Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Traum

30. 04. 2012  •  25 Kommentare

In aller Regel träume ich großen Quatsch.

Heute Nacht war ich mit dem Auto unterwegs. Als ich auf dem Weg kurz anhalte, austrete und danach die Tür wieder schließen möchte, sehe ich im Augenwinkel etwas ins Auto fliegen. Ich denke, es sei ein Vogel, suche, blicke mich um, aber finde nichts. Ich bin mir sicher, dass ich mich geirrt habe, steige ein und fahre weiter.

Wieder auf der Autobahn, bewegt sich plötzlich etwas im Auto. Ich entdecke einen kleinen, rosa Elefanten, so groß wie ein Fußball, mit üppig bemessenen Ohren und murmelblauen Augen. Er kommt unter dem Beifahrersitz hervor, legt den Kopf schief und blickt mich an. Er ist so rosa, dass er fast durchscheinend ist. Gut gelaunt hüpft er durch den Fußraum.

Irgendwo nehme ich mir ein Hotel. Es ist ein Haus mit engen Fluren und dicken, rotbraunen Teppichen. Die Rezeptionistin fragt, ob ich Haustiere mit mir führe. Ich sage: „Nur einen rosa Elefanten.“ Sie lacht, sagt: „Also nein“, und gibt mir meine Zimmerkarte. Der Elefant und ich steigen in den Aufzug und fahren in den vierten Stock. Er geht mir nur bis zum Knöchel und wippt wildvergnügt zur Fahrstuhlmusik.

Als die Fahrstuhltür aufgeht, erschreckt der kleine, rosa Elefant – ich weiß nicht, warum. Er galoppiert hektisch den Flur hinunter, schlägt links gegen die Wand, rechts gegen die Wand, wie ein Flummi, und verschwindet am Ende des Flurs in ein Treppenhaus. Ich lasse meinen Koffer stehen, bin in Sorge. Ich laufe durchs Treppenhaus, laufe hinunter, wieder hinauf, durch Gänge, in Abstellkammern, zurück ins Erdgeschoss, durch weitere Gänge, hinaus auf den Vorplatz und suche den Elefanten.

Aber er ist weg und kommt nicht wieder.

Frühlingstag

28. 04. 2012  •  50 Kommentare

Liebes Tagebuch, heute habe ich …

… ein rosa Blümchen gekauft.

Blümchen in der Blühbirne

Blümchen in der Blühbirne

… der Winkequeen und der Winkeblume beim Winken zugeschaut. Hamma, was bei praller Sonne geht. Die Winkeblume hat sich in einen totalen Rausch gewinkt.

Winkequeen mit Winkeblume

Winkequeen mit Winkeblume

… einen Haufen Blumen gekauft und den Balkon gepimpt. Danach auf den Balkon gelegen, Musik gehört und in der Sonne gechillt. Im Bikini. Im April. Goil.

Balkon gepimpt.

Balkon gepimpt.

… lecker gekocht: Hähnchenkeule auf Spargel und Rhabarber. Mit Sekt und Rosmarin. Ein Rezept von Frau Juliane. Der Sektgeschmack war super. Morgen gibt’s die zweite Portion.

Hähnchenkeule mit Spargel und Rhabarber

Hähnchenkeule mit Spargel und Rhabarber

… die zuletzt gelesenen Bücher fotografiert. Diesmal wieder mit Hund.

tschick, River, Das wird ein bisschen wehtun

Bücher

Wolfgang Herrndorf. tschick.
Maik ist ein Langweiler. Er steht auf Tatjana, traut sich aber nicht an sie ran. Dann feiert Tatjana Geburtstag, aber Maik ist nicht eingeladen. Es sind Sommerferien, Maiks Mutter ist in der Entzugsklinik, und sein Vater ist mit seiner Geliebten auf Geschäftsreise. Dann steht plötzlich Tschick mit einem geklauten Lada in der Auffahrt von Maiks Elternhaus. Eine wilde Fahrt beginnt. – Ein prima Roman, kurzweilig und temporeich. Die einfache, unverblümte Sprache gefällt mir. Kann man gut lesen.

