Draußen nur Kännchen Kaffeehaus mit ♥

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The Nessy Burbank Show

28. 01. 2008  •  1 Kommentar

Begebenheiten in meinem Leben lassen mich vermuten, dass es auf dem Dachboden meines Hauses eine Regie gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mein Leben spannender zu gestalten.

Ich bin mir sicher, dort sitzen Menschen vor Monitoren und geben den Nachbarn Anweisungen, wann sie meinen Weg kreuzen sollen. Ab und an lassen sich die Leute da oben eine Pizza kommen, schmeißen Kippen aus dem Fenster, und wenn ich schlafe, blenden sie Werbung ein. Diesen komischen, zauseligen Junggesellen aus dem vierten Stock, der täglich Einkaufstüten durchs Treppenhaus schleppt, obwohl er alleine niemals so viel essen kann, haben sie angemietet, damit er ihnen Cola und Klopapier hochträgt. Und der papierdünne Opa von gegenüber, der jeden Morgen rauchend in Schlappen vor der Haustür steht, der Sonne beim Aufgehen zusieht und nur zwei Gesichtsausdrücke kennt, nämlich stumpf und sehr stumpf, ist eine Attrappe. Irgendwann, wenn es zu sehr windet, wird er vornüber aufs Gesicht kippen, und ich werde den kleinen, surrenden Motor in seinem Rücken sehen.

Was mich zu diesem Schluss kommen lässt? Immer, wenn ich meine Wohnung verlasse, treffe ich den Oberinspektor. Kehre ich in meine Wohnung zurück, treffe ich den Oberinspektor. Treffe ich ihn nicht, treffe ich den Mann mit dem kleinen, weißen Hund. Ich kann niemals unbehelligt durchs Treppenhaus gehen, egal zu welcher Uhrzeit. Und das – und jetzt kommt der Clou – obwohl ich diese Menschen jeweils fünf Minuten zuvor in ihr Auto steigen sah. Wie können sie weggefahren, aber gleichzeitig noch im Haus sein?

Ich gehe davon aus, dass in den Räumen über mir mindestens fünf Oberinspektor-Komparsen in der Maske sitzen. Verlasse ich meine Wohnung, gibt die Regie einem von ihnen über Funk Anweisung: „Sie tritt aus der Tür. Los, schnell die Treppe runtergehen. Gebeugt! Sie sind ein alter Mann! Faseln Sie wirres Zeug! Das Publikum will ein Gespräch!“

Wenn von den Oberinspektor-Komparsen zwei wegen eines gelben Scheins ausfallen, zwei gerade zum Mittag am Büdchen sind und der fünfte austreten ist, schicken sie den Mann mit dem kleinen, weißen Hund vor die Tür. Der Hund, er bellt nie. Ich wette, er ist innendrin hohl, eine batteriegetriebene Mechanik steuert seinen Schwanz, und nach Feierabend wird er shampooniert, ausgebessert und neu aufgeföhnt.

Der Kuss

1. 01. 2008  •  Keine Kommentare

Es war dieses Silvester Mitte der 90er, als es minus 20 Grad hatte. Nur die Hauptstraßen unserer kleinen Stadt waren vom Schnee und vom Eis befreit. Auf den Nebenstraßen, den Anliegerstraßen und in den kleinen Gassen, auf den Höfen und Terrassen lag eine dicke, plattgetretene, gefrorene Schneeschicht, die so hart war, dass sie erst Wochen, nachdem sich erste Krokusse ans Licht gewagt hatten, geschmolzen war.

Wir gingen hinaus mit Mütze und Handschuhen, in einer langen Unterhose und den Schal nicht nur um den Hals, sondern eng um Mund und Nase gewickelt. Männern mit Schnurrbärten gefror ihr Atem in den borstigen Haaren, und Frauen, die gerade geboren hatten, blieben mit ihren Kindern vor den Kaminen der Einfamilienhäuser sitzen und blickten versonnen ins Funkeln des Weihnachtsbaums, das sich im Fenster spiegelte.

