Schmerzen am ganzen Körper, angefangen von der Wirbelsäule über die Knie bis nach unten zu meinen Knöcheln! Wenn ich aber regelmäßigen Sport betreibe (derzeit bin ich sehr faul!) habe ich keine Schmerzen, und bewege mich mit meinem Körper (trotz Übergewicht) wie eine 20jährige (ok, nicht ganz, gewisse Dinge gehen halt nicht mehr… die fehlen mir auch nicht – höchstens meinem HTT :-D).

    1. Nessy sagt:

      Es muss ja nicht einmal Sport sein, wobei gezielter Muskelaufbau natürlich ratsam ist. Spazierengehen und Alltagsbewegung, statt Auto zum Bäcker ein Marsch zu Fuß und statt die nächste Bushaltestelle die übernächste oder die überübernächste. Das bringt ja auch schon viel.

    2. flyhigher sagt:

      Stimmt, man sollte „Sport“ definieren. Ich hebe keine Gewichte. Ich gehe spazieren, schneeschuhwandern, manchmal mache ich Übungen mit dem Theraband und mit dem Wackelbrett, im Frühjahr/Sommer/Herbst leichte Bergwanderungen und Radfahren. Manche Woche komme ich nicht über 3 Stunden Bewegung hinaus, andere Wochen schlagen mit 15 oder mehr Stunden zu Buche, je nach Stresslage.
      Und ja, es reicht schon, für so alltägliche Wege mal nicht das Auto zu nehmen. Leichte, adäquate Bewegung reicht aus.
      Derzeit mache ich Yoga – ein Traum für meine Wirbelsäule!

  7. webharvey sagt:

    Ach guck, Keltican ;) Hat mir mein Doc für die „böse Stelle“ im Rücken empfohlen, die sich nach 5-6 km wandern gerne mal als „heiße Nadelstiche“ meldet.
    Rücken und Hexenschuß ist böse, als Großer kann ich das nachempfinden, die Hexe hatte mich leider auch böse getroffen letztes Jahr, junge tut das weh :( Und so ganz unbeweglich sein ist schon komisch.

  8. giardino sagt:

    Vielen Dank für den Erfahrungsbericht, das stimmt optimistisch! (Meine Frau hat’s vor Weihnachten heftig erwischt.) Die Faszientherapie beschrieb sie übrigens genau so: Unmittelbar effektiv und hilfreich, aber immer nur einen Zentimeter davon entfernt, den Therapeuten zu ermorden.

    1. Nessy sagt:

      Leider (oder besser: glücklicherweise!) fehlt einem die Beweglichkeit, um die Gewalt am Therapeuten zu vollstrecken.

  9. Alte Frau aus DD sagt:

    Nach mehreren Stürzen auf den Steiß hatte ich vor dreißig Jahren zwei Bandscheibenvorfälle . Damals noch ohne MRT und solchen Sachen. Als junger DDR-Bewohner wurde man ja mit „Rücken“ ohnehin erst mal nur als „arbeitsunlustig“ eingestuft. Dementsprechend wurde auch erst sehr spät geröntgt und die Angelegenheit dann endlich ernst genommen. Ich war sehr lange arbeitsunfähig (anfangs vier! Wochen strengste Bettruhe), dennoch wurde mir von einer OP abgeraten. Viel Physiotherapie und noch mehr Bewegung haben mir mittlerweile ein schmerzfreies Leben ermöglicht. Ich kann bestätigen, die Schmerzen sind wirklich sehr beeindruckend, auch wenn es mal nicht für eine Ohnmacht reicht. Ich hatte zumindest kurzzeitig schwarz vor Augen.

    1. Nessy sagt:

      Damals setzt man auf Bettruhe, ’ne? Mein Arzt wollte es auch erst als „bisschen den Rücken verrenkt“ abtun, aber ich konnte ihn dann sehr schnell davon überzeugen, dass es mehr ist. Vielleicht sah ich auch einfach nur zu elend aus.

