Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Damit keine Mücke durch meine geöffnete Balkontür fliegt und mich sticht, schlich ich vergangene Woche im Dunkeln durch meine Wohnung, und mein rechter, kleiner Zeh blieb krachend am Sofa hängen.

Ich blickte an mir hinab. Der Zeh stand ein bisschen komisch ab. Ich stellte meinen Fuß auf den Wohnzimmertisch, drückte vorsichtig, zog dann etwas, es knirschte – oder war es ein Knacken? -, und der Zeh schaute wieder normal nach vorne. Im weiteren Verlauf lief der Stumpen blau an, aber nur innen, dafür sehr schillernd. Es könnte also sein, dass ich mir den Zeh gebrochen habe. Hätte mich doch besser eine Mücke gestochen.

Ich humpele nun verwegen durch die Gegend. Wobei: Wenn ich keine Schuhe trage, geht es, dann schmerzt es kaum. Auch Sportschuhe kann ich gut tragen, weshalb ich gestern trotz meiner Versehrtheit im Fitnessstudio war, meine Beine auf dem Crosstrainer im Kreis bewegte, ein paar Übungen machte, mich aber eigentlich nur in der Sauna aufwärmen wollte, weil es draußen so kalt ist.

Ich war gerade fertig mit dem sportlichen Teil, als ein dunkelhaariger, gut Trainierter um die 50 mir zuzwinkerte. Ich bin seit einiger Zeit in einem Alter, in dem ich eine Aufforderung für Männer zwischen 45 und 60 darstelle. Das führt zu Begegnungen an Tankstellen und Supermarktkassen, die man wohl, ich kenne mich da nicht so aus, „Flirten“ nennt.

Der Trainierte stand an der Empfangstheke, war gerade gekommen und wollte seine Mitgliedskarte einchecken. Er deutete auf meinen Fuß und mein Gehumpel, ich zuckte mit den Schultern. Wir warfen einige Blicke hin und her. Er lächelte, ahmte meinen Gang nach, ich lächelte ebenfalls. Wir hatten pantomimischen Spaß.

Der Fitness-Manager hinter dem Tresen begann, ihm etwas zu erläutern. Der Trainierte zuckte mit den Schultern, antwortete auf Italienisch, er verstünde nicht, der Manager sagte auf Deutsch, er verstünde auch nicht, versuchte es auf Englisch, der Trainierte verstand nicht, der Manager sagte, dann brauche er jemanden zum Übersetzen – ob wer Italienisch spreche?

Ich bot meine Hilfe an. Der Trainierte wirkte entzückt, dass ich seine Sprache spreche. „Oh“, machte er und zwinkerte wieder. Der Manager sagte, Zwinkermann sei im Rückstand, 62 Euro müsse er zahlen, die Einzugsermächtigung funktioniere nicht mehr, er solle erst seine Schulden begleichen, dann könne er trainieren. Ich übersetzte. Sein Lächeln erlosch, als hätte jemand das Licht bei ihm ausgeknipst. Er schaute mich sehr grimmig an, seine Augen wurden zu Schlitzen, seine Lippen ein dünner Strich. Mit seinem Bartschatten wirkte er jetzt panzerknackeresk und, ja, sogar ein bisschen gefährlich. Ich sagte: „Scusa, ich kann nix dafür, ich übersetze nur.“ Er sagte, die Zähne zusammengekniffen, nicht heute, morgen komme er bezahlen. Oder übermorgen, irgendwann später halt – ich solle das ausrichten. Dann drehte er sich um und ging grußlos von dannen.

So endete mein Flirt. Und so endet dieser Eintrag, der nicht einmal eine Pointe hat.

Kommentare

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  1. Uwe sagt:

    Schlimm für Italiener, wenn sie vor den neuen Flirt das Gesicht verlieren…

    1. Frau Nessy sagt:

      Ob diese Eigenschaft auf Landesgrenzen beschränkt ist: Ich habe Zweifel. Was die Sache angeht, vielleicht. Vielleicht hat er sich auch über seine Bank geärgert und schlechte Laune bekommen. Vielleicht überweist seine Mutter das Geld und hat es vergessen. Oder seine Frau. Vielleicht – wer weiß das schon.

  2. Lobo sagt:

    Aua ! Im dunklen Zimmer umhertapsen ist immer gefährlich. Mein kleiner Zeh kann da auch ganze Arien singen, trotzdem macht man es immer wieder.

    Wünsch dir gute Besserung !

    Schon in der Antike waren Überbringer schlechter Nachrichten, der schlechte Laune des Empfängers ausgeliefert, wenigstens wird man heute nicht einfach nach der Auslieferung erschlagen. ;-)

    1. Frau Nessy sagt:

      Wer kann den vorher ahnen, was er übersetzen soll!

  3. Ponder sagt:

    Und mit einem potentiell gebrochenen Zeh geht eine handballgestählte Dame nicht zum Arzt? Heilt sowas von allein, wenn der Zeh wieder einigermaßen grade nach vorne steht? Ich wäre da ja vermutlich eher wehleidig …

    Erstaunlich :)

    Viele Grüße,

    der Ponder

    1. Frau Nessy sagt:

      Die handballgestählte Dame kann bei Bagatellverletzungen die Notwendigkeit eines Arztbesuches gut einschätzen.

      Ja, sowas heilt allein. Kann man ein bisschen tapen.