Donna Milner. River.
Kanada, 1960er Jahre. Natalie Ward lebt mit ihren Eltern und ihren Brüdern auf einer Milchfarm. Eines Tages steht River, ein Hippie aus den USA, auf dem Hof. Das Leben der Familie nimmt eine Wendung. – Ein eindringlicher Roman. Irgendwann habe ich geahnt, welche Richtung die Geschichte nimmt. Aber das hat sie nicht minder spannend gemacht.

Stefan Schwarz. Es wird ein bisschen wehtun.
Max ist Mitte 40, mit Dorit verheiratet und in seine Kollegin Nergez verknallt. Als sein Sohn Konrad seine erste Freundin anschleppt und sein Vater pflegebedürftig wird, kommt er in eine Lebenskrise. – Das Buch beginnt gut, die Geschichte hat Potential. Aber dann wird sie schnell stereotyp. Besonders die Story rund um die dicke Vroni, die Fernsehjournalist Max mit einer neuen Badewanne beglückt, ist plump und dümmlich. Fazit: geht so.

… und weil wir ein wichtiges Spiel haben, habe ich dann noch mein Hello-Kitty-Glückstattoo aufgeschnallt.

Hello-Kitty-Glückstattoo

Hello-Kitty-Glückstattoo

Ein toller Tag.

Tschüs,
Deine Frau Nessy

Frau Nessy goes Superblog

20. 04. 2012  •  39 Kommentare

Wenn Sie bitte für mich abstimmen mögen:

Frau Nessy wird Superblog

Die Abstimmung läuft schon seit dem 17. April. Ich habe vergessen, sie hier zu posten. Deswegen ist der Zug wahrscheinlich schon abgefahren, aber wir können es ja trotzdem probieren. Ich kann reich und berühmt werden. Und vor allem kann ich ein ipad3 gewinnen.

Im Zug

19. 04. 2012  •  59 Kommentare

Gestern bin ich zum ersten Mal 1. Klasse gefahren.

Der ICE ist auch in der 2. Klasse ein bequemer Zug, aber ich wurde eingeladen. Also steige ich ein, wo ich sonst nie einsteige, sondern höchstens rasch hindurchlaufe, wenn ich mal wieder an der falschen Stelle am Bahnsteig stehe. Ich richte mich auf meinem Sitz ein, die Landschaft fliegt vorbei, und ich bemerke schnell, dass die 1. Klasse sich nicht wesentlich von der 2. Klasse unterscheidet, außer dass jede Stunde ein kostenloses Duplo gereicht wird und man Getränke an den Platz bestellen kann.

„Latte Macchiato“, sagt der Mann hinter mir. Die Zugbegleiterin erklärt bedauernd, dass dieser Zug noch nicht mit einer entsprechenden Kaffeemaschine ausgestattet sei. Sie könne Kaffee oder Cappuccino anbieten.

„Was soll das sein, Cappuccino?“, schnauzt der Mann. Die Frau erklärt: Cappuccino sei Kaffee mit Milch.

„Was soll das sein, Cappuccino?“, wiederholt der Mann. Die Ratlosigkeit der Zugbegleiterin angesichts dieser erneuten Frage ist mit Händen zu greifen. „Cappuccino?“, fragt der Mann weiter. „Woraus besteht Cappuccino? Wissen Sie das?“ Offenbar ist das jetzt eine Quizshow.

„Der Kaffee und der Cappuccino sind aus Pulver“, sagt die Zugbegleiterin.

„Pulver also. Und die Milch? Sie wollen mir also erzählen, dass Sie in der Küche ein Spiegelei braten können, aber Milch aufschäumen kriegen Sie nicht hin?“

Ich drehe mich um. Der Mann ist Mitte fünfzig, hat graues Haar und feiste Lippen. Die Zugbegleiterin erklärt, dass wir uns in einem Zug befinden und es nicht alle Möglichkeiten einer Restaurantküche gebe. Sie frage aber gerne einmal nach, ob nicht doch etwas zu machen sei. Etwas Geduld bitte. Gleich wieder da.

