Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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Liebe Generation meiner Eltern,

26. 03. 2012  •  192 Kommentare

Ihr seid entsetzt.

Ihr seid total baff, dass eine Partei wie die Piraten 7,5 Prozent der Wählerstimmen bekommt. Ihr fragt mich, Eure Tochter und Nichte, wie das kommen kann. Wie solche Chaoten, wie Computerspinner, die kein Programm haben, außer das Urheberrecht abzuschaffen, es in ein Parlament schaffen. Ihr fragt Euch, was das für Leute sind, die solche Sonderlinge wählen. Ich erkläre Euch das jetzt mal.

Es gibt in unserem Land eine Generation von Menschen, die mit Krisen und Unsicherheit aufgewachsen ist, aber auch mit einer großen Freiheit, mit einer Fülle von Möglichkeiten und mit der Selbstverständlichkeit, sich immer überallhin bewegen zu können. Das ist die Generation derjenigen, die jetzt um die 30 oder etwas älter ist. So wie ich.

Wir haben Tschernobyl erlebt, die RAF und Glasnost, den Fall der Mauer, die Irak-Kriege, den Balkan-Krieg, das vereinigte Europa, Systemwechsel, Börsenstürze und Helmut Kohl. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, die heile und friedlich war, aber auch ständig bedroht. Uns wurde eingebläut, gut in der Schule zu sein, um es einmal besser zu haben als Ihr, unsere Eltern. Deshalb haben wir gelernt, wir haben studiert oder eine Lehre gemacht, wir arbeiten hart, aber wir haben es trotzdem nicht besser. Denn wir haben inzwischen die vierte befristete Stelle, wir führen Fernbeziehungen über hunderte Kilometer, wir können uns nicht für Kinder entscheiden, weil wir vergeblich einen Partner suchen oder weil dann unser Arbeitsvertrag nicht verlängert wird. Wir wollen auch nicht mehr ständig dazu aufgefordert werden, Kinder zu zeugen, besonders nicht mit dem Argument, dass sie unsere Rente sichern und im Alter für uns sorgen werden, denn das tun sie nicht, wenn sie genauso leben werden wie wir.

Wir sind es aber auch gewohnt, in Freiheit aufzuwachsen und ihre vielen Möglichkeiten zu genießen. Wir gehen, wohin wir wollen; wir wohnen, wo wir möchten; wir können für 0 Cent nach Südamerika telefonieren und unsere Freunde dabei sogar sehen. Wir kommunizieren, egal wo wir sind und wann wir sind, denn wir können überall synchron und asynchron, persönlich oder anonym miteinander reden. Wir lieben diese Freiheit und wir fürchten diese Freiheit, sie ist Segen, sie ist Fluch, aber wir würden sie niemals hergeben wollen.

In den Parteien, die uns regieren, sind viele Politiker, denen Ordnung ganz wichtig ist. Sie sind älter als wir; ihre Eltern verbrachten ihre Jugend im Krieg oder in der Strenge der 50er Jahre, nicht wie unsere, im Geiste der 68er und mit Wolf Biermann. Sicherheit ist ihnen sehr wichtig. Freiheit aber ist eine Bedrohung für die Sicherheit, denn sie gebiert Ungewissheit; ihre Basis ist nur das Vertrauen.

Doch Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Politiker überlegen sich nun, was Leuten, die wie sie sind, gut tun würde und machen danach Politik. Das ist dann Lobby-Politik. Sie wundern sich und werden böse, wenn man sie deshalb angreift – mittelbar über die Presse oder schlimmer: unmittelbar im Internet, diesen Inbegriff der Grenzenlosigkeit, der Unkontrollierbarkeit. Das Internet, das sind in ihren Augen nicht ihre Freunde, ihre Kinder und ihre Nachbarn, sondern das ist eine anonyme, tyrannische Masse ohne Ordnung und Disziplin.

Merkt Ihr etwas, liebe Eltern, Tanten und Onkel? Ich erkläre Euch, warum Menschen die Piraten wählen, und erst im siebten Absatz kommt erstmals das Wort „Internet“ vor. Das ist deshalb so, weil das Piratenwählen nicht nur etwas mit dem Internet zu tun hat. Das Internet gehört zwar irgendwie dazu, aber das Gefühl und die Lebensweise, die dahinter stecken, bestehen aus mehr.

