Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

Ergänzende Worte zu den Piraten

10. 4. 2012 128 Kommentare Aus der Kategorie »Lebenslage«

Ein Nachtrag:

Vor zwei Wochen habe ich mit „Liebe Generation meiner Eltern“ einen Nerv getroffen. In den Kommentaren gab es viel Zustimmung. Aber es gab auch Widerspruch. Diesem möchte ich gerne antworten.

Mitglieder meiner Elterngeneration (oder Kommentatoren, die sich dort einordneten) sagten zum Beispiel:

Es gibt auch die Elterngeneration, die das Internet nutzt, ja schon Internet genutzt hat, als ihr noch im Kindergarten wart und die bereits vor euch die Piraten gewählt haben. 

Ich drücke mich deshalb mal genauer aus: Wenn ich von meiner Elterngeneration spreche, dann spreche von 60- bis 75-Jährigen. Einige davon nutzen das Internet. Mein Vater zum Beispiel. Meine Mutter wiederum nicht, meine Tanten und Onkel auch nicht. Als die ersten Browser erfunden wurden, war ich ein Teenager. Also erzählt mir nicht, dass ich noch im Kindergarten war, als Ihr schon im Internet gesurft habt.

Aber darum geht es nicht. Ich möchte nicht erklären, warum mein Vater oder meine Tante vielleicht Piraten wählt. Oder mein Opa. Das sollen sie selbst schreiben. Ich möchte nur erklären, warum meine Generation in nennenswerter Zahl Piraten wählt – für alle, die danach fragen. Das hat nämlich wenig bis nichts mit dem Internet zu tun.

Mir wird in den Kommentaren des Beitrags vorgeworfen, dass meine Generation „wie die Made im Speck“  lebte, dass wir „vor lauter imaginären Problemen“ vergäßen, wie gut es uns ginge und dass ich „mit Anfang 30″ meine „Midlife-Crisis früh“ durchlebte. Auch schrieb ein Kommentator:

“Euch, den 25 Jahre später geborenen, kann es ja schon kaum mehr besser gehen, da nützt ja die ganze Anstrengung in der Schule schon nichts mehr.”

Genau hier ist der Kern unseres Unmuts, unserer Wut. Wir müssen nicht hungern, haben eine Wohnung. Aber wir arbeiten dafür, wie Ihr es auch tut oder getan habt. Wir kriegen nichts in den Hintern geschoben. Wir haben hohe Abgaben, zahlen hohe Mieten und haben uns unser Studium selbst finanziert. Alles andere ist Klischee. Aber wir können uns nicht verbessern, egal wie wir strampeln.

Nun, da wir seit zehn oder fünzehn Jahren im Berufsleben stehen und gerne mal ankommen, sesshaft werden, eine Basis haben möchten, erkennen wir, dass nichts sicher ist. Immer noch nicht. Wir haben keine sicheren Arbeitsplätze. Wir leben von Zeitarbeit und Zeitverträgen, von außertariflichen Regelungen, von immer neuen Einstiegsgehältern – nach jedem Jobwechsel, nachdem wieder einmal ein Zeitvertrag ausgelaufen ist, müssen wir uns bewähren. Viele von uns ziehen oft um, der Arbeit hinterher. Das ist kein Spaß. Das kostet Geld. Geld, das wir gerne ansparen würden, für später, für ein Eigenheim, für unsere Kinder, vielleicht auch nur für eine neue Waschmaschine. Aber noch bedeutsamer: Es kostet uns ein soziales Umfeld, einen sich über Jahre entwickelnden Freundeskreis, eine vertrauensvolle Familie um uns herum. Es kostet uns Zeit – die wir in Zügen und auf der Autobahn verbringen, auf dem Weg zum Partner, zu den Eltern, Großeltern und zu Freunden.

Ich sage nicht, dass mich das persönlich betrifft. Deshalb durchlebe ich auch keine Midlife Crisis. Mir geht es gut, ich habe einen tollen Beruf, lebe seit Jahren in derselben Region, bin glücklich. Aber ich sehe es bei meinen Freunden, bei meinen Verwandten, den Cousins und Cousinen, den ehemaligen Klassenkameraden und Mitstudenten. Von denen wohnt kaum einer mehr in unserem Heimatort – und das nicht, weil er nicht möchte. Sondern weil er dort keine Perspektive hat.

Gerne würden wir Kinder bekommen – bekommen sie auch. Aber wenn wir Frauen schwanger werden, wird unser Zeitvertrag nicht verlängert. Wenn wir uns dann eine neue Arbeit suchen, werden wir gefragt, wie es mit der Kinderbetreuung aussieht. Wenn wir einen Kita-Platz brauchen, gibt es keinen. Oder nur einen von 7 bis 15.30 Uhr und nicht vielleicht von 12 bis 17 Uhr, wie wir ihn brauchen könnten in dieser flexiblen Welt. Ein Kita-Platz, bei dem die Erzieher – übrigens auch welche von uns – uns um 15.40 Uhr frustriert maßregeln, weil wir unser Kind zehn Minuten zu spät abholen, weil wir im Feierabendverkehr standen, weil wir nicht früh genug wegkamen, weil wir unseren Job gut machen wollten, weil es verlangt wurde. Unsere Eltern können wir nicht fragen, denn sie wohnen weit weg. Manche sind selbst noch berufstätig, sie sind krank oder schon gestorben – auch das gibt es, sogar gar nicht selten.

Jetzt sagt nicht: Warum bleiben die Frauen dann nicht zu Hause? Haben wir auch getan! Ist das Beste fürs Kind! Und für alle entspannter.

Wer sich das leisten kann: gut. Aber ich kenne nur wenige, trotz guter Ausbildung – und nicht wegen überzogener Ansprüche, dem zweiten Auto oder dem dritten Jahresurlaub. Außerdem sehen wir doch bei Euch, wohin das führt. Ihr, unsere Mütter, habt zwei oder drei oder vier Kinder großgezogen und bekommt heute nur eine Mini-Rente. Oder Ihr seid von unseren Vätern geschieden, und weil Ihr nach Jahrzehnten ohne Berufstätigkeit keine Anstellung über 400 Euro findet, lebt Ihr von ihrem Unterhalt. Ein Gehalt für Zwei – da muss schonmal das Einfamilienhaus dran glauben, in das wir einmal einziehen sollten.

Wie wir es machen, wenn Ihr, unsere Eltern, pflegebedürftig werdet, weiß niemand von uns. Sollen wir zurück in die Heimat ziehen? Oder Euch zu uns holen, Euch entwurzeln? Oder Euch in ein Heim stecken, Euch versorgen lassen, dafür monatlich so viel Geld zahlen, dass wir uns deshalb keinen Kita-Platz mehr für unser Kind leisten können – und uns dabei sorgen, dass Ihr Euch wund liegt, ruhig gestellt, schlecht behandelt werdet? Wir lieben Euch. Wir werden für Euer Wohl in die Verantwortung genommen. Das ist in Ordnung so. Aber wir sind ratlos.

Nein, wir haben keine existentiellen Probleme. Wir haben zu essen und ein Dach über dem Kopf. Wir können sogar in den Urlaub fahren, nichts Dolles, aber immerhin. So wie Ihr damals.

Aber im Gegensatz zu Euch sehen wir keine Perspektive. Keine Möglichkeit des Aufstiegs, des Ankommens. Uns fehlt dieses Gefühl: Fünf Jahre noch, dann sind wir aus dem Gröbsten raus, dann wird alles gut.

Wir haben die Nase voll von der aktuellen Politik, die sich um all diese Belange nicht kümmert. Die ein Betreuungsgeld einführt, das jetzt Familien kriegen, die es sich leisten können, von einem Gehalt zu leben. Oder solche, für die es keinen Kita-Platz gibt oder die ohnehin keine berufliche Perspektive haben.

Überhaupt: Geld. Wir wollen kein Geld für unsere Kinder, keine Herdprämie und kein Gebärhonorar. Wir wollen bezahlbaren Wohnraum, gute Bildung und ein gesellschaftliches, auf den Menschen ausgerichtetes Klima, das es uns erlaubt, uns nicht zu zerreißen, sondern mit Freude zu arbeiten, der Gemeinschaft zu dienen, Werte zu erwirtschaften und mit Liebe und Zuwendung unsere Kinder großzuziehen.

Wir haben die Nase voll davon, dass nur Pfründe gesichert werden. Dass niemand in der Politik sich traut, unser Rentensystem neu zu denken. Wir zahlen gemeinsam mit unseren Arbeitgebern Hunderte von Euros monatlich in die Rentenkasse ein und werden mit Glück gerade einmal das Existenzminimum herausbekommen. Wir zahlen zusätzlich in private Rentenversicherungen, und wissen nicht, ob die Konzerne das Geld nicht verjuxt haben werden, wenn wir 67 oder 70 sind – irgendwo an irgendeiner Börse.

Wir machen uns Sorgen. Wir sind gestresst – und das ist mehr als ein persönlicher Stress, das ist ein kollektives Gefühl. Ein Druck, den Ihr vielleicht auch empfunden habt. Doch Euer „Stellt euch nicht so an!“ hilft uns nicht weiter.

Wegen all dieser Gründe – oder nennt es Befindlichkeiten – muss niemand die Piraten wählen. Aber manche tun es. Aus Protest oder weil sie das Gefühl haben: Das sind welche von uns. Die leben wie wir, die verstehen etwas von unserem Leben, die bewegen noch einmal grundsätzlich etwas – und schrauben nicht nur am Vorhandenen herum.

Das mag ein Trugschluss sein. Aber dann haben wir es wenigstens versucht.

Kommentare

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  1. Frau Vorgarten sagt:

    sagen Sie mal, Frau Nessy, warum gehen SIE nicht in die Politik?
    Oder schreiben wenigstens ein aufrüttelndes Buch, das die Politiker dann lesen können, um mal so richtig zu wissen, wie dieses Volk tickt, das sie vertreten?

    1. Nessy sagt:

      Ich bin ziemlich unpolitisch – wenn mir nicht grad Einiges auf die Nerven gehen würde. Ich weiß auch nicht, ob das ganze Volk so tickt. Sicherlich nicht.

    2. peter e. schumacher sagt:

      Mir sind nur Politiker bekannt, die ihre eigenen Interessen vertreten. Das Volk vertritt vermutlich keiner!

    3. Williw01 sagt:

      Dieses Gefühl der ständigen Unsicherheit, des sich nie sicher sein Könnens, nie das Leben für die nächste ein oder zwei Jahre planen zu können wegen eines demnächst auslaufenden Zeitvertrages ist grauenhaft.
      Ich kann nur jedes Wort doppelt unterstreichen.
      Vielen Dank für den Nachtrag.