Wir waren eine Gruppe von vielleicht acht Leuten, eine lose zusammengewürfelte Clique, die sich erst vor ein paar Monaten gefunden hatte. Es ergab sich, dass wir in einer hölzernen Gartenhütte in einer Reihenhaussiedlung feiern konnten, umgeben von zwei Heizlüftern, auf Campingstühlen und Plastikliegen. Wir saßen im Kreis um einen Tisch herum, machten Raclette, erzählten und lachten viel. Die Bravo Hits des Jahres quollen aus den Boxen eines CD-Kassetten-Decks, und wahrscheinlich wechselten sie sich ab mit Kuschelrock und Roxette, denn das war es, was wir zu dieser Zeit und zu dererlei Anlässen hörten.

Von Zeit zu Zeit, immer dann, wenn uns in dieser winzigen Hütte mit den zwei Heizlüftern zu warm wurde, öffneten wir die Hüttentür mit den Butzenscheiben und den dicken, gehäkelten Spitzengardinchen. Die Luft unter der Decke wurde augenblicklich zu Dampf und waberte in dicken Schwaden hinaus in die Kälte. Es war unwirklich und dauerte nur wenige Sekunden, ehe wir die Tür wieder zurissen und uns mit schlotternden Leibern wünschten, wir hätten sie nie geöffnet.

In einem dieser Momente blickte ich ihn zum ersten Mal an, wie er ebenfalls dasaß und zu frieren begann. Er war zu dieser Zeit mit Miriam zusammen, einer 17-Jährigen, die bereits vor Mitternacht von ihrem Vater abgeholt werden würde, weil sie nicht länger aus bleiben durfte. Sie war eine zarte, braunhaarige Elfe mit Porzellanhaut und Locken, die ihr auf den Rücken hinabhingen und bei jeder Bewegung sanft hüpften. Sie war schön im klassischen Sinne, doch sie war eine Puppe und reizte ihn nicht, das sah ich gleich. Wenn er sie umarmte und ihr einen kurzen Kuss auf die weißen Wangen drückte, hielt er die Augen geöffnet und ließ jene Innigkeit vermissen, wie sie Verliebten zu eigen ist, wenn um sie herum im Augenblick gegenseitiger Berührung die Umgebung in Bedeutungslosigkeit verschwimmt.

Um kurz vor elf wurde sie also abgeholt, obwohl Silvester war, obwohl wir alle wie in einem Schlafsaal im Wohnzimmer dieses Reihenhauses schlafen würden und obwohl sie bereits 17 war. Er drückte ihr wieder einen dieser scheuen Augen-auf-Küsse auf die Wange, während ihr Vater im Auto wartete und die Abgaswolken aus dem Auspuff des Wagens quollen. Als er zurück in die Gartenlaube kam – die warme Luft wurde sofort dunstig, als er durch die Tür schlüpfte -, setzte er sich neben mich in einen freien Campingstuhl. So saßen wir beeinander, ich bot ihm von den Chips an, und er blickte mich immer wieder von der Seite an.

Es wurde Mitternacht, und als wir mit gefüllten Sektgläsern, in Mützen und Handschuhen, die Schals über den Mund gezogen, auf dem plattgetreten Schnee in der Anliegerstraße standen und die ersten von uns Raketen steigen ließen, blickte er mich an, schob meinen Schal beiseite und küsste mich lange und innig. Dann ging er zu den anderen Jungs und knallte und lachte, während wir Mädels frierend zusahen und an unserem Sekt nippten.

Das Jahr, das mit einem Kuss begann, war eines, das bestimmt sein sollte von Veränderungen, aber noch mehr bestimmt von einer wilden Verliebtheit, die nicht Grund für die Veränderungen war, sie aber ebenso fürsorglich wie ungestüm begleitete.



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