Happa!

24. 03. 2012  •  77 Kommentare

Mein neues Keramikmesser:

Keramikmesser in grüner Paprika

Es ist so scharf – Sie brauchen es nur in die Nähe einer Gurke halten, schon gleitet es hindurch. Oder durch eine Paprika. Oder durch Fleisch. Beim Zerteilen eines Schweinefilets fühlte ich mich heute wie Dr. Christina Yang beim Eröffnen eines Brustkorbs. Ein fast erotisches Gefühl.

Ich habe erstmals ein Gericht aus Frau Julianes Blog gekocht: asiatisches Rindfleisch mit Schwarze-Bohnen-Soße. Allerdings mit Schweinefleisch, weil es im Ghetto-Rewe kein Rinderfilet gab. Dabei bin ich extra in den Rewe und nicht in den Ghettonetto gegangen, denn Ghettonetto und Filet, das funktioniert nicht, das kauft dort keiner. Es ist zu teuer, und man müsste etwas damit machen – mehr als Mikrowelle, Stufe 3.

Statt Sherry habe ich außerdem Reiswein genommen, statt Frühlingszwiebeln normale Zwiebeln, und die schwarzen Bohnen waren nicht gesalzen, sondern in Chili eingelegt. Zugegeben: Unter diesen Umständen habe ich nicht Frau Julianes Rezept nachgekocht, sondern ein eigenes kreiert. Aber man muss nehmen, was man zur Verfügung hat. Es schmeckte trotzdem.

Ich erwäge nun, das Messer an dunklen Abenden als Waffe mit mir zu führen. Jeder Angreifer wird mich auslachen, wenn er das kleine Ding sieht. Solange, bis ich ihn mit einem Streich filetiert habe.

Fragen zum Streik

21. 03. 2012  •  64 Kommentare

Heute wieder ver.di-bedingtes Radfahren.

Diesmal allerdings bei schönem Wetter, was mich zu dem Vorhaben bewegt, wieder öfters mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Es war nämlich richtig nett.

Worüber ich während des Radelns aber vielmehr nachgedacht habe, ist:

  1. Haben alle Ruhris ein Auto? Oder haben sie nur kein Fahrrad? Nehmen sich die Leute frei? Trotzdem, dass weder Busse noch Bahnen fuhren, waren kaum Radfahrer unterwegs.
  2. Was bringt der Streik eigentlich? Die Arbeitgeber kratzt es doch wenig: Alle Monatskarten sind bereits bezahlt, und die KiTa-Beiträge werden auch nicht anteilig erstattet.
  3. Wie soll eine Lohnerhöhung finanziert werden? Das kann ja nur über Beitragserhöhungen geschehen.

Vielleicht kann hier mal ein Streikender schreiben, wie er oder sie das sieht. Ich finde ja auch, dass Erzieherinnen zu wenig verdienen. Aber so richtig solidarisch fühle ich mich wegen der oben genannten Fragen trotzdem nicht. Oder wie sehen Sie das?

Pyjama

19. 03. 2012  •  105 Kommentare

Meine Mutter hat mir einen Pyjama geschenkt.

Pyjama mit rosa Plümchen

Ich habe sie gefragt, ob sie möchte, dass ich nie wieder Geschlechtsverkehr habe. Sie antwortete: „Wieso? Der ist doch gut verarbeitet! Was soll ein Mann dagegen sagen?“

Das A-Wort

18. 03. 2012  •  31 Kommentare

Nach diesem Wochenende muss ich mich der Wahrheit stellen:

Meine Handballmannschaft droht aufzusteigen. In den vergangenen Wochen habe ich das beiseite geschoben: Bloß das A-Wort nicht erwähnen, das bringt Unglück. Außerdem: Es kann noch viel passieren – Verletzungen, Wurfpech, raumgreifende Unfähigkeit. Deshalb besser nicht daran denken.

Seit heute nun führen wir mit Punktevorsprung die Tabelle an. Es sind noch vier Spiele zu spielen.

Heute hatte ich auch meinen ersten Einsatz nach dem Bänderriss. Die Trainingseinheiten zuvor waren leidlich. Der Fuß schmerzte, der Kopf blockierte, und ich japste mit dem Lungenvolumen eines Zwergeichhörnchens durch die Halle. Aber wie sagt man so schön: Was zählt, is‘ auf’m Platz – und da bin ich ja ’ne Kampfsau.

