Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Özlem schielt und Sebastian fängt Bären

16. 4. 2013 30 Kommentare Aus der Kategorie »Expeditionen«

Auf halber Strecke steigt eine Kindergruppe zu.

Kindergruppen sind der Graus für 99 Prozent aller U-Bahnfahrer, besonders morgens vor der Arbeit. Kommen Kinder, stehen alle auf und setzen sich weg. Ich hingegen mag Kinder-KiTa-Gruppen ganz gerne.

Ich sitze im Vierersitz mit Özlem, Frieda, Melek und Sebastian. Drei sitzen mir gegenüber, Melek sitzt neben mir. Sie stellen sich alle der Reihe nach vor und fragen mich, wie ich heiße.
„Nessy“, sage ich.
„Hihi“, sagt Melek.

Özlem hat eine geheime Superkraft: Sie kann mit beiden Augen zur Nase gucken. Sie führt es mir vor. Sie macht das wirklich gut. Sie sieht aus wie ein schielendes Kaninchen. So kann sie bestimmt auch über Kreuz heulen.
„Meine Mutter sagt, dass meine Augen irgendwann so stehen bleiben.“
Ich frage Özlem, ob sie meint, dass ihre Mutter Recht hat.
„Nöö“, sagt sie.

Frieda erzählt mir, dass sie eine Bifi mithat. Und Schokobons, die sie mit den anderen Kindern teilen soll. Sie weiß aber noch nicht, ob sie das macht.
„Du kriegst auch was von meinen Lakritzvampiren“, sagt Sebastian.
Frieda überlegt. „Na gut“, sagt sie.
„Willst du auch was von meinen Lakritzvampiren?“, fragt Sebastian.
Ich sage, dass ich bald aussteigen muss und bedanke mich.

Melek fragt, wann genau ich aussteige. Sie hat eine rosa Mütze mit Schmetterlingen auf.
„Nächste Station“, sage ich.
„Darf ich dann am Fenster sitzen?“
„Klar“, sage ich.
„Finde ich gut“, sagt Melek.
„Aber wir sind doch in U-Bahn. Du sieht doch gar nichts.“
„Ich stelle mir einfach vor, dass was vor dem Fenster ist.“

„Wir fahren in den Wald“, sagt Sebastian.
„Und was macht ihr da?“ frage ich.
„Bären fangen.“
„Gibt es dort viele Bären?“
„Weiß nicht. Werden wir sehen.“

Özlem sagt: „Wir lernen was über die Natur.“
„Ich kenne schon die Blätter“, sagt Melek. Sie spreizt ihre Hand. „Wenn das Blatt so ist, ist es von einer Kastanie.“
„Stimmt“, sage ich.

Ich muss jetzt aussteigen. Ich wünsche den Vieren einen schönen Tag. Melek rückt ans Fenster und winkt mir beim Abfahren zu.

Kommentare

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  1. Änni sagt:

    Wenn man das so liest, macht man sich um die nächste Generation nicht mehr dermassen immense Sorgen!

    1. Nessy sagt:

      Nein, wir müssen uns keine Sorgen machen. Die sind in Ordnung – und im Übrigen auch immer sehr höflich.

    2. URi sagt:

      Ich befürchte ja, dass das mit dem Sorgen machen müssen, erst in einem fortgeschrittenerem Alter kommt…

    3. IchHalt sagt:

      Bin auch der Meinung das man sich keine Sorgen machen muss. Wie hat schon Sokrates gesagt „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ und wo stehen wir heute?

  2. kinderdok sagt:

    Ach Frau Nessy. Schon wieder so eine schlichte Geschichte, die mich lächelnd hinterlässt. Sie blicken schon ganz schön durch.

  3. Micha sagt:

    Kinder in homöopathischen Dosen können nahezu gar nicht anstrengend sein. Und so eine winkende Kinderhand hat was… oder mein Alltime-Favorit: singende Kinder!

    1. Nessy sagt:

      //*lacht

      Gesungen haben sie in der Bahn noch nicht, nur als sie ihres Weges gingen.

  4. Frau Vorgarten sagt:

    pst … machen Sie da noch ein a in die Überschrift …

    Mal wieder sehr schön geschrieben.
    Im Übrigen mag ich Kinder auch. Manchmal denk ich, wir sind gleich alt. Ich bin nur etwas groß geraten.

    1. Himmelhoch sagt:

      Ein „Sebstian“ hat doch auch was für sich. Ich schreibe das, weil mein Sohn so heißt, allerdings mit dem entsprechenden „a“. Ich zog immer eine leichte „Ekelschnute“, wenn er in der Schule „Baschti“ gerufen wurde – ihn hat das nicht gestört.