Ich denke: Fetter Respekt, Hut ab und so. Sehr professionell. Und schäme mich für meinen Mitreisenden. Kennen Sie das? Sie möchten am liebsten aufspringen und rufen: Wir sind nicht alle so! Echt nicht! Ich bin auf deiner Seite!

Die Zugbegleiterin kommt wieder. Sie könne einen Becher Kaffee und einen weiteren Becher mit aufgeschäumter Milch anbieten. Das könne der Herr dann ineinander kippen.

„Meinetwegen“, sagt er. „Aber in Hannover muss ich aussteigen. Schaffen Sie das? Und die Milch warm, ja, haben Sie das verstanden? Sonst ist alles für die Katz.“

Es seien noch 45 Minuten bis Hannover, antwortet die Zugbegleiterin, selbstverständlich bringe sie die Getränke sofort. Nur fünf Minuten später kommt sie wieder und stellt ihm zwei Becher hin.

„Und wie soll ich das jetzt ineinander kippen? Da müssen Sie mir schon einen dritten Becher bringen!“, sagt der Mann, und das ist spätestens der Moment, in dem ich ausgerastet und hinausgerannt wäre, die Kabinenverkleidung eingetreten und vor Wut auf die Anrichte der mobilen Küche gehauen hätte, dass die Tassen springen. Doch die Zugbegleiterin sagt nur: „Selbstverständlich. Bringe ich Ihnen. Das macht dann 5,20 Euro für die beiden Getränke.“

„Jetzt soll ich auch noch beide bezahlen?“, fragt er, und ich denke: Und 3 Euro Trinkgeld kannst du ihr auch noch geben, dafür dass du so ein Kotzbrocken bist. Aber er lässt sich das Rückgeld abzählen.

Als er in Hannover seinen Platz verlässt, liegt der Boden vor seinem Sitz voll mit FAZ und Süddeutsche. Man könnte meinen, er habe dort renovieren wollen und habe Zeitungen ausgelegt, damit nichts auf den Teppich komme. Die Zugbegleiterin beugt sich hinunter, kriecht unter den Sitz, sammelt alles auf und nimmt es wortlos mit.

Vier Bücher

15. 04. 2012  •  18 Kommentare

Die vier Bücher der vergangenen Wochen:

Bücher

Johanna Adorján. Eine exklusive Liebe.
Vera und István sind ungarische Juden. Sie überlebten den Holocaust und flohen nach Dänemark. Sie sind alt, und sie nehmen sich gemeinsam das Leben: Er ist schwer krank, sie möchte nicht ohne ihn sein. Johanna Adorján erzählt den letzten Tag im Leben ihrer Großeltern – mit Distanz, aber auch mit Wärme. Traurig, schön und – ja, auch ermutigend.

Per Olov Enquist. Der Besuch des Leibarztes.
Ein Buch über den dänischen König Christian VII., einen geisteskranken jungen Mann, seine arrangierte Heirat mit der 13-jährigen, englischen Prinzessin Caroline Mathilde und über Christians Leibarzt Johann Friedrich Struensee. Wegen des Geisteszustandes Christians übernimmt im Hintergrund Struensee die Regentschaft – und hinterher auch die ehelichen Pflichten des Königs. Das Buch ist aus der Sicht eines Chronisten geschrieben, beobachtend, beschreibend, bewertend, vorausgreifend – in einem unglaublich guten, außergewöhnlichen Erzählstil, der die Geschehnisse fast ironisch wirken lässt. Empfehlenswert.

Charlotte Link. Sturmzeit
Die Geschichte der jungen Felicia Degnelly, die während des Ersten Weltkriegs das Gut ihrer Familie in Ostpreußen verlassen muss, heiratet, als Krankenschwester an die Ostfront geht, sich scheiden lässt, eine erfolgreiche Geschäftsfrau wird und am Ende alles verliert. Das Buch ist recht schwülstig, und die Erzählung nicht wirklich packend. Was ich allerdings gut fand, war, mal einen Einblick in die Zeit des Ersten Weltkriegs zu bekommen – denn die meistens Bücher handeln entweder vom Zweiten oder sind historische Romane, die in früherer Zeit spielen. Fazit: Kann man lesen, muss man nicht.