    4. Anna sagt:

      Liebe Frau Nessy, super Analyse und danke, dass Sie darüber schreiben!
      Ein Aspekt dazu, der mir hier noch fehlt: Deutschland hat 2011 so viel Steuern eingenommen wie nie zuvor in der Geschichte! Und das trotz Krise. Ist das nicht der Wahnsinn?! Die Frage ist doch- warum bleibt davon eigentlich nichts übrig, z.B. für kostenlose Kinderbetreuung, die eine gute Antwort auf viele unserer, der von Ihnen beschriebenen Probleme wäre (ich bin selbst 36)? Weil: wir dieses Geld, dass wir alle zahlen, für eine politische Klasse und ihre Pfründe ausgeben (ausser den Renten, das ist ein anderes Thema, aber das finde ich eher gerechtfertigt). Die Politiker bzw. die Leute, die für den Staat arbeiten, in der Verwaltungen, in den Ministerien, 19 Landesparlamenten, der Eu Kommission, dem EU Parlament etc. haben nämlich ihre Kitas. Die brauchen keine öffentlichen. Und unbefristeten Verträge haben die auch, und Pensionsansprüche. Und- ach ja, wissen Sie schon, dass die EZB-Beamten gerade vor dem europäischen Gerichtshof klagen? Was die wollen? Dass ihre Pensionen vor der Inflation geschützt werden. Vor der Inflation, die sie selbst gerade im letzten Jahr entschieden haben. Aber natürlich nur ihre eigenen Pensionen. Spannend, oder? Vielleicht sollten wir es doch mal in der Poltik versuchen… Nur leider ist es da so ekelhaft… Ich bin jedenfalls froh, dass sich die Piraten trauen. Vielleicht kann man da ja doch mal mit machen.

  2. der_emil sagt:

    Das kann ich tatsächlich so unterschreiben.

  3. Ursu sagt:

    Danke. In genau der beschriebenen Situation lebe ich – Vor 1.5 Jahren weit weg von der Familie, wegen des Jobs. Dann nach einem Jahr den Vertrag nach Projektende nicht verlängert bekommen, wieder neue Stadt seit April – wieder Probezeit. Vom neuen Unternehmen per ‚Mitarbeiter-Überlassung‘ nach einer Woche an ein Unternehmen in der Nachbarstadt „verliehen“ – voraussichtlich 2-3 Jahre, aber wer weiß das schon heutzutage. Stabilität – ein Traum, den wohl jeder irgendwo hat. Irgendwann ein Haus, ein festes Zuhause und eine eigene kleine Familie – aktuell noch Utopie, da die Sicherheit fehlt. Man lebt von einem Tag auf den Anderen, nicht weil man will und weil man so spontan ist – sondern weil einem keine Wahl gelassen wird. Ich bin zu meiner Freundin gezogen, habe gezielt hier einen Job gesucht um ihr nah zu sein – ein Stück Familie zu haben, nachdem ich vorher trotz Job & Freunden in Hamburg häufig einsam war. Nun darf ich wieder pendeln, 35km einfache Strecke. Eine Wohnung in Braunschweig habe ich noch nicht – eine Freundin überließ mir ihre Wohnung vorerst – keine 2Wochen Zeit blieben mir zwischen der Zusage für den neuen Job und meinem Arbeitsbeginn – man ist ja jung und flexibel… der Wohnungsmarkt ist es leider nicht. Woher ich das Geld für eine mögliche Maklerprovision holen soll, weiß ich nicht – aber ich weiß, dass es gehen muss. Erspartes habe ich nicht – woher auch. Mit einem Praktikum nach dem (teuren) Studium und 6Monaten ’normalem‘ Einsteigergehalt bleibt nach 3Monaten Arbeitslosigkeit & bundesweiter Jobsuche nicht viel – man will ja auch noch leben – aber leider verstehen viele Politiker nicht, dass man nicht lebt um zu arbeiten, sondern arbeitet um zu leben – wenn man denn arbeiten darf.

    1. Nessy sagt:

      Das Belastendere daran ist wohl, dass Sie kein Ende dieser Situation sehen und nicht sagen können: Okay, das ist jetzt einfach mal so, aber bald habe ich mich etabliert, mir ein neues Umfeld aufgebaut, mich eingelebt. Wenn Sie sich außerdem weiterentwickeln könnten, sich besonders qualifizieren würden oder finanziell etwas dabei herausspringt, könnten Sie es vielleicht verschmerzen.

    2. aabsland sagt:

      @Ursu
      Dann komm doch einfach mal Dienstags ins Cafe Dialog in Braunschweig, da findest du genau die Leute denen es genauso geht und die versuchen was zu ändern, die Piraten.

  4. Thomas sagt:

    Liebe Frau Nessy
    das ist ganz einfach Wort für Wort wahr. Und zum Niederknien in Worte verpackt. Ich melde schonmal zaghaftes Verlangen nach einer Widmung in Ihrem ersten Buch an.
    Haben Sie zufrieden mit sich selbst nach dem Schreiben noch einen Eierlikör genossen?

    1. Nessy sagt:

      Nur einen Pflaumenschnaps vom China-Büdchen.

  5. Norbert sagt:

    Ich habe dazu nur eine Frage: Kita? Ist das Familienzestörungsprogramm von Rockefeller und Rothschild es wert? Google mal oder besser nimm Startpage.com nach Agenda 21. Langes Ding aber wert es evtl. noch rechtzeitig zu lesen. Ist uralt, beschlossen und wird gemacht, kann man überall beobachten. Und ich werde immer noch 59 in diesem Jahr, 2 Kinder, 21 und 25, und ja ich habe nicht aufgepasst beim Fernsehen…….Der größte Fehler meines Lebens.

    1. Nessy sagt:

      Was möchten Sie uns damit sagen? War das ein Beitrag gegen Kitas?

    2. energist sagt:

      Pssst, Frau Nessy, sie lesen doch mit. Und unsere Gedanken, die kontrollieren sie auch. Hier, ein selbstgebastelter Aluhut für Sie.

  6. Norbert sagt:

    Ist die eventuell alt genug, um etwas zu vermtteln? OK, scheiß Ton, aber ich würde sehr genau hinhören und evtl. ein paar Konsequenzen raus ziehen: http://www.youtube.com/watch?v=9RTSZH2xDV4&feature=related . Unsere Kinder werden eingemacht…..

  7. kvinna sagt:

    Ich bin eine von denen, die es sich leisten konnten – dank eines sehr gut verdienenden Ehemannes und geschenktem bekommenem Haus – für unsere drei Kinder 15 Jahre lang nicht berufstätig zu sein.

    Das ist auch nicht das Gelbe vom Ei, das kann ich versichern, obwohl ich nicht undankbar bin und die Unzufriedenheit, die mich wieder ins Berufsleben brachte, noch sehr jung ist.

    Ich sehe aber auch keine tragfähigen anderen Modelle. Die Fremdbetreuung sollte in einem gewissen Maß – und vor allem flexibel! – zur Verfügung stehen. Sie ist gut für die Entwicklung – nicht nur die der Kinder, sondern auch die der Mütter.

    Kindergartenplätze gewissermaßen verkauft zu sehen, erfüllt mich mit Wut.

    1. Nessy sagt:

      Niemand möchte sene Kinder zehn oder zwölf Stunden fremdbetreuen lassen. Es geht doch vor allem um die Flexibilität: Mal braucht man Betreuung ab morgens um 7, mal ab 14 Uhr – weil man z.B. im Einzelhandel arbeitet oder zwar in Teilzeit tätig ist, dem Arbeitgeber aber flexibel zur Verfügung stehen muss. Natürlich ist es auch an den Eltern, das zu organisieren, aber wenn keine Großeltern zur Verfügung stehen und der Freundeskreis ebenfalls berufstätig ist, wird es schnell eng. Das sehe ich in meinem Umfeld. Ich denke auch, dass alle Eltern genau abwägen, was sie ihren Kindern zumuten können und im Zweifel Abstriche machen.

  8. Dieser Eintrag ist noch besser und noch mehr auf den Punkt als der ursprüngliche. Jedenfalls, was die Lebensumstände der letzten Babyboomer (Jahrgang 66 ff) und nachfolgenden Generationen angeht. Die Piraten haben jedoch auch keine Lösungen. Die sorgen nur dafür, daß diese erstickende Decke gelupft wird, die die anderen Parteien jahrzehntelang kuschelig über ihre Mauscheleien gebreitet haben, mit denen sie dieses Land ruiniert haben.

    1. Nessy sagt:

      Das reicht ja schon, erstmal.

  9. T.M. sagt:

    Alles richtig und schlüssig geschrieben. Wobei man sicher an der Pauschalität noch bisschen feilen müsste – es gibt auch heute noch Personen, die es „schaffen“, die ganz solide Lebenswege aufbauen und halten können, und nicht nur in Bayern oder BaWü, zugegeben, oft solche aus vergleichsweise reichen, gebildeten Elternhäusern.

    Nur was das mit den Piraten zu tun hat, ist mir nach wie vor nicht klar. Die einzige (!) Verbindung liegt darin, dass die Piraten bislang vorgeben, sie seien eben anders, und sich noch nicht in der Situation beweisen mussten, eine tatsächliche und glaubhafte Politik erbringen zu müssen, und zwar überall, wo Piraten bislang politisch aufgetreten sind. Eine klassische Negativdefinition. Sie sammeln damit einfach die Krümel (ein vornehmes Wort) zwischen den Brettern der politischen Bühne.

    Wenn, wie gestern gemeldet würde, die Piraten inzwischen die Grünen überholt haben, dann frage ich mich ganz ernsthaft, wie das funktioniert. Spräche ich mit Finanzvokabular, würde ich behaupten, es ist schlicht eine Blase. Und wäre ich die Merkel, wäre ich eigentlich ganz froh, wenn sich der Pöbel auf eine gesichtslose Blase fokussiert, als dass er sich dem politischen Gegner anschlösse. Die Blase dann noch im richtigen Moment zum Platzen zu bringen, sollte heute mit Hilfe eines Skandälchens eine nur noch mittlere Übung sein. Irgendeine sexuelle Belästigung unter Spitzen-Piraten (wer ist das?) wird sich doch wohl finden lassen.

    Ein Dilemma ist selbstverständlich, dass offenbar keine einzige der etablierten Parteien in der Lage ist, diese Leute, die sich heute für das Irgendwas und womöglich für das Nichts begeistern, weil es anders ist, ein politisches Angebot zu machen, sie tatsächlich abzuholen. Das zeigt, wie verkrustet und hinter der Zeit die politische Landschaft in Deutschland inzwischen ist.

    1. Nessy sagt:

      Natürlich ist der Beitrag pauschal – sonst müsste ich wirklich ein Buch schreiben. Ich kenne auch Leute: Ausbildung gemacht, seit zehn Jahren im Betrieb. Aber das sind halt inzwischen die wenigsten.