    2. Nessy sagt:

      Habe dem „Sebstian“ gestern schon ein zweites A gegönnt. Klang sonst so nach Sepsis.

  5. Croco sagt:

    Brombär und Himbär sind unglaublich gefährliche Monster.
    Der Wald ist voll solcher geheimnisvoller Lebewesen.
    So wie die U- Bahn auch.

    1. Nessy sagt:

      Die Monster in der U-Bahn sind übrigens ähnlich resistent und ausdauernd wie Brombär und Himbär.

  6. thx2501 sagt:

    Ach, so gekonnt die Lakritzvampir umgangen! Mag Nessy diese etwa auch nicht? Meine Töchter waren anfangs nicht froh mit mir als ich ihnen das für Papa erbettelte Betthuperl nicht freudenstrahelnd abnahm.

    1. Nessy sagt:

      Zu Lakritzvampiren habe ich ein neutrales Verhältnis. Muss nicht, kann aber.

  7. jpr sagt:

    Ich habe bei „U-Bahnfahrer“ ja erst an den Menschen gedacht, der ganz vorne sitzt und mich gewundert – aber wer weiss schon, was die moegen und was nicht.
    Sonst: die Welt durch Kinderaugen sehen ist schon immer eine Erfahrung. Mal witzig, mal scharfsinnig, mal sehr ehrlich, aber eigentlich immer erfrischend. Schoen.

  8. Ich treffe die Kindergruppen dann, wenn sie im Wald angekommen sind. Ein herrliches Gekreische am Bach, so laut, dass alle Bären sich auf die Bäume geflüchtet haben. Die örtlichen Dackelbesitzer sind immer ein bisschen grantig, wenn es lärmt im Wald, aber ich liebe es, denn die Bäume sind oft so unkommunikativ.
    Konnte bei einem Kindergruppenwaldtreffen kürzlich ein Kaugummi in Empfang nehmen, geschenkt von einem Zwerg im grünen Schneeanzug. Es war aber schon arg angeschmutzt, darum habe ich es, entgegen der Aussage, ich würde es zuhause in Ruhe essen, zuhause in Ruhe entsorgt.

    1. Nessy sagt:

      Mmmmh, ja, toll. Ein getrocknetes Kaugummi. Aber nun ja, sie hätten auch die Losung von Hasen finden können. Es geht halt immer auch schlimmer.

  9. flyhigher sagt:

    Herzerwärmend!

  10. Katharina sagt:

    Respekt ist eine Zweibahnstrasse und so auf gleicher Augenhöhe funktioniert das tiptop. Danke dafür, dass wir mitfahren durften!

    1. Nessy sagt:

      Gerne. Heute traf ich sie übrigens wieder. Sie fuhren an den See. Offensichtlich ist Kaffeefahrt-Woche in der KiTa.

  11. Ich finde auch, daß diese Geschichte sehr herzerwärmend ist…

  12. Simon sagt:

    Ein Graus? Anstrengend, vielleicht. Aber Erwachsene sind das auch, besonders in großen Gruppen. :)

    Doof finde ich höchstens die Kindergärtnerinnen, die sich anbahnende Gespräche von Vornherein mit einem bestimmten „lass bitte den Mann in Ruhe“ unterbinden. Aber wer weiß, was die sich von anderen U-Bahn-Fahrenden sonst so anhören müssen.

    1. Nessy sagt:

      Habe ich noch nicht erlebt – nur bei Eltern. Die KiTa-Erzieherinnen haben genug damit zu tun, die Horde im Sitzen zu halten.

  13. Lobo sagt:

    Ich finde es immer toll, wenn dir Kinderkrippe mit den kleinen Zwergen in einer Bollerwagenkolonne durch die Stadt zieht. Das hat sowas fröhliches, leichtes.

  14. nickel sagt:

    Oh, da möcht ich mich dazugesellen!
    Aber ich mache das auch gerne. Kindern zuzuhören ist erfrischend und lustig und lässt einen nicht mehr so ernst über sich selbst denken. Mich muntert das immer auf.
    Nagut, außer wenn ich Kopfschmerzen habe. Dann grummel ich schonmal in mich hinein.

  15. Wunderbar! Solche Erwachsene braucht es, die zuhören und ernst nehmen können – der Rest steht schon weiter oben *copy and paste (weils so schön ist)*: Respekt ist eine Zweibahnstraße (danke Katharina)

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