Ferdinand von Schirach. Glück und andere Verbrechen.
Das bekannte Buch Ferdinand von Schirachs – in der Neuauflage zum Film. Ich kannte es noch nicht und war positiv überrascht: kurzweilige, kuriose, packende Geschichten, kühl und schlaglichtartig erzählt. Eine hervorragende Unterhaltung.

Bevor jemand fragt: Der Hund ist im Osterurlaub. Skifreizeit in der Schweiz.

Alles kein Ding mehr

13. 04. 2012  •  139 Kommentare

Er ruft mich an, und ich weiß sofort: Irgendetwas ist.

Er sagt, ich wisse doch: Heute sei sie im CT gewesen, wegen ihrer Schmerzen in der Hüfte. Gerade habe sie ihn angerufen. Die Ärzte sagten, die halbe Hüftpfanne sei weggebröselt. Sie sagten auch, dieser Zersetzungsprozess – so schnell wie der vonstatten gegangen sei, das könne kein Verschleiß sein. Er sagt, sie sprächen von Knochenmetastasen.

Ich sitze im Büro. Wir haben ein Großraumbüro, und normalerweise gehe ich in die Küche, wenn ich telefoniere – um niemanden zu stören, und damit nicht alle mithören. Aber diesmal bleibe ich sitzen. Ich muss sitzen, denn ich zittere. Mir ist kalt.

Ich frage, wie sicher das sei. Ziemlich sicher, antwortet er. Sie müssten jetzt alles genau untersuchen und den Herd finden und natürlich könne es immer noch etwas anderes sein, aber sie hätten ihr schon gesagt, es sei sehr ernst, und sie solle sich auf das Schlimmste gefasst machen. Er meint, das sagten sie ja nicht einfach so. Er sagt das sehr langsam, mit drei Pünktchen am Ende.

Am Abend rufe ich sie an. Sie versucht, gefasst zu klingen, aber ich höre, dass sie geweint hat. Ihr Stimme hat dieses dunkle Timbre, das man nur hat, wenn man tief in sich hinein geweint hat. Sie sagt, die Sache mit der Hüfte könne zu allererst einmal von einem Unfall kommen oder von Osteoporose, die Ärzte machten einen aber auch immer verrückt, denen gehe es nur ums Geldverdienen. Aber du hattest doch gar keinen Unfall, sage ich. Nein, sagt sie, einen Unfall nicht direkt. Nein, eigentlich – nein. Kein Unfall.

Und dieser Husten, frage ich. Du hast doch schon seit Monaten diesen Husten.

Der Husten, sagt sie, das habe sie ihrem Hausarzt schon vor Monaten gesagt. Der tue höllisch weh. Der ziehe genau in die Seite, wo auch die Hüfte schmerze. Das sei wirklich kaum zu ertragen, der ganze Brustkorb schmerze.

Die komplette nächste Woche, sagt sie, sei sie nun unterwegs, jeden Tag: ins Labor, in die Röhre, Szintigramm, Computertomographie. Vielleicht, habe die Ärztin gesagt, brauche sie nur eine neue Hüfte. Danach sei man heutzutage schnell wieder fit, das sei kein großer Eingriff.

Natürlich, sage ich, alles kein Ding mehr.

*

Ich bin erneut auf der Arbeit, als er mich anruft. Gerade muss sie im Krankenhaus gewesen sein, muss sich ihre Diagnose abgeholt haben. Ich gehe in die Teeküche. Ich frage nichts, und er sagt nichts, denn es ist bereits alles gesagt, ohne dass ein Wort gefallen ist. Telepathisches Telefonieren, das Knoff-Hoff der Katastrophen.

Irgendwann sagt er doch etwas. Er fragt, ob ich sie sprechen möchte. Ja, antworte ich, und er gibt den Hörer weiter.

„Hallo“, sagt sie und hustet. „Ich weiß nicht, ob ich das überlebe“, sagt sie.