      Was das mit den Piraten zu tun hat, habe ich geschrieben: Leute wählen Piraten „aus Protest oder weil sie das Gefühl haben: Das sind welche von uns. Die leben wie wir, die verstehen etwas von unserem Leben, die bewegen noch einmal grundsätzlich etwas – und schrauben nicht nur am Vorhandenen herum.“

      Dieses Herumgedoktere geht nämlich auf die Nerven: Rentenbeitrag 0,2 Prozentpunkte rauf oder runter, Krankenversicherung 0,5 Prozentpunkte rauf oder runter, Betreuungsgeld einführen oder nicht – wurscht. Es ändert nichts an dem, was vielen Leuten wirklich Kopfschmerzen bereitet.

  10. Nihilistin sagt:

    Holla. Respekt und Verbeugung. Wenn alle sich „unpolitisch“ Nennenden derartig unpolitisch wären wie Sie, Frau Nessy, wäre mir um unser Land nicht mehr ganz so bang.

    1. Nessy sagt:

      Zwischendurch habe ich mal einen politischen Moment.

    2. stahldame sagt:

      Das unterschreibe ich. Zu 100%.
      Danke, Frau Nessy.

  11. Ein großartige Beschreibung meines Lebensgefühls! Hinzu kommen noch andere Ängste. Durch unseren Ressourcenverbrauch laufen wir mit offenen Augen in den Abgrund. Wir sind 1000fach vital Abhängig von unserer immer komplizierter und empfindlicher werdenden Infrastruktur. Die Welt dreht sich immer schneller und immer mehr kommen (oder wollen) nicht mehr mit.

    Ob ich deshalb Piraten wählen werde, weiß ich noch nicht. Aber es ist sicher kein Grund, die Etablierten zu wählen.

  12. frauindica sagt:

    Vielen Dank für dieses Kännchen vom „Unpolitischen“.

    Na klar, gibt’s auch die anderen, mit den ererbten Häuschen, Rechtsanwaltshonoraren, usw… Und auch in meinem Umfeld, das genauso aus vielen unfreiwillig sehr Mobilen und wacklig Arbeitenden besteht, gibt es glückliche, langjährige Partnerschaften, glückliche Kinder, funktionierende Freundeskreise. Aber es ist alles sehr mühselig und, wie Frau Nessy in den Kommentaren nochmals betonte, ohne Perspektive, dass es nach fünf Jahren vorbei ist.

    So geht es in Brandenburg übrigens auch einer ganzen Menge Leuten, die nach der Wende ganz genauso und ganz kühl und schmucklos in Perspektivlosigkeit geworfen wurden, unabhängig von Alter und Generation. Und im Osten gibt es auch noch ganz andere „Protestbewegungen“ und Parteien, die die Unzufriedenen sammeln und da ist mir wahrlich sehr viel banger zumute, wenn hier die Altneubraunen zugange sind als wenn die Piraten das tun und sich womöglich irgendwann als „Blase“ herausstellen.

    1. Nessy sagt:

      Die Sicht der „Ossis“ würde mich interessieren – schon allein, um zu wissen, ob sie unterschiedlich empfinden oder genauso. Als Wessi denke ich, dass inzwischen alles eins ist und es in unserer Generation sowieso keine Unterschiede mehr gibt. Vielleicht bin ich aber auch naiv.

    2. jz sagt:

      Oh, liebe Nessy, die Unterschiede sind da schon enorm.
      Ich selbst bin gebürtiger Wessi, nun aber schon seit bald acht Jahren „mitten im Osten“. Und das, was ich hier erlebe, ist nicht gerade von großer Euphorie oder glänzenden Zukunftsperspektiven geprägt. Wenn es hier Jobs gibt, dann sind das 50-Wochenstunden-Jobs die mit 500 netto plus Provisionszahlungen vergütet werden, Callcenterjobs en masse oder all die Jobs, die sonst keiner machen will. Und für diese Jobs wird ein Aufwand mit dem Bewerbungsverfahren betrieben, das wirklich ohne Gleichen ist – für einen nicht mal 400€ Nebenjob. Zum Kopfschütteln.

      Aber qualifizierte Jobs oder Berufe, in denen man es sich zumindest von der Stellenbeschreibung her vorstellen könnte, länger als ein halbes oder ganzes Jahr dort zu arbeiten, sind verdammt rar gesäht. Und wenn es sie tatsächlich gibt (sofern sie überhaupt noch offiziell ausgeschrieben werden!), dann sind sie DEUTLICH schlechter bezahlt als „im Westen“.
      Und der Traum vom Häuschen, dem sicheren und lebenswert bezahlten Arbeitsplatz und der Möglichkeit, für harte Zeiten irgendetwas zur Seite legen zu können, rückt in immer weitere Ferne.
      Ich frage mich ernsthaft, ob ich überhaupt noch dort ankomme wo ich hin will, bevor ich mich für Kinder eigentlich schon wieder zu alt fühle. Man wird ja trotz alledem nicht jünger.
      Und das mit dem Haus haben wir längst aufgegeben. Wir könnten uns nicht mal mit viel Wollen eins zur Miete leisten, da wir dazu so weit aufs Land raus ziehen müssten, dass das mit der ganzen Pendlerei einfach nicht mehr zu bezahlen wäre. Von der Miete für ein Haus mal ganz abgesehen. Und das, obwohl sowohl mein Mann als auch ich beide Vollzeit arbeiten gehen. Traurig, das.

      Ich lebe in einer Landeshauptstadt – die Perspektivlosigkeit meiner Generation erschlägt mich hier regelmäßig, wenn ich durch die Stadt gehe. So viele demotivierte Gesichter und Menschen, die sich sehr offensichtlich in ihr Hartz IV Schicksal gefügt haben, sind mir bislang noch nirgends sonst begegnet.
      Ob es „im Westen“ besser ist, kann ich leider nicht beurteilen, ich sehe meine Heimat und meine alten Freunde leider nur noch sporadisch, aber nach dem, was man so von dort mitbekommt, viel besser ist es dort auch nicht. Auch wenn man wenigstens noch leichter einen (vernünftigen Neben-)job bekommt, die Bezahlung (sowohl pauschal als auch nach Stunde) deutlich besser ist und die Demotivation der Bevölkerung noch kein solches Ausmaß erreicht hat. Und soviel günstiger sind die Mieten hier auch schon lange nicht mehr.

  13. MCBuhl sagt:

    „Aber dann haben wir es wenigstens versucht.“

    Bravo.

  14. Sehr gerne gelesen. Es frustriert so ungemein, dass wir trotz heiler Kindheit, Top-Ausbildung, Superjob und sehr gutem Gehalt (oder zweien, wenn man in einer Partnerschaft lebt) trotzdem auf der Stelle treten. Jeder (Job-/Arbeitslosigkeits-bedingte) Umzug kostet das Geld, das meine Oma, die seit 90 Jahren im gleichen Haus lebt, meine Eltern, die seit 40 Jahren im gleichen Haus leben, nie ausgeben mussten. Die kennen das Gefühl nicht mal, wie es ist, alles hinter sich zu lassen, ausmisten zu müsten, Freunde zu verlieren, ein neues Umfeld zu schaffen usw. Wobei auch das mit zunehmendem Alter immer noch schwieriger wird. Und das ist nur ein Aspekt der Problematik… Danke für diesen wirklich sehr guten Beitrag. Ich werde ihn an viele Freunde weiterleiten, denen es ähnlich geht.

    1. Nessy sagt:

      Ich denke mir natürlich auch: Okay, doofe Situation für uns, aber was soll so ein Wanderarbeiter in China oder Rumänien sagen? Dem geht’s auch nicht besser. Oder den polnischen Berufspendlern, die nach Bayern zum arbeiten fahren. Ist irgendwie auch alles eine Frage des Maßstabs.

    2. energist sagt:

      Daß man ab und zu umziehen muß, ist, werte(r) germanabendbrot, nichts neues unter der Sonne. Auch vor dreißig Jahren gab es Konzerne, die Mitarbeiter von A nach B versetzten, weil die interne Umstrukturierung xyz… Oder die Leute in Olivgrün, die gern nach vier Jahren mit dem neuen Satz Schulterklappen einen neuen Standort ausgeben, Meldung dort binnen 14 Tagen, Marsch.

      Erzwungene Mobilität ist m.E. eher eine branchenabhängige Entscheidung als ein Charakteristikum der neuen Zeit. Wenn ich PR studiere, brauche ich mich nicht zu wundern, daß in meinem Heimatdorf keine Stelle existiert, sondern die alle in den großen Zentralen in Berlin, Hamburg und München sitzen. Wenn ich in Chemie mache, gibt es vermutlich in Mecklenburg keine Chance, unterzukommen, sondern man muß in den Pott oder das Rhein-/Main-/Neckargebiet ziehen.

      Suchen Sie sich heute einen „klassischen“ Job heraus, Bäcker, Zimmermann, Winzer, Optiker, Apotheker… Sie werden in diesem Leben nicht gezwungen sein, umzuziehen. Nur entscheiden sich die meisten eben anders. Kein Problem, aber dann nicht hinterher jammern.

      Es ist wie immer: man kann halt nicht nur die Schokoladenseiten haben.

    3. Nessy sagt:

      Das sehe ich anders. Ich habe schon den Eindruck, dass die erzwungene Mobilität zugenommen hat. Denn auch mit Studium musste man damals (TM) nicht so oft umziehen – man kriegte zwar auf dem Land keinen Job, aber wenn man einmal bei einer Firma war, blieb man dort auch oft. Heute existieren einerseits mehr befristete Stellen, andererseits haben die anspruchsvolle Arbeitnehmer aber auch einen größeren Drang, sich weiterzuentwickeln, z.B. auch durch Jobwechsel.

  15. Ich muss dir in vielen Dingen absolut zustimmen und bin froh, dass ich schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr in Deutschland lebe und mir das Interesse an der Politik in meiner Heimat etwas verloren gegangen ist.
    Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist das eine Rückkehr nach Deutschland mir als Mutter von zwei kleinen Kindern richtig Angst machen würde. Kinderbetreuung ist in vielen Ländern deutlich einfacher als in Deutschland, aber von dem was ich beurteilen kann, ist es in vielen Ländern auch schon lange so, dass es das hier bin ich geboren, gehe zur Schule, arbeite und sterbe ich eben auch nicht gibt. Es ist wohl eine Wandlung auf der gesamten Welt, dass das Leben unsicherer wird, nicht nur in Deutschland. Auf jeden Fall ein guter Beitrag, der zum Nachdenken anregt.

    1. Nessy sagt:

      Ob woanders das Gras grüner ist – ich weiß es nicht, aber ich bin skeptisch. Das kommt einem aus der Ferne vielleicht so vor. Ich lebe gerne in Deutschland – trotz aller Kritik.