  10. Suse sagt:

    Werte Frau Nessy,
    Ihr Bericht kommt genau zur richtigen Zeit, danke dafür!
    Meine Güte, ich hatte beim Lesen das Gefühl, Sie beschreiben meine letzten Jahre/Wochen!
    Kurze Frage, da mich der Piriformis nun auch seit Weihnachten quält: Seitlich über’n Tennisball („betroffene“ Piriformisseite) rollen?
    Und ja- die Mordphantasien bei der Physio kenne ich nur zu gut ;]
    Aber Ihr Bericht macht Mut, denn eine OP will ich wirklich vermeiden!
    Herzliche Grüße, Suse

    1. Nessy sagt:

      Ich würde sagen: Wie es Ihnen angenehm ist und das Meiste bringt.

      Ich habe mich nur auf den Tennisball gelegt, damit er den Triggerpunkt drückt, der den Muskel entspannt. Zum Drüberrollen eignen sich Blackrolls besser. Das sind harte Rollen, die es in unterschiedlichen Größen und Formen gibt.

  11. Nihilistin sagt:

    Noch eine Frage, Frau Nessy: Die „Bildungs“Bandscheibe heisst ja nicht umsonst so, wir hatten das ja alle im Blog hier verfolgt. Wie würden Sie rückblickend die Entwicklung Ihres IQ bewerten? Oder geht es eher um eine nicht quantifizierbare Erhöhung des Maßes des „unnützen Wissens“, das man gegebenenfalls in einer künftigen Günter-Pilawa-Jörg-Jauch-Sendung einsetzen könnte?

    1. Nessy sagt:

      Leider konnte ich bislang noch keine Start-Ziel-Siege in Quizshows einfahren, wohl aber auf Partys glänzen. Ich überlege noch, meine gewonnene Expertise in eine kometenhafte Karriere als Kneipenquizspielerin zu investieren.

  12. Corinna sagt:

    Liebe Frau Nessy, vielen Dank für das Update! Meine Bandscheibe hat es vor einem Monat schwer erwischt (im Urlaub am Pool. Auch eher ungünstig.) und ich habe mich damals an Ihre alten Beiträge zu dem Thema erinnert und nachgelesen. Inzwischen geht es wieder bergauf und dieser Text hier macht mir Mut, dass es bei dieser Richtung bleiben kann. Ich muss jetzt nur den inneren Schweinehund überwinden und in Bewegung bleiben…

  13. Nadine sagt:

    Da merkt man erst mal, wie lange man den Blog schon liest. Bei der Bildungsbandscheibe war ich schon live dabei! Danke für viele Jahre tolle Texte und Unterhaltung!

  14. eva sagt:

    Oh, super Text! danke! Ergänzung: wer mit Yoga nicht so kann, dem hilft vielleicht Feldenkrais. Okay, ich hatte jetzt nicht Bandscheibe, aber 15 Jahre humpeln, Ibuprofen einwerfen, Schiefstand wegen Hüftdysplasie und als die sich richtig ausgewachsen hatte in eine fette Arthrose kam die OP – danach die Fragem wie kriegen wir dieses Ichhabemirschiefgehengemerkt-Gerüst wieder grade? Physio. Bewegen. Und bei mir seit bald 3 Jahren Feldenkrais. Tiefliegendes Muskeltraining, arbeiten gegen Hohlkreuz (das wieder zu Hüftschmerzen führt, das zu Fehlhaltung, ehem, jaaja alles im Kreis….) für Bauch- und Rückenmuskeln, und vor allen allen Dingen tatsächliches er.füh.len jedes Mi.lli.me.ters eines Bewegungsablaufes. Mir hilfts sehr. Auch bei Hexenschuss und einer Stelle im Rücken, die immer mal aus den Blauen ping verkrampfen liebt (grrr) – da hilft auch Tennisball . Lieben Gruß, Eva

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