Ich schweige. Mein Kopf sucht nach Worten. Ich denke sofort: Nein, das überlebst du nicht. Schon vor einer Woche habe ich geschaut, woher Knochenmetastasen kommen, habe eins und eins zusammengezählt. Ich las: inoperabel, lebensverlängernd, palliativ. Fünf Prozent, zwei Prozent.

Ich blicke aus dem Fenster in den Hof, wo ein Auto vorfährt und ein Pizzabote aussteigt. Ich möchte nicht beschwichtigen, möchte nicht lügen. Kleine Miseren rede ich mir gerne schön, das macht sie leichter, sie sind dann fast nicht da. Widdewiddwitt, ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Jetzt, mit der Stirn an der Scheibe und dem Handy am Ohr, bin ich keine Pipilotta, möchte ich nichts schönreden. Der Pizzabote geht ins Haus. Ich sage: „Das wissen wir alle nicht.“ Die Sonne kommt hinter Wolken hervor.

„Sechs Wochen noch“, sagt sie, „wenn ich nichts mache. Und zwei Jahre, wenn ich sofort Chemo kriege.“ Sie schweigt. Dann sagt sie: „Morgen fangen sie an.“ Der Pizzabote kommt aus dem Haus und steigt in sein Auto. Die Sonne verschwindet wieder. Sie sagt: „Ich habe Angst.“

Als ich auflege, fühlt es sich plötzlich an, als stünden wir vor einem Wettkampf. Eine Woche lang haben wir auf den Startschuss gewartet, darauf, dass es amtlich wird, dass es losgeht, dass wir aus den Blöcken springen und unseren Lauf beginnen können. Diesen Lauf, von dem wir nicht wissen, wie lang er sein wird – und für den wir nicht trainiert haben.

Ich gehe hinaus, gehe Straßen auf und ab. Sie stirbt. Sie stirbt. Mein ganzes Denken sind diese zwei Worte. Sie stirbt. Sie stirbt. Sie stirbt.

*

Als ich zurück ins Büro komme, habe ich eine neue E-Mail, Betreff: „Er ist da!“
Ich öffne sie und sehe vier Bilder eines Neugeborenen, klein, zerknautscht, die Händchen blau. Der Sohn von Freunden, ersehnt und erwartet – er ist angekommen.

Ich weine.

Nossa!

12. 04. 2012  •  18 Kommentare

Nach schwierigen, politischen Themen im Kännchencafé,
ein niedrigschwelliger Beitrag zum Wochenende:

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=qkqXsRMcvCw&w=480&h=274]

Ergänzende Worte zu den Piraten

10. 04. 2012  •  128 Kommentare

Ein Nachtrag:

Vor zwei Wochen habe ich mit „Liebe Generation meiner Eltern“ einen Nerv getroffen. In den Kommentaren gab es viel Zustimmung. Aber es gab auch Widerspruch. Diesem möchte ich gerne antworten.

Mitglieder meiner Elterngeneration (oder Kommentatoren, die sich dort einordneten) sagten zum Beispiel:

Es gibt auch die Elterngeneration, die das Internet nutzt, ja schon Internet genutzt hat, als ihr noch im Kindergarten wart und die bereits vor euch die Piraten gewählt haben. 

Ich drücke mich deshalb mal genauer aus: Wenn ich von meiner Elterngeneration spreche, dann spreche von 60- bis 75-Jährigen. Einige davon nutzen das Internet. Mein Vater zum Beispiel. Meine Mutter wiederum nicht, meine Tanten und Onkel auch nicht. Als die ersten Browser erfunden wurden, war ich ein Teenager. Also erzählt mir nicht, dass ich noch im Kindergarten war, als Ihr schon im Internet gesurft habt.

Aber darum geht es nicht. Ich möchte nicht erklären, warum mein Vater oder meine Tante vielleicht Piraten wählt. Oder mein Opa. Das sollen sie selbst schreiben. Ich möchte nur erklären, warum meine Generation in nennenswerter Zahl Piraten wählt – für alle, die danach fragen. Das hat nämlich wenig bis nichts mit dem Internet zu tun.