    2. Emily sagt:

      Da würde mich interessieren, in welchen Ländern die Kinderbetreuungssituation besser geregelt sei als in Deutschland. Vielleicht in Skandinavien, aber da kenne ich mich schlecht aus. Jedenfalls muss man (frau?) in der Schweiz, in den USA, in Großbritannien ein vielfaches für einen Krippenplatz ausgeben, verglichen mit den subventionierten Betreuungsplätzen in Deutschland. In den Staaten mischt sich der Staat da gar nicht ein, leider, und viele können sich Kinderbetreuung gar nicht leisten. Auch gibt es keinen nennenswerten Mutterschutz, Elterngeld o.ä. dort, außer im extrem seltenen Fall dass der Arbeitgeber sich zuständig fühlt.

      Dass es in Deutschland immer noch zu wenige Plätze gibt und mehr Flexibilität sehr zu wünschen sei (ich selber habe das große Glück, einen Krippenplatz für meine 1,5-jährige bekommen zu haben) steht jedoch außer Frage.

  16. fxf sagt:

    Huch! Da schlag ich gerade die „Süddeutsche“ auf, und was finde ich? Einen Text, den ich schon mal gelesen habe….. Nessy goes old media? ;-)

    1. Nessy sagt:

      Ich bin doch total old media. Ich lese ständig diese … na, wie heißt es doch gleich … Bücher!

    2. energist sagt:

      Huh? Muß ich jetzt noch am Kino eine Ausgabe des Süddeutschen erstreiten? Hab ich was verpaßt?

    3. Nessy sagt:

      Nichts verpasst. Kennen Sie alles schon.

  17. Ich möchte dich wählen können. Danke. Der Text geht als Ausdruck an meine Eltern. Bei denen hat die mediale Anti-Piraten-Kampagne schon funktioniert. „Piratenpartei? Die haben doch keine Ziele, außer alles im Internet umsonst zu machen, oder? Und was machst du eigentlich genau bei deiner Arbeit?“

    1. Nessy sagt:

      //*lacht
      Die letzte Frage kenne ich.

  18. joar.. alles in allem stimmt das. Kann ich so mit unterschreiben

  19. blackeyed sagt:

    „Aber im Gegensatz zu Euch sehen wir keine Perspektive. Keine Möglichkeit des Aufstiegs, des Ankommens. Uns fehlt dieses Gefühl: Fünf Jahre noch, dann sind wir aus dem Gröbsten raus, dann wird alles gut.“

    danke!

  20. Joerg sagt:

    Liebe Frau Nessy, wo ist denn hier der Flattr-Button ? Ich denke, ich wäre nicht der einzige, der Ihnen, für diesen genialen Post, etwas in die Kaffeekasse werfen würde. Oder soll es klassisch per Twitter sein ?

    1. Nessy sagt:

      Danke! Ich habe mir schon vor Monaten vorgenommen, mal einen flattr-Button einzubauen – aber wie das so ist …

    2. madove sagt:

      @Nessy Das ist ganz einfach. Und ich würd mich auch freuen, hier einen vorzufinden!!!

  21. Franzi sagt:

    Danke für diesen tollen Beitrag. Genau so ist das. Leider.

  22. Liebe Frau Nessy, Sie stehen ja in der Süddeutschen heute morgen!
    Gratuliert man dazu? Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass ich ihr Blog schon las und schätzte, bevor es in einem nationalen Printmedium zu finden war.
    Viele Grüße!

    1. Nessy sagt:

      //*schiebt Kakao mit Extrakeks rüber

  23. deimeke sagt:

    Ein weiterer Volltreffer. Vielen Dank dafür!

    Als ich vor knapp fünf Jahren mich beruflich umorientieren musste, um nicht wahnsinnig zu werden, hatte ich nicht ans Auswandern gedacht.

    Zum Leidwesen meiner Eltern habe ich keine Anstellung ins Ruhrgebietsnähe gefunden, die mir entsprach. So ist es die Schweiz geworden und hier sind Sachen zumindest eines: Anders. Mal zum Positiven und oft auch in negativer Hinsicht.

    Leider ist es in Deutschland so, dass viele Arbeitgeber aufgrund der hohen Arbeitslosenquote denken, sie könnten sich alles erlauben (oft können sie es auch … die Dunkelziffer ist noch deutlich höher als es die offiziellen Zahlen glauben machen) und das Klima für Arbeitnehmer ist meiner Ansicht nach so schlecht wie noch nie.

    1. Nessy sagt:

      Es gibt auch gute Arbeitgeber. Das kann ich aus Erfahrung sagen.

      Ich habe jedoch das Gefühl, dass das Klima insgesamt – vom einzelnen Betrieb mal abgesehen – unfreundlicher wird und mehr denn je nur noch Gewinne und Aktienkurse zählen.

  24. doctorheils sagt:

    Hach. DANKE! ;)

  25. Cori0610 sagt:

    Du sprichts mir aus dem Herzen ;-)

  26. Cori0610 sagt:

    sprichst

  27. Lobo sagt:

    Erst mal Herzlichen Glückwunsch zum Abdruck in der „Süddeutschen“, kann man als Erfolg werten, finde ich.
    Auch diese Ergänzung hat es wieder in sich, klasse geschrieben und auf den Punkt gebracht.
    Ich bin ja durch die Übernahme des Geschäfts meiner Eltern einer der „Daheimgebliebenen“, sehe aber an meinem Freundeskreis wie es anderen geht, der ist nämlich in alle Himmelsrichtungen verstreut.
    Aber was beklag ich mich, dafür werden hier alle Diskotheken geschlossen und jeder Neubau ist eine Seniorenwohnung, da fällt es den jungen Leuten natürlich extrem schwer das Weite zu suchen. ;-)

    1. Nessy sagt:

      Auch in meinem Umfeld gibt es natürlich Leute, die in der Heimat geblieben sind und die dort glücklich sind. Dass viele Seniorenwohnheim gebaut werden, finde ich gar nicht mal schlimm – wir brauchen sie ja auch irgendwann.

      Ich sehe aber auch, dass es die meisten woanders hinzieht, meistens der Arbeit hinterher. Und dass diese Arbeit immer weniger Pläne zulässt, die über einen Zwei-Jahres-Zeitraum hinausgehen.

  28. Frank sagt:

    Einen Aspekt haben Sie übersehen. Nämlich, dass die so perspektivlose Generation zum Teil an ihrer Situation selber schuld ist.

    Es ist die Generation, die mit dem Rumtrampeln auf den Älteren, nicht den Alten, den Älteren, die Solidarität im Berufsleben aufgekündigt hat. Die mit ihren Auftreten und Verhalten fördert, dass wer 45 ist schon als zu alt gilt und angeblich nichts mehr drauf hat. In der IT sogar ab 35.

    Die über die Älteren als unflexibel herzieht und sich damit selber den Druck schaffen, immer und überall flexibel zur Verfügung stehen zu müssen. Die permanente Erreichbarkeit als Fortschritt sieh und sich dann wundert, dass sie 24 Stunden am Tag und am Wochenende erreichbar sein muss.

    Eine Generation, die sich, man verzeihe mir den Ausdruck, auf den billigen Praktikums- und Zeitarbeitsstrich begibt, und damit hilft, die Preise zu drücken und feste Stellen überflüssig zu machen. Die es dabei noch ganz toll findet, wenn es bei Entlassungen die Älteren trifft. Geil, wenn man die Älteren outperformt, jene Ältere, die es wagten, fett und dreist auf den Stellen sitzen, Stellen die man gerne hätte.

    Dumm nur, dass mit dem Rauskegeln der Älteren genau jene festen Stellen endgültig gestrichen werden, die man gerne gehabt hätte.

    Eine Generation, die glaubt, das Internet erfunden zu haben, obwohl sie sich nur ins gemachte Netz gelegt haben. Die glaubt, dass alle vor ihnen dumm sind und zu dämlich einen Browser zu bedienen. Das alles was vor 1990 errungen wurde altmodisch ist. Die was von post-privacy faselt und sich wundert, wenn sie keine Privatsphäre mehr hat.

    Eine Generation, der man trotz 40000 arbeitslosen Ingenieuren das Märchen vom Fachkräftemangel verkaufen kann, weil sie glaubt, jene Arbeitslosen sind einfach allesamt zu dumm weil zumeist über 50.

    Eine Generation, die allerdings in weiten Teilen, mit Verlaub gesagt, selbst zum Sch*ißen zu doof ist.

    1. Nessy sagt:

      Der letzte Satz ist eine Frechheit. An ihrer Kritik an sich ist aber etwas dran.

      „Es ist die Generation, die mit dem Rumtrampeln auf den Älteren, nicht den Alten, den Älteren, die Solidarität im Berufsleben aufgekündigt hat.“

      Ich habe eher den Eindruck, dass die Firmenlenker die Älteren nicht mehr haben wollen – und Firmenlenker, das sind mehrheitlich nicht die Mitglieder meiner Generation. Es sei denn, wir reden von kleinen, mittelständigen Unternehmen oder StartUps.

      „Eine Generation, die sich, man verzeihe mir den Ausdruck, auf den billigen Praktikums- und Zeitarbeitsstrich begibt, und damit hilft, die Preise zu drücken und feste Stellen überflüssig zu machen.“

      Es gibt immer noch Leute, die sich zu billig verkaufen. Das sehe ich auch so. Es ist allerdings auch schwierig, Selbstvertrauen aufzubauen, wenn einem eingebläut wird, dass man drei Praktika und zwei Auslandssemester braucht, um in einen Beruf einzusteigen. Trifft auf heutigen 25-Jährigen noch eher zu als die heutigen 35-Jährigen.

      Eine Generation, die glaubt, das Internet erfunden zu haben, obwohl sie sich nur ins gemachte Netz gelegt haben.

      Das Internet erfunden? Nein. Wir sind nur die erste Generation, deren Mitglieder das Internet zu 100 Prozent nutzen und einen Großteil unseren Lebens damit organisieren.

      Eine Generation, der man trotz 40000 arbeitslosen Ingenieuren das Märchen vom Fachkräftemangel verkaufen kann, weil sie glaubt, jene Arbeitslosen sind einfach allesamt zu dumm weil zumeist über 50.

      Das ist Polemik. Ich kenne niemanden, der an einen Fachkräftemangel glaubt.

  29. Michael Klier sagt:

    Ich, 32, finde es schade das es hier keine Tags für die Posts gibt. #Firstworldproblems wäre sicher ganz passend. Das ist jetzt wenig konstruktiv ist mir schon klar. Aber das ist schon Jammern auf hohem Niveau.