  4. energist sagt:

    Nicht dass ich hoffen könnte, Sie hörten auf mich, aber: ab zum Arzt, Frau Nessy! Bitte! Mit dem (Fort)bewegungsapparat sollte man keine Experimente machen. :-o

    1. Frau Nessy sagt:

      Nun dramatisieren Sie mal nicht. Nichts zersplittert, der Knochen schaut auch nicht raus. Drei Stunden beim Orthopäden sitzen, zehn Minuten röntgen, drei Minuten Gespräch für den Ratschlag: hochlegen, nicht zu sehr belasten, tapen können Sie, oder? Nö. Das passt schon und wird heilen.

  5. jessi sagt:

    In der notaufnahme gibts auch nur tapes wenn der zeh wieder steht. Glückwunsch zum guten einschätzen :-) alle mitarbeiter uberfüllter notaufnahmen danken das.

    1. Frau Nessy sagt:

      Gern geschehen. Außerdem kann ich barfuß ja gut laufen. Also kann es nicht so schlimm sein.

  6. Croco sagt:

    Die Fachleute tapen auch nur. Keine Sorge, das mit dem Zeh kann man gut in Heimarbeit regeln.
    Als alte Barfußgeherin hab ich da Erfahrung.
    Mehr Sorgen macht mir der etwas klamme Charmeur.
    Er ist bei der blonden Frau nun für immer unten durch.
    Seine Ehre ist verletzt. Ob er sich je wieder davon erholt?
    Wir werden sehen……..

    1. Frau Nessy sagt:

      Bei mir isser nicht unten durch. Sowas passiert – kann ja auch einfach am Kontowechsel liegen. Und selbst wenn nicht – ja mei.

      Ob er allerdings die Schmach verdaut? Ich bin guter Dinge.

  7. kunstecht sagt:

    bedauernswert in jeder Hinsicht – sorry. da ist aber das Fitnessstudio als Kontaktbörse ja noch ganz reizvoll. ich hab jetzt nen Bericht gelesen dass bei Senioren die Kontakte auf dem Friedhof geknüpft werden. wenn man im tanztempel von Ü 65 aufgefordert wird, wird man hart mit der Realität konfrontiert.

    1. Frau Nessy sagt:

      Ich verweise an dieser Stelle auf den Witwen-Code.

  8. Die perfekte Anfangszene einer deutschen TV-RomCom – die darf nicht vergeudet werden. Wie geht es wohl weiter? Entscheidet sie sich dann doch für den rumänischen Mitturner, der ihr beim nächsten Fittibesuch ins Gewissen redet und sich als Orthopäde herausstellt, in Deutschland aber nicht praktizieren darf, weil seine Abschlüsse nicht anerkannt werden und der sich deshalb als Telefondesinfizierer durchschlägt? Wie wird sie damit umgehen, dass der säumige Italiener eine Woche später als Neukunde im Büro vor ihr steht und sie mit seinen Capucchinokünsten umgarnt? Wird sich irgendwann das umgarnende Heißgetränk als Fußfessel erweisen oder nimmt die Metaphernpolizei die Drehbuchautorin rechtzeitig fest?

    1. Frau Nessy sagt:

      Wie wird Mitturner Richard auf die Konkurrenz reagieren? Was sagen die erfahrenen Rentner? Möchte sie nicht doch lieber einen österreichischen Physiotherapeuten als einen rumänischen Orthopäden? Stimmt der Milchschaum auf dem Cappuccino?

      Es bleibt spannend!

  9. ach der arme… (zeh und kerl)
    gute besserung!

    (meine eine tochter hat mal mit der klasse in der schule ein gedicht aufgeführt, da ging es um eine zehwehfee, das fiel mir grad beim lesen ein. hier: http://www.schneeseekleerehfeedrehzehwehvergehtee.de/)

    1. Frau Nessy sagt:

      Diese Fee hatte, wie alle Feen dieser Gegend,
      sechsundsechzig Zehen, fünfundsechzig zum
      Gehen und einen zum Drehen, und dieser
      sechsundsechzigste Zeh war natürlich der
      Schneeseekleerehfeedrehzeh.

      <3

    2. Martina sagt:

      :-) das erinnert mich an den Rehgehegesong der Dornrosen: https://vimeo.com/15652988

  10. Iris sagt:

    Bei Zeile 3 durchzuckte mich ein Mit-Schmerz, ich sende Mit-Gefühl und einen Schulterdrück, Sie sind soooooo tapfer, liebe Frau Nessy!
    Grüße, Iris

    1. Frau Nessy sagt:

      Hammatapfer, nicht wahr.
      Danke.

  11. Davidoff sagt:

    Da kann frau sich jetzt was drauf einbilden, von einem verschuldeten italienischen Knacker angeflirtet zu werden……

  12. Frau Vorgarten sagt:

    Neenee, da geh ich keine Kompromisse oder Risiken mehr ein. Wo andere barfuß gehen, trag ich nur noch Sicherheitsschuhe S3.
    Mein 1996 im Strandurlaub gebrochener Zeh (nicht der kleine, sondern der daneben) ist wetterfühliger als ich. Und das, wo er nur ein Bruchteil von mir insgesamt wiegt! Drei Knöchelchen! Eine überschaubare Anzahl Muskeln!
    Unser Verhältnis ist angespannt.

  13. Merci für die kleine Erzählung. Und es ist ja so: Ohne Pointe sind mir Geschichten am liebsten.

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