Mir wird in den Kommentaren des Beitrags vorgeworfen, dass meine Generation „wie die Made im Speck“  lebte, dass wir „vor lauter imaginären Problemen“ vergäßen, wie gut es uns ginge und dass ich „mit Anfang 30″ meine „Midlife-Crisis früh“ durchlebte. Auch schrieb ein Kommentator:

“Euch, den 25 Jahre später geborenen, kann es ja schon kaum mehr besser gehen, da nützt ja die ganze Anstrengung in der Schule schon nichts mehr.”

Genau hier ist der Kern unseres Unmuts, unserer Wut. Wir müssen nicht hungern, haben eine Wohnung. Aber wir arbeiten dafür, wie Ihr es auch tut oder getan habt. Wir kriegen nichts in den Hintern geschoben. Wir haben hohe Abgaben, zahlen hohe Mieten und haben uns unser Studium selbst finanziert. Alles andere ist Klischee. Aber wir können uns nicht verbessern, egal wie wir strampeln.

Nun, da wir seit zehn oder fünzehn Jahren im Berufsleben stehen und gerne mal ankommen, sesshaft werden, eine Basis haben möchten, erkennen wir, dass nichts sicher ist. Immer noch nicht. Wir haben keine sicheren Arbeitsplätze. Wir leben von Zeitarbeit und Zeitverträgen, von außertariflichen Regelungen, von immer neuen Einstiegsgehältern – nach jedem Jobwechsel, nachdem wieder einmal ein Zeitvertrag ausgelaufen ist, müssen wir uns bewähren. Viele von uns ziehen oft um, der Arbeit hinterher. Das ist kein Spaß. Das kostet Geld. Geld, das wir gerne ansparen würden, für später, für ein Eigenheim, für unsere Kinder, vielleicht auch nur für eine neue Waschmaschine. Aber noch bedeutsamer: Es kostet uns ein soziales Umfeld, einen sich über Jahre entwickelnden Freundeskreis, eine vertrauensvolle Familie um uns herum. Es kostet uns Zeit – die wir in Zügen und auf der Autobahn verbringen, auf dem Weg zum Partner, zu den Eltern, Großeltern und zu Freunden.

Ich sage nicht, dass mich das persönlich betrifft. Deshalb durchlebe ich auch keine Midlife Crisis. Mir geht es gut, ich habe einen tollen Beruf, lebe seit Jahren in derselben Region, bin glücklich. Aber ich sehe es bei meinen Freunden, bei meinen Verwandten, den Cousins und Cousinen, den ehemaligen Klassenkameraden und Mitstudenten. Von denen wohnt kaum einer mehr in unserem Heimatort – und das nicht, weil er nicht möchte. Sondern weil er dort keine Perspektive hat.

Gerne würden wir Kinder bekommen – bekommen sie auch. Aber wenn wir Frauen schwanger werden, wird unser Zeitvertrag nicht verlängert. Wenn wir uns dann eine neue Arbeit suchen, werden wir gefragt, wie es mit der Kinderbetreuung aussieht. Wenn wir einen Kita-Platz brauchen, gibt es keinen. Oder nur einen von 7 bis 15.30 Uhr und nicht vielleicht von 12 bis 17 Uhr, wie wir ihn brauchen könnten in dieser flexiblen Welt. Ein Kita-Platz, bei dem die Erzieher – übrigens auch welche von uns – uns um 15.40 Uhr frustriert maßregeln, weil wir unser Kind zehn Minuten zu spät abholen, weil wir im Feierabendverkehr standen, weil wir nicht früh genug wegkamen, weil wir unseren Job gut machen wollten, weil es verlangt wurde. Unsere Eltern können wir nicht fragen, denn sie wohnen weit weg. Manche sind selbst noch berufstätig, sie sind krank oder schon gestorben – auch das gibt es, sogar gar nicht selten.

Jetzt sagt nicht: Warum bleiben die Frauen dann nicht zu Hause? Haben wir auch getan! Ist das Beste fürs Kind! Und für alle entspannter.