    Achtung: Ich hab zu viel Zeit, Rant (und exemplarisches Beispiel für mein schlechtes Deutsch Abitur): Ich bin selbst früh aus meinem Heimatort weggezogen. Studieren/Beruf man kennt das ja. Keine Perspektiven in der Heimat. Naja, seien wir mal ehrlich, gab es eigentlich schon aber das wofür es Perspektiven gegeben hätte wollte ich nicht werden. Verpackungsmittelmechaniker, Landschaftsbauer, Bauarbeiter, Schreiner, Metzger, Bäcker – alles nicht so prickelnd. Jetzt arbeite ich in den Medien. Die Zahl an verfügbaren Jobs für meinen Bereich in der Stadt in der ich lebe ist im zweistelligen Bereich. Ich habe glücklicherweise ne Stelle. Die Gehälter sind durch die Situation mager. Die Arbeitnehmer wissen das es sich jeder 2mal überlegt auf ne Stelle zu verzichten und nutzen das dementsprechend aus. Wenn ich Leuten erzähle was man bei den den privaten Medien so als Produzent verdient glauben die meist nicht was sie hören. Aber hey, man will sich ja verwirklichen! Und ich mache was ich machen wollte. Weil ich selber entscheiden darf. Wie geil ist das bitte? Rente? Kein Plan. Interessiert mich auch nicht. Bis es soweit kommt habe ich hoffentlich schon den ersten Ressourcen Krieg überlebt. Okay, an der Stelle hab ich jetzt übertrieben … ganz im Sinne des Posts. Familie? Werde ich mir nie leisten können ohne raus aus der Stadt zu ziehen. Ja und! WTF, jeden morgen kommt warmes Wasser aus meiner Leitung, das man sogar trinken kann ohne gleich daran krank zu werden. Ne, das soll sogar gesund sein. Wenn die Christen Feiertag haben bezahlt mir mein Arbeitgeber das Gehalt für den Tag, und ich bleib im Bett, einfach so? Obwohl ich nicht mal gläubig bin? Ich darf mir meinen Hausarzt selber aussuchen? Ich kann mir im Süden Deutschlands Fisch aus der Nordsee, ja sogar aus dem Pazifik kaufen wenn ich will. Im Winter gibts Zeug das wächst um die Zeit normalerweise nicht mal. Und ich kann mir weil ich nur Leitungswasser trinke den Po mit 4 lagigem chlor gebleichtem Papier abwischen, weils besser aussieht als recycelt. Sorry, aber WE TE EF. Wir wollen … wir glauben … wir Armen … Mal im Ernst: Die Alten die Momentan noch das Ruder in unserem Land in der Hand halten werden wir in den kommenden Jahren durch genauso inkompetente Leute ersetzen. Vielleicht sogar aus der Piraten Partei (wähle ich übrigens auch). Deppen gibt es überall (ich schließe mich mal bewusst nicht aus). Aber macht doch euch doch mal bitte bewusst in was für einer Welt wir leben. Ich kann über mein Mobil Telefon, für dessen Ressourcen Gewinnung wahrscheinlich das ein oder andere Kind ins Grass beissen durfte, auf Twitter schreiben das mir am Samstag um 1 das Bier ausgegangen ist und ich mir jetzt was online bestellen muss. Ich bin kein Ethik Spezialist, aber hier stimmt definitiv irgendwas nicht. Naja, lass es uns einfach wie unsere Eltern machen, Jammern hat schon immer geholfen.

    TL;DR I disagree.

    1. Nessy sagt:

      Auf der einen Seite haben Sie natürlich Recht. Uns geht es gut. Das sage ich ja übrigens auch in dem Beitrag: Wir haben zu essen, ein Dach über dem Kopf, alles gut. Sogar vierlagiges Klopapier, super.

      Aber nur, weil wir nicht in Armut und Krieg leben, kann man Probleme der Zeit ansprechen. Deshalb muss man noch lange nicht verbittert sein und jammern.

  30. Michi Baumgarten sagt:

    Das mit diesem „5 Jahre noch, dann sind wir aus dem Gröbsten raus“, gilt doch schon seit 15 Jahren nicht mehr. Die meisten meiner Altersgenossen (Jahrgang 1960) stehen ständig an neuen Anfängen, wenn sie nicht so schlau waren, Beamte zu werden.

  31. Michael sagt:

    Besser kann man es nicht schreiben. Meiner Familie und mir geht es genauso. Ich bin kein Freund der Piraten – oder sagen wir ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu ihnen. Aber ich denke – ich werde sie wählen. Einfach nur um „denen da oben“ ein Schnippchen zu schlagen. Und ja trotzdem finde ich „den Lauer“ und seine Kollegen seltsam und vielleicht nicht geeignet für die große Politik Bühne. Aber wenn schon scheisse tanzen dann so das es die ganze Welt sieht. Es wird einfach verdammt nochmal Zeit das unsere Generation die Stimme erhebt. Und noch ein Kompliment für den Blog Titel „Draussen nur Kännchen“ ist toll und beschreibt Deutschland fast vollständig in einem Satz. Danke für Ihren Text.

    1. Nessy sagt:

      Bitte – und danke für den Satz: „Wenn schon scheiße tanzen, dann so, dass es die ganze Welt sieht.“ Mag ich.

      Ich bin auch kein glühender Anhänger, sondern erkläre nur, warum die Piraten derzeit so einen Zuspruch haben.

  32. Thomas B sagt:

    Ganz groß, Frau Nessy!
    Das unterschreibe ich sofort genau so und wählen würde ich Sie auch, ja sogar für Ihren Wahlkampf Werbezettel verteilen.

    1. Nessy sagt:

      //*lacht
      Dazu wird es nicht kommen, versprochen.

  33. Michi Baumgarten sagt:

    Ihr sollt nicht die wählen, die die Missstände benennen (das tun doch alle). Sondern die, die sie beseitigen können/wollen. Das ist nämlich nicht so einfach gegen die ganzen Partikularinteressen einer völlig verwöhnten, korrupten und egoistischen Gesellschaft. Diesen Kampf nennt man Politik und das ist ein schwieriges Geschäft, wo Erfahrung und Sachverstand durchaus hilfreich sind.

  34. Anna sagt:

    Ich weiß nicht.

    In meinem Umkreis sieht es wirklich ähnlich aus wie Sie das hier beschreiben, erst kürzlich habe ich den Arbeits- und damit auch den Lebensmittelpunktort für einen befristeten Teilzeitjob ein paar hundert Kilometer weiterverlegt, habe Kolleginnen, deren Job mitten in der Schwangerschaft um eben diese paar hundert Kilometer verschoben wurde, und die nun mit Kleinstkind wochenweise pendeln werden, und fühle mich im Großraumabteil des ICEs schon fast zuhause, weil ich Beziehungen aufrecht erhalte zu anderen woanders.

    Aber neu erscheint mir das nicht. Meine Eltern beispielsweise leben ein ähnliches Leben (vielleicht auch, weil sie noch keine 60 sind): pendelnde Freiberufler, die sich von Projekt zu Projekt hangeln, die in den letzten dreißig Jahren mehrfach zwischen Niedersachsen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein umgezogen sind und selten mehr als fünf Jahre in einer Wohnung wohnten. Deren Jahreseinkommen mal eben um einige zehntausende schwanken kann, weil Phasen mit gutem Verdienst von Phasen mit Arbeits-/Projketlosigkeit abgelöst werden. Deren Rente unsicher und nicht sehr vielversprechend ist.

    Meine Großeltern waren, als ich klein war, über 850 Kilometer entfernt vollzeitbeschäftigt und konnten uns nicht hüten und ziehen nun meinen Eltern in immer neue Städte hinterher. Auch sie sind früher den Jobs hinterhergezogen und pendelten, um Beziehung und Familie und Job vereinbaren zu können, alle haben einige Umzüge hinter sich und keiner wohnte länger als bis Studienbeginn im Heimatort. Niemand hatte die eigenen Eltern vor Ort, als kleine Kinder zu hüten waren. Meine Großeltern allerdings haben Häuser gebaut und allesamt Rentenbezüge in einer Höhe, die das Nettoeinkommen mancher ihrer Nachkommen um ein vielfaches übertrifft. Ein guter Hochschulabschluss war zu ihrer Zeit noch ein Garant für einen sicheren Job und ein hohes Einkommen. Das ist bei uns (und bei meinen Eltern) nicht mehr notwendigerweise der Fall.

    1. Nessy sagt:

      Das, was Sie beschreiben, kenne ich nicht aus meiner Elterngeneration. In meinem Umfeld leben 95 Prozent der Eltern seit vielen Jahrzehnten an ihrem Wohnort, haben seit Jahrzehnten, mindestens aber seit vielen Jahren den gleichen Arbeitgeber, die Frauen sind gerne Vollzeit-Hausfrauen. Man wohnte beisammen.

    2. Anna sagt:

      Meine Eltern sind Jahrgang 1960, sie kommen beide aus der nordwestdeutschen Provinz und ihre Geschwister leben alle weit verstreut, keiner in Niedersachsen. Keiner hat ein Haus gebaut, keine ist Hausfrau. Nicht alle haben einen sicheren Job (außer die Ärzte und Lehrer), mehrere sind freiberuflich projektgebunden beschäftigt.

      Schon zwei meiner Urgroßväter waren nach Abschluss des Studiums viel in Europa und darüber hinaus unterwegs, zum Arbeiten. Vielleicht, das weiß ich aber nicht, hängt die Mobilität eben doch mit der Ausbildung und den Jobs zusammen.

      Was diese alten Generationen aber deutlich von uns unterscheidet, ist, dass sie sich mit ihrer Ausbildung für „was besseres“ hielten (halten konnten) und tatsächlich darauf bauen konnten, jederzeit einen sicheren, unbefristeten Job zu erhalten, der ihren (selbsternannten und ererbten) Status noch einmal untermauerte und festigte.

      Meine Großeltern hatten beispielsweise nach ihrer Übersiedlung in den Westen Ende der 1950er nach drei Wochen (!) beide einen unbefristeten Vollzeitjob im studierten Beruf (in unterschiedlichen Städten allerdings). Und einen Kindergartenplatz für meine Tante.

      Das soll heute nochmal jemand nachmachen. Nachvollziehen können meine Großeltern nicht wirklich, wie wir heute leben.

  35. Liebe Nessy
    Genau, genau, genau, genau!

  36. Johannes sagt:

    Alles richtig! Sehr gute Beschreibung der Generation und ihrer Probleme. Nur – was hat das mit der Piratenpartei zu tun???

    1. Nessy sagt:

      Steht im letzten Absatz.