Wenn Sie sich ein bisschen im Handball auskennen, stellen sie sich mir bitte als Oliver Roggisch einer Ruhrgebiets-Freizeitliga vor (nur mit Brüsten natürlich): vorne am Kreis, hinten in der Abwehr der Mittelblock, und alles in allem keine rhythmische Tanzgymnastin, sondern mehr, nun ja, ukrainische Kugelstoßerin.

Falls wir nun aufsteigen, wird die Luft dünn – buchstäblich, denn meine Kondition und meine Dynamik sind absolut untauglich, eine Liga höher zu spielen. Außerdem erreiche ich mit Mitte 30 so langsam das gepflegte Handball-Rentenalter, in dem man in der Bezirksliga noch ein bisschen Bälle schubsen kann, sich aber ansonsten keine Ziele mehr stecken sollte. Aber aufhören? Nach einem Aufstieg?

Niemals. Falls wir tatsächlich aufsteigen, werden Sie hier im Sommer lesen, wie ich leide. Denn dann ist es mit lockeren 10-Kilometer-Trainingsläufchen nicht getan.

Ich fürchte mich schon jetzt.

Wenn das Hauskamel niest

14. 03. 2012  •  50 Kommentare

„Mein Hund hat den Aufgabenzettel gegessen“,

war in der Schule eine beliebte Ausrede, wenn es um nicht gemachte Hausaufgaben ging. Eine Freundin, die bis vor Kurzem als Uni-Dozentin in Australien arbeitete, hat die Steigerung davon erlebt. Eine Studentin konnte ihre Hausarbeit nicht pünktlich abgeben mit der Begründung: „Mein Alpaka hat Grippe.“ Wie großartig! Der Satz ist bei uns schon jetzt ein geflügeltes Wort.

„Warum bist du so spät?“
„Tut mir leid, aber mein Alpaka hat Grippe.“

„Morgen joggen?“
„Kann nicht. Mein Alpaka hat Grippe.“

Passt immer. Und bei Ihnen? Schon doofe Ausreden gehört – oder genutzt?

Großes Kino im RE1

12. 03. 2012  •  42 Kommentare

Als rege Besucher des Kännchencafés wissen Sie:

Die Chicks und Checker, mit denen ich Busse und Bahnen teile, sind dankbare Lieferanten blogbarer Begebenheiten. Am Wochenende allerdings versammelten sich derart sonderbare Gestalten im Regional-Express 1, dass ich es selbst nicht fassen konnte.

Der RE 1, so viel sei vorausgeschickt, ist die Hauptverkehrsachse des Ruhrgebiets. Er fährt von Aachen nach Paderborn und hält dabei in allen großen Städten des Potts. An Werktagen schmiegen sich ölige Aktentaschenträger in die Achselhöhlen ihrer Nachbarn. Am Wochenende ist der RE1 das Stangentaxi fürs Partyvolk, der Samba-Express nach Köln. Stets ist es warm und lauschig. Mal riecht es nach Puff, mal nach Schnapsbrennerei.

Als ich am vergangenen Freitag einsteige, betreten mit mir den Zug: ein pöbelnder Tippelbruder mit nur einem Arm und eine Gruppe studentischer Sozialflippies mit Dreadlocks. Ein Bahnbediensteter schiebt außerdem einen bärtigen Muslim mit gestrickter Gebetsmütze in den Waggon: Der Mann hat keine Füße und sitzt im Rollstuhl.

Die Türen schließen sich piepend. Die Reise beginnt. Der Pöbler schwingt sich eine fleckige Jutetasche über die armlose Schulter und macht die Sozialflippies an. Sie sollen ihre Bierflaschen hergeben, die NATO bereite Kriege vor, da brauche er Pfandgeld, es könne jederzeit losgehen. Einer der Jungs sagt: „Nimm, Bruder“, und reicht ihm eine leere Flasche.

„Da ist ja gar nichts mehr drin!“, beschwert sich der Einarmige, hält die Pulle mit dem Hals nach unten und lässt einen Rest Bier auf den Boden kleckern. Während er der Plörre nachguckt, fällt sein Blick auf den Muslim, auf dessen nicht vorhandene Füße das Bier tropft.