Wer sich das leisten kann: gut. Aber ich kenne nur wenige, trotz guter Ausbildung – und nicht wegen überzogener Ansprüche, dem zweiten Auto oder dem dritten Jahresurlaub. Außerdem sehen wir doch bei Euch, wohin das führt. Ihr, unsere Mütter, habt zwei oder drei oder vier Kinder großgezogen und bekommt heute nur eine Mini-Rente. Oder Ihr seid von unseren Vätern geschieden, und weil Ihr nach Jahrzehnten ohne Berufstätigkeit keine Anstellung über 400 Euro findet, lebt Ihr von ihrem Unterhalt. Ein Gehalt für Zwei – da muss schonmal das Einfamilienhaus dran glauben, in das wir einmal einziehen sollten.

Wie wir es machen, wenn Ihr, unsere Eltern, pflegebedürftig werdet, weiß niemand von uns. Sollen wir zurück in die Heimat ziehen? Oder Euch zu uns holen, Euch entwurzeln? Oder Euch in ein Heim stecken, Euch versorgen lassen, dafür monatlich so viel Geld zahlen, dass wir uns deshalb keinen Kita-Platz mehr für unser Kind leisten können – und uns dabei sorgen, dass Ihr Euch wund liegt, ruhig gestellt, schlecht behandelt werdet? Wir lieben Euch. Wir werden für Euer Wohl in die Verantwortung genommen. Das ist in Ordnung so. Aber wir sind ratlos.

Nein, wir haben keine existentiellen Probleme. Wir haben zu essen und ein Dach über dem Kopf. Wir können sogar in den Urlaub fahren, nichts Dolles, aber immerhin. So wie Ihr damals.

Aber im Gegensatz zu Euch sehen wir keine Perspektive. Keine Möglichkeit des Aufstiegs, des Ankommens. Uns fehlt dieses Gefühl: Fünf Jahre noch, dann sind wir aus dem Gröbsten raus, dann wird alles gut.

Wir haben die Nase voll von der aktuellen Politik, die sich um all diese Belange nicht kümmert. Die ein Betreuungsgeld einführt, das jetzt Familien kriegen, die es sich leisten können, von einem Gehalt zu leben. Oder solche, für die es keinen Kita-Platz gibt oder die ohnehin keine berufliche Perspektive haben.

Überhaupt: Geld. Wir wollen kein Geld für unsere Kinder, keine Herdprämie und kein Gebärhonorar. Wir wollen bezahlbaren Wohnraum, gute Bildung und ein gesellschaftliches, auf den Menschen ausgerichtetes Klima, das es uns erlaubt, uns nicht zu zerreißen, sondern mit Freude zu arbeiten, der Gemeinschaft zu dienen, Werte zu erwirtschaften und mit Liebe und Zuwendung unsere Kinder großzuziehen.

Wir haben die Nase voll davon, dass nur Pfründe gesichert werden. Dass niemand in der Politik sich traut, unser Rentensystem neu zu denken. Wir zahlen gemeinsam mit unseren Arbeitgebern Hunderte von Euros monatlich in die Rentenkasse ein und werden mit Glück gerade einmal das Existenzminimum herausbekommen. Wir zahlen zusätzlich in private Rentenversicherungen, und wissen nicht, ob die Konzerne das Geld nicht verjuxt haben werden, wenn wir 67 oder 70 sind – irgendwo an irgendeiner Börse.

Wir machen uns Sorgen. Wir sind gestresst – und das ist mehr als ein persönlicher Stress, das ist ein kollektives Gefühl. Ein Druck, den Ihr vielleicht auch empfunden habt. Doch Euer „Stellt euch nicht so an!“ hilft uns nicht weiter.

Wegen all dieser Gründe – oder nennt es Befindlichkeiten – muss niemand die Piraten wählen. Aber manche tun es. Aus Protest oder weil sie das Gefühl haben: Das sind welche von uns. Die leben wie wir, die verstehen etwas von unserem Leben, die bewegen noch einmal grundsätzlich etwas – und schrauben nicht nur am Vorhandenen herum.

Das mag ein Trugschluss sein. Aber dann haben wir es wenigstens versucht.



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