  37. knus horlanski sagt:

    als teil der generation, die in den glücklichen 90ern, jenem jahrzehnt, in dem die geschichte einmal kurz die luft anhielt, groß wurde, glaube ich nicht, dass das phänomen, das hier diskutiert wird, so sonderlich neu ist. neu sind nur die bedingungen, unter denen dieser traum zu platzen beginnt:

    wir sind (im westen öfter als im osten) in der illusion aufgewachsen, dass alles möglich ist: karriere, kinder, eigenheim, fernreisen, interessante „projekte“. und diese welt fliegt nun auseinander, die versprechen, die sich auf der abifeier noch so gut anhörten, lösen sich in luft auf.

    das leben wird riskanter – aber nicht weil wir zu jämmerlich sind oder zu hohe ansprüche haben. sondern weil wir alle auf der schiefen ebene sitzen. unsere eltern werden das vermutlich noch mehr merken als wir, eben weil sie den zeitraum, in dem es irgendwie „besser“ wird, nicht mehr erleben werden. vielleicht sollte man sogar mitleid mit ihnen haben, weil sie so übelst von cdu, spd, grünen, maschmeyer, dem zdf und konsorten verschaukelt werden.

    was man macht und wie man leben will, hat immer seine wirtschaftlichen und sozialen konsequenzen, und die tatsache, dass die konsequenzen spürbarer werden, ist ebenfalls klar. familie ist riskant, zeitarbeit ist riskant, karriere ist riskant. liest man die neon oder ähnliches gewäsch, ist sie voll mit diesem risikoblödsinn: „ist mein freund der richtige?“ „soll ich meinen studiengang wechseln?“ „wann soll ich heiraten?“ „welches hemd passt zu dieser hose?“ etc.

    und wo sind die antworten?

    das problem ist glaube ich, dass wir vor lauter multioptionalität, vor lauter agieren in „netzwerken“ und vor lauter bewusster und unbewusster risikominimierung verlernt haben, entscheidungen zu fällen. wir sind in angesicht der drohenden katastrophe früh gealtert und zu bedenkenträgern geworden, aber richtig erwachsen sind wir immer noch nicht.

    Geh! gehorche meinen Winken,
    Nutze deine jungen Tage,
    Lerne zeitig klüger sein:
    Auf des Glückes großer Wage
    Steht die Zunge selten ein;
    Du mußt steigen oder sinken,
    Du mußt herrschen und gewinnen,
    Oder dienen und verlieren,
    Leiden oder triumphieren,
    Amboß oder Hammer sein.

    (hat j.w. goethe vor über 200 jahren gesagt, klingt aber immer noch aktuell)

    1. Michi Baumgarten sagt:

      Sehr gut. Sehr treffend. Und danke für Goethe. Der passt. Aber wann bitte beginnt genau der Zeitraum, an dem alles besser wird?

  38. FF sagt:

    Bodo Kirchhoff, der mir als Schriftsteller ansonsten recht weit vorbeigeht, hat dazu was Erhellendes beigetragen:

    „Das Schicksal meiner Eltern hieß Krieg – unseres heißt Banalität.“

    Gut, der Typ ist Jahrgang ’48 und steht hier wohl eher für die Großeltern-Kohorte. Trotzdem steckt da jede Menge Wahres drin!

    Hab‘ leider grad keine Zeit, das auzuschlachten. Unsere „Banalität“, also die der unter Vierzigjährigen, hat nämlich noch ’ne neue Qualität dazugewonnen: Fragilität, Brüchigkeit, Vorläufigkeit, allgemeine „Quickiehaftigkeit“.

    Will sagen: die gute, alte, gediegene „Banalität“ ist mittlerweile Luxus geworden. So weit kommen die meisten erst gar nicht mehr: Ehe, Reiheneckhaus, zwei feste Einkommen, artige Kinderchen, alle drei Jahre ’ne neue Karre vom lokalen Opel-, Audi- oder VW-Dealer, schicke Laube, kleine Ferienwohnung in der Toskana, schöne Rente… Und alles sogar meist ohne Studium!

    Wer schafft das heute noch?

    PS.: Verdanken wir übrigens nicht zuletzt den Arbeitnehmer-Verrätern von der „S“PD und ihren völlig verstrahlten grünen „Kellnern“. Billig-Jobs, Zeitarbeit, befristete Verträge, Jobcenter, Bologna-Uni-Sauce, Primat der Zahlen vor den Menschen… Wer hat’s erfunden?

    Mögen sie allesamt dafür in der Hölle schmoren… Im „Ass-Grillcenter“. ;-)

    PPS.: Merkt euch das mal schön für nächstes Jahr, Ende September…

    1. Nessy sagt:

      Fragilität, Brüchigkeit, Vorläufigkeit, allgemeine “Quickiehaftigkeit”.

      Ich sehe das gar nicht mal unkritisch. Ich könnte genauso gut einen Text schreiben, in dem ich unserer Generation – und mir selbst – den Spiegel vorhalte und in den Hintern trete. Wir wollen ja die vielen Möglichkeiten, die sich uns bieten, wir sind schwer zu frieden zu stellen – und das Reiheneckhaus kommt uns spießig vor.

  39. knus horlanski sagt:

    der beginnt dann, wenn wir die autonomie über unser eigenes handeln wiedergewinnen und die produktionsmittel vergesellschaftet worden sind. nee, echt jetzt. ich glaube tatsächlich, dass wir an irgend einer form von kommunismus nicht vorbeikommen, um die welt zu retten.

    bis dahin wird man für das bessere leben an überlebenstechniken wie steuerhinterziehung, schwarzarbeit, blaumachen und kleinst-gartenbau nicht vorbeikommen. flexibilisierung von unten quasi. aber auch das wäre schon ein fortschritt.

    1. Michi Baumgarten sagt:

      Die Antwort auf einen versagenden Staat ist also noch mehr Staat? Bitte nicht.

    2. knus horlanski sagt:

      mann mann mann. deswegen sage ich ja „irgend eine“ form, und mit „irgend eine“ meine ich nicht den schrott den es im ostblock gab. und auch nicht den schrott den die linkspartei will, diesen paternalistischen unfug der besitzstandswahrer und verdi-betriebsräte.

      wenn ich kommunismus denke, dann denke ich an opensource hardware und software, kleine lokale einheiten, re-regionalisierung von stoff- und wertschöpfungsströmen u demokratische verwaltung von allmendegütern, gleichzeitige globale vernetzung und freier fluss von wissen und information.

      ob man für solche ideen unbedingt den marx mit seiner holzschnittartigen dialektik herauskramen muss oder ob man nicht einfach mal auf lokaler ebene sachen ausprobieren sollte, lasse ich mal offen. man muss einfach mal die technik und die freiheiten unserer arbeitsteiligen gesellschaft nutzen und was gutes damit machen. etwas was über die optimierung unseres lebenslaufs hinausreicht.

  40. Michi Baumgarten sagt:

    Wer BGE will, muss auch Kapitalismus wollen. Wo soll die Kohle sonst herkommen? Und überhaupt: Jede Form der Staatlichkeit ist immer ungerecht. Weil Gerechtigkeit nur als erträumtes Konzept existiert. Wie Religion.

  41. Lichtecho sagt:

    Sicherlich eine ehrliche und gute Beschreibung eines Lebensgefühls. Ich kapiere aber ehrlich gesagt nicht, was das mit den Piraten zu tun haben soll. Wieso treibt einen dieses Lebensgefühl in die Arme ausgerechnet dieser Partei? Ich sehe da keinen Zusammenhang. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Ansatz „Generation Piraten“ überhaupt gut ist.

    1. Nessy sagt:

      Was das mit den Piraten zu tun hat, steht spätestens im letzten Absatz:

      „Aus Protest oder weil sie das Gefühl haben: Das sind welche von uns. Die leben wie wir, die verstehen etwas von unserem Leben, die bewegen noch einmal grundsätzlich etwas – und schrauben nicht nur am Vorhandenen herum.“

      Es gibt niemanden, durch den ich mich in der Politik vertreten fühle. Die einzigen, von denen ich immerhin der Meinung bin, sie würden meine Lebensumstände verstehen, sind die Piraten. Ob das stimmt oder ob die Piraten nur eine „Blase“ sind, wie weiter oben beschrieben wurde, wird sich mit der Zeit zeigen.

  42. Norbert sagt:

    Was für ein Blödsinn. Ich lese da immer nur „Wir wollen …“.

    Klar, man will ein bedingungsloses Grundeinkommen usw. usf.

    Aber all das muß auch von irgendwem finanziert werden. Der Adressat für diese Meckereien ist nicht die Generation derer die es gewohnt sind daß man für Geld auch arbeitet. Der Adressat müßten vielmehr die Politiker sein die unser Geld mit vollen Händen rauswerfen.

    Ich kann aber nicht sehen daß ausgerechnet die Piraten an dieser Politik etwa ändern, sie reihen sich zwischen Grün und Rot ein und wollen diesen Irrsinn noch weiter treiben.

    1. DasSan sagt:

      „die Generation derer die es gewohnt sind daß man für Geld auch arbeitet.“ – sehr nett, wohl eher (im Vergleich zu heutigen Situationen) die Generation derer, die es gewohnt waren, für Arbeit auch Geld zu bekommen statt schlecht bis gar nicht bezahlte Praktika und Einstiegsjobs aneinander zu reihen.

  43. susa sagt:

    Norbert, ich glaube, Sie WOLLEN Nessy absichtlich missverstehen. Sie hat nirgendwo behauptet, dass die Piraten eine politische Alternative darstellen und empfohlen, diese zu wählen oder das als sinnvoll bezeichnet. Sie hat nur sehr anschaulich dargestellt, wie es in der
    Generation der heute 30- bis 40-jährigen aussieht. Und dass diese Generation eine höhere Affinität zu den Piraten hat und diese eher ggf. auch einfach nur aus Protest wählen würde als irgendeine andere Partei. Weil die aktuelle Politikergeneration und die Generation der 50+ oder 60+ diesen Menschen weder eine Perspektive geben können, noch ernsthaft den Eindruck zu erwecken suchen, sie wollten das wenigstens.

    Diese Generation ist glaube ich inzwischen so abgeklärt, dass sie von niemandem erwartet oder niemandem zutraut, die von Nessy geschilderten Probleme zulösen, aber vielleicht dass jemand es schafft, verkrustete Strukturen aufzubrechen, ein paar eingefahrene Seilschaften zu stören und vielleicht einfach mal Dinge anders zu beurteilen, einmal neue Fragen zu stellen, die anderen einfach in ihrem wohligen Bettchen mal die Bettdecke wegziehen.

    Die Grünen haben auch mal als monothematische Partei angefangen, von der sich die damalige Generation der um die 30jährigen besser repräsentiert und verstanden fühlte und sie haben politisch ziemlich dazugelernt (was natürlich auch bedeutet, dass sie jetzt rund geschliffen sind); wieso soll eine andere Partei das nicht auch so schaffen. Allemal besser als das, was sich am braunen Rand hier zusammenbraut, DA hab ich wirklich Angst vor.

    1. Nessy sagt:

      Danke – ja, so ist es.

  44. destello sagt:

    Ich bin vielleicht schon ein bisschen älter als Sie (Jahrgang 1970), aber ich kann davon in meiner direkten Bekanntschaft nicht viel erkennen. Sowohl mein Bruder als auch meine engsten 6 Freunde sind entweder in derselben Stadt geboren, aufgewachsen, haben studiert, leben dort (oder im Speckgürtel) und arbeiten da; oder sie sind zwar woanders aufgewachsen, haben aber seit mindestens 10 Jahren einen festen Wohnort, den sie seitdem auch nicht mehr geändert haben. Genau dieses „dass sie kein Ende dieser Situation sehen“, kenne ich merkwürdigerweise aus meiner Umgebung nicht.