„Du hast ja gar keine Füße“, stellt er verwundert fest und sagt: „F*ck, ey, du kannst nicht mal moscheemäßig beten. Du bist echt  feist gef*ckt, Alta.“

Der Muslim schaut zu ihm auf, blickt ihn eine Weile an und sagt sehr ruhig: „Dafür kann ich Handstand machen und du nicht.“

Streik

7. 03. 2012  •  76 Kommentare

Streik im Nahverkehr.

Endlich eine Gelegenheit, nach dem Winter das Fahrrad aus dem Keller zu holen. Draußen sind es knapp vier Grad. Aber Sie kennen mich: Ich bin kein Gelsattelsitzer. Kälte ist kein Feind, Kälte ist eine Herausforderung. Also Mütze auf, Handschuhe an, das wattierte Shirt drunter, los geht’s.

Auf dem Hinweg geht es bergauf, acht Kilometer lang. Mir wird reichlich warm. „Bischt den Buckel ’nauf’g’schnauft?“ fragt die schwäbische Kollegin, als ich im Büro ankomme. Ich bejahe und gebe mich heroisch. Das Team nickt mir anerkennend zu.

Abends dann – nur die Nerds sind noch da, schreiben Ajax-Gedichte und teilen sich knuspernd eine Packung Currywurst-Chips -steige ich wieder aufs Rad. Es regnet. Aber was soll’s. Wetter, Wind, Natur – das ist eins, das gehört zusammen. Da fühlt man erst, dass man lebendig ist.

Nach nur einem Kilometer bin ich durch. Es stürmt. Ich bin nass. Es geht nur bergab. Ich friere wie ein Schneider. Der Regen tropft vom Helm, weht mir in die Augen, bricht das Licht entgegenkommender Scheinwerfer. Ich sehe drei Meter weit, beuge den Kopf, der Wind weht mir in den Kragen. Leise und formelartig murmle ich: „Radfahren ist schön. Radfahren macht Spaß. Total! Spaß!“

Zu Hause dann: kein Team, das anerkennend nickt. 18 Grad in der Wohnung. Ich suche den Flauschbademantel, schäume Milch auf, trinke Kakao.

Keine Pointe.

Die Schnullerfee

4. 03. 2012  •  28 Kommentare

Die Schnullerfee ist ein geheimnisvolles, unbekanntes Wesen.

Herr Buddenbohm schreibt über sie:

Die Schnullerfee gehört zu den eher seltsamen Gestalten in der modernen Mythenwelt der Kleinkinder. Man weiß nicht, wo sie wohnt, man weiß nicht, wie sie aussieht, man weiß auch nicht, was sie sonst so treibt, wenn sie nicht gerade ihrem Hauptberuf nachgeht. Eigentlich weiß man nicht einmal, ob sie fliegen kann, und verblüffender Weise scheint auch niemand Interesse daran zu haben, es herauszufinden. 

Im Jahr 2007 entdeckte ich während einer Reise zum Nordkap im Stockholmer Freilichtmuseum Skansen das Haus der Schnullerfee:

Das Haus der Schnullerfee in Skanes
In dicken Bündeln hingen die abgelegten und plattgelutschten Schnuller vom Dachfirst des Hauses. Vereinzelte, abgeliebte Exemplare lagen verlassen im Vorgarten. An den umstehenden Bäumen bildeten sie schwere Girlanden.
Schnullergirlanden an Haus der Schnullerfee
Vor dem winzigen, knapp kniehohen Gebäude spielten sich seinerzeit dramatische Szenen ab. Weinende Kinder klammerten sich an ihre Nuckis, warfen sie weinend in den Vorgarten, schlugen wütend auf ihre Eltern ein. Großeltern reichten tröstend Zuckerstangen. Aufgewühlte Mütter klammerten sich mit Mienen der Reue an Stofftiere und Schnuffeltücher. Väter saßen auf Bänken in der Umgebung und unterhielten sich über – keine Ahnung. Wahrscheinlich Fußball. Mitarbeiter der Schnullerfee verkauften für 24 Kronen kalte Limonade an die erhitzte Kundschaft.

Die Schnullerfee selbst habe ich nicht gesichtet. Man munkelte damals, sie leide an Burnout und befände ich auf Kur.



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