    1. Sascha sagt:

      Also ich bin auch von Jahrgang 70 und ich kenne das durchaus. Auch wenn die meisten meiner Freunde tatsächlich noch hier in der Nähe arbeiten.
      Ich denke hier macht es aber auch extrem viel aus, wo man wohnt. Bei mir ist es immerhin eine 250+k Einwohner Stadt. Da ist die Wahrscheinlichkeit einen Job in der Nähe ja deutlich größer, als wenn man irgendwo auf dem „Land“ wohnt.
      Aber die Zeiten wo man früher gesagt hat „Einmal %grosserFirmenname% immer %grosserFirmenname%“ sind halt schon länger vorbei. Von daher kann man dort auch nicht mehr von wirklicher Sicherheit sprechen.

      Ich kann den Text von Nelly 100%ig unterschreiben.
      Uns geht es nicht schlecht, aber von der „Made im Speck“ sind wir aber auch weit entfernt…

  45. DasSan sagt:

    Toller Beitrag, wirklich so einer, wo ich immer wieder denke: genau so sieht’s doch aus.
    Dieses ständige Gefühl von Unsicherheit im Leben, das eher schlimmer statt besser wird, kann einen ganz schön zermürben.

  46. cristina sagt:

    word! aber sowas von!

  47. mrskona sagt:

    Frau Berg hat recht: ein prima Text!!

  48. Herr Dings sagt:

    danke dafür, liebe Nessy. Das spricht mir aus der Seele

  49. gemeinsamleben sagt:

    Absolut und gut auf den Punkt gebracht. Eine Hilfeschrei – zu Recht. Bedauerlich, vielleicht auch beschämend für die Demokratie und die sich entwickelnde Gesellschaftsstruktur der BRD, dass dieses große Programm nun auf die Schultern einer überhaupt nicht dafür ausreichend gerüsteten Partei niedergelegt werden will.

  50. Berlinpirat sagt:

    Herzlichen Dank für diesen kurzen Anriss der Probleme, Beweggründe und all dieser Gedanken. Diesen Text könnte man noch lange fortsetzen aber er bringt bereits sehr schön rüber, worum es geht. Danke!

  51. Ja, und wenn die Piraten mal groß sind und alt und so…also so wie die Grünen heute….dann werden wir vielleicht auch nur noch damit beschäftigt sein UNSEREN Wohlstand zu wahren und der Jugend, unseren Kindern diese Aufgabe für sich selbst überlassen. Irgendwie war es schon immer so. Oder täuscht das? Das ist der Preis der Macht.

    1. Nessy sagt:

      Ich würde nicht sagen, dass die „Alten“ nur ihren Wohlstand wahren, nicht im Kleinen und auf familiärer Ebene. Es gibt sehr viele Eltern und Großeltern, die sehr viel geben – Zeit und Geld.

  52. Riffer sagt:

    Danke liebe Nessy!

    Wieder einmal auf den Punkt gebracht. Und viele der Kommentare fragen nicht ganz ohne Grund danach, was das mit den Piraten zu tun hat.

    Ich selber habe mir schon seit einigen Jahren ein Bild der Piratenpartei gemacht. Und wieso? Nicht nur weil sie neu sind, sondern weil sie tatsächlich transparent sind, und weil es dort überhaupt geht – versucht mal hinter die Kulissen der etablierten Großparteien zu schauen.
    Wenn man will kann man bei den Piraten auch mitmachen ohne selber Mitglied zu sein; wenn man seine Stimme nicht zur Wahl einfach abgeben will, sondern auch während der Legislatur-Periode mitbestimmen will, bei den Piraten geht auch das. Denn die sind dermaßen basisdemokratisch aufgestellt, dass es teilweise schon wieder hinderlich erscheint. Lese ich über andere Parteien, so bekomme ich dort nur den Eindruck von Seilschaften die sich gegenseitig schützen. Bei den Piraten fliegen intern auch gerne mal die Entermesser durch die Gegend ohne dass dabei jemand verletzt wird.
    Ich wähle die Piraten. Wieso? Nicht weil ich fest daran glaube, dass sie es besser können als andere. Aber ich hoffe, dass sie die Chance ergreifen werden es vielleicht besser zu machen. Als Gegenbeispiel sind die Grünen mittlerweile in meinen Augen eine dermaßen etablierte Partei, dass sie mir schon wieder zu konservativ sind – und wer sich die Alterstruktur der dortigen Politiker anschaut….
    Auch die Themen die sie ursprünglich mal hatten sind weitest gehend von anderen Parteien adaptiert worden. Das Grüne Wahlprogramm wird laut einem heutigen Artikel in Zukunft ‚in Teilen‘ (vermutlich die Unwichtigen?) vielleicht auch von der Basis mit erarbeitet werden. Das
    ist bei den Piraten gar nicht anders möglich! Da wird das gesamte Programm durch demokratische Prozesse erarbeitet und nicht nur ein paar hingeworfene Häppchen!

    Aber auch ich glaube nicht, dass die Piraten am Anfang gleich alles richtig machen werden. Aber sie sind so ehrlich das auch gar nicht erst von sich zu behaupten. Sie lassen sich ihre jeweilige Position zu Themen die sich nicht vertreten können gerne von der eigenen Basis erarbeiten. Und in dieser Basis finden sich meist auch Leute die das Thema tatsächlich Sachkundig bearbeiten können. Bei den etablierten Parteien scheinen aber nur Tausendsasas zu existieren die einfach alles können. Wenn ich da nur an die Frau mit dem Adelstitel denke, die ist auch so ein Superexperte für alles.

    Bei den Piraten kann ich recht einfach den demokratische Prozess mitverfolgen, sie haben Mailinglisten die auch Nicht-Mitgliedern offen stehen und erlauben mir auf diese Weise einen sehr guten Einblick in deren Arbeit und Meinungsfindung. Wer schon mal einen Livestream eines Piratenpartei-Tages angeschaut hat, wird sich fragen wie das eigentlich funktionieren kann. Es funktioniert aber sehr gut. Und es fühlt sich für mich immer noch richtig an.

    Deshalb gebe ich meine Wahl-Stimme nicht einfach ab, sondern leihe sie in eine Partei bei der ich – wenn ich es will – aktiv mitarbeiten kann und die mich gegebenenfalls immer wieder nach meiner Meinung fragen würde, wenn ich das denn so will.

    1. Nessy sagt:

      Ganz so enthusiastisch bin ich nicht. :-)
      Aber danke für den Beitrag.

  53. Lobo sagt:

    Einen lieben Gruß und einen „Herzlichen Glückwunsch“ zum Erscheinen in der Süddeutschen soll ich von meinen Eltern ausrichten.
    Beide sind zwar noch nicht richtig im Inet angekommen, interessieren sich aber sehr für Politik und beobachten das Geschehen sehr genau.
    „Oh dat is ja allerhand“ war der Kommentar meines Vaters bezüglich des Artikels, was in der typisch norddeutschen, zurückhaltenden Art : Super gemacht ! heißt ;-)

    1. Nessy sagt:

      //*lacht herzlich
      Gruß zurück!

  54. Smilla sagt:

    Ich denke, unser Dilemma (selbst Jahrgang 1980) ist auch die große innere Unabhängigkeit, die wir uns beruflich und gedanklich wünschen und aus der wir dann geisteswissenschaftliches Studium, Job in Medien oder Informatik o.ä. ableiten. Wie oben schon jemand sagte: Uhrmacher oder Bäcker kann man immer noch werden und vor Ort jahrlang bleiben. Die große Freiheit, Selbstverwirklichung und Kreativität hat eben die Kehrseite, dass die Jobs jeweils nur kurz dauern oder sich geographisch verschieben.
    Vielleicht müssen wir selbst auch wieder entdecken, dass man, um im bekannten, unterstützenden Umfeld zu bleiben, auch in manchen Aspekten auf die eigene Selbstverwirklichung verzichten und einen „langweiligeren“ Job machen muss… (selbst Neigungsstudium Germanistik, Politik, Journalistik; nach zwei Jahren Einstiegsversuchen und Praktika mittlerweile seit drei Jahren in der gehobenen und unteren Personalberatung).

    1. Nessy sagt:

      Sehe ich auch so. Wie ich weiter oben schonmal schrieb, könnte ich – statt dieses Beitrags – auch einen kritischen Beitrag über unsere eigene Generation schreiben, über den Anspruch, alles haben und erreichen zu wollen, immer und überallhin reisen zu können und etwas darstellen zu müssen. Natürlich: Nicht alles trifft auf alle zu, aber wir sind nicht nur Opfer einer Misere.

  55. Für den Text und besonders den Absatz mit dem Pfründesichern würde ich Ihnen am liebsten noch einen zweiten Plaumenschnaps schicken.

    1. Nessy sagt:

      Nur her damit!
      … oder, besser nicht: Ich trinke erst den vorhandenen aus. Das dürfte ausreichend sein.

  56. Oliver sagt:

    Ich sehe da in der Tat auch ein Generationenproblem. Ob das letztlich bedeuten muss, dass man die Piraten wählt, sei mal dahin gestellt. Ich finde aber, dass die Piratenpartei inzwischen eine wichtige politische Strömung darstellt, die in erster Linie durch das geprägt ist, was viele (nicht alle) junge Menschen bewegt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Macht der Piraten zunehmen wird. Auch bin ich mir ziemlich sicher, dass die Piraten über kurz oder lang mit ihrer Erfahrung wachsen werden. Und dass ihnen Ähnliches wie damals den Grünen bevor steht: die Fundi- bzw. Realo-Frage!

    1. Nessy sagt:

      Die Piraten werde noch ganz schwierige Phasen durchmachen, vielleicht werden sie gestärkt daraus hervorgehen, vielleicht werden sie zerbrechen. Aber sie werfen wichtige Fragen auf, trauen sich etwas und lösen verkrustete Strukturen. Das ist schonmal viel wert.

  57. KittyB sagt:

    Du sprichst mir aus der tiefsten Seele! Ich bin 31, habe studiert, stehe seit 10Jahren im Berufsleben und bin momentan schwanger. Mir geht es gut – ich habe mit meinem Mann eine kleine Wohnung und ein (altes) Auto, wir haben genug zu essen und Kleidung. Eigentlich könnten wir glücklich sind. (und sind es meistens auch) Aber dann kommen die Sorgen – was wird morgen? Die Wohnung wird bald zu klein sein, aber die horrenden Mieten einer größeren Wohnung können wir uns nicht leisten, ich will meinem Kind vieles bieten können wenn es größer wird. Aber es fängt schon beim Kitaplatz an – wenn man überhaupt einen Platz findet, dann nur zu sehr kurzen Zeiten. Allein der Blick in die nahe Zukunft macht einem Angst und Bange – die Mieten, Gas, Strom, Benzin, Versicherung – alles steigt weiter rapide, das Einkommen aber nicht in gleichem Maße. Wie sollen wir das meistern? An ein Eigenheim oder ein Fernreise denke ich da schon gar nicht mehr.
    Naja, Hauptsache wir sind gesund – denn an die anderen Möglichkeiten möchte ich erst recht nicht denken.

  58. frauvau sagt:

    Schwieriges Thema, aber so gut beschrieben! Allein dafür – Danke!
    Ja, natürlich auch Glückwunsch zum Erscheinen in der Süddeutschen!
    Es gibt so viel zu diesem Thema zu sagen.. Ich bin nun auch eine „andere Generation“.. (wirklich? Bin ich schon so alt?) Jahr gang 1965. Ich habe sehr früh angefangen zu arbeiten, auch Rentenbeträge einzuzahlen, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung etc. Ich habe geheiratet, zwei Kinder bekommen, trotzdem so weit wie möglich weitergearbeitet (Teilzeit, Nebenjob uvm.), mich dann aber von meinem Mann getrennt, mich selbstständig gemacht – und jetzt? Bin ich Ende Vierzig und muss mir eingestehen, dass ein Rentendasein in Deutschland für mich nicht möglich sein wird. Meine gesetzlichen Rentenansprüche sind fast nicht erwähnenswert. Momentan bezahle ich, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten kann, in eine private Rentenversicherung, von der ich nicht weiß, ob ich wirklich mal etwas davon haben werde. Wir leben sehr sparsam und werden noch bestraft dafür. Mein Sohn findet keinen Ausbildungsplatz und ist daher auf eine privat finanzierte Ausbildung umgestiegen. Meine Tochter geht noch zur Schule, was sie aber studieren könnte, weiß sie noch nicht – wie auch?
    Dann sehe ich aber auch Menschen, die von einem geringen Einkommen weit über ihre Verhältnisse leben, zwei Autos haben, Flachbildfernseher, Multimedia, Spielekonsolen, vielleicht sogar ein Eigenheim.. woher? Ich habe noch gelernt (und bin dankbar dafür!) nur Geld auszugeben wenn man es auch hat. Meine Eltern waren auch selbstständig, daher kenne ich auch schon daher das Gefühl der ständigen Unsicherheit, ob das Geld noch reicht. Sicher, jetzt geht es ihnen gut, sie haben aber auch sehr hart dafür gearbeitet und sind leider nicht mehr in der Lage, das Gefühl zu genießen.
    Sicher weit am Thema vorbei.. aber es gehört doch vielleicht auch dazu. Auch meine Generation kennt das Gefühl. Und noch mehr .. das Gefühl, in meinem „Alter“ schon zum alten Eisen zu gehören.. nicht mehr vermittelbar zu sein, wenn es denn mal mit der Selbstständigkeit nicht mehr funktionieren sollte. Die Angst, die Krankenkasse oder die Miete nicht zahlen zu können. Dass ich krank werden könnte. Oder meine Eltern pflegebedürftig. Von den „normalen“ Grundängsten gar nicht zu reden.
    Ob ich die Piraten wählen würde? Eher nicht.. ich erwarte dann doch ein paar Lösungsvorschläge. Noch bin ich nicht sicher, was oder wen ich dann wirklich wähle, nur ganz sicher, wen nicht.

  59. Chris sagt:

    Full Ack – Unterschreibe ich so wie es da steht

    1. Stuff sagt:

      Willkommen beim Ende der Nachkriegsära!
      Ich denke den meisten Postern hier ist nicht klar, dass sie in einer Staatsfarce, dem Chapter-11-Staat Bundesrepublik Deutschland Ges.m.b.H. leben, dass noch immer kein Friedensvertrag (mit der Konsequenz Reparationszahlungen – die letzten Raten aus Weltkrieg 1, in Worten: Eins, sind ja vor nicht so ganz zwei Jahren abbezahlt worden!) existiert, denn diese in Deutschland grössenwahnsinnig 2+4-Verhandlungen genannten, in Wirklichkeit aber 4+2-Verhandlungen sind nur die Fortschreibung eines scheinbar unsichtbaren Besatzungsregimes; exekutiert von Einheimischen.

      Macht endlich Staat, einen eigenen!

      Gruss aus Bratislava.

  60. Grandios. Ich glaube das ist der beste Text, den ich dieses Jahr bisher gelesen hab.

  61. Pess sagt:

    Schön, daß mal einer (eine) das vielfach vorhandene, aber leider so schwer auszudrückende Gefühl in Form gebracht hat. Die Politik von heute kreist nur noch um sich und um die eigene Wiederwahl. Ich habe so viele Typen von dieser Sorte erlebt, daß es einen würgt und leider auch abschreckt, sich selbst zu engagieren (und das beginnt schon in einer Kleinstadt). Die Piraten sind der erste Ansatz, der mich von meinem Entschluß nie wieder wählen zu gehen abbringen könnte. Schön geschrieben – Danke!

  62. Jeeves sagt:

    Auch der Don erwähnt Ihren obigen Beitrag in seinem FAZ-Blog.

  63. auch ne meinung sagt:

    Ein wirklich interessanter Beitrag! Aber aus der Perspektive des ca. 15 Jahre Älteren sieht die Sache auch nicht rosiger aus. Wer sich ein paar Gedanken machte, damals, als die Berufsentscheidung, nach Studium, Promotion, Postdoc, Orientierungsjahren etc. pp. anstand, wußte, daß es keine sicheren Jobs mehr für die Zukunft geben würde. Also trotzdem Kinder und raus aus Deutschland, weil dort Kinderbetreuung kein Fremdwort ist und Firmen (damals?) noch gute Positionen für Frauen mit Kindern bereit hielten.

    Ich habe mich in Selbstständigkeit geübt, nachdem die Übernahme des Familienbetriebs zu sehr nach Finanzierung des Ruhestandes der Altvordern bei sich stark eintrübenden finanziellen Rahmenbedingung aussah. Mit 70 oder älter hätten wir dann in der selben Klemme mit der Nachfolgersuche gesteckt, wenn wir es so lange überhaupt durchgehalten hätten.

    Also: Essen kochen und Kinder betreuen in den Ferien, Kinderhintern und -kotze wischen, Fieber messen und senken, Trost spenden wo eigentlich Verzweiflung ist, Urlaubsautos packen und Großeltern mit Enkeln beglücken, aber selbst am Ende der Feiertage/Ferien weniger erholt als vorher dastehen. Haus kaufen und bezahlen, um irgendwo eine Bleibe zu haben. Und zusehen, wie die eigene Qualifikation von der Zeit aufgefressen wird und eigentlich keine Perspektive für die nächsten 30 Jahre im Berufsleben sich irgendwo auch nur als blasser Hoffnungsstreifen an irgend einem Horizont zeigen will.

    Im Kern stecken wir in einer Gesellschaft fest, die an den Rand des Wachstums und des Wohlstandszuwachses gekommen ist, auch und gerade wegen des Egoismus der Besitzenden, die nicht für den „Sozialklimbim“ in diesem Land aufkommen wollen. Eine innere Kündigung der oberen 5%, deren Banken wir bei jeder Gelegenheit retten, aber es huldvoll „Griechenlandrettung“ nennen, damit es nicht so peinlich wird.

    Ober nehmen wir die RAF. Aufgewachsen sind wir in den 70ern mit Christian Klar als dem Schrecken einer ganzen Gesellschaft. Heute läuft er frei rum und nach NSU und dem x-ten Buback Prozeß fragt man sich, wer hier eigentlich wen terrorisiert, instrumentalisiert und an der Nase herum geführt hat.

    Dies alles hat in erster Linie wenig mit dem Internet oder gar den Piraten zu tun. Aber die so Frustrierten (als Nichtwähler) projezieren in der allgemeinen Ratlosigkeit die verbliebene Hoffnung auf eine Änderung der Verhältnisse, Offenheit, klareren Umgang mit Debatten, ohne Geschäftsordnungstricks (wie sie gerade für den Bundestag diskutiert werden) und ähnliche Sperenzchen. Endlich klare Entscheidungen im Interesse der Zukunft, statt eine Verwaltung der Pensionsansprüche von diesem Taxifahrer Fischer und Konsorten.

    Jetzt kommen wieder die Rentner um die Ecke, mit „Jammern auf höchstem Niveau“ und erzählen ihre Geschichtchen von Fluch aus der Täterää im zarten Kindesalter, self-made man Geschichten aus den 70ern und allem Drum und Dran. Das die Staatsschulden von heute auch IHR persönlicher Reichtum sind, dafür reichen die mathematischen Grundkenntnisse leider nicht aus. Das in einer demographisch schrumpfenden Gesellschaft, in der sich die Besitzenden vom Staatswesen und dessen Finanzierung weitgehend abkoppeln, eine Zukunft für die jüngeren Generationen nicht möglich ist, will so recht niemand wahrhaben und wird auch schon mal sehr gereizt aufgenommen, positiv ausgedrückt. Und so wird das zu kurze Weltbild der Alten zum Zukunftskiller für die Jungen.

  64. bestpilot sagt:

    volles Verständnis für diesen Text, sehr gut. Nur warum man aus diesen Gründen Piraten wählen sollte verstehe ich nicht.

  65. mrjerk sagt:

    Es gibt Blog-Einträge im Internet, die liest man, und ärgert sich danach über die verlorene Zeit.
    Es gibt Blog-Einträge, die liest man, und denkt sich „stimmt schon, aber neu ist da auch nicht viel“
    Es gibt Blog-Einträge die taugen für ein Stammtisch-„Jawoll-Richtig so!“…aber nicht zu mehr.

    Und es gibt Blog-Einträge, die liest man wieder und wieder, weil da jemand so exakt, präzise und klar den Kern eines Themas oder eines Problemes zu beschreiben versteht, dass man nur so ins Staunen kommt.

    „Ergänzende Worte zu den Piraten“ gehört zu letzteren. Bravo & absolut „wow“!

  66. Da möchte ich auch meine Unterschrift druntersetzen… Ich wähle zwar nicht die Piraten (noch nicht?), aber den Kern des Artikels kann ich trotzdem definitiv unterschreiben.

    Viele Grüße
    Nele
    (derzeit in Fernbeziehung aus Jobgründen, Zeitarbeit, deshalb noch kinderlos und planlos für die Zukunft)

  67. lana74 sagt:

    Ich kann es absolut nachvollziehen und finde beide Artikel super… ich bin zwar nicht der Typ für Zukunftsängste, aber ich bin mit Ende 30 auch kinderlos in einer kleinen Wohnung und habe keinerlei Verpflichtungen außer mir selber gegenüber…. vielleicht ist das so, weil die Gesellschaft (aus genannten Gründen) mich unbewusst geprägt hat und ich als Freiberufler lieber auf Nummer sicher gehen will. Fixkosten gering halten, um die Altersvorsorge selber kümmern, nicht mehr in Urlaub fahren, weil man sich das ehh nicht leisten kann und vielleicht ja ein guter Job rein kommt… ich mag ja Berlin, ich brauch das nicht…. man packt sich sein Leben zurecht, damit man glücklich ist, mit dem was man hat.

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